Phantasievolle Justiz in Italien

Am 31.01.96 wurden in Trient, Italien, vier AnarchistInnen wegen zweier Banküberfälle schuldig gesprochen, die sie nicht begangen haben. Das Urteil beruft sich auf die in sich widersprüchliche Aussage einer offensichtlich gedungenen "Kronzeugin".

Am 19.9.94 wurden fünf AnarchistInnen wegen eines Banküberfall in der Nähe von Trient festgenommen. Im Laufe des Prozesses gaben alle Angeklagten den Überfall zu, mit der Begründung, aus persönlicher finanzieller Not gehandelt zu haben. Am Ende des Prozesses standen mehrjährige Haftstrafen für 4 Anarchisten, eine Anarchistin wurde freigesprochen. Während der gesamten Dauer der Verhandlung haben zahlreiche Menschen ihre Solidarität mit den Gefangenen bekundet und durch verschiedene Aktionen (Konzerte, Feuerwerk,...) Öffentlichkeit zu den Verfahren geschaffen.

Offensichtlich war der Richter mit dem gefällten Urteil nicht zufrieden und klagte die vier verurteilten Anarchisten zweier weiterer Banküberfälle an. Den vier Leuten wurde vorgeschlagen, angesichts dieser neuen Anklage ein schon festgelegtes Urteil zu akzeptieren, sie weigerten sich jedoch entschlossen, sich auf diesen Kuhhandel einzulassen.

Bei dem Prozeß wurde schnell klar, daß es sich hierbei um einen Schauprozeß handelt. Die anarchistische Szene verfolgte das Treiben des Gerichts mit großer Präsenz. Die Verhandlungstage zogen sich, immer wieder unterbrochen durch scheinbar sinnlose Vertagungen, über 5 Monate hin. Gleichzeitig wurden aber landesweit über 60 AnarchistInnen von Spezialeinheiten der Carabinieri durchsucht. Trotz völlig ergebnisloser Hausdurchsuchungen wurden mehrere Verfahren, u.a. Beihilfe zum Mord; eröffnet. Eineinhalb Monate später erschienen in fast allen italienischen Tageszeitungen Artikel, in denen die AnarchistInnen, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, als "Entführer" beschrieben wurden, dabei wurde auf die Aussage einer mysteriösen "reuigen Kronzeugin" hingewiesen.

Am 09. 01. 96 wurde der Prozeß fortgesetzt. Am Ende des Verhandlungstages verkündete der Staatsanwalt Bruno Giardina frohlockend eine Neuigkeit: eine Ex-Freundin eines Angeklagten kooperiere seit einigen Monaten mit der Staatsanwaltschaft in Rom und Trient. Aus Sicherheitsgründen werde ihre Vernehmung jedoch unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Die Verhandlung wurde auf den 16. 01. verschoben. Dadurch gewann die Staatsanwaltschaft Zeit, ihre Fäden für diesen Schauprozeß zu spinnen und ihre Zeugin zu präparieren.

Am 16. 01. war der Gerichtssaal voll mit AnarchistInnen. Die Stimmung war sehr angespannt und alle warteten auf den Beginn der Farce. Zu Beginn der Vernehmung - Überraschung! - sagte die Kooperatorin aus, daß sie den Banküberfall mit den angeklagten AnarchistInnen zusammen begangen habe.

Die Fragen wurden der "Kronzeugin" auf peinlichste Weise vom Staatsanwalt so gestellt, daß sie nur noch mit Ja oder Nein beantwortet werden mußten. Dieser Dialog war so gut eingeübt, daß es der Staatsanwaltschaft mit Hilfe der "Zeugin" bis zum Ende der Vernehmung gelang, noch drei weitere AnarchistInnen mit hineinzuziehen. Auf die Frage nach ihrer Motivation antwortete die "reuige Kronzeugin", daß sie die anarchistische Ideologie (!) noch nie als ihre empfunden habe und den Banküberfall nur "aus Liebe" gemacht habe. Als der Staatsanwalt Giardina fragte, wann denn die "Proselytenmacherei" begonnen hatte, war sie offensichtlich verwirrt. Es ist verständlich, daß sie die Bedeutung dieses Superworts nicht kennt. Weniger verständlich ist, daß sich dieses Wort gleich zweimal in der Niederschrift ihrer Aussage wiederfindet, der Niederschrift eines Verhörs, das am 02. 11. 95 von den Staatsanwälten durchgeführt worden war.

So sicher sie sich war, Vor- u. Nachnamen der angeblichen Mittäter zu kennen, so errinnerungsunfähig war sie, was den Rest des Überfalles betrifft. Sie weiß nicht, was sie in der Bank gemacht hat. Sie weiß nicht, wie sie angezogen war. Sie kann sich nicht daran erinnern, gestolpert zu sein und dabei die Pistole fallengelassen zu haben, wobei ein Schuß losging (Augenzeugen schildern den Tathergang so). Schuld daran war die emotionale Spannung - sagt sie mit beschämender Hartnäckigkeit - da es sich für sie um die erste und letzte "bewaffnete Aktion" gehandelt habe. Sie erinnert sich jedoch, daß 3 Leute in die eine Bank und 2 Leute in die andere Bank gegangen seien. Sie erinnert sich, daß die beiden Komplizen, die mit ihr in die Bank gegangen seien, mit "blauen Arbeitsoveralls" bekleidet gewesen seien, obwohl die beiden Männer, die von der Überwachungskamera aufgenommen wurden, mit Sacco und Krawatte bekleidet waren. Sie erinnert sich, daß ihre Waffe "klein und dunkel" gewesen sei, daß sie im Zug angekommen seien und dann zu Fuß weiter... nein im Gegenteil, daß sie sich zu sechst in ein kleines Auto hineingezwungen hätten -(seltsamer Entschluß für Leute, die es nötig haben, so unauffällig wie möglich zu sein)- und daß sie nur die letzten Meter zu Fuß zurückgelegt hätten. Nach dem Banküberfall wären sie dann wieder alle 6 mit dem Auto geflüchtet... alle außer einer, eine Komplizin, die sie nicht gesehen habe, als sie angekommen sei, von der sie aber wisse, daß sie draußen geblieben sei und deren Fluchtfahrzeug sie nicht kenne.

Angesichts dieser unerklärlichen "Gedächtnisslücken", angesichts dieser himmelschreienden Widersprüche, kann man nur zu dem Schluß kommen, daß es sich um eine falsche Zeuginnenaussage handelt von einer genauso falschen "Kronzeugin". Dies ist wohl selbstverständlich, genauso wie es selbstverständlich ist, daß kein Mensch, der einen gesunden Verstand hat, diesen Berg von Lügen ernst nehmen würde, und schon gleich gar nicht ein "Richter, der Gerechtigkeit walten läßt".

Doch es war nicht das erste Mal, daß ein Staatsanwalt versucht hatte, falsche Zeugen anzuheuern, um diesem Schauprozeß Glaubwürdigkeit zu verleihen. Er hatte schon mehreren AnarchistInnen Angebote gemacht, um eine Kooperation zu erzielen, jedoch erfolglos. Er sah sich also gezwungen, sich eine "Zeugin" außerhalb der anarchistischen Szene zu suchen, und flüsterte diese Idee dann seinem Kollegen zu, der weniger Erfahrung hat und noch weniger zu verlieren.

Der vorsitzende Richter verlangte von den Rechtsanwälten, ihr Plädoyer noch am selben Tag zu halten, damit der Prozeß, einschließlich Urteilssprechung, innerhalb weniger Stunden beendet werden könne. Dieses konnte nur mühsam von den Rechtsanwälten verhindert werden.

Die Urteile gegen die vier, die anscheinend schon längst vor dem Prozeß gefällt waren, liegen zwischen 6 und 7 Jahren. Das bedeutet, daß jeder Gefangene mehr als 10 Jahre Haftstrafe abzusitzen hat. Bei den Prozeß handelt es sich offensichtlich um einen der unfaßbarsten Schauprozesse in der Nachkriegsgeschichte Italiens!

Adressen der Gefangenen

Jean Helena Weir, Via Camporgnanno 40, 20090 Opera (Mi), (spricht auch englisch)

Antonio Budini, Via Prati Nuovi 7,27058 Voghera (PV)

Christos Stratigopulus, Via Sforzesca 49, 28100 Novara, Spricht auch griechisch)

Carlo Tesseri, Via delle Campore 32, 05100 Terni