Brief ins Exil


Liebe Jutta,

wie schön ist es, Briefe von Dir und anderen aus dem Exil in einer Zeitung zu lesen - wenn sie schon nicht in unseren Briefkästen landen. Sehr privat kann unsere Unterhaltung so nicht werden, aber wir haben das Glück, in den letzten zehn Monaten wenigstens auf diese Weise mitzukriegen, daß Ihr mit uns hier in Verbindung bleiben wollt und könnt. Wir hören Dich, Jutta, jetzt schon rufen: 'Was heißt hier in Verbindung bleiben - zurück will ich!'

"Ich komm wieder, keine Frage", hast Du Deinen Brief überschrieben und wir waren saufroh, daß Du nicht so großen Gefallen an Exilien gefunden hast, daß Du dort bleiben willst. Obwohl wir Dir natürlich wünschen, daß es Dir gut geht, sind wir froh, daß Du davon ausgehst, daß es irgendwann ein Zurück geben kann - wir sehen, Du bist alles andere als verzweifelt.

An dieser Stelle viel Mut und Power an alle, die im Exil sind!!!

Wir haben versucht, uns vorzustellen, wie Dein Alltag abläuft: das Sich-Bedeckt-Halten, vielleicht eine fremde Sprache, wenige bis gar keine Personen, mit denen Du offen reden kannst, Ungewißheit und Abhängigkeiten. Wieviel größer muß Deine Sehnsucht sein als unsere, denn wir vermissen Dich - DU vermißt so VIELE!

In dem Brief einiger Exilierter in den Radikalen Zeiten Nr.3 lasen wir über die besonderen Bedingungen von Frauen im Exil und haben sehr an Dich gedacht. Ganz bestimmt gibt es dazu noch viel mehr zu sagen. Wir in unserem lesbisch-feministischen Umfeld können Gespräche über Tagesgeschehen, private Probleme, linke Debatten so feministisch führen wie wir wollen. Trotz mancher Konflikte in der Szene ist das ein sehr angenehmer Hintergrund, den Du wahrscheinlich jetzt nicht hast. Der Brief hat uns klar vor Augen geführt, daß die Bedrohung für Frauen im Exil anders aussehen kann, mit der möglichen Konsequenz, daß Frauen sich weniger gegen sexistische Angriffe wehren, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Situation kann noch schwieriger werden, wenn sie bei Typen wohnen, von ihnen Geld bekommen oder in irgendeiner anderen Weise auf sie angewiesen sind. Für uns zeigt sich hier, daß sich sexistische Gewaltverhältnisse für Frauen im Exil und auf der Flucht potenzieren. Wir haben uns gefragt, wie Du damit umgehst, wie Deine Situation konkret sein könnte:

Wie präsent ist die sexistische Bedrohung in Deinem Alltag?

Wehrst Du Dich jetzt anders?

Auf welche Strategien greifst Du zurück?

Eröffnet Deine Situation vielleicht sogar neue Möglichkeiten, Dich zu wehren?

Da wir Dich in den konkreten Situationen nicht unterstützen können, wünschen wir Dir von ferne viel Entschlossenheit, Stärke und Mut!

Wir haben uns vorgestellt, wie es Lesben im Exil geht. Viele von uns sagten, sie würden im Exil nach Lesben suchen, um nicht noch mehr von der eigenen Existenz verstecken zu müssen. Lesben, die in Exilien Lesben aufnehmen, sind sicher so rar wie sie es hier in der BRD sind. Dabei wäre es gerade wichtig, daß Lesben andere Lesben aufnehmen, um nicht noch mehr als nötig auf Heterozusammenhänge angewiesen zu sein - sowohl für persönliches wie für politisches Zusammensein. Wir wünschen Dir, daß Du ein paar nette Lesben in Deiner Nähe hast, mit denen Dich etwas verbindet.

In den Briefen aus Exilien steht häufig, daß die Leute oft ein großes Grübeln über das zu erwartende Strafmaß plagt.

Exil oder Knast ist da die Frage. Fünf Jahre Knast seien zu viel, sagen einige. Einverstanden! Nur - was wäre nicht zu viel? Sind die sechs Monate, die die vier Ex-Gefangenen aus dem radikal-Verfahren im Knast saßen in Kauf zu nehmen? Die Bundesanwaltschaft hat das Verfahren an den Oberstaatsanwalt in Koblenz abgegeben. Wir denken, daß damit das Verfahren politisch runtergestuft wurde. Bedeutet das für Euch im Exil, also auch für Dich, Jutta, daß ein Zurückkommen näher rückt? Sicher bezieht Ihr in Eure Überlegungen mit ein, wie das Verfahren oder auch der Prozeß verläuft. Vielleicht wägst Du auch ab, was Du aufs Spiel setzt, d.h. wie sehr der momentane Verlust zu einem Dauerverlust werden würde, wenn Du weiterhin wegbliebest: Beziehungen, Freundinnenschaften und Kontakte leben von der Präsenz. Auf der anderen Seite spielt bei der Überlegung 'Wegbleiben oder nicht' sicherlich auch eine Rolle, ob Du dort, wo Du jetzt bist, eine politische Perspektive siehst. Wir können nur vermuten, was Du Dir überlegst und wir können uns vorstellen, wie schwierig es ist, Entscheidungen zu fällen.

Aber wir können Dir erzählen, wie's bei uns aussieht: Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir Dein bzw. Euer Verbleiben in Exilien von hier aus unterstützen können. Da fällt uns vor allen Dingen die vielzitierte Solidaritätsarbeit ein. Mit Dir, mit Euch, solidarisch zu sein, bedeutet für uns erstmal ganz allgemein, daß wir weiter politisch arbeiten, an den Sachen und Themen, die wir angesichts der gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse für nötig halten und in der Form, wie wir das können und wollen. Das heißt für uns auch, daß wir unser politisches Engagement nicht an der drohenden Repression orientieren, daß wir uns nicht einschüchtern lassen werden - und wir werden versuchen, das mit unseren Mitteln auch nach außen zu tragen.

Ein anderer, schon etwas konkreterer Aspekt, der uns zu Soliarbeit eingefallen ist, ist der Austausch mit Dir, mit Euch. Also zu versuchen, trotz der beschissenen Bedingungen, noch halbwegs eine Diskussion über politische Entwicklungen hinzukriegen, um ein Mindestmaß an Kommunikation aufrechtzuerhalten. Das wäre z.B. auch über Briefe wie diesen hier möglich und wir würden uns wünschen, daß Ihr öfter mal schreibt, damit wir was von Euch mitkriegen.

Eine weitere Form der Solidarität mit Dir/Euch ist die Öffentlichkeitsarbeit, die seit nun fast einem Jahr läuft. Konkret: dafür zu sorgen, daß insbesondere Ihr als Exilierte nicht vergessen werdet, weder politisch (Du kannst Dir sicher vorstellen, daß das nicht immer einfach ist...) noch persönlich. Insgesamt geht es natürlich darum, die §§ 129/a immer wieder zu thematisieren (und das auch nicht nur an Euren Verfahren) und politische Verfolgung als entlarvenden Ausdruck dieses Herrschaftssystems deutlich zu machen. Und ein Teil dieser Arbeit ist auch, für die Einstellung Eurer Verfahren einzutreten. Und wenn wir dann erfolgreich waren und die Einstellung der Verfahren politisch durchgesetzt haben, kommst Du zurück - claro!

Aber jetzt mal im Ernst: falls Du Dich entscheidest, vorher zu kommen, muß natürlich das Wiederkommen vorbereitet sein, von beiden Seiten aus. Wir werden dafür sorgen, daß Du hier gute Bedingungen vorfindest und daß Du beim Prozeß bzw. Deinem eventuellen Gang in den Knast unterstützt wirst. Vor allen Dingen aber werden wir Dich mit offenen Armen, mit Sekt, Selters und Whisky empfangen! Es wird keinen nahtlosen Anschluß an das geben, was Du verlassen hast. Du wirst Dich sicherlich verändert haben, Deine Erfahrungen aus dem Exil hierher mitnehmen. Vielleicht hast Du neue starke Bindungen an ein Land und an Leute entwickelt, die Du jetzt weiter pflegen willst. Dich wird sicher auch interessieren, was wir hier in der Zeit alles gemacht haben und was sich verändert hat. Wir hoffen, wir können dann gemeinsam Deine Erfahrungen im Exil und evtl. Knast und unsere Erfahrungen hier aufarbeiten (vielleicht findest Du in einem Synonym-Wörterbuch einen passenderen Ausdruck...) und uns nach der langen Zeit wieder annähern. Flucht, Exil und Knast sind uns jedenfalls im Laufe des letzten Jahres um einiges näher gerückt. Und wir werden sehen müssen, wie wir weiter politisch arbeiten, auch angesichts dessen, daß sich die gesellschaftliche Situation für radikale linke und feministische Politik nicht gerade verbessert. So, das sind alles Punkte, über die wir gerne mit Dir reden wollen und laß Dir gesagt sein: darauf freuen wir uns schon - egal wie lang es noch dauert!

Wie immer Du Dich auch entscheiden magst, wir werden Dich darin unterstützen. Wir denken an Dich und wünschen Dir ganz viel Kraft!

Laß Dich nicht unterkriegen!

Dicke Grüße und Küsse von Deinen F.L.O.P.s