Halim-Dener-Prozeß:

Aufruf zur internationalen Prozeßbeobachtung

Am 19. Juni soll der Prozeß in Celle besucht werden, am 20. Juni der "Kurdenprozeß" vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Hamburg

Wie bereits in einigen Medien berichtet, hat in Celle die Eröffnung des Prozesses, wegen der Erschießung des kurdischen Jugendlichen Halim Dener, im Sommer 1994, in Hannover stattgefunden.

Inzwischen ist der Vorsitzende des Gerichts nach einem Befangenheitsantrag der Verteidigung ausgetauscht worden. Er hatte trotz wiederholtem Befragen keine vertretbaren Gründe für die angeblichen "Sicherheitsprobleme" nennen können, die eine Verlegung des Prozesses von Hannover nach Celle erforderlich machen sollten. Nach einem Befangenheitsantrag wurde er dann passenderweise "krank" und schied aus dem Verfahren aus.

Das "Komitee zur Prozeßbeobachtung Halim Dener" (zu erreichen über den Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein Musa Anter e.V., Mademenweg 116, 38118 Braunschweig, Tel. 0531-890467, Fax 0531-897269) war schon vor Prozeßbeginn mit einem Aufruf zu einer internationalen Prozeßbeobachtung an die Öffentlichkeit getreten.

Inzwischen haben sich erste Personen gemeldet, der Prozeß von Halim Dener soll am 19. Juni besucht werden.

Am 20. Juni wollen die bisher bereits gemeldeten Mitglieder auch den Kurdenprozeß in Hamburg besuchen. Wir dokumentieren deshalb an dieser Stelle den Aufruf.

Wer sich noch an der Prozeßbeobachtung beteiligen will, soll sich rasch in Braunschweig oder in Bremen bei Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, Telefon 0421-663090, melden.

Aufruf zur internationalen Prozeßbeobachtung

Mit Befremden erfahren wir, daß die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen den SEK-Polizeibeamten, der in der Nacht zum 1. Juli 1994 den kurdischen Jugendlichen Halim Dener in Hannover beim Kleben von ERNK-Plakaten erschossen hat, nicht im dortigen Landgerichtsgebäude, sondern aus "Sicherheitsgründen" im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle stattfinden und auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft auch noch die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll.

Damit wird eine Gefährdung heraufbeschworen, für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt und die nur aus der gegenwärtigen innenpolitischen Diffamierungskampagne gegen die kurdische Bevölkerung erklärbar ist, die mit dem falschen und gefährlichen Feindbild arbeite: "KurdIn = TerroristIn!".

Mit den Verhandlungsbedingungen wird der Eindruck erweckt, als wolle man, abseits einer kritischen Öffentlichkeit, nachträglich das Opfer zum Schuldigen machen.

Mit Verwunderung erfahren wir von den Rechtsanwälten der Familie des Opfers, daß

- der beschuldigte Polizeibeamte nicht sofort von der Mordkommission der Kripo zur Vernehmung mitgenommen wurde, sondern die Gelegenheit erhielt, erst stundenlang auf seiner Dienststelle mit Vorgesetzten zu sprechen, seine Hände zu waschen usw.;

- die Videoüberwachungsanlage am Tatort ausgerechnet an jenem Abend ausgefallen war;

- der Polizeibeamte nur wegen fahrlässiger Tötung angeklagt wurde, obwohl Sachverständigengutachten ergeben haben, daß er sein Opfer aus nächster Nähe (etwa 10 cm) erschossen hat und hierzu einen großen Abzugswiderstand (4,3 kg) überwinden mußte.

Wir protestieren gegen die kritiklose Übernahme der Darstellung des beschuldigten Polizeibeamten durch die Polizeiführung, er habe dem Kurden beim Aufnehmen der heruntergefallenen Waffe, im Stolpern, versehentlich in den Rücken geschossen. Zudem soll der Polizist wenig später wieder seinen Dienst beim SEK versehen haben, als sei nichts geschehen.

Entweder war es tatsächlich ein Versehen, dann muß der beschuldigte Beamte sofort vom Dienst suspendiert und der Einsatz der von ihm getragenen Holster und Pistole generell verboten werden.

Oder er hat doch gezielt geschossen, dann sind Motivation und Hintergründe in dem Strafverfahren aufzuklären.

Gerade weil sich in der gegenwärtigen Debatte erneut Stimmen aus Polizeikreisen mehren, die den Einsatz der Schußwaffe gegen "kriminelle Kurden" rechtfertigen und immer wieder Berichte über nächtliche Einsätze schwerbewaffneter SEK-Polizeibeamter in Wohnungen kurdischer Familien bekannt werden, fordern wir:

Eine rückhaltlose Aufklärung des Verhaltens des Polizeibeamten und der Hintergründe, die zu dem polizeilichen Todesschuß gegen einen kurdischen Jugendlichen beim Kleben der Plakate der ERNK geführt haben.

Wir unterstützen die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission über die Ursachen und Konsequenzen aus dem polizeilichen Todesschuß im Fall "Halim Dener".

ErstunterzeichnerInnen:

Hans Branscheidt, medico international Ffm.; Prof. Dr. Norman Paech, Hochschule für Politik und Wirtschaft Hamburg; H.-E. Schultz, Rechtsanwalt Bremen; Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist Bremen; Dr. Claus Croissant, Rechtsanwalt Berlin; Lord Erik Avebury, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im britischen Parlament London; Michael Feeney, Berater von Kardinal Hume London; Kerem Yildiz, Vorsitzender des Kurdistan Human Rights Project London; Kambiz Behbahani, Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen; Juristenverband Kurdistan; Serhat Bucak, Vorsitzender des Juristenverbandes Kurdistan; Jürgen Trittin, Sprecher des Bundesvorstands Bündnis 90/Die Grünen; Ulla Jeplke, MdB PDS; Rolf Köhne, MdB PDS; Silke Stokar, MdL Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen; Matthias Gärtner, MdL PDS Sachsen-Anhalt; Dr. Helga Adler, Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi); Friedel Grützmacher, MdL Bündnis 90/Die Grünen Rheinl.-Pfalz; Steffen Tippach, MdB PDS; JUSO-Bundesverband; LV der JUSOS Sachsen-Anhalt; Anwaltsbüro Heinecke, Klingner, Mücher, Töpfer, Wittmann, Hamburg; Domprediger Giselher Quast, Magdeburg; Vereinigung nds. und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V.; Klaus D. Bufe, Vorstandsmitglied des Bundes für Soziale Verteidigung; AK Kurdistan der Uni Bremen; Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Genf u.v.a.m.

Die nächsten Prozeßtermine:

19. Juni,
21. Juni,
26. Juni,
2. Juli.
Prozeßbeginn ist an allen Tagen jeweils um 9.15 Uhr.