Interview mit Traudl Vorbrodt von Pax Christi

Die katholische, internationale Friedensbewegung Pax Christi geht zurück auf eine Versöhnungsinitiative von Franzosen und deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich. In nahezu allen Ländern gibt es inzwischen kleinere und größere Gruppen, in Deutschland (seit 1948.) zur Zeit etwa 250. In Berlin vor allem eine zu Asylfragen kontinuierlich arbeitende Gruppe, zu der auch Traudl Vorbrodt gehört. Aus der traditionellen Friedensbewegung stammend, beginnt sie 1981, als die "ersten großen Flüchtlingsströme"aus Sri Lanka und Afrika nach Deutschland kommen, sich mit Menschenrechtsfragen auseinanderzusetzen. Geprägt wurde sie besonders durch Mutter und Großmutter, die während der Nazizeit jüdische Kinder aufgenommen und zur Flucht nach England verholfen haben. Seit 1983 widmet sie sich außerberuflich der Menschenrechts und Flüchtlingsarbeit im Rahmen von Pax Christi.

?: Wie haben Sie denn Ihre Arbeit mit Flüchtlingen begonnen?

!: Traditionell karitativ. Winterkleidung und Spielzeug gesammelt, bei Hausaufgaben geholfen und bei Behördengängen begleitet.Die eigentlich politische Arbeit hat sich erst innerhalb der ersten Jahre ergeben. Du lernst die Menschen besser kennen, das Interesse wächst, du fragst, wo kommen sie her, warum kommen sie, wie werden sie behandelt und wie fühlen sie sich hier? Dann habe ich erst allmählich mitbekommen, das passiert ja alles auf Grundlage von geltenden Gesetzen, dann die Fragen wer ist dafür verantwortlich, wer führt sie aus, aber auch, was kann man dagegen tun? Stück für Stück vorankommen, aber die politische Arbeit bezieht sich meistens auf Einzelfälle, wenn nicht ganze Gruppen ähnliche Probleme haben. Seit 1990 bin ich Mitglied in der sogenannten Härtefallkommision. Dort werden humanitäre Härtefälle geprüft, das kann aber nicht eingeklagt werden, ein Anwalt kann da kaum was machen, ist reine Auslegungssache der Ausländerbehörden, ob aus humanitären Gründen der Aufenthalt gewährt wird oder nicht.

?: Wieviele Menschen können sich denn über den Weg der Härtefallkommision vor ihrer Abschiebung retten?

!: Das waren bis jetzt 250- 300 Fälle im Jahr und davon konnten 75 - 80 % positiv für die Betroffenen gelöst werden. Aber das ist natürlich nichts, wenn in einem Jahr 3000 abgeschoben werden und dazu muß ich noch sagen, daß ich befürchte, daß dieses Gremium jetzt nach der Berlin - Wahl abgeschafft wird, denn wir sind kein geliebtes Kind.

?: Wie Sie vorhin bereits erzählt haben, hat sich ihre Arbeit deutlich verändert. Inzwischen betreuen sie zahlreiche Menschen in den Abschiebeknästen.

!: Das war eine zwangsläufige Entwicklung. Menschen die ich gekannt, betreut, im Asylverfahren begleitet habe und die dann abgelehnt wurden, kamen in Abschiebehaft und ich habe sie natürlich besucht und darüber die Zustände dort kennengelernt. Bis 1986 (bei einem Brand im Abschiebeknast Kruppstr. in Berlin kamen damals 6 Flüchlinge ums Leben) war es noch nicht ganz so schrecklich. Da war es möglich, mit den Menschen persönlich Kontakt aufzunehmen, man konnte mit denen zu Tisch sitzen und reden. Nach dem Brand wurden die Sicherheitsvorkehrungen so verschärft, wie in kaum einem Sondertrakt der Justizgefängnisse.

?: Wie sind denn die Bedingungen in der Abschiebehaft?

!: Also Abschiebehaft in Berlin, Zur Zeit gibt es 2 große Abschiebehaftanstalten außer dem Neubau in Berlin - Grünau: Kruppstr. für Männer und Mc. Neal - Kaserne für Frauen. In der Kruppstr., das kann sich einfach niemand vorstellen, wie das aussieht.

Die Zellen mit 8 Betten sind mit Gitterstäben wie in einem schlechten Krimi oder einem Löwenkäfig umgeben, Doppelstockbetten. Die 8 Menschen meist aus 8 verschiedenen Nationalitäten, die sich in der Regel überhaupt nicht verständigen können. Der Alltag sieht so aus, 23 Stunden Zelle, 1 Stunde Hofgang, Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es nicht, alles aus " Sicherheitsgründen ". Man muß sich das einfach ganz brutal vorstellen, die Leute dürfen nichtmal einen Bleistift haben. Es gibt manchmal Spielkarten und ein Zellentrakt darf nach Maßgabe des Vollzugspersonals stundenweise fernsehen, aber nur bis 22 Uhr, dann ist egel was läuft, es wird ausgemacht. Die Menschen dürfen nicht auf Toilette, wenn sie wollen, nicht rauchen, wenn sie wollen, d.h. wenn einer pullern muß, die Wache fragen und oft etliche Zeit warten. Es gibt sogenannte Naßzellen, nicht abschließbar und die Wache steht daneben; Intimsphäre oder was auch immer überhaupt nicht drin.

Zwar jeden Tag Besuchszeit (zw. 14 - 18 Uhr) aber nach Maßgabe des Bewachungspersonals. Dazu Nummern ziehen, der Einlaß ist jede halbe Stunde, es können aber nur 5 Personen ( von 170 ) gleichzeitig besucht werden. Die Besucherzellen müssen Sie sich vorstellen wie Startboxen beim Hunderennen, dicke Panzerglasscheiben, entweder man brüllt sich durch die Scheibe an oder runterbeugen zum durchlöcherten Metallstreifen unterhalb der Scheibe; also entweder zugucken oder zuhören. Maximal eine halbe Stunde unter Bewachung natürlich. Selbstgekochtes Essen darf nicht mitgebracht werden, nur Fertigprodukte, nichts in Gläsern, Glasflaschen oder undurchsichtigen Plastikflaschen. Keine Dinge wie z.B. ein Kamm, Kaffee muß ausgeschüttet werden in einen Teller, Zucker u.ä. genauso. Und alles mit der Begründung "Sicherheitsaspekt", keine Radios, keine Uhr.

?: Sollen über diese "Sicherheitsaspekte" Selbstmorde verhindert werden?

!: Ja, in erster Linie wird so argumentiert, um Selbstmorde zu verhindern, für viele ein letzter und verzweifelter Ausweg. Diese Menschen können überhaupt nichts mehr dazu beitragen ihre Situation zu verbessern, sie sind völlig ausgeliefert. Sie wissen, von da führt der einzige Weg ins Flugzeug, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Viele haben Angst, in Krieg und instabile politische Verhältnisse zurückzukehren, es kommt die Überlegung, eh mir das passiert (und das betrifft oft Menschen mit großer Angst vor körperlichen -Schmerzen und vor allem ehemalige Folteropfer), versuch ich mich umzubringen. Und nicht mal mehr das ist möglich, klingt vielleicht zynisch, aber ich würde jedem zugestehen, selbst zu entscheiden, ob er noch leben will oder nicht, aber nicht mal das dürfen, können sie mehr.

Sicherheit natürlich auch für`s Wachpersonal. Man darf z.B. keine scharfen Gewürze mitbringen, weil sie das dem Wachpersonal in die Augen kippen könnten, vielleicht auch täten, denn die Stimmung ist mehr als gereizt.

?: Wie läßt sich denn das Verhältnis zwischen Wachpersonal und Eingesperrten beschreiben.

!: Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Stimmung ausgesprochen aggressiv; Man muß sich das so vorstellen, hier ist der Herr und da der Knecht. Es herrscht ein ausgesprochener Befehlston. Es gibt ganze Wachschichten, die die Inhaftierten grundsätzlich duzen und in "Geistig - Behinderten - Deutsch" ansprechen und dadurch wird die Stimmung natürlich aggressiv. Es gibt ständig irgendwelche Prügeleien, Rempeleien und ständiges Anbrüllen gehören zur Normalität. Das kann man auch überhaupt nicht auffangen, denn was kann den Flüchtlingen schon passieren, was Schlimmeres als abgeschoben zu werden kann nicht geschehen, sie können viel " Glück " haben und in die Justizvollzugsanstalt verlegt werden. Wenn sie da nicht in U-haft sondern in den Normalvollzug kommen, haben sie wenigstens einen gewissen Freiraum.

?: Wie sieht es denn überhaupt mit der Verständigung aus, DolmetscherInnen gibt es doch bestimmt nicht?

!: Nee, gibt es nicht und das Wachpersonal kann in der Regel außer deutsch auch nischts. Wo ein Dolmetscher dazukommt, ist beim Haftprüfungstermin. Der vollzieht sich aber im 3 - Minuten - Takt. Es soll aber auch schon vorgekommen sein, daß sich der Richter 10 Minuten mit einem unterhalten hat, ich war nicht dabei.

?: Wieviele Richter entscheiden das denn?

!: Einer.

?: Der ist für sämtliche Abschiebehäftlinge zuständig?

!: Ja.

?: Wieviele Menschen sitzen denn aktuell in Berliner Abschiebeknästen?

!: Ziemlich genau 250, wobei 170 Männer und der Rest Frauen und dazu gibt es noch etliche in den sogenannten Gefangenensammelstellen, für die, die gerade aufgegriffen werden.

?: Sie machen ja jetzt schon etliche Jahre diese Arbeit. Werden die Bedingungen denn immer schlechter oder können Sie durch ihren Einblick in diese Maschinerie in Einzelfällen mehr herausholen?

!: Also, man kann sicher wenn man sich sehr darum kümmert im Einzelfall mehr herausholen. Je mehr Leute es gibt, desto mehr kann auch erreicht werden, es ist halt tierisch arbeitsintensiv. Aber es ist wichtig, daß die Leute nicht vergessen werden, sie noch den Kontakt nach draußen haben. Es ist auch wichtig, Öffentlichkeit herzustellen.

Es ist auch eine Premiere, daß es die Ini gegen Abschiebehaft gibt und das gab es zwischen 83 und 93 nicht, daß junge Leute wirklich dahingehen, auch daß Rechtsanwälte regelmäßig zu Beratungsgesprächen reingehen. Ist sicher trotzdem so gut wie nichts, aber immerhin.

?: Wie lange sitzen denn diese Menschen in der Regel in Abschiebehaft?

!: Nach Auskunft der Ausländerbehörde - Innenverwaltung bis zu 14 Tage, nach unserer Erfahrung die meisten über 4 Wochen und sehr viele monatelang. Offiziell dürfen sie ja bis zu 18 Monaten sitzen und wir kennen auch immer wieder Menschen, die über ein Jahr sitzen, und das eben ohne eine Verurteilung, ohne jemandem etwas getan zu haben. Das ist das deprimierende im Vergleich zur Justiz. Dort bist du nach einer festen Zeit wieder frei, jeder Tag ist einer weniger, in Abschiebehaft unter diesen ekelhaften Umständen ist das alles so ungewiß, auswegslos einfach. Hast keinen Besuch, hast einfach Angst vor "Zuhause" und irgendwann holen sie dich.

?: Wie sieht es denn mit der medizinischen Versorgung aus.

!: Schlecht, ganz schlecht! Der Polizeiarzt kommt nur, wenn die Wache es dramatisch genug schildert, aber es wird nichts für psychosomatisch Erkrankte getan, für chronische. Ganz hart ist es für die Junkies, denn in der Abschiebehaft gibt es immer kalten Entzug, denen gehts echt dreckig

Der Polizeiarzt kann vielleicht seine Arbeit ernst nehmen, aber er gehört einfach zur gegnerischen Partei. Wenn er als Polizist kommt gibt es einfach kein Arzt - Patienten - Vertrauensverhältnis.

Da gibt es auch nicht die Solidarität der Geknechteten untereinander! Letztes Jahr hatten welche mitbekommen, daß in ihrer Zelle 2 HIV-positive saßen, die wurden eben völlig ausgegrenzt; kam raus, weil auf dem Begleitzetteln der Wachmannschaft groß und rot stand HIV, und dann ging sie eben los die Hatz; eine Zelle hat nur einen Rasierapperat und die hatten natürlich Schiß.

?: Wie ordnet sich denn ein solcher Umgang mit Menschen aus anderen Ländern in eine Gesellschaft ein, die von sich behauptet, eine der reichsten, freiesten und liberalsten zu sein?

!: Naja, behaupten tut das ja vor allem die politische Führungsschicht. Der normale Mensch merkt davon nichts, der kann nicht nachvollziehen, daß er reich ist, wenn die Knete gerade dazu langt, die nächste Rate zu bezahlen oder die Überziehungszinsen vom Konto abzustottern. Auf Ämtern und Behörden wirst du ja auch nicht gerade gut behandelt, wenn Du Durchschnitt bist. Wir haben hier in Berlin idiotisch viele Arbeitslose, wir haben eine frustrierte Jugend, die nicht den Job kriegt, den sie haben will oder rumhängt, die sich relativ wenig Gedanken macht über Zukunft, und wir haben hier vor allem nur noch wirtschaftlichen Erfolg, der zählt. Wenn ich den nicht habe und mich geniere, glaube ich halt lieber, daß andere Schuld sind, z.B. die, die in unser Land kommen. Besonders erschreckend ist der rapide zunehmende Nationalismus. Wenn man hier über die Straße geht hört man zunehmend die Leute sagen "unsere dt. Jungs können endlich Blauhelme werden", sie nennen das dann schnelle Eingreiftruppe oder friedenssichernde Maßnahme. Endlich sind wir wieder wer! Macht! Und da gehört einfach eins zum anderen.

?: Glauben Sie, daß durch diese ganzen Maßnahmen Flüchtlinge davon abgebracht werden in die Länder zu kommen , durch die sie jahrhundertelang ausgebeutet wurden?

!: Das läßt sich zum Glück nicht ganz realisieren. Es werden immer welche kommen. Aber was für mich so bedrückend ist, wirklich bedrückend, daß nur noch die Menschen flüchten können, die genug Geld dafür haben. Die ganz Elenden oder schwer Verfolgten können nicht mehr flüchten. Die schaffen es nicht, Geld aufzutreiben und hierher zu fliegen oder mit nem Schlepper. Das ist, wovor ich Angst habe.

Was wird passieren, wenn diese Menschen, die so behandelt wurden, in ihren Ländern erzählen, was ist Demokratie? Demokratie ist ein großer Müll. Was für einen Begriff von Demokratie die mit nach Hause nehmen, die von hier abgeschoben werden. Wenn 100 000 Menschen erfahren, daß parlamentarische Demokratie nämlich Unterdrückung, Unrecht, Ausgrenzung, Nationalismus und Gewalt ist. Das alles hat mit dem wir-sind-alle-gleich oder mit dem Karitativen relativ wenig zu tun. Das ist nur täglich kaputtgehende Zukunftsvision. daß wir es doch nicht schaffen, daß es eine gerechte Weltordnung gibt. Das wäre doch eine Chance, wär das doch, wenn wir das den Leuten vermitteln könnten.

?: Vielleicht weil mensch nicht vermitteln kann, was nicht da ist. Wir leben nun mal in keinem gewaltfreien oder herrschaftsfreien System.

!: Das meinte ich ja mit meiner täglich ein bißchen mehr kaputtgehenden Utopie, daß ich gehofft habe, daß wir das mal schaffen.

?: Was wäre denn trotz allem Pessimismus Ihre konkrete Hoffnung?

!: Naja, das ist immer so schwer. Ich hoffe wirklich, daß die jüngeren Leute nicht mehr so viel mit sich machen lassen. Die sollen endlich wieder Mut haben und nicht glauben, es passiert ihnen was, wenn sie Eltern, Lehrer, Professoren anmeckern, sie sollen nicht mehr so angepaßt sein. Also das wäre meine Hoffnung. Nicht gucken wie bekomme ich die tollen Klamotten, mehr schauen, was macht mir eigentlich wirklich Spaß. Und wenn man selber Freunde hat, dann geht man auf den anderen viel positiver zu, anstatt immer Angst zu haben. Einfach was ausprobieren, das können doch junge Leute.