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Disziplinierungsversuche selbsternannter Demoleiter

Waren die Demonstrationen in den ersten Tagen von Spontanität geprägt, und Flexibilität die große Stärke gegen eine maßlos überforderte Staatsgewalt, so versuchen inzwischen wieder einmal die verschiedensten trotzkistischen Gruppen und Parteichen wie SOV, SLP, AL und wie sie alle heißen, sozialdemokratische Vorfeldorganisationen wie SJ* und VSStÖ, KPÖ und KSV sowie ein paar andere mehr, den Widerstand zu vereinnahmen, sich an dessen Spitze zu stellen und nach besten Kräften abzuwiegeln. Vorläufiger Höhepunkt: die Selbsternennung dieser Gruppen zum "Aktionskomitee gegen Schwarz-Blau und gegen Rassismus und Sozialabbau".

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In den ersten Tagen der Widerstandswelle wurde an jeder Straßenkreuzung spontan entschieden, wo weitergegangen werden sollte - am besten dort, wo die Polizei noch nichts abgeriegelt hatte. Der Verkehr brach stadtteilweise zusammen. Kaum hatte die Polizei sinnvolle Umleitungsmaßnahmen getroffen, wechselte die Demo auch schon wieder die Richtung und blockierte womöglich nun die Umleitungsstrecke. Oft gelang es selbst den Polizeiwagen nicht mehr, der Demo zu folgen.

Seit Sonntag, den 6. Februar versuchen jedoch immer häufiger SOV/SLP/AL-Kader, die Führung an sich zu reißen. Sie weisen DemonstrantInnen hinter ihre erste Reihe und ihr Leittransparent zurück, machen sich mit ihren Megafonen wichtig, mit denen sie neben ihren Parolen, die eine oder andere Falsch- oder Halbwahrmeldung verbreiten, damit die Leute ihnen folgen (zB sollte am Sonntag mal dringend zum Stephansplatz demonstriert werden, da dort gerade die Regierung gesegnet werden sollte - dort angekommen hieß es dann, das sei längst vorbei; in Wirklichkeit war beides reine Erfindung, Hauptsache die Massen folgten ihnen) etc.

Schon am Sonntag, den 6. Februar, mehr aber noch in den Tagen danach, versuchen sie gezielt, die Demo von den wesentlichen Orten des institutionalisierten Rassismus, wie dem Schubgefängnis in der Rossauer Lände, aber auch den Zentralen von FPÖ und ÖVP fernzuhalten.

Sie bestimmen Demotreff- und Zeitpunkte, die sich bisher aus dem offiziellen politischen Geschehen selbst ergeben haben, willkürlich, und zwar so, dass dabei möglichen Konfrontationen nur ja aus dem Weg gegangen wird. Am Dienstag erreichten sie mit dieser Taktik, dass zu Beginn der Nationalratssitzung gerade mal ein paar Hundert Leute beim Parlament waren.

Sie führen die Demos nur durch Straßen, die vorher von der Polizei gesperrt wurden. Sie initiieren einen Ordnungsdienst, der "für Ruhe" sorgen soll (aus einem Gespräch der APA mit dem "Sprecher" des selbsternannten "Aktionskomitees", Kurt W.). Sie rufen auf, nach Hause zu gehen, während noch tausende Leute zum Parlament ziehen wollen. Sie wiegeln ab, wo es geht, machen aus selbstbestimmtem Widerstand und Protest eine Selbstdarstellungsperformance-Farce.

Bis jetzt gelingt es ihnen erst wenig, die Demos zu vereinnahmen. Schön langsam sollte dem Profilierungsgehabe der selbsternannten Demoleitung und der Ordner (alles Typen) aber was entgegengesetzt werden. Sonst bleibt von der Spontanität, der Power, dem Lärm, der Krativität, kurz: von alldem, das den Charakter der Demos tagelang geprägt hatte, nicht mehr viel übrig.
 
 

Stellungnahme aus der SJ zu den Vorwürfen:
die sj hat zu keiner zeit versucht, die demonstrationen gegen fpövp zu vereinnahmen (aufgrund der nur spärlichen beteiligung im vergleich zu anderen organisationen wäre dies auch nie möglich gewesen). weder hat sich die sj zu irgendeinem zeitpunkt um einen sitz im sog. aktionskomittee bemüht, noch wird sie dies in zukunft tun. aufgrund unserer grundsätzlichen ablehnung einer nichtgewählten selbsternannten vertretung der demonstranten hat sich diese frage für uns nicht gestellt.


mehr zum Widerstand gegen die österreichische Rechts-Rechtsextrem-Koalition
sowie weitere Beiträge zu Rassismus in Österreich und diverse andere Artikel aus aktuellen und älteren TATblatt-Ausgaben siehe Inhaltsübersicht auf der
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aus: TATblatt nr. +132  (3/2000) vom 10. februar 2000
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