Achtung- Verfassungsschutz unterwegs!

Was ist passiert? - Bericht einer Frau aus Marburg.

Am Mittwoch, den 26. Juni 96 klingelte es gegen 19 Uhr bei mir. Statt der um 19 Uhr erwarteten Freundin, kamen zwei Frauen an meine Wohnungstür, die ich zuerst für Zeuginnen Jehovas oder ähnliches hielt. Sie redeten mich jedoch mit Namen an und stellten sich selbst vor: sie kämen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) in Köln, hätten am Nachmittag schon mal versucht, mich zu erreichen und wollten mit mir sprechen. Ich war erstmal geplättet! Eine der beiden sprach davon, daß sie eine Studie erstellen wollen über Leute, die an Kurdistan- Solidaritätsaktionen teilnehmen und welche Motivation dahinter stecken würde. Sie wollten von mir einen "Beitrag" für die Studie haben. In diesem Zusammenhang sagten sie mir dann auch, daß ich ja an der verbotenen Demonstration am 18. 11. 1995 in Köln teilgenommen hätte. (siehe Fußnote)

Ich war einzig von dem Gedanken getragen, nichts sagen zu wollen und die Situation zu beenden. Ich wiederholte einfach immer wieder: "Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!" Das ganze "Gespräch" dauerte ca. 10 bis 15 Minuten, währenddessen die eine eher fordernd auftrat ("warum verhalten Sie sich so abweisend?"), verhielt sich die andere eher verständnisvoll ("ach, jetzt laß sie doch in Ruhe!"). Ich war zu verdattert, um sie mir genauer anzusehen oder nach ihren Ausweisen zu fragen.

Einschätzung

Mit diesem gescheiterten Anwerbungsversuch ging es den staatlichen Repressionsorganen darum, Informationen über FrauenLesben zu bekommen; die internationalistisch zum kurdischen Befreiungskampf arbeiten. In diesem Fall über die Giessener FrauenLesben-Zusammenhänge.

Wir haben in letzter Zeit auch von Anwerbungsversuchen bei KurdInnen in Giessen und im Marburger Umland gehört.

Solidarität ist eine Waffe im Kampf um Befreiung !!!
Die lassen wir uns nicht nehmen !!!

Zum Umgang mit "Besuchen" vom Verfassungsschutz!

Die Leute vom VS sind für ihre Aufgabe psychologisch geschult und setzen gezielt Taktiken ein, dich einzuwickeln und Informationen zu bekommen. So ist es kein Zufall, daß ein Frauenpaar bei einer Frau, die sie am ehesten den FrauenLesben-Zusammenhängen zurechnen, auftaucht. Sie versuchen deine Überraschung auszunutzen. Sie wollen damit Druck machen, daß sie etwas über dich wissen, womit du bei Fremden erstmal nicht rechnest. Sie suchen sich eher Leute heraus, von denen sie glauben, daß sie keinen festen Gruppenzusammenhang haben und ihrer Meinung nach isoliert sind.

Deshalb: wenn du vom VS angesprochen wirst, dann isoliere dich nicht selbst, sondern such Kontakt, mach den Anwerbeversuch öffentlich. Der Austausch mit anderen ist Hilfe und Schutz für dich selbst, für andere FrauenLesben und für andere Zusammenhänge. Bleib nicht allein mit deinem Erlebnis und trau dich, andere zu informieren. Es ist nicht deine "Schuld", wenn der VS dich anspricht. Oft arbeiten sie mit der Angst, daß du von der "Szene" isoliert wirst, wenn du vom VS kontaktiert wurdest oder dich auf ein Gespräch mit dem VS eingelassen hast. Richtig ist, nichts dem VS und anderen staatlichen Stellen gegenüber zu sagen! Auch wenn du ihnen irgendwas erzählt hast, ist es wichtig, und nie zu spät, daß anderen mitzuteilen. Zum einen können so Betroffene gewarnt werden, was die Bullen von ihnen wissen und darauf reagieren, zum anderen ist das die einzige Möglichkeit für dich aus der Zwickmühle herauszukommen, und dein Verhalten zu ändern.

Eine Möglichkeit, dir Hilfe und Unterstützung zu holen, ist über die "Bunte Hilfe", eine linke Rechtsberatung!

Es bleibt dabei: Ayse und Anna halten das Maul !!!

Fußnote:

Am 18.11.95 sollte in Köln eine bundesweite Solidaritätsdemonstration mit dem kurdischen Befreiungskampf stattfinden. Sie richtete sich gegen den kolonialistischen Krieg der Türkei in Kurdistan, gegen die Beteiligung der BRD an diesem Krieg und gegen das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK in der BRD. Die Demo wurde von nicht-kurdischen Gruppen organisiert. FrauenLesben hatten zu einem eigenen Block mobilisiert, um damit ihre besondere Verbundenheit mit dem Kampf der kurdischen Frauen zum Ausdruck zu bringen. Die Demo wurde im Vorfeld verboten mit der offiziellen Begründung, sie sei eine getarnte Großdemonstration der PKK. Die deutsche Staatsmacht setzte alles daran, die Demo zu verhindern. Ca. 500 Demoteilnehmerinnen und -teilnehmern gelang es trotz allem, sich an der Domplatte zu sammeln, um gegen das Demoverbot zu demonstrieren. Nach 50 Metern wurden sie von der Polizei eingekesselt und über 300 FrauenLesben und Männer wurden festgenommen.