Ein Brief von Matthes, einem der Gesuchten im Zusammenhang mit dem radikal und AIZ-Verfahren:

Hallo Leute,

als ich von dieser Demo gehört habe, habe ich mich entschlossen, dafür einen Redebeitrag zu machen.

Einen schönen Gruß also aus dem Exil!

Hoffentlich seid ihr viele und die Bullen sind nicht so heftig drauf!

Vorweg will ich schnell einen Gruß loswerden, an alle BremerInnen, die sich zur Demo aufgerafft haben! Also viel Power und ich vermisse euch, mit euren Schwächen und Stärken!

Dann will ich Werner, Ente, Cräcker und Rainer grüßen, die vielleicht auch da sind!!

Aber nun zum Redebeitrag - Nun bin ich seit sechs Monaten nicht mehr zu Hause gewesen. In diesen sechs Monaten ist viel passiert.

Es haben sich einige Solidaritäts-Komitees gebildet. Diskussionen finden statt und vieles mehr. - Von all dem will ich Teil sein, bin aber doch oft weit, weit weg.

Für Abgetauchte ist es schwer, öffentlich wahrnehmbar zu sein. Das hat verschiedene Gründe. Einer sagte mal: "Es ist schlimmer, als tot sein, denn über Tote kann man wenigstens reden." Damit hat er recht, weil niemand offen darüber sprechen kann. Somit ist es auch schwierig zu vermitteln, wie es mir gerade geht, was mich beschäftigt, usw.. Ich bin einfach von der Bildfläche verschwunden, nicht mehr wahrnehmbar.

Dennoch ist es möglich, Kontakt zu Abgetauchten zu halten: Sie lesen nämlich Zeitungen und Bücher, hören Radio und gucken Fernsehen. Wenn alle ein wenig nachdenken, dann können sie dafür sorgen, daß die Abgetauchten weiterhin Teil des Widerstands sind!

Aber zurück zu mir - Von Anfang an, hatte ich die Hoffnung wiederzukommen und zwar so schnell es geht. Das hat sich aber im Laufe der Zeit als unmöglich herausgestellt, außer, ich liefere mich selber der Knastmaschine aus. Da ich das nicht wollte und will, habe ich beschlossen, wegzubleiben, entweder, bis sie mich packen oder es einen Sinn macht, wieder aufzutauchen.

Zuerst war dieses abgetauchtsein ein ungewöhnlicher Zustand. Mittlerweile kann ich sagen, daß ich mich eingelebt habe. Wo ich nun lebe, haben sich spontan Leute gefunden, die mir Wohnraum zur Verfügung stellten und auch einiges mehr. Durch die Hilfe vor Ort konnte ich eine neue Perspektive entwickeln - neue Freunde und Freundinnen kennenlernen. Eine fette Umarmung und auch an Einige Küsse, die mich bisher menschlich, finanziell und politisch unterstützten!!!

Trotzdem vermisse ich eine selbstgewählte Umgebung, und vor allem vermisse ich meine alten Freunde und Freundinnen. Oft hänge ich der Vergangenheit hinterher und versuche mich zu erinnern, wie es vor dem 13.6. war. Für viele von euch hat sich nicht soviel verändert; für mich und auch einige Andere aber alles. Diese Veränderung haben die Bullen am 13.6.95 inszeniert. Ihnen hat wohl was nicht gepaßt. Sie sagen, es geht um die Radikal, die AIZ und das K.O.M.I.T.E.E. und zum guten Schluß auch um die RAF.

Eine feine Aufzählung!

Ich werde gesucht, weil ich angeblich die Radikal gemacht haben soll und weil ich in Verbindung gebracht werde, mit einem Anschlag auf das FDP-Büro in Bremen.

Das ehrt mich natürlich, nun bin ich nach ihrer Definition ein richtiger Terrorist! Ich schreibe böse Texte und lege dann entsprechend die Bomben. Alles in einer Person vertreten. Zum Glück haben sie in Bremen und anderswo noch ein paar mehr gefunden, die genauso sein sollen, wie ich. Sonst würde ich mir auch ganz verloren vorkommen!

Diese ganze Lügerei der Schweine, alles in einen Topf geschmissen und dann umgerührt, ist in der Öffentlichkeit gut angekommen. Die Bürgerlichen, von taz bis FAZ berichten erstmal nicht mehr darüber; nicht verwunderlich in Großdeutschland, andere Themen sind angesagt. Der Konsens der Demokraten hat sich durchgesetzt.

Schon der alte Bundeskanzler Schmidt, er ist hier in Hamburg zu Hause und für die sogenannten Selbstmorde in Stammheim mitverantwortlich, sagte in seiner Regierungserklärung am 20. April 1977:

(Zitat) "Mit Gesetzgebung allein schaffen wir den Terrorismus nicht aus der Welt. Wir müssen ihm jeden geistigen Nährboden entziehen. (...) Wo nach ruhigem Abwägen durch Politiker, durch Juristen und Fachleute der inneren Sicherheit, die Instrumente nicht wirksam genug erscheinen, dort sollen sie verbessert und ergänzt werden. (...) Wir haben die Aufgabe, den Terrorismus ohne Wenn und ohne Aber und ohne sentimentale Verklärung der Tätermotive, zu verfolgen, bis er aufgehört haben wird, ein Problem zu sein." (Zitatende)

Das sagt also der olle Helmut zum Problem Terrorismus. Obwohl er es hätte besser wissen müssen. Menschen greifen auf Gewalt als letztes Mittel zurück. Sie wollen auf Verhältnisse und Umstände aufmerksam machen, wo die herrschende Macht sich über die Interessen von Menschen hinwegsetzt. Denn wo Macht ist, ist auch Widerstand. Diese Tatsache hat bei Law and Order Strategen nicht zum Umdenken geführt.

Diese Schweine haben gezeigt, daß sie Hochsicherheitstrakte bauen können, die heute unter anderem mit Drogis gefüllt werden;

daß sie einen Bullenapparat aufgebaut haben, der den gläsernen Menschen entstehen ließ;

daß sie eine Paragraphenvielfalt gegen die Linke entwickelt haben, von der Verschärfung des Demonstrationsrechts, über die Ausweitung des Paragraphen 129, bis zur Einführung des Lauschangriffs und der Aushöhlung des Presserechts und daß eine liberale Öffentlichkeit nahezu verschwunden ist.

Dennoch sind einige Menschen übrig geblieben, die sich nicht haben einlullen lassen, von der Gefährlichkeit von sogenannten Terroristen, sondern die Gefährlichkeit von Rassismus, Patriachat, Faschismus und Imperialismus erkannt haben. Die sich gegen Unterdrückungsdynamiken zur Wehr setzen und nicht nur die scheinheiligen Worte der ach so ehrenwerten Politiker glauben.

Sind Terroristen diejenigen, die Abschiebeknäste in die Luft sprengen (oder es zumindest versuchen)?

Terroristen sind die, die Abschiebeknäste bauen und verwalten.

Und zum Schluß will ich die ganzen Abgetauchten grüßen, die sich aus der BRD verpißt haben oder versteckt leben müssen. Und einige besonders: Cengiz, der wegen der Kaindl-Sache gesucht wird und sich in den Bergen Kurdistans dem Guerillakampf angeschlossen hat. Natürlich auch Jutta, Frank und Uli und auch Andrea aus Frankfurt.

Ach ja, eins hätte ich bald vergessen, denn auch im Exil habe ich davon gehört: Die neue Radi ist draußen! Haben die ´radikal´en es wieder geschafft, obwohl der Wasserschlag doch so niederschmetternd sein sollte.

Einen schönen fetten Gruß von mir, und ich drück euch die Daumen, daß es weitergeht!

So das wars, machts gut und noch ne muntere Demo!

Tschau,
Matthes