TATblatt


ArbeitsMarktService Wien:

Schach (mit) der Arbeitslosigkeit

Wenige Wochen vor Jahresende weiß kein Mensch, wie das Wiener Arbeitsmarktservie die für das kommende Jahr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen will. Ein kurzer Wegweiser durch die etwas eigenartige Gedankenwelt von AMS-BürokratInnen ...

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Die Szene wiederholt sich in etwa alle zwei Wochen: Eine Kommission trifft sich in der Wiener Weihburggasse; einige Stunden später zerstreuen sich die Mitglieder, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben.

An sich -- weil in Österreich wohl alltäglich -- nicht weiter erwähnenswert... Die Auszahlung von Sitzungsgeldern an die Beiratsmitglieder erfolgt ohnedies unabhängig etwaiger Entscheidungen.Die Tatsache, daß der Beirat, der für die Verteilung der AMS-Mittel zur Weiterbildung bzw. sonstiger Kursmaßnahmen zuständig ist, sich seit August bereits vier Mal vertagt hat, fiel bisher wohl auch kaum eineR auf; abgesehen vielleicht von ein paar weiterbildungswilligen Arbeitslosen, die in Sachen Kursförderung von ihren BeraterInnen auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet werden.

Im Vorfeld des EU-Gipfels in drei Wochen beginnen nun jedoch ein paar SachbearbeiterInnen im Bundeskanzleramt nervös zu werden: Thema des Gipfels wird nämlich eine erste Evaluierung der im vergangenen Mai beschlossenen "Nationalen Aktionspläne für Beschäftigung" sein. Und es wäre mehr als peinlich, wenn die österreichische Regierung, die sich vollmundig der Urheberschaft dieser EU-weiten Programmpapiere brüstet, nur unvollständige Ergebnisse vorlegen könnte.

Die Entscheidungsverweigerung des Beirats macht inzwischen auch einigen PolitikerInnen Kopfzerbrechen, und auf deren besorgte Nachfragen kommt ein Musterbeispiel politischen Strategiespiels ans Tageslicht: Erstaunlicherweise verlaufen die Bruchlinien, die eine Entscheidung des Beirats verhindern, nicht zwischen den Parteien bzw den ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnen-vertreterInnen, sondern innerhalb weitgehend sozialdemokratisch dominierter Institutionen. VertreterInnen von ÖGB und AK verhindern eine Beschlußfassung.

Hintergrund des Beschlußboykotts sind unterschiedliche Ansichten über die Organisationsstruktur des AMS-Wien: Im Unterschied zu allen anderen Bundesländern, in denen es regionale Bezirksarbeitsämter gibt, ist das Wiener AMS in Fachbereiche geteilt, in denen die jeweiligen ÖGB-Sektionen bzw AK-BereichsvertreterInnen eine außerordentlich wichtige Rolle spielen. Diese "wichtige Rolle", die seitens der Gewerkschaft und der AK wohl als "klientelorientierte Interessensvertretung" bezeichnet würde, hatte in der Vergangenheit zu reichlich absurden Ergebnissen geführt: So etwa gelang es den VertreterInnen der DruckerInnengewerkschaft Jahr für Jahr, erhebliche Mittel für Weiterbildungsmaßnahmen im Druckereibereich locker zu machen, obwohl die Ausbildungsmaßnahmen de facto keine arbeitsmarktpolitische Relevanz besitzen (d.h., daß Leute, die diese Kurse machen, nach Kursende keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben). Im Gegenzug wurde -- dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die TATblätter der letzten Jahre -- sozialökonomischen Projekten mit zum Teil sehr hoher Effektivität (heißt: sehr viele Personen konnten nach Absolvierung einer Ausbildung einen Arbeitsplatz finden) zunehmend die Mittel gestrichen.

Im Zuge der Ausgliederung des AMS aus dem Sozialministerium vor drei Jahren vergrößerte sich aus Sicht des AMS die Notwendigkeit, solchen Unsinn abzustellen: Nicht, daß sich da irgendwer an Effektivitätskriterien erinnert oder den Abschuß sozialökonomischer Betriebe und Ausbildungsmaßnahmen bedauert hätte..; aber mit der Ausgliederung einher ging die Verpflichtung, ausgeglichen zu bilanzieren: Geld zu sparen.

Scheinbar "unabhängige", jedoch seitens des Ministeriums mit klaren Arbeitsaufträgen ausgestattete Vorstände wurden ins Amt gehievt. Und in Wien kam mit Klaus Werner jemand in Amt und Würden, der den Auftrag des Ministeriums, also die Regionalisierung der Wiener AMS-Dienststellen, ernst nahm.

Den dieserart von Entmachtung bedrohten ArbeitnehmerInnen-VertreterInnen blieb letztlich gar nichts anderes mehr übrig, als ihren Protest gegen den Verlust ihres Einflusses in den Fachbereichsämtern mittels Destruktion in den sozialpartnerschaftlich beschickten Beiräten zum Ausdruck zu bringen. Der Boykott nicht nur dieses einen Beirats soll weitergehen, bis Werners Kopf rollt.

Daß Probleme dieser Art im Anrollen sind, wußte mensch im Sozialministerium bereits zu Jahresbeginn. Ministeriumsintern wurde daher eine Menschenopferstrategie erdacht: Werner sollte die Umstrukturierung umsetzen und dann vom jetzigen Vorstand des Bundes-AMS Herbert Buchinger, dem eine "gute Gesprächsbasis" mit AK und ÖGB zugeschrieben wird, abgelöst werden. Offizielle Diktion: Buchinger werde eher zugetraut, die im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr schlechte Situation am Wiener Arbeitsmarkt zu meistern und den Trend umzukehren.

Zum Unglück aller Beteiligten sieht Klaus Werner jedoch gar nicht ein, warum er seinen bis ins Jahr 2000 laufenden Vertrag auflösen soll, nur weil er den Auftrag des Ministeriums punktgenau umzusetzen versucht hatte. Folge: Dauerkonflikt ohne Lösungsperspektive nicht nur vor dem EU-Gipfel, sondern auch im Wahljahr 1999, in dem sich die SPÖ so gerne als Jeanne D'Arc im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit präsentieren möchte.

Eine Entscheidung über die Mittelvergabe ist nicht abzusehen bzw nur per Machtwort aus der SPÖ-Führung herbeiführbar (und das, wo doch der Ausschluß politischer Einflußnahme Hauptargument für die AMS-Ausgliederung gewesen war). Und das Machtwort wird kommen, da ansonsten die Umsetzung des österreichischen NAP, der eine Verdoppelung der Zahl der "AusbildungsteilnehmerInnen" unter Arbeitslosen vorsieht, nicht erreicht werden kann und darüberhinaus parteinahe Institute wie das Berufsförderungsinstitut und das wifi, die den Großteil der "Ausbildungsmaßnahmen" durchführen, in schwerste finanziellle Bedrängnis geraten würden.

Ach ja, da gibt es auch noch Arbeitslose...; aber das ist eine andere Geschichte.


aus: TATblatt nr. +106 (18/98) vom 26. november 1998
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