Interview

Das folgende Interviewhaben wir mit Uli einem der Hauptbeschuldigten im radikal-Verfahren, geführt.

Uli ist eine der drei Personen, die sich am 13.06.1996 in Bremen den Verfolgungsbehörden gestellt haben, nachdem sie sich genau ein Jahr ihrer Festnahme entzogen hatten.
Besonders gefreut hat uns, daß sich Thea (oder hieß sie Heinrich?), die in die Unterstützungsarbeit zu den Abgetauchten eingebunden war, an dem Interview beteiligt hat.
Schwerpunkt der nächsten Ausgabe der "radikalen Zeiten" ist das Thema Aussageverweigerung!
Für uns gibt es dabei zwei thematische Schwerpunkte, die wir in den Mittelpunkt rücken wollen. Zum einen die Feststellung, daß wir Aussageverweigerung als generell richtiges und wichtiges politische Mittel begreifen, zum anderen die Frage der Unterstützung von Männern und Frauen, die diesen Schritt mit allen Konsequenzen durchziehen.
In diesem Zusammenhang wollen wir auch das Abtauchen,egal ob nun die BAW Zeuginnen mit Beugehaft droht (Abtauchen bis zum Beginn, bzw. bis zum Ende des Prozesses), oder bei Ausstellung des Haftbefehls gegenüber Beschuldigten, thematisieren.
Natürlich geht es uns dabei nicht um Einzelheiten, sondern um grundsätzliche, verallgemeinerbare Punkte, an denen wir von Dir Ulli, der Du die die Erfahrung des Abtauchens gemacht hast, lernen können. Es geht uns dabei um eine konstruktive Thematisierung, von der alle, die momentan abgetaucht sind, bzw. die die in den nächsten Jahren vor diesem Schritt stehen, sowie die Unterstützerinnenscene, lernen können.

Von Dir wollen wir in diesem Zusammenhang wissen:

Mit welchen Vorstellungen von Unterstützung bist Du abgetaucht?

Ulli: Das Ganze traf mich weitgehend unvorbereitet, muß ich sagen. Klar, wenn du politisch im autonomen/linksradikalen Bereich aktiv bist, mußt du immer mit Repressionsmaßnahmen rechnen, aber daß es dann so heftig abging hat mich erstmal ziemlich überrollt. Aber ich hatte von Anfang an das Vertrauen, daß sich Leute um alles Nötige kümmern, sodaß ein Abtauchen möglich ist. Daß ne Wohnung organisiert, Geld aufgetrieben wird und ne Menge anderer Sachen organisiert werden, die geregelt werden müssen. Dabei baute ich natürlich vor allem auf die direkteren persönlich-politischen Zusammenhänge, da solche Sachen ja viel Vertrauen voraussetzen. Kurz gesagt traute ich sowohl mir, als auch den "Unterstützenden" zu, daß wir das auf die Reihe kriegen.

Thea: Wobei gesagt werden sollte, daß diese Unterstützung wirklich tierisch viel Arbeit bedeutet, die meist an relativ wenigen Leuten hängenbleibt. Für Außenstehende ist es schwer nachvollziehbar, was alles diskutiert, geplant, vorbereitet und organisiert werden muß, damit die Sachen möglichst korrekt laufen.

Was hat sich dann bei Dir von den Vorstellungen bewahrheitet und was hätte Deiner Meinung nach besser laufen können?

Ulli: Im Großen und Ganzen lief alles so, wie ich es mir erhofft habe. Es gab natürlich immer wieder mal Sachen, die nicht geklappt haben und wo ich dann schnell ungeduldig und auch nervös wurde. Da kann ich hier aber schlecht Genaueres zu sagen. Ich mußte mich einfach erstmal in die Situation einfinden und lernen damit klarzukommen, daß vieles nicht so schnell passiert oder geregelt werden kann, wie ich es gerne gehabt hätte. Ich war einfach vorläufig ziemlich ruhiggestellt und das mußte ich akzeptieren und davon wegkommen, ständig drauf zu warten, daß etwas passiert. Das hängt auch damit zusammen, daß die Diskussionen oft nur sehr zeitverzögert möglich waren. Das heißt, bis meine Reaktion auf eine Überlegung oder einen Vorschlag z. B. aus der Soli-Bewegung dort wieder ankam, war die Diskussion oft schon ganz woanders und meine Antwort überholt. Und Streits gab´s auch immer wieder mal, wie die Situation einzuschätzen und mit ihr umzugehen ist. Das bleibt nicht aus.

Was nicht so günstig war: Es war klar, daß ich an dem Ort, wo ich war, nur vorübergehend bleiben konnte, er bot mir keine längerfristige Perspektive. Daher begann ich auch gar nicht, dort so richtig Fuß zu fassen und mich intensiv einzuleben. Das ist schon unbefriedigend in einer Situation, wo ich im Kopf hatte, wahrscheinlich mehrere Jahre wegzubleiben, weil einfach mehrere Jahre Knast drohten. Und mehrere Jahre wegbleiben heißt, dir was ganz Neues aufzubauen, woanders ein neues Leben anzufangen, ohne die Perspektive, irgendwann wieder zurückzugehen. Das ging dort nicht, das war sehr schnell klar. Es wurde dann versucht, woanders etwas Langfristiges zu organisieren, was dann nach einigem Hin und Her auch erfolgreich war. Aber als das geklärt war, hatte sich inzwischen die Situation sehr geändert: im Dezember kamen Rainer, Werner, Ralf und Andreas aus dem Knast raus und im Laufe der Zeit war immer klarer, daß das Verfahren nicht mehr so hoch gehängt wurde wie anfangs. Und mit der Überlegung im Kopf, vielleicht demnächst zurückgehen zu können, wollte ich nicht den Schritt machen, nochmal ganz woanders hin zu gehen und mich dort dann wieder ganz neu orientieren zu müssen. Zumal dieser "Umzug" auch ein gewisses Risiko beinhaltet hätte.

Es ist also auf jeden Fall besser, wenn von Anfang an eine Abtauch-Möglichkeit vorhanden ist, wo du langfristig bleiben kannst. Und sowas muß natürlich schon vor dem "Ernstfall" organisiert und klargemacht sein. Aber das ist ja nun wahrlich keine neue Erkenntnis.

Wie hast Du die politische Unterstützung des von dir gewählten Schrittes wahrgenommen?

Ulli: Da ist bei mir nur sehr wenig angekommen. Im ersten halben Jahr war ja vor allem Thema, daß die 4 im Knast sitzen, was überhaupt passiert und wie das einzuschätzen ist. Es kam schon rüber, daß eigentlich alle gut finden, daß wir abgehauen sind und wir wurden ja auch immer wieder mal gegrüßt. Aber das war´s dann auch. Ich denke, es ist schwierig, eine politische Unterstützungsarbeit zu Abgetauchten zu organisieren. Es gibt so gut wie keine veröffentlichten Erfahrungen zu dem Thema, auf die wir zurückgreifen konnten. Und die Situation ist nunmal auch ne andere als in den Siebzigern, wo das Thema viel aktueller und präsenter war.

Würdest Du sagen, daß Euer Abtauchen in der Öffentlichkeit genügend thematisiert wurde?

Ulli: Nein, find ich nicht. Wobei ich denke, daß das eine beiderseitige Schwäche war. Ich hätte da auch mehr in die Pötte kommen können, um meine Situation zu vermitteln und meine Überlegungen rüberzubringen. Auch wenn das in so ´ner Situation nicht ganz einfach ist.

Zu der Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit kann Thea besser was sagen.

Thea: Es wäre schon möglich gewesen, das Abtauchen öffentlich mehr zu thematisieren. Es gab ein starkes Interesse an dem ganzen Verfahren und auch bezüglich der Situation der Abgetauchten. Z. B. waren die Informations-Veranstaltungen, die wir organisiert haben immer sehr gut besucht. Aber wir waren einfach zu wenig Leute, um auf diesem Interesse etwas aufzubauen und zu entwickeln. Wir waren eigentlich mit dem ganzen anderen Organisationskram schon ziemlich überlastet und hatten kaum noch Kräfte frei, um ständig noch was in die Öffentlichkeit zu blasen und Leute konkret anzusprechen. Außerdem herrschte lange eine große Unsicherheit, wie denn mit so ´nem Abgetauchtsein umgegangen werden kann. Was kannste sagen, was besser nicht? usw. Das ging praktisch allen Leuten so, daß sie dann lieber gar nicht nachgefragt haben, als irgendwas Falsches oder Zu-weit-gehendes zu sagen. Viele wagten es noch nicht mal den Namen "Ulli" auszusprechen. Auf der anderen Seite bestand aber auch ganz konkret die Gefahr der Kriminalisierung der UnterstützerInnen. Diese Drohung schwebte immer über allem und war ganz schwer einzuschätzen. Es gibt einfach so wenig Erfahrungen mit dieser Situation. Übrigens war es kein großes Problem, immer mal wieder Kohle zusammenzukriegen, wenn Leute konkret darauf angesprochen wurden.

Bei uns gab es eine längere Diskussion, ob wir Forderungen an Euch, die Ihr aus Euren Zusammenhängen gerissen wurdet und individuell vor einem großen Haufen Probleme standet, stellen können, oder nicht.
Denn allgemein wurde das, was von Euch öffentlich bekannt wurde, als zu unpolitisch, als zu wenig auf die Verfahren bezogen, eingestuft. Wir haben uns dann dazu entschieden, daß es nicht an uns sein kann, Forderungen zu stellen, zusätzlich Druck auf Euch auszuüben.
Natürlich war es für alle von uns wichtig, zu erfahren, wie es Euch geht, wie ihr mit Eurem neuen Umfeld klarkommt, ob Ihr Euch dort, wo Ihr Euch eingerichtet hattet, den Umständen entsprechend wohlfühlt, oder nicht.
Wir hätten uns gewünscht, Eure Vorstellungen von Soliarbeit stärker in unsere Arbeit mit einbeziehen zu können.

Warst du genügend in die Entscheidungsprozesse der Solistrukturen eingebunden?

Ulli: Ich habe mir erst relativ spät überlegt, was ich an die Solistrukturen vermittel und wie das am besten passieren kann. Erst bin ich davon ausgegangen, daß das schon irgendwie läuft. Es gibt Leute, die wissen über meine Situation Bescheid und wissen auch, was ich mir zu der ganzen Sache so denke und wo ich hinwill. Und das wird dann auch den Weg zu den Solistrukturen finden, dort eingebracht werden. Aber das lief nicht so einfach, wie sich mit der Zeit rausstellte.

Thea: Ich würde sagen, daß Du eher nicht in die Entscheidungsprozesse eingebunden warst. Du fandest es ja auch falsch, daß lange Zeit keine Diskussion zum Thema Auftauchen aufkam.

Es gab ja bei den Solitreffen zumindest in der ersten Zeit immer die Unsicherheit, wie über die Abgetauchten geredet werden kann, was da wie vermittelt werden kann. Das ist ja auch eine Sache des Vertrauens, das sich erstmal im Laufe der Zeit entwickeln mußte. Aber es war sicher ein Fehler, daß wir da mit dir nicht genauer geklärt haben, was vermittelt werden soll, bzw. daß du öfter mal zu Papier gebracht hättest, was dir wichtig ist, welche Überlegungen die Solistrukturen erreichen sollen. Andererseits war aber auch das erste halbe Jahr die Situation der Eingeknasteten total bestimmend für die Soliarbeit. Das ist ja auch was Handfestes, wo ganz klar ist, worum es geht. Die Situation der Abgetauchten ging da oft unter, wie sich ja auch an dem Redebeitrag von Matthes für die Demo im Dezember zeigte. Er fiel einfach unter den Tisch, weil die 4 gerade aus dem Knast rausgekommen waren.

Und auch im letzten halben Jahr kam die Diskussion um die Abgetauchten nur sehr mühsam in die Gänge. Auch als dann von den Abgetauchten die Überlegungen rüberkamen, evtl. wieder aufzutauchen, wurde erst sehr spät angefangen, darüber zu diskutieren. Dies sehe ich vor allem als einen Fehler von uns an. Du hattest ja ab März gefordert, daß veröffentlicht wird, daß Du und auch die anderen zurückkommen wollen. Aber wir wußten nicht so recht, wie wir das anfangen sollen. Außerdem fanden wohl viele die Entscheidung falsch oder zu früh, aber die Kritik wurde nie genau formuliert. Wir haben es nicht auf die Reihe gekriegt, darüber gemeinsam zu diskutieren. Erst als die Entscheidung dann schon feststand, gab es Auseinandersetzungen um die Form des Stellens.

Würdest Du aus jetziger Sicht sagen, daß eine stärkere Einbindung in die Solistrukturen möglich gewesen wäre?

Ulli: Ich hätte es gut gefunden, wenn von euch z. B. öffentliche Briefe gekommen wären, wo ihr eure Vorstellungen zu der Situation deutlich macht und auch ruhig Forderungen an mich und die anderen gestellt hättet. Die Überlegungen und Diskussionen, die ich geführt habe, kreisten oft um sehr praktische, organisatorische Dinge und direkt um das Verfahren. Da wäre es ein wichtiger Anstoß gewesen, mit solch einem offenen Brief von euch konfrontiert zu werden. Es wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen, in die Diskussion zu kommen. Und wenn ich eure Forderungen dann nicht hätte erfüllen wollen oder können, dann wäre zumindest das klar gewesen. Es mangelte ja allgemein an öffentlichen Positionen zum Abtauchen und evtl. Wiederauftauchen und überhaupt am Austausch mit uns. Eine Initiative von euch aus in diese Richtung hätte ich sehr gut gefunden. Es machte mit der Zeit etwas müde, immer nur gegrüßt zu werden, aber nicht mit konkreten Positionen konfrontiert zu werden. Und je länger du weg bist, desto größer wird auch die Distanz zu den Entwicklungen und Diskussionen "zu Hause", sie sind nicht mehr so wichtig und es wird dann im Laufe der Zeit immer schwerer, selbst in die Pötte zu kommen.

Was könntet Ihr Euch, auch auf zukünftige Fälle, bzw. auf Matthes und die drei im Komitee-Verfahren Abgetauchten, an Kommunikation vorstellen?

Thea: Der Austausch, die Kommunikation mit Abgetauchten ist wirklich ein fast unbeschriebenes Blatt in der Linken. Es gibt ja auch kaum Aufarbeitungen oder Erfahrungsvermittlungen vom Abgetaucht-Sein und der damit verbundenen Soliarbeit. Nachwievor gibt es ne Menge Unsicherheit im Umgang mit dem Thema und den Leuten und es ist schwierig, da ranzukommen. Aber wie gesagt, offene Briefe halte ich für eine gute Möglichkeit, in einen Austausch zu kommen. Und wie schon erwähnt ruhig auch mit kritischen Überlegungen und Forderungen. Das ist besser, als sich von vorneherein sehr zurückzunehmen und dann lieber gar nichts zu schreiben, als das Gefühl zu haben, zuviel Druck auszuüben. Ich denke, Abgetauchte sind dann schon in der Lage rüberzubringen, wie ihre Situation ist und ob sie auf solch eine Diskussion Bock haben oder im Moment halt nicht in der Lage sind, dazu Stellung zu beziehen.

Und wichtig ist es auch, das Thema ständig in den Köpfen zu behalten. Zum einen, damit die Leute nicht vergessen werden und zum anderen, damit die Notwendigkeit des Abtauchens in bestimmten Situationen präsent bleibt und vielleicht doch einige Leute auf die Idee kommen, in dieser Hinsicht Möglichkeiten anzuchecken und vorzubereiten.

Wie von Thea schon gesagt, hat, es im Zusammenhang mit Eurem Auftauchen am 13.06. und dem sich Stellen, viele Fragen und viel Unverständnis gegeben. Bei uns kam das als ein mehr individueller Schritt, denn als ein politisch bewußter, an, zu dem wir uns politisch-solidarisch verhalten mußten, an dem wir keine Mitsprache hatten.

Kannst du in diesem Zusammenhang noch was zu der Kritik an eurem Auftauchen und Stellen am 13. Juni diesen Jahres sagen?

Ulli:Vor dem von Thea beschriebenen Hintergrund wurde unser Auftauchen organisiert und vorbereitet. Es wurde letztlich nicht gemeinsam entschieden und getragen, sondern einige Soli-Leute wurden schließlich vor vollendete Tatsachen gestellt und mußten zusehen, was sie damit anfangen. Dies hat mit dazu beigetragen, daß einige Sachen am 13.6.96 nicht zu Ende gedacht und geplant waren. Aber die Behauptung, daß ”eigene (autonome) Medien außen vor gelassen wurden”, wie´s in den radikalen Zeiten vom Juli ´96 steht, stimmt einfach nicht. Sie wurden genauso wie andere Medien auch von dem Termin der Pressekonferenz unterrichtet. Wir hatten uns gegen einen Extra-Termin für die ”eigenen Medien” (so viele gibt´s da ja auch gar nicht) entschieden, weil der Tag für uns auch so schon vollgepackt und stressig genug war. Und wir denken auch, daß unser Auftauchen für die Szenemedien im Gegensatz zu den ”normalen, linksliberalen” nicht nur für einen Tag Thema sein wird, sondern das Interesse daran doch hoffentlich ein wenig länger anhält.

Verstehen kann ich den Frust und die Enttäuschung der Video-Gruppe aus Berlin, die leider etwas zu spät zur Pressekonferenz kamen und daher nur noch den Schluß aufnehmen konnten. Wir hatten weder ihre Verspätung mitgekriegt noch ne Ahnung von der tollen Aktion, die sie vorbereitet hatten (flächendeckendes Plakatieren von Auftauch-Plakaten mit der Ankündigung einer Veranstaltung noch am gleichen Abend im EX in Berlin, d. T.). Wir hätten es auf die Reihe kriegen müssen, ihnen nach der Pressekonferenz noch ein paar Fragen zu beantworten und was zu erzählen.

Hattet ihr denn erwartet, daß euch so viele Leute zum Gericht begleiten würden?

Ulli: Nee, überhaupt nicht. Das war ein tolles Erlebnis, als wir da rauskamen und die etwa 300 Leute gesehen haben. Das war ein starkes Gefühl der Solidarität, das wir dann mitgenommen haben. Besonders Glosch war ganz begeistert darüber und ich bin mir sicher, daß es ihm sehr geholfen hat, mit der folgenden Scheiße erstmal fertigzuwerden. Ich ärgere mich allerdings darüber, daß wir von der ganzen Situation so geplättet waren, daß wir nicht mal ein paar Worte zu den Leuten gesagt haben.

Aber noch kurz was zu einem anderen Kritikpunkt: Einige meinten, es ist Scheiße sich direkt beim Gericht abliefern zu lassen. Sondern es wäre besser gewesen, sich an einen öffentlichen Ort zu begeben, dort Veranstaltungen und Fete zu machen und abzuwarten, bis wir dort geholt werden. Wir entschieden uns dagegen, weil wir keinen Bock auf den Stress hatten, jeden Augenblick damit rechnen zu müssen, daß die Bullen auflaufen. Und wir konnten uns auch nicht vorstellen, dort in so einer Situation in Ruhe ne Veranstaltung zu machen oder ausgelassen feiern zu können. Außerdem hätten wir dann den Zeitpunkt unserer Festnahme nicht selbst festlegen können, sondern diesen hätten die Bullen bestimmt.

Insgesamt schwingt oft der Vorwurf an uns mit, daß unsere Entscheidung eine rein persönliche war und nicht politisch bestimmt gewesen sei. Es wurde aber nie klar gesagt, warum ein Zurückkommen politisch falsch und wo die Alternative ist. Ich finde es sehr schwer die persönlichen und politischen Gründe voneinander zu trennen, sowohl was unsere Entscheidung angeht, als auch die von Matthes, erstmal noch wegzubleiben. Ich sehe in unserem Auftauchen keinen Kniefall vor dem Staat oder etwas Ähnliches; genausowenig wie ich das bei Leuten sehe, die zu mehreren Monaten Beugehaft verurteilt wurden und von denen nur die wenigsten auf die Idee kommen abzutauchen. Klar, am liebsten wäre es mir, wenn es so eine starke linke (Solidaritäts-) Bewegung gäbe, daß es sich die BAW gar nicht erlauben könnte, Glosch in den Knast zu sperren und Matthes noch mit Knast zu drohen. Aber so lange zu warten, bis solch eine Bewegung möglicherweise entsteht, wollte ich dann doch lieber nicht.

Ihr seid ja im Verlauf des Interviews schon an einigen Stellen drauf eingegangen, aber sind unsere momentan nicht gerade starken Strukturen überhaupt in der Lage, derartige politische Unterstützung zu gewährleisten?

Auch wenn diese Frage nicht von Dir allein beantwortet werden kann, sondern alle, die sich in linksradikalen Strukturen bewegen, betrifft, wäre es doch interessant, abschließend Deine Einschätzung dazu zu hören, damit Forderungen, die Du an unsere Strukturen hast, in die allgemeine politische Arbeit mit einfließen können.

Ulli: Hm, ich denke erstmal, daß die Solibewegung nicht ohne weiteres so einen starken Druck entwickeln kann, daß Glosch aus dem Knast rauskommt und Matthes ohne Knast zurückkommen kann - geschweige denn die Leute, die wegen dem Komitee-Verfahren abgetaucht sind. Aber die linken Strukturen sollten es zumindest schaffen, eine öffentliche Kommunikation mit den Abgetauchten anzuleiern. Und auch die geplante bundesweite Demo in Köln für die Freilassung von Glosch halte ich für richtig und wichtig. Allerdings fände ich es gut, wenn in dem Zusammenhang auch die Situation von Matthes und den anderen Abgetauchten thematisiert wird.

Wir danken für das Gespräch!