Der große Bang

Eine Grundlage für die Durchsuchungen und Verhaftungen vom 13.6. im sogenannten radikal-Verfahren ist eine Abhöraktion eines mutmaßlichen Redaktionskollektiv-Treffens der radikal in einem Haus in Baar Wanderath (Eifel).

Während die Parteien noch über die Einführung und parlamentarische Absegnung des großen Lauschangriffs diskutieren, wurde er in Baar Wanderath bereits angewandt.

Im Folgenden soll der Beschluß des BGH, der die Abhörung und damit den großen Lauschangriff legitimierte, erläutert werden. Als Grundlage für diesen Artikel diente uns eine Anmerkung von Professor Dr. Jürgen Welp, die sich kritisch mit dem Urteil des BGH auseinandersetzt(1).

Das Urteil des BGH beschäftigt sich nicht primär mit der Rechtmäßigkeit des Lauschangriffs. Ausgangspunkt des Urteils war die Frage der Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordung in Köln, im Rahmen der Ermittlungen gegen die Zeitschrift radikal, die von einem Richter abgelehnt wurde. Dreh- und Angelpunkt des Beschlusses ist deshalb die Frage nach der Verwertbarkeit, der durch die Abhörung gewonnenen Erkenntisse.

Verwertbarkeit heißt, daß auf dieser Grundlage Durchsuchungen und Beschlagnahmeanordnungen (also strafprozessuale Maßnahmen) getroffen werden können.

Der BGH läßt also in seiner Entscheidung offen, ob die Abhöraktion rechtmäßig war(2). Er hat sich stattdessen darauf zurückgezogen, daß die diesbezüglichen Gerichtsbeschlüsse "wirksam und nicht offensichtlich fehlerhaft" waren. Da es bei der Abhörung des Hauses um einen Eingriff in die Grundrechte und um die Verwertbarkeit der so erlangten "Beweise" im Strafverfahren geht, kann auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit nicht, wie hier geschehen, verzichtet werden.

Etwas kompliziert stellt sich die Einordnung des Eingriffs dar. Letztendlich geht es bei der Abhöraktion juristisch gesehen um zwei verschiedene Eingriffe. Da ist zum einen die Verletzung der Wohnung als durch das Grundgesetz geschützen Raum. Ein weiterer Punkt, und das hat der BGH zur Hauptfrage erklärt, ist die Weitergabe und Verwendung der Erkenntnisse (Verwertbarkeit) zur Strafverfolgung. Diese Weitergabe stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.

1.) Die Unverletzlichkeit der Wohnung

Die größte Bedeutung hat, in juristischer, wie auch politischer Hinsicht, die grundlegende Frage, ob eine heimliche Wohnungsüberwachung, zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, wie sie in Baar Wanderath stattfand, verfassungrechtlich überhaupt tragbar ist. Die Unverletzlichkeit der Wohnung steht unter besonderem Schutz des Grundgesetzes(3). Hier besteht ein Unterschied, zwischen der Überwachung von Telefonen und der von Wohnungen. Während Ersteres durch weitreichende Gesetze juristisch geregelt ist und bereits Abhörungen in großem Umfang problemlos zuläßt(4), ist die Unverletzlichkeit der Wohnung, bis zur Einführung des großen Lauschangriffs, juristisch noch nicht vollständig abgesegnet.

Über die Zulässigkeit der Abhörung bestehen in mehrfacher Hinsicht Zweifel

a.) Die Anwendung des POG RhPf als Ermächtigungsgrundlage für die Abhörmaßnahme

Die Lauschaktion in Baar Wanderath stützt sich rechtlich auf das rheinland-pfälzische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (kurz POG RhPf). Die Überwachung war also, und das ist von nicht geringer Bedeutung, eine polizeiliche Maßnahme.

Die Polizei hat sowohl die Aufgabe der Gefahrenabwehr, als auch der Strafverfolgung. Die Anwendung des POG RhPf als Grundlage für die Abhörung ist nicht unumstritten.

Maßnahmen wie die Abhörung sind normalerweise nur zur vorbeugenden (präventiven) Gefahrenabwehr vorgesehen. Das POG RhPf sieht den "verdeckten Einsatz besonderer technischer Mittel zur Erhebung öffentlich nicht zugänglicher personenbezogener Informationen gegen Störer und notstandspflichtige Personen" vor(5).

Danach ist ein Lauschangriff

1. "zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben" oder

2. "zur vorbeugenden Bekämpfung bestimmter Katalogstraftaten" erlaubt.

In Baar Wanderath kann von einer vorbeugenden Maßnahme nicht mehr die Rede sein. Gegen die betroffenen Menschen bestand zum Zeitpunkt der Abhörung bereits der Tatverdacht der Bildung einer "kriminellen Vereinigung" nach § 129 StGB, gegen einige lagen zu diesem Zeitpunkt bereits Haftbefehle vor. Die Grenze zur Gefahrenabwehr war damit bereits überschritten. Allenfalls in Hinblick auf Anschläge, wie sie von den anordnenden Gerichten befürchtet wurden, wäre die Voraussetzung der Gefahrenabwehr gegeben gewesen. Es ging vielmehr um eine Strafverfolgung, da die abgehörten Gespräche als Grundlage für die Durchsuchung dienten.

Für die repressive Strafverfolgung ist hingegen der Einsatz von polizeilichen Eingriffsbefugnissen nicht zulässig.

Es ist also die Frage, ob die Abhörung überhaupt auf Grundlage des POG RhPf möglich war.

b.) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Eine so tief einschneidende Maßnahme, wie die Abhörung von Wohnungen, muß, so ist es juristisch vorgeschrieben, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dementsprechend müssen auch die zugrundeliegenden Gesetze diesem Grundsatz Rechnung tragen. Die Ausformung der Polizeigesetze ist eine Aufgabe der Bundesländer. Sie regeln wie weit in die Rechte der BürgerInnen und Bürger eingegriffen werden kann. Das rheinlandpfälzische Polizeigesetz sieht im Vergleich mit anderen Bundesländern die weitestgehendsten Eingriffbefugnisse vor. Während die meisten Länder(6) eine Wohnungüberwachung nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben und Freiheit einer Person zulassen, ist die Abhörerlaubnis im POG RhPf weder abhängig davon, ob eine gegenwärtige Gefahr vorliegt, noch davon, ob "Tatsachen die dringende Annahme rechtfertigen", daß eine Straftat geplant wird.

Nach dem POG RhPf kann praktisch jede/r (nicht nur zukünftige StraftäterInnen) fast voraussetzungslos ausgeforscht und abgehört werden.

Das rheinlandpfälzische Polizeigesetz erweitert die Abhörbefugnisse damit auf verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche Weise.

2.) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Die Verwertung von abgehörten Gespräche im Strafverfahren stellt, wie oben beschrieben, einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieses Recht ist zwar als solches nicht im Grundgesetz verankert, es ist aber im Zusammenhang mit der Volkszählung anerkannt worden.

Der BGH behandelt die Frage der Verwertbarkeit in dem er die Weiterleitung, der von den Polizeibehörden abgehörten und aufgezeichneten Informationen, an die Staatsanwaltschaft problematisiert. Die Polizei ist durch die Strafprozessordnung(7) dazu verpflichtet, die von ihr gewonnenen Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Dabei ist gleichgültig, ob der Verdacht einer Straftat bei vorbeugenden Maßnahmen entstanden ist und/oder ob die Beweismittel strafprozessual verwertbar sind. Die von dem BGH aufgeworfene Frage, bezüglich der Weiterleitung sind denmach weniger wichtig, weil für sie eine abschließende Regelung besteht.

Vollkommen fragwürdig ist hingegen, ob die Abhörprotokolle überhaupt gerichtlich (strafprozessual) verwertbar sind.

Ein Eingriff in die "informationelle Selbstbestimmung" ist immer abhängig vom Verwendungszweck der so erreichten Überwachungsergebnisse. Das POG läßt wie oben gesagt eine Abhörmaßnahme nur zur Gefahrenabwehr zu. Sollen die so gesammelten "Erkenntnisse" jedoch im Strafverfahren verwendet werden, liegt eine Zweckentfremdung vor. Wenn Daten zweckentfremdet verwandt werden, benötigen sie eine gesetzliche Grundlage.

Landesrechtlichen Bestimmungen (wie das POG RhPf) zur Verwertbarkeit im Strafverfahren, finden bei strafprozessualen Fragen keine Anwendung. Sie sind Aufgabe des Bundes.

Das POG RhPF kann also nicht, wie vom BGH angenommen, als Grundlage für die Verwertbarkeit der Informationen dienen.

Die Aufnahme von Gesprächen (Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung) und die Verwertung der Protokolle (Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung) sind schwerwiegende Verletzungen des sog. Persönlichkeitrechtes der betroffenen Menschen. Die Beweisverwertung ist deshalb ohne gesetzliche Grundlage unzulässig.

Es gibt im geltenden Strafprozessrecht jedoch keine Gesetze, die vorbeugende polizeiliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung regeln. Man spricht hier von einer Regelungslücke.

Es ist also unklar, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ergebnisse einer polizeilichen Überwachung in Strafverfahren benutzt werden dürfen und für welche Taten sie als Beweise herangezogen werden dürfen.

Die Abhörergebnisse sollten in Baar Wanderath nicht dem Nachweis der "Tatbegehung" dienen (so jedenfalls der BGH), sondern für die Anordnung einer Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln benutzt werden. Die Abhörprotokolle waren dabei notwendig, damit überhaupt die Voraussetzungen für eine Durchsuchung(8) gegeben waren. Eine Durchsuchung ist nicht zulässig, wenn sie auf ein unzulässiges Ziel gerichtet ist. Das ist auch der Fall, wenn die gesuchten Beweismittel im Strafverfahren nicht verwertbar sind.

Wie oben bereits erwähnt, hat der BGH in seiner Entscheidung die Beurteilung dieser Fragen abgelehnt.

Klärungsbedarf ist aber, wie oben dargestellt, nach wie vor vorhanden.

Anmerkungen:

(1) Anmerkungen von Prof. Dr. Jürgen Welp in NStZ 1995 Heft 12 S.601-604

(2) Zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die durch einen präventiv-polizeilichen Lauschangriff gewonnen worden sind, für Zwecke der Strafverfolgung siehe BGH-Beschluß v. 7.6.1995 2 BJs 127/93-StB 16/95

(3) Art.13 GG Unverletzlichkeit der Wohnung

(4) In dem Verfahren gegen die Antifa (M) wurden in einem Zeitraum von 2 Jahren über 15.000 Mitschnitte vonTelefonaten vorgenommen, nachdem sie zuvor richterlich genehmigt wurden.

(5)§ 25 bI POG RhPf

(6) mit Ausnahme von Bayern und Thüringen, die eine Überwachung zur vorbeugenden Bekämpfung von gewerbs-gewohnheitsmäßig und bandenmäßigen Vergehen und Verbrechen zulassen.

(7) § 163 II 1 StPO

(8) nach § 103 I1 StPO