Es gibt viel zu tun. Jetzt erst recht!

Zum Stand der Verfahren vom 13.6.

Zu unserer aller Überraschung und Riesenfreude konnten wir die radikal-Gefangenen Andreas,Rainer, Rals und Werner am Dienstag (05.12.) bzw Mittwoch (06.12) von den Knästen abholen.

Auf Antrag der Bundesanwaltschaft verfügte der Ermittlungsrichter am BGH die Außervollzugsetzung der Haftbefehle mit den Auflagen, daß

1. für jeden eine Kaution von 20.000,-- Dm eingezahlt wird,
2. die Reisedokumente hinterlegt werden,
3. die vier sich an drei festgelegten Tagen um das Wochenende bei den Polizeidienststellen ihrer Wohnorte melden,
4. sie nicht ins Ausland reisen und
5. sie untereinander keinen Kontakt aufnehmen, auch nicht über Dritte.
Die AnwältInnen der Vier hatten seit Beginn der U-Haft immer wieder zu den Haftprüfungsterminen - und bis heute erfolglos - die Aufhebung der Haftbefehle beantragt, hilfsweise die Außervollzugsetzung der Haft nach §116 der Strafprozeßordnung. In diesem Paragraphen wird ein Katalog von Möglichkeiten aufgeführt, durch den "der Zweck von Untersuchungshaft (...) erreicht werden kann". Aus diesem Katalog hat der Ermittlungsrichter in seinem Beschluß vom 5.12.1995 die obrigen fünf Auflagen zusammengestellt.

Die unmittelbare Freude und Erleichterung, die Vier aus dem Knast raus und wieder unter uns zu haben, heißt nicht, daß wir uns jetzt zurücklehnen können.

Die Verfahren vom 13.06. laufen weiter:

In das Verfahren wegen Mitgliedschaft in der RAF gegen Ingried aus Köln, deren Wohnung am 13.06. durchsucht wurde, sind zwei weitere Leute als Beschuldigte aufgenommen worden. Sie gehören zu dem Diskussionszusammenhang, an dem auch ehemalige RAF-Gefangene beteiligt sind und dessen Treffen in der Eifel abgehört werden sollte.

In dem Verfahren gegen die AIZ konnte die BAW bisher keine "Erfolge" verbuchen. Jetzt greift sie auf ein Fahndungsszenario zurück, das an die "Terroristen"-Hetze in den 70er Jahren gegen die RAF erinnert. In Autobahnraststätten und öffentlichen Gebäuden hängen Plakate aus, die 100.000,--Mark Belohnung für "sachdienliche Hinweise" versprechen.

In dem Verfahren gegen angebliche Mitglieder der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. sollen jetzt Angehörige stellvertretend für die abgetauchten Beschuldigten vorgeladen werden, um mit Hilfe von Gen-Analysen den Beschuldigten Zigarettenkippen zuzuordnen, die in einem der Pkw´s gefunden wurden. Die Haftbefehle gegen Bernhard, Peter und Thomas bleiben aufrechterhalten.

Haftbefehle nicht aufgehoben

Auch im radikal-Verfahren sind die Haftbefehle nicht aufgehoben, für die vier Gesuchten Frank, Matthias, Jutta und Ulli gibt es auch keine Außervollzugsetzung der Haftbefehle. Von den Auflagen gegen Andreas, Rainer, Ralf und Werner ist insbesondere das Kontaktverbot zueinander nicht hinnehmbar. Diese Auflage sichert der BAW die Macht, jederzeit - z.B. bei einer nicht genehmen Entwicklung der Soliarbeit und Prozeßvorbereitung - mit erneuter Einknastung und anderen repressiven Maßnahmen einzugreifen.

Der Versuch der Verhinderung einer gemeinsamen Prozeßvorbereitung der Beschuldigten setzt auf die bisher bestehende Verteidigungsverhinderung noch einen drauf. Die BAW hat die Vorlage von Ermittlungsergebnissen und damit die für die Verteidigung dringend benötigte Akteneinsicht bis zuletzt verzögert. Die Ermittlungen der BAW sind - laut BGH-Beschluß vom 5.12. - jetzt abgeschlossen.

Die BAW als Betreiberin des Verfahrens stellte den Antrag auf Aussetzung des Haftvollzugs kurz vor Ralfs Haftprüfung am 7.12 und kurz vor Ablauf der halbjährigen U-Haft. Im Zusammenhang der anstehenden Haftprüfung der Verhältnismäßigkeit der Haft siedelte die BAW das zu erwartende Strafmaß "im Bereich der mittleren Kriminalität" an, d.h. auf jeden Fall unter der für den §129 angesetzten Höchststrafe von fünf Jahren Haft. Dem Antrag der BAW liegt wohl die Einschätzung zugrunde, daß die Vier ihnen im Knast nicht mehr nützen, sondern daß von dieser Einknastung eher eine mobilisierende Wirkung für die Solibewegung ausgeht.

Keinsfalls bedeuted die Haftaussetzung, daß die Verfolgung mit dem Vereinigugnsparagraphen §129 fallengelassen wird. Näherliegend ist, daß die BAW noch unsicher ist, wie sie die Verfahren durchziehen will.

Dabei geht es gerade darum, die juristische Konstruktion "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" (§129), die u.a. zur "Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" (§129a) ausgerichtet sein soll, durchzusetzen, um sich ein weiteres Instrument zu schaffen, linke Projekte, Zeitungen und Gruppen schneller und für sie unkomplizierter und effektiver zu kriminalisieren. Denn ist erst einmal eine Zeitung oder auch eine antifaschistische Gruppe (der Prozeß nach §129 gegen die Antifa M beginnt am 8. Mai in Lüneburg) als kriminelle Vereinigung verurteilt, können in Zukunft politische Verfahren nach §129 mit diesen Urteilen begründet werden.

Die Grundlage der Ermittlungen im radikal-Verfahren sind die Abhörmaßnahmen des LKA Rheinland - Pfalz in einem Haus in Baar Wanderath (Eifel), bei denen das angebliche radikal - Teffen zufälllig mitgeschnitten wurde. Eigentlich waren die Herren auf der Suche nach mutmaßlichen RAF-Mitgliedern, die sich in jenem Ferienhaus treffen sollten, das gerne mal von den verschiedensten Leuten aufgesucht wird, um sich zu treffen und sich zu erholen....

Dieser schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzbarkeit der Wohnung ist nach geltendem Strafprozeßrecht nicht zulässig.

Die Tatsache, daß die Diskussion um den großen Lauschangriff, gegen den die noch amtierende Justizministerin deutlich Stellung bezieht, gerade schärfer geführt wird, hat die BAW wohl veranlaßt, einen Gang zurückzuschalten und die vier Inhaftierten vom Vollzug zu verschonen, um nicht bevor die Diskussion in ihrem Sinne entschieden ist, den Prozeß führen zu müssen. Unabsehbar ist, wann die BAW mit einer Anklageschrift rausrückt.

10. Dezember 1995

Soligruppen Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein