Brief von Werner

z.Z. JVA Berlin-Moabit

Zwei Etappen lagen halbwegs hinter mir. Ich hatte mich weitgehend in der Realität eingefunden, erwiderte mitunter sogar ihr schonungsloses Grinsen, und ich hatte mich einigermaßen mit dem Knastalltag arrangiert, zumindest bis zur großen Show. Einen Augenblich dachte ich, das Gröbste wäre für den Anfang geschafft. Pustekuchen. Schon klopfte die nächste Bewährungsprobe an die Vordertür, bezeihungsweise ich hörte jetzt erst das gesteigerte Pochen. Es waren die ersten Auswirkungen der Haftbedingungen in Form von Konzentrationsstörungen, Gedankenkarussellen, Hirnblockern.

Mein erstes Problem bestand darin, daß ich sie nicht richtig fassen konnte. Klar müssen sich Isolation von Menschen und die verordnete Bewegungslosigkeit irgendwie auswirken, denn das ist ja kein natürlicher Zustand. Aber wo und wie genau? Da half mir mein altes Wissen nicht viel weiter, unkonzentriert sind ja alle mal.

FreundInnen schrieben: beobachte dich, mach dir nen Plan, sei diszipliniert, laß dich nicht hängen. Sie vermittelten mir Erfahrungen anderer Gefangener mit der Iso und ermunterten mich, auch dieses Laken am Zipfel zu packen und wegzuziehen. Ich fing an, meine Reaktionen zuzuordnen.

Eine Freundin schrieb:

"Es setzt ein fieberhafter Aktionsdrang ein, dem vom Körper durch völlige Apathie gegengesteuert wird. ... Es beginnt die Phase der Anpassung. Der Gefangene mobilisiert seine Phantasie, um den völligen Kontaktverlust mit den Menschen auszugleichen. Er lernt, gleichzeitig stumpft er innerhalb von Wochen gegenüber seiner Umwelt ab, weil seine Sinnesorgane eintrocken.

Schon bei den ersten Besuchen wirkt er überkonzentriert, aber gleichzeitig fahrig und vergeßlich. In den ersten Monaten halten sich gezielt gesteuerte Phantasie und verlangsamte Anpassungsreaktion die Waage. Im Laufe der Zeit überwiegen Nervosität, rasche Stimmungswechsel und Konzentrationsverlust."

Hört sich ein bißchen an wie Lehrbuch, aber solche Sätze haun den Nagel erbarmungslos auf den Kopf und öffnen mir die Augen. Schön, daß es diesen Erfahrungsschatz gibt. Er hilft mir beim übersetzen meiner Beobachtungen und beim zusammenfügen der Mosaikstücke.

(Erfahrungen vermitteln ist auch für mich ein Grund, warum ich über hier drinnen schreibe; eine der wenigen "sozialen" Aufgaben die ich mir stellen kann: Ich sage mir, je mehr das Phänomen Knast entschleiert, desto faßbarer und kalkulierbarer die dunkle Drohung für jede Einzelne. Undefinierte Angst wirkt lähmend, erkannt und erklärt aber verliert sie ihren Schrecken oder ermöglicht zumindest einen rationalen Umgang.)

Einige Auswirkungen der Iso sind relativ offensichtlich. Zum Beispiel starre ich während dieses Briefes oft wie ein Depp aufs Papier und merke nichtmal, daß meine Gedanken wo ganz anders oder nirgendwo sind. Kennt ihr, werdet ihr sagen. Kenn ich auch, aber es nimmt Ausmaße an.

Oder der Hirnblocker mitten im Anwaltsgespräch, tückischerweise genau dann, wenn ich einem gedanklichen Höhepunkt entgegen fliege und mich auf den Ausblick freue.

Was eben noch gefüllt,

ist gähnende Leere.

Als ob die Leitung gekappt,

das Hirn verknotet wäre.

Manchmal nutzt Konzentration, und ich finde den Faden in einer Ecke, manchmal kann ich's für Stunden, Tage oder ganz vergessen.

Jetzt verstehe ich die Brüche und Abschweifungen in Texten von langjährig isloierten Gefangenen besser. Sie fielen mir oft auf früher. Du hast einen Gedanken, noch einen und den nächsten; sie überrennen dich und es bleibt nix zurück. Oder du verlierst ihre Verbindung untereinander, als ob Flüsse durch Schleusen unterbrochen werden, die nur Bruchstücke durchlassen, ob sie passen oder nicht. Wer weiß, wie ich mich in paar Monaten ausdrücke. Für diesen Brief brauche ich schon Wochen, und er ist meine Hauptbeschäftigung in dieser Zeit.

Hinsichtlich der Prozessvorbereitung bin ich etwas in Sorge wegen Blocker, Aussetzer und Konsorten, denn ich möchte beim Showdown auch geistig anwesend sein. Sie verläuft leider schleppend, und ich muß in Sackgassen wenden bis endlich ein Knackpunkt aufleuchtet. Der erweist sich oft als gar nicht so komplizierte, so I wonder, was zum Teufel meine Gedanken in so abwegige Gefilde vorschlagen hat.

Die Frage ist schnell beantwortet, natürlich fehlt mal wieder Kommunikation. So sitze ich meinem Anwalt gegenübert und er bringt mit wenigen Sätzen einen in Tagen gewachsenen Gedanken-Aufbau zum Einsturz. Ich hatte den Beton falsch gemischt und deshalb das ganze Fundament vergeigt. Vorher ahnte ich zwar was, denn ich war unzufrieden, aber ich wußte nicht warum. Oder ich bekomme einen Brief, da öffnen drei Sätze eineTür, aus der etliche Erklärungen heraussprudeln, nach denen ich lange gesucht hatte.

Der Unterschied zwischen Selbstgespräch und Austausch ist beachtlich. Am meisten fehlen mir die freien Reaktionen, die Antworten oder auch nur Gesichtsausdrücke auf meine Worte, daß sich mein Kopf in sich selbst drehen muß. Die Gedanken stehen im Raum, sie reiben sich nirgendwo so richtig, werden weder kritisiert noch finden sie in der Meinung anderer einen Hinweis auf neue Richtungen. Im Prinzip könnte ich mir den letzten Schwachsinn ausdenken, völlig weltfremd, und mit vollster Überzeugung etwas vertreten, weil es sich durch tausendfaches daran denken eingefressen hat und zur Maxime wurde. O.k.., ist etwas übertrieben. Bevor es soweit kommt pfeift einmal kräftig.

Ich fange an zu verstehen, was Reizentzug bedeutet. Draußen ist es alltäglich und stinknormal, daß du dich bewegen kannst, eine Freundin besuchen, in der Gegen rumschaun, mal nah, mal fern. Die Umwelt reagiert auf dich, Eindrücke wie Straße, Gespräch, Kinder, Wetter wechseln.

Das alles sind Reize die dich wachsen lassen und am Leben halten. Verschwinden sie oder werden eintönig genormt, verkümmern die Organe und Fähigkeiten. So ist es mit allen Körperfunktionen, vom Hirn bis zum kleinen Zehmuskel: was nicht durch Beanspruchung trainiert wird, baut sich ab, denn es wird nicht gebraucht. Wer drei Monate im Krankenbett liegt, hat danach Schwierigkeiten beim Gehen und muß Laufen erst wieder lernen. Wer nicht kommuniziert, wird Ich-bezogen, wer nicht nachdenkt zum Eintöner und dumpf in Kopf und Reaktionen. Und so weiter...

Ein solcher Prozeß läuft also ab. Die beste Gegenwehr besteht darin, die Sinne und Fähigkeiten weiter zu fordern. Vieles kann ich natürlich vergessen, denn die Umarmung einer Tasse ersetzt nicht menschliche Zärtlichkeit, auch kann ich hundert mal aus dem Fenster schaun, ohne daß sich was groß bewegt oder verändert hat.

Aber ich halte gegen so gut ich kann, auch wenn klar ist, daß sich die Auswirkung auf Dauer nur verzögern oder abmildern lassen. Von den existenziellen Dingen konzentriere ich mich im wesentlichen auf drei:

Als erstes das Denken, die Auseinandersetzung mit Themen außerhalb des Knastes. Hier drin wird analytische Arbeit zum Muß für einen lebendigen und flexiblen Verstand.. Leider war der Theoriebereich noch nie meine Sonnenseite. Der Gedanke: Werner, jetzt setz dich mal konzentriert hin und erarbeite dir eine Position - das kann mehr abschrecken als eine Stunde Frühsport morgens um sechs.

Aber ich will innerlich nicht verfaulen, und so zwinge ich mich in schwierige Bücher und lange Artikel rein, und weil ich den Beschiß kenne, daß das Auge zwar liest aber das Hirn nix davon aufnimmt, mach ich anschließend eine Zusammenfassung des Gelesenen. So läuft die Auseinandersetzung an. Nach dem Aufnehmen kommt das Verstehen, dann das Verarbeiten - also Argumente nebeneinander und in Verbindung stellen - Schlüsse ziehen, Positionen entwickeln... Stöhn!

Auf die Art "lese" ich seit bald zwei Monaten stückweise an einem Buch. obwohl es streckenweise spannend ist, wird die Anlaufzeit immer länger, und ohne 3,4 Stunden am Stück einzuplanen, brauch ich gar nicht erst anfangen. Ich wußte nicht; daß Denken so schwer sein kann, hab mir aber auch selten solche Erfolgserlebnisse abgeholt, wenn es denn klappt.

Als zweite Maßnahme gegen den Stumpfsinn schreibe ich Briefe und lese Zeitung so regelmäßig wie nie, wenn sie kommt.

Beim Schreiben versuche ich einerseits das wenige, was an Kommunikation möglich ist, trotz Einschränkung und Voyeuren auszunutzen. Andererseits trainiere ich mich auszudrücken. Bevor ich euch etwas mitteilen kann, muß ich meine Gedanken und Erlebnisse verarbeiten, wodurch das Schreiben zur erstklassigen Selbstforschung und Bewußtseinsarbeit wird.

Leider taugen Briefe nur begrenzt für Auseinandersetzungen, obwohl sie einem Gespräch am nächsten kommen. Hier sind sie weder thematisch frei noch intim, und so bleibt eine Diskussion flach. Außerdem müssen große Zeiträume eingerechnet werden, wie es den Herrschaften gefällt.

Trotzdem sind die Briefe mein wichtigstes Fenster zur Welt draußen. Sie enthalten persönliche Gedanken, auf die ich antworten kann, sind nicht schlechter oder besser als Sprechen, sondern anders: konzentrierter, überlegter, nicht so spontan. Ich lerne einige Leute neu oder von einer neuen Seite kennen, und das ist machmal huch wie aufregend!

Als drittes boxe, hüpfe, dehne und schwitze ich täglich und ernähre mich hauptsächlich von Obst und Gemüse aus dem Einkauf. Ich ahnte schon draußen, daß zwischen Körper und Psyche unsichtbare Fäden verlaufen, hier drin besteht kein Zweifel mehr. Wenn ich Scheiße fresse - beispielsweise Süßkram bis Oberkante Unterlippe wie am Anfang - häng ich in den Seilen, weil die Verwertung dieser Art von Nahrung mehr Energie kostet als der Körper daraus zieht. Ergo bin ich schlecht gelaunt, geistig und körperlich platt und die Pickel sprießen wie Pilze nach Dauerregen. Und wenn ich paar Tage auf der faulen Haut liege, verkalken nicht nur die Gelenke, sondern die Ströme fließen nicht mehr, die Wechselwirkung zwischen Organen, Hirn und Gefühlen verliert sich in einem fettigen, schleimigen, wabbernden Brei, dem Tummelplatz für Depris aller Arten. Von Durchblutungsstörungen und Kopfschmerzen ganz zu schweigen.

So, das waren die drei Punkte meines Anti-Iso-Programms. Leider funktioniert die Sache nur mit einem relativ straighten Tagesplan, also nichts mit Bockprinzip. Es wird ohnehin immer schwerer die Sachen durchzuziehen, ab und zu leiste ich mir eine Hängerin. Spätestens wenn ich sie in die Länge ziehe, merk` ich sofort, daß Schluß mit lustig ist, daß ich mir sowas keinesfalls länger erlauben darf.

Der Schlaffe steckt in den Knochen, Apathie im Hirn und wachsendes Desinteresse im Herzen, weswegen die kleinste Gegenmaßnahme zum Kampf gegen den Schweinehund wird. Wenn ich alles zusammen zähle, ist der Widerstand gegen die Auswirkungen der Isolation der allererste Kampf um Selbstbehauptung.

Zu den beiden Welten, draußen & drinnen, will ich noch was sagen.

Die Isolation vergrößert nur die eh schon vorhandene Abschottung der Knäste von der Gesellschaft, wie es auch beabsichtigt. ist. Zuerst tat ich alles, um mit der Welt draußen verklebt zu bleiben. Je mehr sie verschwand, desto energischer fightete ich um die Reste.

Da war zum Beispiel ein unstillbares Informationsbedürfnis, mit dem ich die Iso auszugleichen versuchte. Es war unerträglich, nicht zu wissen, was außerhalb der Mauern vor sich geht. Sowohl bezogen auf die große Welt wie auf das Drumherum der Verhaftungen und Durchsuchungen. Erstmals erfuhr ich in Heimsheim durch eine am Gemeischaftshof ausgehängte Zeitung, daß hier angeblich der "Schlag gegen die linke Terrorszene" geführt wurde, gegen AIZ, KOMITEE, RAF etc., alles mal aufgelistet für 50 Einritte. Dann war wieder Sendepause (denn meine Anwesenheit am Gemeinschaftshof ein einmaliges Versehen), aber mein Wissensdurst erstrecht entfacht.

Oder beim Besuch, da flippte ich fast aus vor Aufregung. Einerseits der Streß mit drei Schnüfflern im Nacken und der Scheibe vorm Maul - eigentlich pervers, sowas Besuch zu nennen - andererseits der beknackte Versuch, alles mögliche erfahren und zwei Wochen getrenntes Leben in einer Stunde rüberbringen zu wollen.

Irgendwann wies mir der Frust die Richtung, ich hatte ein Einsehen und hörte auf mit der Quälerei. Ganz übern Berg bin ich noch nicht, aber ich versuche mich abzufinden damit, daß die alte Welt vergangen ist. Sie verschwindet ziemlich schnell und vollständig hinter einem Nebel. Viele Erinnerungen und Phantasien, die mir den Übergang in den Knastalltag erleichterten, haben sich in Träume verkrochen - noch nie träumte ich so ausgiebig wie im hiesigen dream hotel.

Ich bin nicht sicher, ob die Abkapselung von draußen der unvermeidliche Preis (cash hingeblättert) für die Orientierung drin ist, oder ob ich es mehr als Wirkung der Isolation deuten soll ("der Gefangene stumpft innerhalb von Wochen gegenüber seiner Umwelt ab, weil seine Sinnesorgane eintrocknen"). Wahrscheinlich spielt es keine Rolle. Tatsache ist, daß ich kein Doppelmensch in einem sein kann, der gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzt. Und daß sich ein Batzen unnötiger Streß mit zunehmender Distanz auflöst. Bei Briefen und Besuchen geht mir nicht mehr so dermaßen die Pumpe, daß ich kurz vor einem Herzkasper stehe. Stattdessen versuche ich die erlesenen Momente gebührend zu genießen und zu akzeptieren, daß es mehr von der alten Welt nunmal nicht gibt,und fertig.

Mein Mitgefangener Ralf Milbrandt sc:hreibt, "daß es nach der Zeit in den JVAs, keinen Anschluß an alte Beziehungen geben wird, sondern daß in allen Bereichen ein Neuanfang nötig sein wird."

Das dämmert auch mir. Die Kraft eines Teils meiner Beziehungen wird halten, und doch entfernen wir uns voneinander von Monat zu Monat, denn das Leben draußen ist ein anderes, steht nicht so still.

An dem Punkt geben sich die Entfernungen der Welten und die Isolation die Hand. Hier drin lerne ich nienand neu kennen, und so bin ich ganz auf mich zurückgeworfen. Es bleibt gar nichts anderes übrig, als in die Tiefe zu gehen. Zu den unangenehmen Seiten dieser erzwungenen Selbstbeschäftigung gehört, daß eine menge Müll und Schlacke hochspült, daß Schattenseiten beleuchtet werden, auf die ich gar nicht so spitz bin, jedenfalls nicht im Moment. Aber sie sind verschmolzen mit positiven Seiten, die ich nicht besser beschreiben kann als Ingrid Strobl es 1989 getan hat:

"Die Kehrseite zu den Versuchen, dich einzuschränken und zu zerstören ist, daß du dich selber kennenlernst wie nie zuvor. Daß du deine eigene Zähigkeit entdeckst und Kraftreserven, von denen du gar nicht wußtest, daß du sie hast. ... Die Kehrseite des ganzen ist, daß deine Wut und deine Entschlossenheit jeden Tag wachsen. Daß dein Bestehen auf Würde das Selbstmitleid und die Beschränkungen täglich besiegt. Daß sie die Solidarität nicht verhindern können. ... Wirklich unverzichtbar ist, daß du dir selber in die Augen schauen kannst. Daß du dich und deine persönliche Geschichte nicht verrätst. Daß du auch im Knast nicht aufhörst, politisch zu arbeiten und dich weiterzuentwickeln. Daran ist nichts Heroisches. Ganz im Gegenteil, das ist einfach ein elementares Bedürfnis. Man kann ja auch nicht aufhören zu atmen."

Was mich bei allem ermutigt ist die Solidarität. Es wird versucht sie von hier fernzuhalten, und wir haben momentan nicht die Stärke, sie mit Kompressoren (oder so) durch Mauern zu pusten. Aber ich spüre die Solidarität als Wärmewelle. In Sätzen, einem Knaller, in Soli-Veranstaltungen und -Besäufnissen, klitzekleinen Gesten mit riesengroßer Ausdruckskraft, in den vielen Briefen von Leuten die ich zum Teil nicht kenne. Aufzählung unvollständig.

Auch wenn ich nur von mir spreche(n kann) hoffe ich, in meinen Zeilen kommt was von dieser Wärme zurück.

Die Faust zum Gruße!

no justice, no peace!

oder wie olle Brecht sagt:

Wenn das bleibt,

wäs ist

seid ihr verloren.

Euer Freund ist der Wandel.

Euer Kampfgefährte ist der Zwiespalt.

Aus dem Nichts müßt ihr etwas machen,

aber das Großmächtige

Soll zu nichts werden.

Was ihr habt, das gebt auf und

nehmt euch,

Was euch verweigert wird.