Prozeßbericht

vom §129a-Prozeß gegen drei KurdInnen in Hamburg

Seit dem 20. März läuft vor dem 3. Strafsenat des Hamburger Oberlandesgerichts der Prozeß gegen die KurdInnen Azime Yilmaz, Meryem Yagicibulut und Sait Bilgin. Ihnen wird nach §129a Rädelsführerschaft, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Außerdem sollen sie - laut Bundesanwaltschaft - als "Gebietsverantwortliche" der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) für Bremen und die "Region Nord" an sogenannten Bestrafungsaktionen beteiligt gewesen sein. Um dieses Anklagekonstrukt - das auf hohe Haftstrafen und eine Entsolidarisierung abzielt - glaubhaft zu machen, stützt sich die BAW auf Aussagen von 73 ZeugInnen, 6 Sachverständige und über 200 sonstige Beweismittel.

Der Prozeß steht in direktem Zusammenhang mit der Verfolgung, Kriminalisierung und Abschiebung von KurdInnen durch das sog. PKK-Verbot und den Verhandlungen gegen andere kurdische §129a-Gefangene in Frankfurt und Stuttgart.

Die drei Angeklagten wurden im Dezember 1994 in Bremen verhaftet und saßen bis zum Prozeßbeginn in wechselnden Knästen unter verschärften Haftbedingungen, darunter die ersten acht Monate in Isolationshaft.

Zum Prozeßauftakt im März hatten verschiedene Gruppen zu einer Kundgebung vor dem Gericht aufgerufen. Das kurzfristig verhängte Verbot wurde durch ein Großaufgebot von 2000 PolizistInnen durchgesetzt. Dennoch gab es eine kurze Spontandemo und lautstarke Parolen im vollbesetzten Gerichtssaal selbst. In den ersten sechs Tagen der Hauptverhandlung verlasen Azime, Meryem und Sait ihre Prozeßerklärungen. Darin gingen sie ausführlich auf die Geschichte der kurdischen Bewegung und des türkischen Kolonialismus ein, stellten detailliert die Rolle der BRD als Kriegspartei und die Entwicklung der zunehmenden Verfolgung und Kriminalisierung von KurdInnen in der BRD dar und wiesen auf die menschenunwürdigen Haftpraktiken hin. Meryem sagte dazu: "Den deutschen Staatsanwälten und Richtern möchten wir folgendes sagen: Unsere mit den Füßen getretene Würde haben wir wie eine Fahne in die Hand genommen und schützen sie wie unseren Augapfel und wir werden sie auch in Zukunft schützen.[...] Wir werden auch niemals dulden, daß man unsere Werte antastet. Daß wir bis auf den heutigen Tag die niederträchtigen Folterungen auszuhalten versucht haben, ist auf unsere unerschütterliche Toleranz und unseren Glauben an den ruhmreichen Kampf unseres Volkes zurückzuführen." Das gegen sie eröffnete Verfahren ordneten die Angeklagten in diesen Kontext ein und bezeichneten das Gericht als "Kriegsgericht". Der Prozeß sei illegitim: "Das Recht über die PKK zu richten, hat allein das kurdische Volk und die Geschichte, nicht aber ein imperialistischer Staat."

Die Verteidigung wies in einer ersten Einlassung daraufhin, daß der § 129a wegen beliebiger Anhaltspunkte angewendet werde und lediglich zur Erweiterung von Ermittlungsmöglichkeiten diene. So seien von 1980-1988 ca. 3000 Ermittlungsverfahren nach § 129a eingeleitet worden, wovon lediglich 40 zu einer gerichtlichen Verurteilung geführt hätten.

Von Anfang an machten der Staatsschutzsenat und der Vorsitzende Richter Mentz ihren Verurteilungswillen deutlich: Einschüchterungsversuche und Räumungsandrohungen gegenüber dem Publikum, offene Feindseligkeiten gegenüber den Angeklagten und die krasse Einschränkung von Rechten der Verteidigung. So lehnte das Gericht die zur Kommunikation zwischen AnwältInnen und Angeklagten notwendige Beiordnung von VertrauensdolmetscherInnen ab und beließ es bei den oft falschen oder bruchstückhaften Übersetzungen der überforderten Gerichtsdolmetscher. Auch die körperlichen Mißhandlungen und sexistische Gewalt bei der Abführung der KurdInnen durch WärterInnen in den Verhandlungspausen ignorierte Mentz. Sämtliche Anträge der Verteidigung - darunter ein Befangenheitsantrag gegen Mentz und ein Einstellungsantrag wegen der Vorverurteilung durch die Presse - wurden abgelehnt.

Seit Mitte April ist das Gericht in die Beweisaufnahme eingetreten. In einem ersten Schritt wurden ZeugInnen zu den vermeintlichen "Bestrafungsaktionen" angehört, erst später soll dann versucht werden, mit Kronzeugen der BAW die Konstruktion einer "terroristischen Teilorganisation innerhalb der PKK" zu belegen.

Zu einem Angriff auf den Zeugen Acar im Oktober 1994 befragte das Gericht zunächst verschiedene ZeugInnen: AnwohnerInnen hatten Rufe gehört, irgendwelche Gestalten und das Opfer gesehen, ÄrztInnen und SanitäterInnen beschrieben Wunden und Verständigungsschwierigkeiten mit dem Opfer und LKA-Beamte berichteten von ihren Ermittlungen und den - nur unter Druck und mit formalen Verfahrensfehlern zustandegekommenen - ersten Aussagen von Acar. Der Betroffene selbst - für dessen Aussage das Gericht die Öffentlichkeit gegen seinen eigenen Willen vom Verfahren ausschloß - machte keine konkreten oder weiterführenden Aussagen. Auch im zweiten von der Anklage angeführten Fall einer Auseinandersetzung in Bremen waren die Ergebnisse der ZeugInnen-Anhörung bisher für die BAW sehr dürftig. Inwiefern dies Mentz und seinen Staatsschutzsenat beeindruckt, müssen die kommenden Verhandlungswochen zeigen.

Begleitet wird der Prozeß vor allem durch kurdische GenossInnen und einigen Gruppen aus dem Kurdistan-Soli-Spektrum. Die Zahl der BesucherInnen schwankt zwischen zwanzig und über hundert. Gut besucht und von kräftigem Ausdruck waren vor allem die beiden Frauen-Prozeßtag.

Wichtig: Der Rechtshilfefonds soll für die Inhaftierten und von der deutschen Justiz verfolgten Kurdinnen und Kurden eine materielle Unterstützung schaffen. Deshalb spendet:

Bonner Rechtshilfeverein, Stadtsparkasse Bonn (BLZ 380 500 00), Kontonummer 32 92 77 58