Aus einem Gespräch mit Irmgard Möller, November 1995

? Die vier radikal-Beschuldigten haben besondere Haftstatute, die auf die Isolation und die Verhinderung jeglicher politischer Kommunikation abzielen. Wir sagen, daß diese Statute generell dazu entwickelt wurden, die politische Identität der Gefangenen zu brechen.

! Politische Identität bedeutet die Einheit von Person und politischen Zielen. Das heißt, daß das kein Anspruch ist und kein Wunsch, sondern daß das, was sich einer angeeignet hat und das, was er erreichen will, wirklich eins ist. Der Ansatzpunkt von Isolationshaft ist, die Person zu treffen, und sie da zu zerstören, wo sie am verletzlichsten ist, nämlich im lebendigen Austausch, in der Wahrnehmung, in der ganzen Reflexion von der Geschichte als Einheit und der eigenen persönlichen Geschichte. Das führt dazu, daß sie nichts mehr einordnen kann, nichts mehr versteht, letztendlich garnicht mehr weiß, was sie eigentlich mal wollte. Und dann wäre ihr Ziel erreicht, darauf zielt das Ganze ab.

? Die Soli-Arbeit versucht immer, die Isolationsbedingungen so gut es geht zu bekämpfen und trotzdem eine Kommunikation möglich zu machen. Wie siehst Du die Möglichkeiten, sich zu wehren?

! Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen man sich wehren kann. Das muß nicht bedeuten, daß der Gefangene jeden Tag eine Gruppe vorm Knast sehen muß. Das Wichtigste ist, daß er spürt, daß die Leute draußen kapieren, was für ein Angriff das ist, in welcher Lage er ist, in welcher Lage die Gefangenen insgesamt sind ... und das Wichtigste ist, daß er spürt, daß die Leute draußen für die Ziele, für die er gekämpft hat, weiterkämpfen. Das ist wichtiger, als daß jeder einzelne Brief durchkommt. Was hilft, ist, die Gewißheit zu haben, daß es weitergeht draußen.

? In diesen Verfahren wird versucht, die Knastkundgebungen und jede direkte Kommunikation durch das Verbot jeglicher Lautsprecheranlagen und Mikrophone unmöglich zu machen. Welche Bedeutung und welche Art der Unterstützung können Knastkundgebungen darstellen?

! Einmal sind sie wichtig als unmittelbar sinnliche Erfahrung für die Gefangenen, daß es Leute gibt, die das nicht einfach hinnehmen, daß sie da sitzen, und eine weitere Wirkung ist, daß sie sehr unmittelbar auf den Knast, vor dem sie stattfinden, einwirken. Das Moment der Unruhe und Beunruhigung wird direkt in die Knastmaschinerie reingetragen. Was Knastkundgebungen aber nicht sein dürfen, ist ein Ausweichen oder ein Ersatz für Überlegungen, was man sonst politisch tun muß. Sie sind wichtig, aber man darf sie auch nicht überschätzen.

? Die politische Kommunikation mit den Gefangenen ist einerseits sehr wichtig, andererseits wegen der Knast-Situation extrem schwierig. Worauf kommt es Deiner Meinung nach besonders an?

! Das Wichtigste ist, daß man wirklich informiert, daß ein richtiger Austausch möglich ist und man nichts beschönigt, weil man sich einbildet, damit die Gefangenen zu trösten. Es bringt nichts, um die Gefangenen zu ermutigen, hohle Gesten reinzuschicken. Andererseits soll man auch Sachen nicht schwärzer machen, als sie sind, sondern entscheidend ist, daß man sich klar macht, was brauchen sie drinnen, um die Situation draußen einschätzen zu können. Das bedeutet dann natürlich auch, daß man sich selber darüber klar werden muß, was will man den Gefangenen mitteilen, wie ist genau die Situation ... es ist einfach noch viel wichtiger als sonst, daß die Sachen stimmen, die man sagt und nicht so ein Geflirre rüberkommt. Dabei ist es ein Problem, daß man so konkret wie möglich sein muß, aber natürlich nicht zu konkret sein kann ...

Was mich total alarmiert, ist, wenn es draußen ein Bedürfnis gibt, Briefe aus dem Knast zu kriegen, die unheimlich lustig sind und ganz witzig und die die Leute draußen gut konsumieren können. Das hat den Effekt, daß einen das nicht ernsthafter zu beschäftigen braucht. Für einen Gefangenen kann das bedeuten, daß er sich garnicht real mit seiner Lage auseinandersetzt und sie dann in den Griff kriegt, sondern meint, sich durch eine Art Galgenhumor oder durch eine Ironie, die aber nicht paßt, retten zu können. Das hilft in Wirklichkeit nicht, sondern im Gegenteil. Ich habe jetzt mehrmals so einzelne Fetzen von so einem Umgang mitgekriegt, und das finde ich sehr gefährlich. Wichtig ist, sich real mit der Lage auseinanderzusetzen, erst das schafft die Möglichkeit, damit auch umgehen zu können.

Denkt ihr überhaupt darüber nach, was es bedeutet, wenn der rote Punkt auf Türen von Gefangenen geklebt werden, die isoliert werden? Welche Brutalität es ist, wenn sie erst Isolation anordnen und dann sagen, "so, jetzt bist du selbstmordgefährdet und wir wecken dich jede Stunde" und damit die Bedingungen nochmal verschärfen? Und was das bedeutet vor dem Hintergrund, von einigen Gefangenen aus der RAF, die tot in ihren Zellen gefunden wurden, von denen sie dann behaupten, es wäre Selbstmord gewesen. Das sind ja alles reale Sachen gewesen, und das geht jetzt so in die allgemeinen Knastmaßnahmen über. Was das für eine Brutalität bedeutet, ist, glaube ich, garnicht allen klar ...

? In der ersten Einschätzung des Angriffs vom 13.6. wurde gesagt, daß ein wichtiges Ziel dieser Staatsschutzaktion das "Kappen von roten Fäden" der Geschichte revolutionärer Analyse und Organisierung ist. Kannst Du dem zustimmen?

! Das stimmt auf jeden Fall. Rote Fäden kappen sie auf jeder Ebene, weil sie überhaupt nicht dulden wollen, daß es eine Kontinuität gibt. Sie geben sich nicht damit zufrieden, sie zu kappen, sondern es geht ja viel weiter, daß sie tilgen, daß sie die Geschicht umschreiben und letztendlich erreichen wollen, daß die Leute garnicht mehr wissen, daß es einen Widerstand gab. Alles, was weiterlebt, in irgendeiner Form, es muß in ihrer Logik getilgt werden. Das ist genau das, was sie auf ganz vielen Ebenen machen.

Man könnte da viele Beispiele geben: Die Funktion der ganzen Kronzeugenprozesse, die es gegen Gefangene aus der RAF seit Jahren gibt, die schon etliche Male lebenslang haben, ist es ja, das Geschichtsbild anders festzuknallen. Oder wie mit der DDR-Geschichte umgegangen wird, man kann da unendliche Beispiele aufzählen. Aber das ist ein ganz wesentliches Interesse, daß die Geschichte in ihrem Sinne umgeschrieben wird.

Anmerkung der Redaktion: roter Punkt an den Knasttüren bedeutet "Selbstmordgefährdung" in der Logik der Knastleitung und zieht eine weitere Verschärfung der Haftbedingungen nach sich, wie z.B. stündliche Sichtkontrolle.