Hans-Eberhard Schultz, Rechtsanwalt aus Bremen

Haftbedingungen in den neuen

129a - Verfahren-

Im Laufe des Jahres 1994 wurden eine Reihe von Kurdinnen und Kurden wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der gleichen "terroristischen Vereinigung" innerhalb der PKK-Führung wie Kani Yilmaz inhaftiert. Die Gefangenen unterliegen dem 24-Punkte-Haftstatut.

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In einer Presseerklärung seines Verteidigers heißt es hierzu: "Herr Ö. (seit dem 03.07.1994 in Untersuchungshaft) ist schwerbehindert. Bei seiner aktiven Teilnahme am kurdischen Befreiungskampf hat er sich in der Türkei schwere Erfrierungen zugezogen. Seine Beine mußten bis zu den Knien amputiert werden, ebenso seine Fingerkuppen. Entsprechend erfolgte seine Festnahme in Deutschland am 02.07,1994 auch in einem Bielefelder Krankenhaus. ... Aufgrund des dreiundzwanzigstündigen Einschlusses ist Herr Ö. einem Bewegungsmangel ausgesetzt. Seit einigen Wochen leidet er unter dauerhaften starken Schmerzen in den Beinstümpfen; der Streß der Isolationshaft hat zu häufigen Kopfschmerzen und Ermüdungserscheinungen geführt. Alle diesbezüglich gestellten Anträge der Verteidigung wurden abgelehnt oder blieben schlicht folgenlos. Herr Ö. empfindet-seine Haft als Todesstrafe auf Raten. Er fordert daher die Aufhebung der Isolationshaft - sein Zusammenkommen mit anderen kurdischen Gefangenen."

Geändert hat sich bisher nichts. Auch die Umgangsformen haben sich gegenüber früher offenbar nicht geändert. So heißt es in einer Beschwerdeschrift der Verteidigerin einer kurdischen 129a-

Gefangenen vom Dezember 1994 u.a.:

"Bei meinem Besuch in der Vollzugsanstalt Bühl am 29.12.1994 berichtete mir die Mandantin: Im Gefängnis wurde ihr sämtlicher persönlicher Besitz einschließlich der getragenen Kleidung (incl. Unterwäsche!), sogar ihre Armbanduhr, gegen ihren Willen abgenommen, sie wurde gezwungen, Anstaltskleidung zu tragen. All dies geschah ohne eine für sie verständliche Begründung oder Erklärung - meine Mandantin spricht kein Wort deutsch, wie den Justizbehörden bekannt ist. Als von ihr dann weiteres verlangt wurde, was sie nicht verstand - sie vermutet, sie sollte irgendwo hingebracht werden o.ä. - weigerte sie sich und verlangte ihren Rechtsanwalt zu sprechen bzw versuchte dies deutlich zu machen (sie hatte bei der ersten Besprechung mit ihrem damaligen Rechtsanwalt, der später vom Ermittlungsrichter gemäß 146 a STPO ausgeschlossen wurde, Name und Telefonnummer des Rechtsanwalts und den Zusatz in Druckbuchstaben "Telefonanruf dringend" notiert. Dies wurde verweigert. Statt dessen wurde die Mandantin - erneut ohne eine für sie verständliche Begründung oder Erläuterung - gezwungen, sich nackt auszuziehen und in den Keller gebracht und dort in einen ungeheizten Kellerraum für mehrere Tage eingesperrt, in dem es nur eine Pritsche und eine dünne Decke gab. Sie schätzt, daß sie dort drei Tage und Nächte ununterbrochen festgehalten wurde.

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Auch bei dem Bezug von Zeitungen und Zeitschriften hat sich gegenüber der ersten Zeit der Inhaftierung im Düsseldorfer PKK-Verfahren nichts geändert, die Lektüre PKK-naher Zeitungen ist selbstverständlich verboten. Selbst die in der Türkei herausgegebene und dort verbreitete (nicht generell verbotene) Zeitung "Özgür Ülke" dürfen die kurdischen 129a-Gefangenen nicht lesen. Die Besuchserlaubnisse für Privatpersonen werden mit dem Zusatz versehen, für die Überwachung durch das Landeskriminalamt sei ein Dolmetscher der türkischen Sprache hinzuzuziehen. Der Beschuldigten wird angesonnen, auch mit ihren Verwandten und Freunden, die sie besuchen, in türkischer Sprache zu reden. Auch wenn sie diese beherrscht, so besteht sie darauf, mit ihren Verwandten und Freunden, die sie besuchen, sich in ihrer Muttersprache, dem Kurdischen zu unterhalten. Dieses Recht haben die kurdischen Gefangenen sogar in der Türkei in langen schwierigen Kämpfen durchsetzen können, um ihre Identität als Kurden zu wahren. Eine Begründung für die Anordnung eines Dolmetschers der türkischen Sprache ist im vorliegenden Verfahren nicht gegeben worden. In anderen Verfahren hatte der Ermittlungsrichter angeführt, Dolmetscher der kurdischen Sprache seien nicht verfügbar. Dies ist ein offensichtlicher Vorwand. Aus den 129a- Verfahren vor den Oberlandesgerichten Düsseldorf und Celle sowie zahlreichen anderen Verfahren gegen Kurden ist bekannt, daß es in jeder größeren Stadt mehrere zuverlässige Dolmetscher der kurdischen Sprache gibt. Neben dem faktischen Verbot, sich bei Besuchen der kurdischen Sprache zu bedienen, zeigt vor allem das Verbot des Bezugs der Zeitung "Özgür Ülke", daß der Ermittlungsrichter beim BGH offenbar "türkische Verhältnisse" einführen will.

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Die Verteidigung stellt hierzu fest:

Der Errnittlungsrichter beim BGH betont also, daß die PKK wie in der Türkei auch in der Bundesrepublik verboten ist und die "Özgür Ülke" ein Propagandaorgan zur offenen Unterstützung einer PKK-Gewaltpolitik sein soll. Beides ist falsch: Zum einen ist die PKK im Unterschied zur Türkei nicht verboten, nur die Betätigung für sie, weil sie eine Auslandsorganisation ist; der Bezug einer Zeitung in Untersuchungshaft ohne jeden Kontakt zu anderen Gefangenen kann aber schlechterdings keine Betätigung für eine Organisation darstellen, selbst in der Türkei erschien "Özgür Ülke" - jedenfalls bis Ende Januar 1995 - nach wie vor legal, obwohl viele Ausgaben unter verschiedenen Vorwänden beschlagnahmt und ihre Mitarbeiter systematisch terrorisiert, gefoltert und ermordet werden (zuletzt mit den zeitgleichen Bombenanschlägen in Istanbul und Ankara Anfang Dezernber 1994).

Zum anderen ist die Zeitung "Özgür Ülke" weder Propagandaorgan noch Sprachrohr der PKK. Im sogenannten PKK-Prozeß durften die verbliebenen 4 Angeklagten nicht nur "Özgür Gündem" sondern sogar die Zeitung "Serxwebun" und "Berxwedan" (Organe der PKK bzw. der ERNK) beziehen, obwohl sie wegen einer angeblichen "terroristischen Vereinigung" innerhalb der PKK angeklagt und verurteilt worden sind - die allerdings nur bis Oktober 1987 bestanden haben soll. Wir protestieren aufs Schärfste gegen die Beschneidung der verfassungsrechtlich garantierten Informations- und Pressefreiheit und fordern insbesondere die Medienvertreter auf, dafür zu sorgen, daß die deutsche Staatsschutzjustiz nicht zum Büttel des türkischen Militärregime wird. Wir haben daher Gegenvorstellung erhoben, mit dem Ziel, eventuell Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben.

Das Verbot soll offensichtlich zusammen mit den Haftbedingungen die politische, kulturelle und nationale Identität der kurdischen Gefangenen zerstören.