Autonome Antifa (M) lehnt Einstellung ab

Seit über vier Jahren ermitteln die Staatschutzbehörden des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamtes, des Landesamtes sowie der örtlichen Polizei mit einem Millionenaufwand gegen den Antifaschistischen Widerstand in Göttingen nach § 129.

Am 14. August soll vor der Staatschutzkammer Lüneburg der bisher größte Prozeß in der BRD gegen autonome Antifaschistinnen und Antifaschisten beginnen. Im Vorfeld des Verfahrens werden zusehends Differenzen und Widersprüche unter den ermittelnden Behörden offensichtlich.

Gericht und GSA bieten Einstellung des Verfahrens an.

Nachdem in den letzten Monaten die Staatschutzkammer am Landgericht Lüneburg ihren Dienst damit verbracht hat, die umfangreichen Vorbereitungen für den Mammutprozeß gegen die 17 Angeklagten im Prozeß nach §129 gegen die Autonome Antifa (M) zu treffen, ist nach der Entscheidung im letzten Jahr durch das Oberlandesgericht Celle und den Bundesgerichtshof, jetzt wieder Bewegung in das Verfahren gekommen. Offensichtlich suchen sowohl die Strafkammer, als auch die Generalstaatsanwaltschaft (GSA) Celle einen Weg, um den Prozeß tatsächlich noch abzuwenden, ohne daß sie dabei ihr Gesicht verlieren.

Denn das Verfahren soll nach dem Willen des Gerichtes und der GSA unter erheblichen Auflagen und Bedingungen eingestellt werden. Voraussetzung, gemäß des Vorstoßes des Gerichtes, ist allerdings, daß jeder und jede einzelne Angeklagte ein Schuldeingeständnis im Sinne der Anklageschrift abgibt. Außerdem sollen sich die Angeklagten von der Politik der Autonomen Antifa (M) distanzieren und für die Zukunft "Besserung" geloben.

In einer vom Gericht vorbereiteten Erklärung, die die Angeklagten unterschreiben sollen, heißt es: "Auch ich habe als Angehöriger der ´Autonomen Antifaschistischen (M)` an einem Teil dieser Demonstration in strafbarer Weise mitgewirkt" Und weiter: "Ich erkläre daher in Zukunft keine strafbaren Handlungen zu begehen." So sollen die Angeklagten der Öffentlichkeit als reuige Kriminelle vorgeführt werden können.

Über die Höhe der Geldstrafe, als einer weiteren Bedingung für die Einstellung, bestehen zwischen Gericht und GSA Differenzen. Während das Gericht jetzt von 2000,- bis 3000,- DM pro Angeklagten, zahlbar für die geschichtsrevisionistische Umgestaltung der Gedenkstätte Buchenwald, spricht, fordert die GSA Celle insgesamt 100.000,- DM. Als quasi zusätzliche finanzielle Strafe soll auf die Herausgabe der bei den Hausdurchsuchungen vom 5. und 6. Juli 1994 beschlagnahmten Gegenstände zugunsten des Landeskriminalamtes verzichtet werden. Darunter befinden sich Computeranlagen im Wert von mehreren zehntausend DM:

Welche Ziele die staatlichen Stellen mit diesem "Angebot" verfolgen wird deutlich, wenn man die Aussagen der GSA betrachtet: Die kann sich auch über einer Auflösung der Antifa (M) eine Einstellung des Verfahrens vorstellen. Grundlage einer solchen Einstellung wäre der § 153a der Strafprozeßordnung.

"Angebot" abgelehnt

Das Angebot von Gericht und Generalstaatsanwaltschaft wird von der Autonomen Antifa (M) zurückgewiesen. "Eine Distanzierung von der erfolgreichen antifaschistischen Politik in Südniedersachsen wird von der Autonomen Antifa (M) abgelehnt", heißt es in einer Presseerklärung der Gruppe. Nach ihrer Einschätzung sollen durch die ungewöhnlich hoch angesetzten Rahmenbedinungen des Prozesses - drei Gerichtstage pro Woche, stundenlange Anfahrtszeiten, 131 Verhandlungstermine im ersten Jahr - die Angeklagten dermaßen unter Druck gesetzt werden, daß sie bereit sind, ihre politische Geschichte zu verleugnen.

Die Angeklagten haben inzwischen über ihre AnwältInnen der Staatschutzkammer in Lüneburg mitteilen lassen, daß sie einer sofortigen und bedingungslosen Einstellung grundsätzlich zustimmen würden. Ein Abschwören, geschweige denn ein Schuldeingeständnis wurde von allen kategorisch abgelehnt.

Probleme der Landesregierung

In ihrer Presseerklärung berichtet die Antifa (M) weiter, daß Hintergrund des Vorgehens nach Auskunft der Strafkammer und der GSA selbst eine sogenannte Opermann-Initiative sei. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Göttinger Aufsteiger Thomas Opermann sei schon am 28. Januar 1996 an die GSA herangetreten, die sich schon zwei Tage später mit der Lüneburger Strafkammer abgesprochen habe. Nach Einschätzung der Antifa (M) - die den Inhalt dieser Gespräche nicht kennt - hängt die Einschaltung des SPD-Politikers "mit den zu erwartenden Unannehmlichkeiten bei der Durchführung des Prozesses" zusammen. Denn, so die Gruppe weiter, wird auch "Innenminister Glogowski seine Stellung zur sogenannten Deeskalationslinie im Zeugenstand darlegen dürfen und sich zu der Tatsache äußern müssen, daß die `nicht angemeldeten` antifaschistischen Demonstrationen, auf denen die Anklage beruht, vom Innenministerium als `quasi-angemeldet` bezeichnet wurden." Auch der Konflikt zwischen dem niedersächsischen Landeskriminalamt und der Göttinger Polizei - wegen der Tolerierung der jetzt nach Meinung der GSA kriminellen Demonstration - würde im Prozeß auf den Tisch kommen.

Ein weiterer Grund für den Vorstoß des Gerichts mag neben dem politischen Interesse der Landesregierung auch der öffentliche Druck sein. Einer Resolution, in der die bedingungslose Einstellung des Verfahrens gefordert wird, haben sich schon viele Menschen angeschlossen, darunter Heinz Stehr - DKP, Heidi-Lipmann-Kasten, Jürgen Trittin - Grüne, Ulla Jelpke - PDS; auf der Landesdelegiertenkonferenz der niedersächsischen Grünen wurde eine Erklärung in ähnlichem Sinne verabschiedet.

Auch die enormen Belastungen und Schwierigkeiten eines solchen Prozesses mit 17 Angeklagten, 34 VerteidigerInnen und einer Beweisaufnahme von jahrelangen "Ermittlungsergebnissen", die ausgebreitet mehrere Fußballfelder abdecken würden, sind kaum zu erahnen. Noch wesentlicher mögen die Raumschwierigkeiten des Gerichts sein. Bisher ist noch kein geeignetes Gebäude gefunden worden. Allerdings wurden schon Gerichtsdiener auf der Suche danach in der Lüneburger Hochschule gesichtet; im Justizministerium ist ein Beamter allein für die Suche abgestellt worden.

Auch die Kosten der Landeskasse, deren Höhe wegen des ungewissen Ausgangs des Prozesses zugunsten des Staates oder der Angeklagten nicht abzuschätzen sind, bereiten dem Gericht vermutlich leichte Bauchschmerzen. Hat doch die Justizministerin Heidi Alm-Merck schon beklagt, daß das Gericht nicht über das Loch im Staatssäckel informiert sei und ein Ausbau einer Reithalle in Lüneburg zu einem Prozeßbunker nicht in Frage käme. (*)

Trotz dieser diversen Probleme ist allerdings daran zu erinnern, daß schon Verfahren ähnlicher Größenordnung und Dauer durchgezogen wurden. Bisher hat der Staat kein Mittel gescheut und ihm war nichts zu teuer, um gegen systemkritische Opposition und radikalen Widerstand vorzugehen.

Unabhängig von den Widersprüchen der staatlichen Behörden, wird, um den Prozeß in Lüneburg zum Scheitern zu bringen, antifaschistische Mobilisierungen und Gegenöffentlichkeit eine entscheidende Größe darstellen. In verschiedenen Städten laufen bereits Solidaritäts- und Informationsveranstaltungen, bei Prozeßauftakt vor dem Landgericht in Lüneburg soll es eine bundesweite Demonstration gegen die Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands geben. Angeklagt sind einige - gemeint sind viele!

Die 17 Angeklagten im § 129- Verfahren brauchen Eure Unterstützung.

Für eine bedingungslose Einstellung des Verfahrens gegen die Autonome Antifa (M)

Solikonto

Antifaschistische Liste ° Stichwort "Solidarität" ° Kontonr.: 150 497 006 ° BLZ: 260 500 01 ° Sparkasse Göttingen

(*) Mittlerweile scheint festzustehen, daß ein ehemaliger Reitstall in Lüneburg mit einem Kostenaufwand von mehr als 380.000 DM in einen Gerichtssaal umgebaut wird und der Prozeß gegen die Antifa (M) am 14. August 1996 beginnen wird. Hiervon wissen bürgerliche Medien zu berichten. Eine Justizsprecherin ließ ferner verlauten, daß die Bestimmung des umgebauten Reitstalls nach der Beendigung des Prozesses auch schon gesichert sei. Das Amt für Wasser und Abfall soll später in der 700 Quadratmeter großen Halle Anhörungen abhalten.

Das es überhaupt zum Bau eines Gerichtssaals dieser Größenordnung in Lüneburg kommt hängt damit zusammen, daß die Staatsschutzkammer eine Verlegung des Verfahrens z.B. nach Göttingen (hier hätte es keine Platzprobleme gegeben) mit der Begründung ablehnte, die Reisen nach Göttingen seien für ihre Mitarbeiter zu anstrengend !!!!!!