Interview mit Benjamin

Am 9.11.95 konnten wir - nach vielen Schwierigkeiten - mit Benjamin in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit ein 45 minütiges Interview machen.

? Warum bist Du Teil des Kollektivs der baskischen politischen Gefangenen geworden? Du bist doch von Deiner Herkunft her kein Baske!

! (....) Wenn Du Dich mit Euskadi solidarisch zeigst und Unterstützung dafür leistest, wird das kriminalisiert. Deswegen begreife ich meine Kriminalisierung als Teil dessen, was gegen Euskadi, gegen die Oppositon dort läuft. Sieh mal (...) ich habe die baskischen und die katalanischen Gefangenen besucht und ihnen geschrieben. Also, in Teneriffa - das ist eine Kolonie, eine afrikanische Insel, die aber zu Spanien gehört - gibt es einige Gefangene, die unter sehr schlechten Bedingungen leben. Die wissen, daß ich im Knast bin. Viele wissen, daß ich im Knast bin. Viele wissen, daß ich hier wegen meiner Unterstützung und Solidarität für Euskadi kriminalisert werde. Ich bekomme Post von diesen baskischen Gefangenen und sie behandeln mich als Genossen. Sie sind jetzt im Hungerstreik, weil sie fordern, daß zumindest ihre grundlegenden Rechte respektiert werden. So ist das Kollektiv. Wenn Du wegen Deiner Solidarität kriminalisiert wirst, nehmen die baskischen Gefangenen Dich auf und unterstützen Dich.

? Du bist in Katalonien aufgewachsen und hast Dich dort an der linken Unabhängigkeitsbewegung beteiligt. Wie hast Du Dich politisiert?

! (...) Wen Du aus einer LandarbeiterInnenfamilie kommst und unter der Repression leidest, was machst Du dann? Ich habe mir nur die Realität bewußt gemacht und dann ist es normal, daß Du Widerstand leistest. Nicht alle, die unter Repression leiden, ziehen daraus eine Konsequenz. Gut, ich habe das gemacht. Die Ungerechtigkeit ist da, um bekämpft zu werden! Es gibt keinen Mittelweg. (...)

? 1977 warst Du auf einer Demonstration zum katalanischen Unabhängigkeitstag, auf der ein Junge erschossen wurde.

! Ich war vierzehn und trug eine rote Fahne. Ich war damals in der Schule und dort wurde mir klar, daß wir KatalanInnen ein Volk sind mit einer eigenen Sprache (...) In dieser Zeit herrschte eine Umbruchstimmung, alles war "erlaubt". (...) Auf der Demonstration hörte ich dann Schüsse und ein Junge, der in meiner Nähe ging, starb. Die Schuldigen wurden niemals gefunden. Er heißt Gustavo. Das ist mir sehr nahe gegangen, auch wenn ich ihn nicht gekannt habe. Die Tatsache, daß er aus denselben Gründen da war wie ich, reichte mir. Deswegen nennen mich die Leute Gustavo. Sogar die spanischen Polizisten, die mich hier verhaftet haben, nannten mich Gustavo, als sie mich verhören wollten.

? Eine Kritik von Teilen der deutschen Linken am Konzept der Nationalen Befreiung ist, daß die soziale Emanzipation der Orientierung auf die Unabhängigkeit untergeordet wird. Wie siehst Du das?

! (...) In Euskadi gibt es seit 35 Jahren den bewaffneten Kampf. Bevor Franco starb (...) wurde kritisiert, daß die ETA sozialistisch sei. Sie wollte Unabhängigkeit und Sozialismus! Die baskische ArbeiterInnenbewegung, und das ist der kämpferischste Sektor, ist Teil der baskischen Unabhängigkeitsbewegung. (...) Im September gedachte man dem 20. Jahrestag der Ermordung von Txiki.(1) (...) Also Txiki schrieb in einem Brief, er kämpfe für die Freiheit aller Völker im spanischen Staat, bis der Sozialismus erreicht sei. Die Unabhängigkeitsbewegung will kein bestimmtes politisches Modell durchsetzen - was eingefordert wird, ist das internationale Recht der Völker auf Selbstbestimmung und die Respektierung dieses Rechts. Und wenn einmal eine Garantie dafür besteht, und wenn einmal das Territorium Euskadis wiedervereinigt ist, dann sollen alle Parteien und Bewegungen Euskadis diskutieren, wie sie sich die Zukunft vorstellen. Es wird immer das Volk sein, das entscheidet, das Volk wird befragt werden. (...)

? Du hast vorhin gesagt, daß Du Dir sowohl mit katalanischen als auch baskischen Gefangenen geschrieben und sie besucht hast. Vielleicht kannst Du erzählen, unter welchen Bedingungen sie in den Gefängnissen leben, damit Leute hier besser verstehen können, was Dich erwartet, wenn Du ausgeliefert wirst.

! Also auf der Ebene der Strafen, von den Jahren her, ist es so, daß es schon für kleine, unbedeutende Delikte viele, viele Jahre Knast gibt. Es gibt kein lebenslänglich, aber es gibt Leute, die haben 50, 100, 200 Jahre. Das Kollektiv der katalanischen Gefangenen (2) ist ziemlich klein, aber das der baskischen Gefangenen zählt mehr als Tausend Personen, wenn man die Totalverweigerer mitzählt, also bei drei Millionen EinwohnerInnen tausend politische Gefangene.

Von ihren Bedingungen her sind sie einem permanenten, konstanten Druck unterworfen, ihre Ideen und politischen Überzeugungen zu verraten und mit dem System zusammenzuarbeiten. (...)

1987 wurden die baskischen Gefangenen in Knäste des gesamten spanischen Staatsgebietes außerhalb Euskadis verteilt, sie entfernten sie aus ihrem kulturellen Umfeld. In den Knästen sind sie mit den verschiedensten Formen von Repression konfrontiert. Du kannst ganz isoliert werden, oder sie machen Dir kleine Zugeständnisse, um sie Dir gleich wieder wegzunehmen, um Dich langsam zu zerstören. Was auch sehr schlimm ist, daß die ganze Repression nicht nur auf die Gefangenen selbst abziehlt, sondern auch die Familien trifft! Für Besuche müssen sie lange Fahrzeiten von tausenden von Kilometern in Kauf nehmen. Bis auf die Kanarischen Inseln, das sind 3000 Kilometer. (...) Du machst also die Reise und dann triffst Du Deinen Sohn, Deinen Genossen, Deinen Bruder, den Gefangenen nicht, weil sie sie in einen anderen Knast verlegt haben. Und was oft passiert, ist daß die Polizei die Gefangenen bei den Verlegungen schlägt. (...) Abgesehen davon, daß sie Deine politischen Überzeugungen zerstören wollen, wollen sie auch Deine Gesundheit kaputt machen. Es sind schon Gefangenen im Knast krank geworden und gestorben. (...) Ich kann Euch den ganz aktuellen Fall von Pilar Ferreira (3) erzählen, einer baskischen Gefangenen. (...) Sie operierten sie und haben sie danach im Knast, mit Tropf und allem, mit Handschellen ans Bett gefesselt. Die Praxis der Verteilung der baskischen Gefangenen ist illegal, wird aber von allen politischen Parteien geduldet. Nach acht Jahren kann man heute sehen, daß sie nicht gewirkt hat. Man kann die Zahl der Gefangenen an dieser Hand abzählen, die aufgegeben haben; die wegen der Repression (...) entschieden haben zu sagen, daß der Kampf für die Freiheit von Euskade nicht gerecht ist, daß die Selbstbestimmung Unsinn ist, daß es ja schon eine Demokratie gibt. Die das in einem öffentlichen Diskurs vertreten um eine Verringerung ihrer Strafe zu erreichen, das sind wirklich ganz wenige.

Das Interview wurde von zwei PolizistInnen des LKA und mehreren Schließern überwacht. Wir durften mit Benjamin Ramos nur deutsch sprechen; unser Gespräch wurde dann von einer Dolmetscherin, die das LKA bestellt hatte, zu großen Teilen sinnentstellend übersetzt. Die Kosten für die Überwachung und die Übersetzung sollen wir gemäß dem Beschluß des Kammergerichts selbst tragen. Das Interview wurde von uns noch einmal übersetzt und gekürzt.

Anmerkungen:

  1. Txiki - aus Südspanien stammendes ETA-Mitglied, der kurz vor Ende der Franco-Diktatur am 27.12.75 zusammen mit vier anderen linken Militanten hingerichtet wurde.
  2. Das katalanische Gefangenenkollektiv besteht derzeit aus acht Gefangenen.

Pilar Ferreiro ist wie Benjamin als Katalanin wegen "Unterstützung der ETA" inhaftiert.