Prozeßerklärung 3.6.96

Ursel Quak

Mit Beginn des 1. Prozeßtages wurde deutlich, unter welchen Voraussetzungen die Auseinandersetzung um diesen Staatsschutzprozeß verläuft.

Abgesichert durch eine Vielzahl von Sicherheitsauflagen versucht von Tzschoppe, möglichst reibungslos die Verhandlung über die Bühne zu kriegen.

Schikanöse Kontrollen, das Einbehalten der Ausweise der ProzeßbesucherInnen und ihre Erfassung in Listen, die massive Präsenz von Bullen, die in ihrem Verhalten eindeutig signalisieren, daß sie jederzeit bereit sind loszuknüppeln, um für Ruhe und Ordnung im Gerichtsgebäude zu sorgen, sollen eine dementsprechende Atmosphäre produzieren.

Die Fortsetzung davon erlebten wir auch auf der anschließenden Demonstration.

Jeder Versuch, den Anlaß und die Ziele der Demonstration über Parolen und Transparente hinaus öffentlich zu vermitteln, wurde behindert.

Die Koblenzer Polizei zeigte, daß sie gerüstet war, mit großem Aufgebot das Mitführen des Lautsprecherwagens gewaltsam zu unterbinden.

Selbst das Flugblattverteilen an PassantInnen wurde massiv behindert.

Trotzdem war die Demo in ihrer kämpferischen Haltung und ihren solidarischen Bezügen, zu anderen, von Repression betroffenen linken Kräften ein kleiner politischer Erfolg.

Kaum hatte die Verhandlung angefangen, zeigte sich, daß der zuständige Senat und die Bundesanwaltschaft noch kein, über gemeinsam geführte 129a-Prozesse, eingespieltes Team sind.

Daß das mehr flapsige Nachfragen von Tzschoppes bei der BAW, hinsichtlich des fehlenden BKA-Berichts, Griesbaum an die Decke trieb, war Ausdruck davon, wie sehr die BAW auf das Zudecken und Wegpacken der Widersprüche und Schwächen ihrer Anklagekonstruktion angewiesen ist.

Grundlage der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens gegen mich, und des jetzt stattfindenden Prozeßes, ist ein mir zugeordneter Brief, der in Birgit Hogefelds Rucksack gefunden wurde, und von dem die BAW behauptet, er sei an die RAF geschrieben.

Aus ihm interpretieren sie einen mehrjährigen Kontakt von mir zur sogenannten Kommandoebene der RAF und behaupten weiterhin, die Kommunikation habe dazu gedient, die angebliche Strategie der RAF "Gegenmacht von unten" mitzuentwickeln.

An dieser Bewertung und Einordnung des Briefes hängt die ganze Anklagekonstruktion, die die BAW auf Biegen und Brechen durchbringen will.

Das erklärt auch, warum der die Ermittlungen leitende Philipps hier vor Gericht die Unterstützung von Griesbaum braucht.

Beim Vorsitzenden Richter, der den Prozeß schnell hinter sich bringen will, wurde deutlich, daß er im Grunde das Urteil gegen mich schon in der Tasche hat, und daß er, was die Bewältigung dieses Verfahrens angeht, an den Vorgaben des Bundesgerichtshofs hängt, und damit an der 20jährigen Tradition politischer Aufstandsbekämpfung mittels §129a durch die deutschen Staatsschutzsenate.

So heißt es bereits in der BGH-Begründung zur Bestätigung des Haftbefehls gegen mich vom 9.11.94 wörtlich: "Der Tatbestand des §129a Abs. 3 StGB ist weit gefaßt."

Damit ist gemeint, daß sich mit der Anklage nach §129a selbst minimalste Anhaltspunkte zur Aburteilung des politischen Gegners hochrechnen lassen.

Was in diesem Zusammenhang bisher ausnahmsweise auf den Tisch kam -die Manipulation von Ermittlungsergebnissen- gehört seit Jahrzehnten zum alltäglichen Geschäft der Staatsschutzbehörden.

Der Vorgang des Aktenwegbunkerns ist nichts Besonderes. Aber das Öffentlichwerden davon reißt ein Stück den formaljuristischen Grauschleier auf, hinter dem die Bundesanwaltschaft nur schwer ihre reaktionäre politische Intention verbergen kann - die eigentliche Triebkraft ihres Veruteilungswillens gegen mich.

Im Folgenden werden ich den Prozeß auf der Ebene ansiedeln, wo er hingehört, und wovon der Ermittlungsverlauf bestimmt war: Bad Kleinen und die staatliche reaktionäre Abwicklung.

Vor diesem Hintergrund ist das Bekanntwerden von Aktenmanipulationen -nicht nur im Verfahren gegen mich, sondern auch in dem gegen Birgit Hogefeld- das Tüpfelchen auf dem i.

Der Prozeß gegen mich hat seinen Ausgangspunkt in Bad Kleinen, in der 10-jährigen Undercover-Arbeit des VS-Agenten Steinmetz, meinem 4-jährigen Kontakt zu ihm, und er ist politisch verknüpft mit der Niederlage und Zersetzung der radikalen und revolutionären Linken in Deutschland. Der VS-Agent Steinmetz machte die Staatsschutzoperation in Bad Kleinen möglich, in deren Verlauf Wolfgang Grams erschossen und Birgit Hogefeld verhaftet wurde.

Daß der staatliche Mord kaum noch zu vertuschen war, und daß der VS-Agent aufgeflogen ist, führte kurzfristig zu einer Staatskrise.

Die Unfähigkeit der Linken, insbesondere der radikalen und revolutionären Linken, gegen die Staatsschutzaktion und die offensichtlichen Lügen und Verdrehungen der Vorgänge, politisch zu handeln, ermöglichte ihre staatliche reaktionäre Bewältigung auf allen Ebenen.

Das weitverbreitete Stillschweigen zu dem VS-Agenten kam dem staatliche Vertuschungsinteresse entgegen. Fassungslosigkeit und Nicht-Wahrhabenwollen seiner tatsächlichen Funktion, in Zusammenhängen der radikalen und revolutionären Linken und bei Personen, die Kontakt zu ihm hatten - einschließlich mir - wurden mit gezielten Briefen des Agenten und mit einem Spiegel-Interview, in dem er sich als Opfer der Behörden darstellen darf, gefüttert. Die Veröffentlichung eines angeblich geheimen BKA-Papiers, das im August 1993 erstellt wurde, und die absichtliche Streuung in die Szenen verschiedener Städte Ende Februar 1994, gab Gerüchten und Mißtrauen Nahrung. Beides diente dazu Diskussionen und Aufarbeitungsversuche um den VS-Agenten zu beeinflussen und zu behindern. Daß gegen mich ein Ermittlungsverfahren läuft, erfuhr ich ebenfalls durch dieses Papier.

Vor diesem Hintergrund nun ein Blick auf die Fakten des Ermittlungsverfahrens gegen mich:

Als die Bundesanwaltschaft am 20.7.1993 das Ermittlungsverfahren gegen mich eröffnete, hatte sie genausoviel und genausowenig gegen mich in der Hand wie heute.

Aber selbst auf eine Anfrage meines Anwalts, im Frühjahr 1994, bezüglich des BKA-Papiers, ob ein Verfahren gegen mich läuft, hielt sie sich bedeckt.

Das änderte sich erst am 8. November 1994 -also fast 1 1/2 Jahre nach der Staatsschutzoperation in Bad Kleinen- als ich mit großem Aufwand verhaftet wurde.

Folgt man der bundesanwaltschaftlichen Logik des Haftbefehls, der mit Verdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach §129a begründet wurde -bei gleichzeitiger Fluchtgefahr- dann taucht die Frage auf: Wieso jetzt - und nicht in den Wochen nach Bad Kleinen? Oder nach Bekanntwerden des BKA-Papiers?

Beginnend in 1993 entwickelt sich für mich ein politisch-praktischer Prozeß mit Genossen und Genossinnen, der einen Hintergrund bot, Bad Kleinen, Steinmetz und die Krise der Linken unter uns diskutierbar zu machen und daraus gemeinsam eine fragmentarische Aufarbeitung zu erarbeiten, die wir im August 1994 veröffentlichen.

Dieser Rahmen bot uns die Möglichkeit, den Zustand des Schweigens zu brechen.

Insoweit deutete die Staatsschutzjustiz die Signale, die mit dieser Aufarbeitung verbunden waren, sehr bewußt, so daß Anfang Oktober 1994 Beyer vom Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen mich absegnete, der einen Monat später vollzogen wurde.

Die hochgedrehte Verhaftungsaktion sollte Druck auf mich ausüben, um mich zur Kooperation zu bekommen.

Als der Haftbefehl zwei Tage vor dem zweiten Haftprüfungstermin außer Vollzug gesetzt wurde, waren zwei BKAler noch wenige Stunden zuvor zu mir in den Knast gekommen, in der Hoffnung, mich zu Aussagen bewegen zu können. Im April 1995 wurde der Haftbefehl ganz aufgehoben.

Die Zeit bis zur Anklageerhebung Ende 1995 verlief so, daß die BAW in aller Ruhe ihre Anklageschrift zimmerte, in der sie allerdings nichts aufbieten kann, was nicht schon zwei Jahre zuvor zu ihren sogenannten Erkenntnissen gehört hätte, und was ein Jahr zuvor bereits als Begründung für den Haftbefehl strapaziert wurde.

Es kam ja schon am 1. Prozeßtag zur Sprache, daß es ein schriftliches Angebot Seitens des Vorsitzenden Richters an mich gab, eine sogenannte Einlassung zur Person oder zur Sache zu machen, um, wie er sich ausdrückte, "der Persönlichkeit der Angeklagten gerecht werden zu können".

Die Rede war davon, daß niemand ein "Exempel statuieren" wolle. Und zuguterletzt sollte, so wörtlich, "ein etwa vorhandenes (zwar unbegründetes, aber natürlich nachvollziehbares) Mißtrauen" abgebaut werden.

Nun, von Tzschoppes Worte entbehren im Nachhinein nicht einer gewissen Ironie, nachdem er selbst kurze Zeit später damit konfrontiert war, daß Akten zu mir weggebunkert wurden.

Wie ich schon am 1. Prozeßtag deutlich gemacht habe, hat mein Verhältnis zu Staatsschutzjustiz eh nichts mit Mißtrauen zu tun.

Mir gegenüber sitzen Vertreter von Institutionen, die mit an vorderster Front konterrevolutionärer Politik stehen. BAW und Staatsschutzsenate zeichnen für die seit mehr als 20 Jahren praktizierte Isolationsfolter an politischen Gefangenen verantwortlich, sie waren maßgeblich an der Staatsschutzaktion in Bad Kleinen und ihrer Abwicklung beteiligt.

In ihrem alltäglichen Geschäft sind Staatsschutz-Richter und Bundesanwälte Privilegierte und Protagonisten des bürgerlich-kapitalistischen Systems, dessen Werte und Moral sie verteidigen, und das nur über die Unterwerfung, die Ausbeutung und die Unterdrückung von Millionen Menschen in der Welt funktioniert.

Es sind auch nicht allein formaljuristische Zwänge -am wenigsten bei sogenannten Staatsschutzdelikten- die über Eröffnung, Einstellung oder Weiterverfolgung eines Ermittlungsverfahrens, und über die jeweilige Verurteilung bei Prozessen bestimmen. Letztendlich folgen BAW und Senat sogenannten sicherheitspolitischen Einschätzungen und Vorgaben. Ihre Operationen sind unmittelbarer Ausdruck der innergesellschaftlichen und internationalen Kräfteverhältnisse.

Derzeit bestimmt die insgesamt reaktionäre staatliche und gesellschaftliche Entwicklung die Situation, in der der nationale Konsens auf der Absicherung weißer, westlicher Privilegien aufbauen kann, und als Folge die aggressive Außenpolitik Deutschlands und die rassistische und repressive Politik im Innern auf breite Zustimmung stoßen.

Hier hat auch das Verfahren nach §129 gegen die Autonome Antifa (M) in Göttingen seinen Hintergrund: Antifaschistische-antikapitalistische Organisierung soll als kriminell bewertet und dementsprechend verfolgt werden.

Das Verfahren gegen die Zeitschrift "radikal", und in dem Zusammenhang die zeitweise Inhaftnahme von vier angeblichen Redaktionsmitgliedern zielt darauf, eine Zeitung aufgrund dessen kriminalisieren zu können, daß sie verdeckt hergestellt wird.

Der Prozeß gegen die angebliche Redaktionsmitglieder der "radikal" wird ebenfalls hier in Koblenz vor dem Oberlandesgericht stattfinden.

Wenn Bundesinnenminister Kanther zu den bundesweiten Razzien und Verhaftungen im Zusammenhang mit der "radikal", der AIZ und des K.O.M.I.T.E.E. am 13.6.95 wörtlich sagt: "Die Aktion war eine zielgerichtete präventive Maßnahme zur Einschüchterung gegen die linksradikale Szene", so ist dies nicht nur Propaganda. Die Staatsschutzjustiz hat auch verstanden, was ihr die wirtschaftlichen und militärstrategischen Interessen Deutschlands in der sogenannten Nahost-Region abverlangen.

Begonnen mit der Konstruktion terroristischer Vereinigungen innerhalb der PKK, und mit dem nur teilweise gelungenen Versuch, kurdische Politiker und Politikerinnen, in einem Schauprozeß, in Düsseldorf Ende der 80er Jahre abzuurteilen, beschleunigte sie die Eskalation der Auseinandersetzung mit dem sogenannten PKK-Verbot im November 1993. Hunderttausende kurdischer Menschen, die in Westeuropa im Exil sind, setzen den schmutzigen Krieg der türkischen Militärs in Kurdistan und die Mitverantwortung der deutschen Regierung seit Jahren in Großdemonstrationen, Veranstaltungen und anderen Massenmobilisierungen auf die Tagesordnung von Politik und Öffentlichkeit.

Ihre politische Verbundenheit mit dem Befreiungskampf, unter Führung der PKK, soll zerstört, ihr Widerstand politisch entwaffnet werden.

Inzwischen gibt es mehr als 300 kurdische politische Gefangene in deutschen Knästen, mehr als 20 von ihnen sitzen wegen §129a.

Der Kampf der Kurden und Kurdinnen im ihr Selbstbestimmungsrecht ist legitim. Sie, wie alle Menschen, die gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung Widerstand leisten, sind im Recht.

Der Kampf um emanzipatorische Ziele, Widerstand gegen die herrschenden Bedingungen, kann vor keinem Gericht verhandelt und abgeurteilt werden. Fundamentale Opposition wird immer mit Staatsschutzangriffen und Kriminalisierung konfrontiert sein.

Für uns alle geht es darum, Kraft zu entwickeln, die eigenen Ziele und Vorstellungen dagegen durchsetzen zu können und der mit Kriminalisierung beabsichtigten Spaltung, Einschüchterung und Entsolidarisierung entgegenzutreten.

So wie die Mobilisierung gegen diesen Prozeß bisher lief, wird der Senat ihn nicht schnell, auf kleinster Flamme und entpolitisiert über die Bühne kriegen, und die BAW wird sich noch schwerer damit tun, mit ihren angekratzten subjektiven Bewertungen zu mir und meinen politischen Aktivitäten, wie sie in der Anklageschrift formuliert sind, reibungslos durchzukommen.

Solidarität heißt Widerstand!