Zweieinhalb Jahre Knast für Martin Mersch

Erst Verurteilung im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der KurdInnen im Sommer in Berlin

Zu zwei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilte am 7.11.95 die 2.Strafkammer des Landgerichts Berlin-Tiergarten den 25-jährigen Martin Mersch wegen dem Verstoß gegen das Vereinsgesetz und schwerem Landfriedensbruch . Das Urteil entsprach damit weitgehend dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die dreieinhalb Jahre Haft gefordert hatte. Martin hatte sich vom 20.7.-14.8. 95 an einem Hungerstreik von etwa 120 KurdInnen im kurdischen Kulturzentrum in der Zossenerstraße 41 in Berlin-Kreuzberg beteiligt, nachdem diese Tage zuvor vom Breitscheidplatz durch Polizeigewalt vertrieben worden. Auf dem Weg ins Kulturzentrum starb die Kurdin Gülnaz Baghistani. Am 11.8. entfernte die Polizei entgegen den Willen eines Teils der Hungerstreikenden das Gittertor des kurdischen Zentrums,. woraufhin Steine und Mollis gegen die Bullen flogen. Laut Polizeizeugen habe Martin bei dieser Verteidigung die KurdInnen durch entsprechende Gestik und Handzeichen angeleitet. Zudem habe er vorher versucht, ein Plakat am Gebäude anzubringen, auf dem ein Symbol der verbotenen kurdischen ERNK zu sehen war und die Verantwortung für den Tod Baghistanis der "deutsch-türkischen Republik" zugesprochen wurde. Grund genug für die Richterin, allein wegen des Zeigens verbotener Symbole und grober Verunglimpfung des Staaates fünf Monate Knast zu verhängen. Am ersten Verhandlungstag nach 2 einhalb Monaten U-Haft waren am 2.11. gerade mal drei UnterstützerInnen im ZuhöreIn-Saal erschienen, während sich dort 15 Zivilbeamte breit machten. An beiden Prozeßtagen sind leider keinerlei KurdInnen erschienen.. Wir dokumentieren im folgenden die Prozeßerklärung von Martin Mersch, die er am 7.11.95 in Berlin-Moabit: hielt:

"Das Interesse der BRD am Nato-Partner Türkei ist ein wirtschaftspolitisches.

Die zerfallene UdSSR, der Mittlere Osten und schließlich die Türkei selbst bieten deutschem Kapital neue Markterschließungsmöglichkeiten. Die Türkei soll dabei als Vorposten dienen. Dafür ist eine innenpolitisch stabile Situation erforderlich , d.h., das sog. Kurdenproblem in der Türkei soll durch die Vernichtung der PKK als Vertreterin des kurdische n Volkes scheinbar gelöst werden. Denn eine autonome oder teilautonome kurdische Region läßt die Monopolstellung deutscher Firmen nicht zu.

Deutschland ist Kriegspartner der Türkei

Dardurch, daß die Bundesregierung den Nato-Partner seit Jahren stetig steigend mit Kriegsgerät versorgt, welches ausschließlich für innenpolitische Angelegenheiten verwendet wird, also hauptsächlich gegen die in Nordwest Kurdistan lebende Zivilbevölkerung.

Dadurch, daß seit dem sog. PKK/ERNK-Verbot Kurdinnen und Kurden sowie deren UnterstützerInnen systematisch verfolgt, durch 129a Verfahren kriminalisiert und abgeschoben werden.

Durch das Verbot soll nicht nur die Stimme eines von Vernichtung bedrohten Volkes verstummen, auch Deutsche, die sich z.B. kritisch für die PKK oder zur Asypolitik äußern werden in ihren Grundrechten der Meinung-, Rede- und Versammlungsfreiheit beschnitten.

Erst das Verbot ermöglichte die Legalisierung des Mordes an Halim Dener, der in Hanover beim Verkleben eines ERNK-Plakates von einem SEKler erschossen wurde.

Erst das Verbot ermöglicht die Parallelen deutscher und türkischer Vernichtungspolitik gegen Kurdinnen und Kurden.

In der Türkei werden pro-kurdische Zeitungen verboten, deren Redaktionsräume gesprengt, ihre MitarbeiterInnen ins Gefängis geworfen, gefoltert, entführt und ermordet- in der BRD werden kurdische Vereine geschlossen, Kulturfeiern und Demonstrationen verboten und Medien, die u.a. über die Verfolgung des kurd. Volkes in der Türkei und BRD berichten, durch 129a Verfahren kriminalisiert. So geschehen z.B. mit dem KURDISTAN-REPORT und der antiimperialistischen Zeitung radikal.

In der Türkei werden kurdische Menschen mit deutschen Waffen ermordet und vertrieben - in der BRD werden Demonstrationen und Kulturfeiern von der Polizei eingekesselt und unter Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas sogar Kinder und Greise krankenhausreif geprügelt.

In türkischen Knästen hungern sich politischen Gefangene zu Tode und verbrennen sich selbst als letzten Akt des Widerstand, als letzten Hilferuf für ihr Volk.

In der BRD geschieht das auf Autobahnen. Die Bundesregierung nennt das zynisch "eine neue Form des Terros", die deutsche Öffentlichkeit plärrt nach "freier Fahrt für freie Bürger."

Wenn der Selbstverbrennungstod zweier Frauen und mehr als 200 000 DemonstrantInnen für eine politische Lösung in Kurdistan in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr erreicht als Ignoranz und Schweigen

-was kostet denn ihre Aufmerksamkeit?!

Der weltweite HS war eine Solidaritätsbekundung mit den 10 000 Kriegsgefangenen in den türk. und kurd. Knästen sowie ihre Forderung nach einer politischen Lösung in Kurdistan, Stopp der deutschen Kriegshilfe für das türkische Regime, Beendigung der Folter an politischen Gefangenen und die Entsendung internationaler BeobachterIndelegationen ins Kriegsgebiet.

Ohne ersichtlichen Grund wurden die Hungerstreikenden vor der Kartharinenkirche in Frankfurt a.M. von der Polizei mit äußerster Brutalität zusammengeschlagen. Tags darauf wurden die Hungerstreikenden vom Berliner Breitscheidplatz unter Knüppelschlägen in einem Gewaltmarsch zum 8 km entfernten Deutsch-Kurdischen Freundschaftverein in der Zossener Str.41(Kreuzberg) getrieben. Die durch den HS geschwächte Gülnaz Baghistani starb an den Folgen des Gewaltmarsches. Die Verantwortung für ihren Tod trägt die Bundesregierung, hier vertreten durch Innensenator Heckelmann (CDU).

Nachdem der Hungerstreik über 10 Tage fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit in der Zossenerstr. 41 weitergeführt wurde und auch die von staatlicher Seite erhofften und provozierten Ausschreitungen im Rahmen des Trauerzuges - an dem sich mehr als

20 000 Menschen beteiligten - ausblieben, suchten die Organe aus Regierung und Justiz nach neuen Möglichkeiten, den HS zu beenden.

So geschehen durch die Lüge, wir die Hungerstreikenden, hielten das Eingangstor zum Gebäudekomplex Zossenerstraße 41 verschlossen, wodurch AnwohnerInnen der Ein- und Ausgang verwehrt bliebe. Tatsächlich gibt es heute keine konkreten ZeugInnenaussagen, die die Lüge der Polizei bestätigen . Somit war der gewaltsame Abriß des Tores nichts, als ein weiterer Versuch uns Hungerstreikende zum Widerstand gegen den Staatsterror zu provozieren... Nur durch diesen entschlossenen Widerstand und der mutigen Hilfe einiger hinzugeeilter AntifaschistInnen konnten wir vor weiteren Übergriffen der Berliner Polizei geschützt werden.

Erst nach , bzw. seit dem sog. PKK/ERNK Verbot kommt es mit zunehmender Härte zu Auseinandersetzungen zwischen deutscher Polizei und Kurdinnen und Kurden, die ihre politischen Forderungen äußern. Die Konsequenz daraus muß sein: Die Aufhebung des Verbotes, Freilassung aller politischen gefangenen KurdInnen sowie deren UnterstützereInnen, Anerkennung der PKK als Kriegspartei und die Einstellung deutscher Rüstungslieferungen an den Folterstaat Türkei.

Hoch die Faust

wir werden siegen!!

JVA Moabit, Berlin, den 6.November 1995

Martin soll am 27.11. nach Münster verlegt werden.

Seine Addresse: Martin Mersch, Gartenstraße 26,

JVA, 48 143 Münster (Westfalen).