"Ich habe mich niemals nach Deutschland zurückgesehnt, weil ich das Gefühl von Heimat nicht habe."

Gespräch über Exil und die Welt mit einer 80-jährigen Frau aus unserem Bekanntenkreis

Helene Erdna (Name von der Redaktion geändert), in Deutschland geboren, war Ende der 30er Jahre in der Kommunistischen Jugend aktiv. Ein Großteil ihrer Familie jüdischen Glaubens wanderte nach Palästina aus.

1938 entschied sie sich, mit ihrem damaligen Gefährten zusammen aus Deutschland zu fliehen und nach Dänemark zu emigrieren. Schließlich lebte sie über 50 Jahre in Uruguay und wohnt heute in Braunschweig in einem "Heim für ehemalige Rasseverfolgte".

rZ: Sie sind 1938 aus Deutschland emigriert. Wie hat sich das entwickelt...

Helene: Ja Kinder, ihr dürft keine dramatisch-romantische Geschichte von mir erwarten, denn ich bin nicht verfolgt gewesen, ich bin nicht bedroht gewesen. Ich hätte natürlich, wie so viele meiner Familie, in einer Gaskammer enden können. Aber ich war jung, 21, als ich hier rausging. Wir sind zusammen rausgegangen und sind mit einem Rucksack nach Dänemark gefahren, mit einem Sonntagsschiff, was so ´ne Ausflüge gemacht hat. Sind morgens losgefahren nach Stettin und sollten abends wiederkommen. Dies ham wir natürlich nicht gemacht und sind dort geblieben. Sind über ein halbes Jahr in Dänemark gewesen, gearbeitet bei Bauern und ham uns unser Brot verdient. Das war ein wunderbares Leben. Die Dänen waren sehr freundlich mit Immigranten und Hilfsorganisationen schossen auf, wie Pilze. Wir ham gar keine Schwierigkeiten gehabt. Wir haben beide noch unseren deutschen Pass gehabt, mit dem wir weggegangen sind. Wir hatten von der dänischen Polizei die Aufenthaltserlaubnis bekommen, also wir hätten eigentlich in Dänemark bleiben können, aber die Gestapo hat sich eingemischt und hat mit der dänischen Polizei einen Vertrag geschlossen, daß die jüdischen Immigranten raus müssen aus Dänemark.

Da hatten wir vier Wochen Zeit, entweder, es gab zwei Möglichkeiten, nach Deutschland zurück verfrachtet zu werden, oder irgendwie in einem anderen Land unterzutauchen.

rZ: Waren Sie denn in Deutschland 1938 politisch schon aktiv?

Helene: Ja. Wir waren beide sehr aktiv, da wir sehr jung waren. Ich bin mit 16 oder 17 Jahren in die Kommunistische Jugend gekommen. Wir haben natürlich in den Jahren vorher, bevor wir rausgegangen waren, ganz schön gegen die aufkommenden Nazis gekämpft. Ich weiß ja nicht, wie ihr eure Zeitung verteilt, wir mußten unsere Flugblätter immer heimlich verteilen. Mit wissenhaften Gefahren, die ein Jugendlicher ja überhaupt gar nicht schätzt. Dann war die letzte Demonstration hier in Berlin am 1. Mai, und da ist die Polizei reingekommen, und da gab´s ziehmlich viele Tote und Verletzte, und ich habe mich im 5.Stock von irgendsonem Mietshaus versteckt. Habe grauenhafte Angst gehabt, aber mit ist nix passiert, wie ihr seht. Das war 1934 oder 35. Rausgegangen sind wir 1938 im Frühling und haben den Sommer über in Dänemark verbracht. Dann haben wir ein Land gesucht, wo wir hinreisen könnten, aber wir hatten beide kein Geld, überhaupt nischt. Wir hatten unseren Rucksack auf´m Rücken, und mein zukünftiger Mann, der hatte seine Klampfe unter dem Arm. Dann sind wir die Konsulate abgegangen. Und dann gab es zum Glück noch zwei Länder, die frei waren. Island, das hat Touristen angenommen, und das andere war Uruguay. Island war mir zu kalt. Hab ich gesagt, nee, nach Island fahr ich nicht, fahren wir nach Uruguay. Hatten überhaupt keine Ahnung. Nicht wo das Land liegt, nicht was da für Leute sind, nicht was da für ne Kultur ist, nischt. Die Sprache vorallem auch nicht. Dann hat uns eine von diesen Hilfsorganisationen das Geld gegeben für ein Schiff , hat uns auch nach Frankreich nach Marseille bugsiert, dies kann die jüdische Gemeinde gewesen sein, die das bezahlt hat.

rZ: Ihr ward jedenfalls nicht auf euch alleine gestellt?

Helene: Ja, ja, sie haben uns sowohl zu Essen gegeben bis zu diesen Bauern. Und wir haben dann ja da auch gelebt, ein paar Monate lang. Wie gesagt, es war ein wunderschönes Leben für junge Menschen und alles war Abenteuer . Mit euren Exilados ist das natürlich was ganz anderes. Ich habe niemals irgendein Heimatgefühl Deutschland gehabt. Ich bin hier geboren, in Berlin, aber ich kenne das Wort Heimat nicht.

rZ: Und Verwandte, Freunde u. Freundinen ...

Helene: alle hier.

rZ: War denn diese Abreise so abrupt über Nacht sozusagen, oder war das schon ein bißchen geplant?

Helene: Ja, ja geplant. Wir ham gesagt, wir fahren zum Sommerurlaub oder irgendwat, einen Sonntag zu verbringen in Dänemark, das liegt ja so dicht bei uns. Natürlich war das geplant. Es ist selbstverständlich, daß das bißchen was wir hatten oder was wir besaßen, was Wohnung anbelangt oder Bücher und Kleider z.B. alles hierbleiben mußte. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht.

rZ: Und Sie dachten damals, daß Sie zwar nicht unmittelbar verfolgt gewesen sind, aber daß es später möglich wäre...

Helene: Wenn man in der Kommunistischen Jugend eingeschrieben ist, dann ... Zichte hieß ein so ne Sportgruppe von der Kommunistischen Jugend Partei ja. Natürlich war das gefährlich, sicherlich. Aber nicht direkt so bedroht, wie Sie sagen ,daß ihre Genossen [gemeint sind Thomas, Bernhard und Peter aus Berlin, die als angebliche Mitglieder der Gruppe K.O.M.I.T.E.E beschuldigt werden den damals noch in Bau befindlichen Abschiebeknast in Berlin-Köpenick angeblich in die Luft zu sprengen gewollt zu haben.-Anm. der Redaktion] gewesen sind oder sind.

rZ: Ist das denn damals gemeinsam diskutiert worden, das man gesagt hat, die Lage ist zu gefährlich, vielleicht sollten einige woanders hingehen?

Helene : Nein, wir sind, ich bin, mein Mann ist ja in ner anderen Gruppe gewesen, aber ich war in einer Sport u. Wandergruppe, die aufgeflogen ist. Wir hatten da in Berlin-Neukölln ´nen Versammlungssaal. Da sind die Nazis mal reingekommen oder die Polizei, ich entsinne mich wirklich nicht mehr, und wir sind alle verhaftet worden. Ich auch, aber ich hatte das große Glück, ich war ja noch jung und nicht sehr häßlich, und da bin ich nach vier Wochen Alexanderplatz, da stand das Polizeipräsidium, rausgekommen. Meine Erfahrungen und Erinnerungen verbleichen natürlich nicht. Aber dann war es gefährlich, denn jeder Treff mit einem Genossen, der auch rausgekommen ist... Damals in der Kommunistischen Partei war das überhaupt gräßlich, jeder der irgendwie verdächtigt war, auch bloß Gedanks-mäßig nach Trotzki hin z.B., ja, mit dem wurden sämtliche Verbindungen abgeschnitten, und das war ein fürchterliches Leben. Nach meinem Rauskommen konnte ich keinen Kontakt zu keinem mehr finden., weil keiner sich gewagt hat, ja. Du konntest ja auch als Spitzel rausgekommen sein, nich. Dann hatte das Leben überhaupt keinen Reiz mehr.

rZ :Es gab also eine Anti-Trotzki-Haltung, und die dachten, sie würden ...

Helene: Nee, ich nicht. Ich war ja viel zu unwissend.- Ich hatte gerade mal das Kommunistische Manifest gelesen und hatte mich in irgendeiner Abendschule reingelesen, in´s Kapital von Marx ,von dem ich nichts verstanden hatte. Ich war im Grunde viel zu jung, um da wie ein erwachsener Mensch ranzugehen.

rZ:Nochmal zu dem, was sich bei Ihnen bei der Flucht und später im Exil abgespielt hat. Waren da keine Ängste, Sehnsüchte bezogen auf Ihre Familie?

Helene: Ich hatte sogar eine sehr große, reichhaltige Familie, was Tanten und Onkels und Cousins anbelangt, und einige sind umgekommen im KZ. Ein Cousin, den ich verführt hatte auch das Manifest zu lesen und Kommunist zu werden, ist nach Dachau gekommen, jung genau wie ich, mit 18 oder 19 von der Schulbank weg. Augenblicklich lebt er noch mit 80 Jahren in Israel. Er hat sich nach Palästina flüchten können. Einige von meinen Tanten sind natürlich umgekommen. Zur Reichskristallnacht war ich schon nicht mehr da. Ich habe nie eine sehr enge Familienbindung gehabt. Wie gesagt, und das möchte ich betonen: Ich habe mich niemals, nie nach Deutschland zurückgeshnt, weil ich hab das Gefühl von Heimat nicht, das ist wichtig, denn für viele Exilados ... Heinrich Heine sagte damals : "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht." Dazu gehör ich nicht, und wir sind dann nach Uruguay gekommen. Die ersten 2 oder 3 Jahre waren natürlich fürchterlich schwierig. Erstens konnten wir keine Sprache, zweitens konnten wir nicht arbeiten , aber man hat sich als junger Mensch durchgeschlagen, deswegen sag ich, ihr dürft nicht erwarten, daß ich euch irgendwas grauenhaftes, tragisches erzähle, ich habe das nicht gelebt. Andere Leute habens gelebt, wenn Steffan Zweig rübergeflüchtet ist nach Brasilien und nachdem er ein wunderbares Buch geschrieben hat , sich das Leben genommen hat, wie andere auch. Dann war dies natürlich tragisch, aber das waren Menschen, die vielmehr verwurzelt waren als ich. Mit 19 Jahren bis Du nicht so verwurzelt in Deinem Land, in keinem Land.

rZ: Haben die Leute in Uruguay Ihnen denn geholfen, Sie aufgenommen?

Helene: Ja, aber ich bin nicht mehr in Verbindung zu der Kommunistischen Partei gewesen. Einzelleute - ja. Ich habe keinen offiziellen Kontakt mehr mit ihnen gehabt. Am Anfang wegen der Sprache und wegen der Möglichkeiten , du kennst ja nichts, wenn du in ein neues Land kommst, du hast ja keine Ahnung. Du kannst dich nicht an irgendeinen wenden und sagen: sag mir mal wo der und der wohnt und das und das. Also, es sind erstmal ein paar Jahre vergangen und dann ... ich hatte nicht mehr so große Sympathie, weder für die uruguayischen Kommunisten, noch für die Bürger, ich hab mich um Politik nicht mehr so gekümmert, aktiv.

rZ: Die Exilorganisationen, die es ja auch in Süd-Amerika gab, zu denen hatten Sie nicht soviel Kontakt?

Helene: Nein, ich habe bloß Schwierigkeiten gehabt, wir hatten 1972/73 eine wüste,brutale Militärdiktatur in Uruguay. In dieser Zeit, ich bekam nach etlichen Jahren eine Aufforderung und Anstellung in den offiziellen Staatsschulen /Hochschulen, Sprachen zu lehren, Französich und Englisch, und das tat ich auch. Aber als Staatsangestellte mußte ich, um in den Schulen zu arbeiten, Staatsbürger sein, dh. die Bürgerschaft haben. Die bekam ich dann auch, beeinflußt von Freunden , die dann nach ein paar Jahren aufgetaucht sind, die dann geholfen haben. Die ham wir dann auch bekommen, alle beide, also wir durften arbeiten. Ich habe zwei Staatsangehörigkeiten, die uruguayische und die deutsche. Dann kamen die Tupamaros und die Militärverfolgung. Das war natürlich eine sehr gefährliche Zeit. Denn wenn man mich da getroffen hätte, es war brutal. Zugeschnitten nach dem Maß von den deutschen Nazis. Viele von den Nazis sind rübergekommen und haben unsere Leute inszeniert und belehrt, was Tortur anbelangt, ja, und die wurden dann auch im sadistischen Maße angebracht. Dann in dieser Zeit, nachdem wir Lehrer und auch die Schüler dauernd verfolgt gewesen waren, hab ich Angst gekriegt, denn ich wollte nicht abgeschoben werden, ich wollte damals schon nicht wieder nach Deutschland kommen. Es wäre mein Schicksal gewesen, wenn sie mich in irgendeiner Manifestation getroffen hätten. Ich hatte gleichzeitig die Jahre, die gesetzmäßig notwendig sind, um meine Rente zu bekommen und hab sie auch bekommen. Dann hab ich ruhig gelebt.

rZ: Sie haben auch an Streiks teilgenommen gegen die Militärjunta und waren organisiert in der Gewerkschaft?

Helene: In der Lehrergewerkschaft ja, das ja.

rZ: Aber als Sie von Dänemark nach Uruguay gekommen sind, haben Sie schon manchmal Sehnsucht nach ihren Freunden und Familie gehabt?

Helene: Nein, eigentlich nicht, also meine Gruppe, wo meine Jugendfreunde drin waren, die war, weiß ich nicht, was aus ihnen geworden ist, sonst hat ich eigentlich keine Freunde. Und die Familie, im Grunde genommen... Ich hatte zwei, mit denen sind wir in Kontakt geblieben, das ganze Leben bis zum heutigen Tage, brieflich ja. Die eine ist nach Australien ausgewandert, die andere sitzt in Spanien. Und solange ich jung war und reisen konnte, hab ich sie auch besucht, und die Eltern waren in Palästina, die sind 36 rübergegangen, nachdem mein Vater seine Arbeit verloren hatte, als Jude, im Warenhaus bei Tiets in der Brunnenstraße. Er ist dann von abend bis morgen einfach entlassen worden, ohne Abfindung, ohne Geld. Ich hatte noch zwei Brüder damals. Das war natürlich eine große Misere. Der Vater war der einzige Verdiener, und die Familie ist dann ausgewandert nach Palästina, und ich wollte nicht mit, ich war nicht zionistisch , nicht deutsch, nicht uruguayisch. Ich bin überhaupt nichts.

rZ: Wieso sind Sie vor zwei Jahren wieder zurückgekommen?

Helene: Das ist eine absolut persönliche, subjektive Angelegenheit. Hat nichts mit Ländern, Ideen oder Prinzipien zu tun. Mein Sohn lebt hier und ich habe mein ganzes Geld, was ich als Lehrerin verdient hatte, für Reisen hierher ausgegeben. Aber es hat sich gelohnt.

Fahrt soviel ihr könnt in die Welt hinein, denn es ist das , was euch kein Mensch nehmen kann. Es ist etwas, was bleibt. Ein ganz großes menschliches Kapital.

rZ: Die Gedanken, irgendwann mal selber fliehen zu müssen, machen sich heute ja viele.

Helene: Guck mal, Menschen findest Du in der ganzen Welt, ob du nach Afrika, Asien oder Süd-Amerika fährst, Menschen gibt es immer. Liegt natürlich auch an den Augen desjenigen, der schaut und lebt. Ich habe immer überall soviele Freunde gefunden, Gleichgesinnte. Zwar katholischer Art oder evangelischer Art, aber immerhin Menschen, die mich verstanden haben und die ich verstanden habe, und das findet ihr auch, überall.

rZ: Gab es am Anfang denn große "Startsschwierigkeiten"?

Helene: Nein, politische Schwierigkeiten eigentlich nicht. Du kommst in ein Land mit drei Monaten Aufenthaltserlaubnis, und wenn die um sind, und die uruguayischen Behörden waren damals sehr großzügig, dann verdoppeln sie dies, dann haste 6 Monate. Inzwischen lernste natürlich auch andere Immigranten kennen und die sagen, geh mal dahin und frag den, Gonzales oder Gomes, der hat irgendwie ´ne Stelle frei und dann rutschst du so rein. Alles ist natürlich ´ne Zeitfrage, und alles ist ´ne Frage der Persönlichkeit, die einer hat. Ich kenne einige, die sind rübergekommen als arme Schweine und sind fürchterlich reich geworden. Andere haben hier ihren Doktortitel gehabt und sind rübergekommen und mußten Vertretungen übernehmen, durchs Land reisen. Also arm, arm geworden.

rZ: Und mit der Sprache ...

Helene: Du lernst es, wenn du jung bist, natürlich schnell durch alles, durch Brot kaufen. Ich muß noch dazu sagen, das uruguayische Volk ist ein sehr hilfsbereites und nettes und nach außen gerichtetes Volk, also nicht so wie hier in Deutschland, wo alle so eingezwängt sind in Käfige, ja.

rZ: Also, Sie konnten den Leuten offen erzählen, daß Sie aus Deutschland geflohen sind, und sie haben das verstanden und haben gesagt wunderbar ...

Helene: Wunderbar, du bist mein Bruder, komm her. Die Meisten. Dann, als wir das Gefühl hatten, wir würden angenommen werden, z.B. haben sie uns immer genannt Los Allemanes, wir wurden immer als Deutsche und niemals als andere betrachtet... Mit Zärtlichkeit gesagt, mit Armen auf. Wir haben niemals antisemitische oder antikommunuistische Ausdrücke gehört.

rZ: Was haben Sie gedacht, als dann hier Deutschland sich wierdevereinigt hat, der Rassismus, Neonazis ...

Helene : Ich bin sehr sehr entsetzt. Entsetzt und grauenhaft verängstigt, aber nicht nur in Deutschland, in ganz Europa.

Ja Kinder, hat das denn jetzt einen Zweck gehabt, das ihr mit mir geredet habt, denn das ist ja eine ganz harmlose Geschichte und ein bißchen anders als bei anderen, nicht?

rZ: Ja, aber dieser Unterschied ist auch interessant. Gerade daß es für Sie fast keine Bezugspunkte mehr zu ihrem Leben in Deutschland gab, weil die Verhältnisse so zugespitzt waren. Das Problem, welches viele Exilados heute haben, ist ja, daß es sehr schwer fällt, in einem anderen Land einen neuen Lebensinhalt zu finden, weil sämtliche soziale Kontakte weg sind . Außerdem ist es in vielen Exilländern als politisch VerfolgteR schwer, seinen politischen Alltag zu leben, usw. Die drei, die jetzt auch abhauen mußten, sind über 30 Jahre, haben viele Jahre hier politisch gearbeitet und viele GenossInnen hier; sie haben feste politische und persönliche Verbindungen und mußten über Nacht abhauen. Plötzlich die Fahndungsphotos ... für die ist das eine einschneidende Veränderung.

Helene: Ja absolut, ich hab ja hier früher auch Leute kennengelernt, als ich 19 war in Berlin, die verfolgt wurden und Todesgefahr litten und ins Exil gehen müssen nach Frankreich. Erst nach Europa ausgewandert. Die persönlichen Tragiken sind natürlich fürchterlich gewesen.

Das war bei mir so nicht der Fall. Das Leben hat mich mit Glacee - Handschuhen angefaßt und ich erkenne und schätze das, und ich bin keine heroische Figur, die euch da zu einem...

rZ: Ja, aber es ist ja schon wichtig, wenn Sie sagen, daß Sie Heimatgefühle nicht kennen.

Helene: Deutschland interessiert mich einen Dreck.

rZ: "Links ist da, wo keine Heimat ist????!!!"

Helene: .... ich meine man ist nie allein, man findet immer Gefährten. Die ersten, die uns umgeben haben, waren natürlich deutsche Immigranten, schon der Sprache wegen. Nachher weitet sich das. Deutschland ist sowieso eines der gräßlichsten Länder. Wenn ich alleine schon an die Nationalhymne denke. Für mich ist das schon der Grundstein für etwas ganz grauenhaftes in der Zukunft.

Und ihr, was wollt ihr aus der Welt machen, wie seht ihr die Rettung ...

rZ: "Widerstand leisten" .... "Der Traum vom selbstbestimmten Leben" .... "An Revolution glaub ich gar nicht mehr, es kann nur einen revolutionären Prozess geben ..." ... "Autonomie" ...

"ich glaub immer an das gute im Menschen , meine Freunde in der WG sagen immer : Du bist ein Spinner!"

Helene: Es gibt aber keinen anderen Weg. Du kannst den machthungrigen Reichen nicht die Macht entreißen, es muß eine Revolution geben, ohne Gewalt geht es nicht. Ich bin seit vielen, vielen Jahren schon nicht mehr politisch aktiv, meine Ideale hab ich aber behalten, und das nimmt mir auch keiner mehr, und damit werd ich auch sterben. Ich möchte doch noch ein Wort sagen, daß es noch junge Menschen gibt, die träumen können. Daß es überhaupt noch Menschen gibt wie ihr und nicht bloß solche die in die Discos gehen und viel Geld verdienen wollen und dann irgendwelche idiotischen Luxusartikel kaufen, und ihr ganzes Leben weitermachen, das macht mich auch wieder glücklich. Das werd ich in meinen 25 Briefen nach Uruguay, die ich noch zu schreiben habe, ihnen mitteilen.

rZ: Wenn ich nicht glauben würde, das sich diese Gesellschaft noch verändern würde, wüßte ich nicht, warum ich leben sollte .

Helene: Bleiben Sie mit 80 Jahren noch bei diesem Satz, den Sie eben gesagt haben.

rZ: Venceremos!