LOTTA DURA

 

Nr. 9/97

 Theorie

 

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Soziale Frage - Rechte Antwort

Die Mutation der FPÖ zur 'Arbeiterpartei' samt eigener Gewerkschaft, ÖGB-Funktionäre, die gemeinsam mit den Behörden auf Baustellen 'Illegale' jagen, dazu ein sozialdemokratischer Gewerkschaftschef, der meint, die FPÖ sei "in der Ausländerfrage ein gelehriger Schüler des ÖGB" - was ist bloß los mit unserer 'Arbeiterklasse'? Viele Linke stehen wieder ratlos vor der Tatsache, daß ihr vermeintlich revolutionäres Subjekt gegen seine noch vermeintlicheren objektiven Interessen handelt.

 

"WOLLT IHR DEN TOTALEN MARKT?"

In einem jüngst bei "Knaur" erschienenen Buch wird der Versuch unternommen, den Neoliberalismus als "Parteidoktrin" der Rechtsextremen in Deutschland und Österreich zu identifizieren1. Das "Antifaschistische Infoblatt" kommt nach dessen Lektüre zum Schluß, daß "die modernisierungsbereiten, an der FPÖ orientierten Teile der extremen Rechten (...) auf eine radikale Interpretation des neoliberalen Gesellschaftsentwurfs setzen und sich dabei deutlich vom historischen Faschismus abgrenzen"2. Wenn wir mal außer acht lassen, daß der Faschismus den Liberalismus zwar als Weltanschauung bekämpfte, seine ökonomische Prämisse - das Privateigentum - aber teilte, die Abgrenzung so deutlich also gar nicht ist, dann drängt sich immer noch die Frage auf, warum der Anteil von ArbeiterInnen an der WählerInnenschaft rechtsextremer Parteien derart rapide wächst.

 

Zwei Erkärungsansätze herrschen hier vor: Der eine geht aus von einer totalen Herrschaft des Neoliberalismus - also auch über die Köpfe der ArbeiterInnen. Diese würden der umfassenden Durchsetzung des Konkurrenzprinzips, dem Sozialabbau, der Deregulierung und Privatisierung, der Liberalisierung der Märkte u.ä. zustimmen. Der andere Ansatz hebt die sozialdemagogische, rassistische Mobilisierung des Proletariats hervor. Dieser Moment würde den faschistischen Charakter der modernen rechtsextremen Parteien ausmachen: Als (klein)bürgerliche Bewegungen mit dem entsprechenden Interessengehalt verbreitern sie ihre soziale Basis, indem sie vorgeben, für die Interessen der ArbeiterInnen zu kämpfen. Sie hätten dann notwendig auch einen zweiten Flügel und einen charismatischen Führer, der mit seiner Autorität den Widerspruch zwischen den Fraktionen am Aufbrechen hindert. Der Charakter der FPÖ als autoritäre Führerpartei gründet sich demnach weniger in der Persönlichkeitsstruktur Haiders als in der Heterogenität der vertretenen Interessen.

 

Während sich für die AutorInnen des erwähnten Buches die Frage nach der Massenbasis rechtsextremer Parteien gar nicht stellt, wollen wir im folgenden versuchen, zu zeigen, daß im Falle Österreichs und der FPÖ beide Ansätze zutreffend sind. Da der neoliberale Charakter der FPÖ im Buch (verabsolutierend) bereits dargestellt ist, beschränken wir uns dabei aber weitgehend auf ihre sozialdemagogischen Züge.

WIE NEOLIBERAL IST DIE FPÖ?

In ihrem Versuch, die rechtsextremen Wahlparteien von der NSDAP abzugrenzen, stellen die AutorInnen zunächst die Behauptung auf, die "politischen Ziele" ersterer seien nicht wie im Falle zweiterer "schlagwortartig artikuliert, sondern detailliert ausgeführt, theoretisch begründet und widerspruchsfrei" (S. 10). Da tun sie aber zumindestens der FPÖ zuviel des Guten: Ist es schon mit der Detailliertheit und theoretischen Begründung des immer noch gültigen FPÖ-Programms von 1985 im Vergleich mit dem NSDAP-Programm von 1920 nicht so weit her, zeugt die Behauptung von Widerspruchsfreiheit im FP-Programm von selektiver Wahrnehmung. Tatsächlich werden zielstrebig nur jene Stellen zitiert, mit welchen sich der wirtschaftsliberale Charakter der FPÖ belegen läßt. Daher wollen wir im folgenden ein paar unterschlagene Passagen aus dem FP-Programm anführen: "Ausbeutung lehnen wir ab" (Ziffer 43), "harmonisches Gleichgewicht (...) zwischen Kapital und Arbeit" (Z. 47), "notwenige Schutz sozial Schwacher" (Z. 227), "Wir betrachten das Recht auf Arbeit als soziales Grundrecht und wollen es in der Verfassung verankert wissen" (Z. 242), "bekräftigen unsere Überzeugung, daß ungezügelte Wirtschaftsfreiheit dort unannehmbar wird, wo sie zur Ausbeutung führt, die Situation der sozial Schwachen mißachtet oder die Interessen des Gesamtwohles verletzt" (Z. 246).

Wie es um die angebliche Widerspruchsfreiheit bestellt ist, belegen auch die Auseinandersetzungen um das neue Programm: Nicht nur aufgrund der Uneinigkeit bezüglich des Verhältnisses zum organisierten Christentum mußte der Programmparteitag auf Herbst '97 verschoben werden. Die Frontstellung zwischen den beiden Flügeln, von der "Jungen Freiheit" als Modernisierungsverweigerer und Modernisierer identifiziert, zeigte sich u.a. am Parteitag letzten November. Dort forderte die F-Nationalratsabgeordnete Aumayer per Zusatzantrag "die Einführung von Schutzzöllen", wogegen "sich Vertreter des Wirtschaftsflügels" mit Erfolg stemmten3. Ähnlich falsch ist die Behauptung der AutorInnen, die rechtsextremen Parteien hätten das Konzept der "Volksgemeinschaft" ad acta gelegt und statt dessen würden in der Agitation "kollektive durch individuelle Interessen ersetzt" (S. 10). Als Bestandteil antiklassenkämpferisch-harmonizistischer Ideologie, die soziale Interessen bzw. Herrschaft entnennt, ist der Volksgemeinschaftsdiskurs konjunkturell abhängig vom Stand sozialer Kämpfe. Tatsächlich ist im sozialpartnerschaftlich-stabilen Österreich der exzessive Gebrauch volksgemeinschaftlicher Propaganda (noch) nicht erforderlich. In der Politik der FPÖ hat sie dennoch ihren festen Platz. Haiders diesbezüglicher Kommentar zur Programmdiskussion Anfang der 80er Jahre gibt bis heute die Richtung vor: "Dabei ist auf das Bekenntnis zur Volksgemeinschaft besonderer Wert zu legen, die eine organische und ethische Gebundenheit des Menschen in verschiedenen Gemeinschaften, von der Familie bis zum Volk, zum Ausdruck bringt. Damit grenzen wir uns von materialistischen Ideologien ab, für die der Mensch nur ein einzelhaftes Wesen in einer gesichts- und bindungslosen Gesellschaft darstellt!"4. 1989 verlangte Haider eine "Rückkehr zu ganzheitlichem Denken, frei von jedem Gruppenegoismus"5. Vier Jahre später sprechen die programmatischen "Freiheitlichen Thesen zur politischen Erneuerung Österreichs" von einer "Absage an das egozentrische Weltbild" und ersetzen das "Gemeinnutz vor Eigennutz" der NSDAP durch ein "Gleichgewicht zwischen persönlichen Sorgen und der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft."6 Die 'soziale Volksgemeinschaft', zu der sich die FPÖ nach wie vor bekennt, ist im Unterschied zur bürgerlichen Gesellschaft nach innen nicht über Besitz strukturiert, sondern über das sog. Leistungsprinzip. Demnach stellt sich eine identitäre Hierarchie über die Gemeinsamkeit des 'redlichen Schaffens' dar: 'Kapitalist' wie 'Arbeiter' sind - unter ideologischer Ausblendung ihrer unterschiedlichen Stellung in der gesellschaftlichen (Re)Produktion - gleich in ihrem Willen, durch 'Leistung' es zu etwas zu bringen. Haiders "Gemeinschaft der Tüchtigen" wird neben Rassismus (s.u.) und der Akzeptanz des Leistungsprinzips auch durch Verzichtsphilosophie zusammengehalten. Marcuse sprach bereits im Falle der NS-Ideologie von "einer radikalen Entwertung der materiellen Sphäre des Daseins", von einem "'Heroismus' der Armut und des 'Dienstes', des Opfers und der Zucht."7 Derartige Töne schlägt heute u.a. der ehemalige FP-Chefideologe Andreas Mölzer an. Im zunehmend rechtsgewirkten Zentralorgan der heimischen Industrie ruft er nach "einer neuen Bescheidenheit: Konsumverzicht, Zufriedenheit auch mit geringeren Erlösen, ohne statt dessen auf Sozialhilfe und Arbeitslosengeld zurückzugreifen."8 Die Meinung der AutorInnen, wonach Nationalismus und Rassismus zugunsten der "Tauschregeln des freien Marktes" (S. 11) als integrative Ideologie ausgedient hätten und die soziale Frage nicht mehr in der nationalen aufginge, ist ebenso unrichtig. Schon die unüberhörbaren "Österreich zuerst!"-Schreie der FPÖ, das obligate Gegenüberstellen von MigrantInnen und inländischen Arbeitslosen usw. müßte eigentlich einer derartigen Einschätzung entgegenstehen.9 Gleich jeder anderen Ideologie, die auf dem Boden des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der marktförmigen Vergesellschaftung steht, sieht sich auch der Neofaschismus mit dem Problem konfrontiert, wie sich aus der Masse der konkurrenzierenden Wirtschaftssubjekte ein 'Volk' bilden läßt. Die Antwort, die bei Faschisten etwas heftiger ausfällt, wird seit jeher in der Imagination der nationalen Gemeinschaft bzw. 'Identität' gesucht und gefunden.

 

DER NATIONALE "SOZIALISMUS" DER FPÖ

Daß, wie die AutorInnen weiters feststellen, die rechtsextremen Parteien heute weitgehend ohne sozialistische Rhetorik auskommen, liegt wohl eher in der hegemonialen Schwäche der Linken begründet. Haider z.B. würde sich als waschechter Sozialist geben, falls hierzulande eine revolutionäre Stimmung vorherrschen würde. Doch ganz ohne Sozialdemagogie geht es auch heute nicht ab, und es ist mehr als eine Fleißaufgabe, wenn sich Haider als Linker outen läßt: So attestiert ihm der mittlerweile geschaßte FP-Vordenker Gerulf Stix eine Nähe zu "sozialdemokratischen Positionen"10. Die (Selbst)Darstellung Haiders als "Anwalt der kleinen Leute", als "Erbe Bruno Kreiskys", als der bessere bzw. eigentliche Sozialdemokrat wird verbunden mit dem Verratsvorwurf an die Sozialdemokratie. Aber auch der ist nicht neu: "Wir sind nicht nur eine Arbeiterpartei", posaunte bereits Goebbels 1926, "wir sind heute in der Zeit sozialdemokratischen Verrats (...) die Arbeiterpartei." Haider bspw. nannte Vranitzky wiederholt einen herzlosen "Macher" und "Nadelstreifsozialisten", der "ohne soziales Empfinden" sei11 und warf ihm die Repräsentation eines "Sozialismus ohne Anständigkeit" vor12. Am 1. Mai dieses Jahres hielt Haider der SPÖ vor, "Solidarität" sei ihr "zum Fremdwort geworden", deren Vorsitzender Klima habe ein "kaltes Herz". Und: "Wir stehen wirklich auf der Seite der arbeitenden Menschen in diesem Land"13.

Immerhin im offiziellen Periodikum der FPÖ-Steiermark findet sich eine Darstellung der "arbeitende(n) Bevölkerung", wie sie einerseits vom "Sozialismus" mittels "Steuern", andererseits vom "Kapitalismus" mittels "Zinsen" in die Zange genommen wird. Hinter beiden stünden die altbekannten "internationalen" Kräfte, hier "Parteien und Gewerkschaften", dort "Banken und Spekulanten". Darunter: "Der Sozialismus und der Kapitalismus teilen sich in geheimer Komplizenschaft die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung. Und die logische Konsequenz dieser bankensozialistischen Ausbeutung ist die zunehmende (sic!) deutlicher in Erscheinung tretende Tatsache, daß in allen Ländern der Erde die werktätigen Menschen immer ärmer und die nichtstuenden immer reicher werden."14 Schon die historischen Nazis unterschieden zwischen 'raffendem' und 'schaffendem' Kapital, phantasierten von der "geheimen Komplizenschaft" von sich nur scheinbar bekämpfenden Ideologien bzw. Herrschaftsformen, kämpften für die 'Brechung der Zinsknechtschaft'. 1997 beweist die FPÖ in kaum zu überbietender Deutlichkeit, daß der Antisemitismus nicht ausgedient hat, wenn es darum geht, auf dem Feld des Sozialen zu punkten.

Andreas Mölzer und Günther Rehak bringen im Vorwort ihres Sammelbandes "Sozialismus - Ende oder Aufbruch?" die "emotionale Ebene" ins Spiel: Mit Gregor Strasser sprechen sie von der "große(n) antikapitalistische(n) Sehnsucht, die durch unser Volk geht", vom völkischen Protest "gegen eine Wirtschaftsordnung, die nur in Geld, Profit, Dividende denkt, und die vergessen hat, an Arbeit und Leistung zu denken."15

Es war auch der Neonazi Rehak, der in der "Jungen Freiheit" die Richtung vorgab: "Die FPÖ müßte über den Schatten der bewegungseigenen Hausbesitzer und Grundstücksspekulanten springen und klar das Ziel einer nationalen Arbeiterpartei anpeilen."16 Zumindest die von Burschenschaftern dominierte Wiener FPÖ hält sich an diesen Rat, was angesichts der hauptstädtischen Sozialstruktur nicht weiter überrascht. Es ist aber mehr als wahltaktische Notwendigkeit, wenn die FPÖ hier "Solidarität statt Sparpaket" plakatieren läßt. Ihr Obmann Rainer Pawkowicz am letzten "Kommers" in der Hofburg: "Mehrmals in der Geschichte, zuallererst im Revolutionsjahr 1848 haben national-freiheitliche Intellektuelle und Arbeiter gemeinsam gekämpft. (...) Wir als national-freiheitliche Korporationsstudenten haben nicht nur die Chance, sondern auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, uns für jene Menschen, die die links-linke Schickeria in ihrer Arroganz so gern 'den kleinen Mann' nennt, einzusetzen".17 Ein paar Monate später kündigte der Wiener FP-Obmann an, seine Partei werde nicht nur die ArbeiterInneninteressen vertreten, sondern nun auch die "Aufgaben der untätigen Wiener Industriellenvereinigung übernehmen"18.

 

WIE FASCHISTISCH IST DIE FPÖ?

Das neue alte "Bündnis zwischen Mob und Kapital" (Hannah Arendt) unter dem Banner der Standortkonkurrenz und der historisch abgeleiteten Führung (1848!) der deutschnationalen Akademiker stellt mehr dar als eine ideologische Verknüpfung zweier heterogener Interessen. Es handelt sich hierbei tendenziell um die Herausbildung einer neuen Form bürgerlicher Herrschaft, diesmal jedoch nicht gegen die proletarische Revolutionsdrohung, sondern gegen die drohende Unterlegenheit der "Volksgemeinschaft" im globalen Konkurrenzkampf. Allein der unterschiedliche Charakter der Krise verbietet es aber, einfach von einer originalgetreuen Neuauflage des Faschismus zu sprechen. Dennoch wäre es Aufgabe der Linken, das Verhältnis zwischen sozialer Basis und Funktion der FPÖ mit dem faschismustheoretischen Instrumentarium zu analysieren. Dabei ist jedoch der relativen Autonomie des Ideologischen Rechnung zu tragen: Gerade faschistische Ideologien und Bewegungen mit ihrem aktivistischen Überschuß und ihrer Neigung zur Verselbständigung sind nicht als Instrumente in den Händen irgendeines Großkapitals zu fassen. Und auch neue faschistische Bewegungen mit ihrer weitgehenden Unabhängigkeit von sozialen und politischen Herrschaftsinteressen entziehen sich der instrumentalistischen Reduktion. Statt dauernd die verborgenen, einheitlichen Interessen irgendwelcher 'herrschenden Kreise' aufzustöbern, sollte der Blick einerseits auf die Differenzen innerhalb sozialer Herrschaft, andererseits auf die subjektive Funktionalität der individuellen Unterstützung faschistischer Bewegungen gerichtet werden.

Es macht also trotzdem Sinn, zunächst nach dem (widersprüchlichen) sozialen Gehalt der FPÖ zu fragen: Zu Recht wurde hier schon des öfteren darauf hingewiesen, daß die FPÖ einerseits die Interessen schwacher, binnenmarktorientierter Kapitalfraktionen vertrete. Diese treffen sich zum Teil mit denen des/r fordistischen NormalarbeiterIn in der Ablehnung all dessen, was euphemistisch unter "Modernisierung" läuft (Flexiblisierung, Öffnung der Märkte, Deregulierung usw.). Andererseits verfügt die FPÖ über ein kleines postfordistisches Segment: Die Boutiquen-Bourgeoisie und neuen Selbstständigen (Haiders "Leistungseliten"), jene aggressiven Kapitalfraktionen, denen das sozialpartnerschaftlich-wohlfahrtsstaatliche Korsett zu eng geworden ist. Die FPÖ steht somit nicht nur vor dem Problem, ArbeiterInneninteressen mit bestimmten Kapitalinteressen zu versöhnen, sondern auch innerhalb letzterer vereinheitlichend zu wirken. Tatsächlich könnte die FPÖ auf Perspektive den parteiförmigen Rahmen für ein neues kapitalistisches Klassenbündnis abgeben und auch hierin die Sozialdemokratie beerben. In den z.T. heftig geführten Debatten, ob die FPÖ jetzt eine faschistische Partei sei, würde eine genauere Bestimmung des Gegenstandes viele Uneinigkeiten ausräumen. Denn, wenn faschistisch inhaltlich und über die Ziele (Abschaffung der parlamentarischen Demokratie, Zerschlagung der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung usw.) bestimmt wird, dann trifft dieses Attribut auf die Haider-Partei nicht zu. Wird faschistisch aber funktional definiert, sieht das ganze schon etwas anders aus: Faschismus meint u.a. die Mobilisierung des 'Volkes' gegen den politischen Machtblock, verbunden mit der Sicherung der Klassenherrschaft, also die Herstellung eines neuen Massenstützpunktes für die soziale Herrschaft der Bourgeoisie. Was die Sozialdemokratie in Zeiten des Wohlfahrtsstaates v.a. mittels materieller Leistungen vermochte, nämlich die ArbeiterInnen an den kapitalistischen Staat zu binden, könnte zur Aufgabe der FPÖ werden.19 Dabei kommt - nicht zuletzt aufgrund der fast überall akzeptierten Meinung, daß es nichts mehr umzuverteilen gäbe - dem Ideologischen und der populistischen Inszenierung ein ungleich größerer Stellenwert zu. Lassen wir jetzt mal die unüberhörbaren Nazi-Töne von FP-FunktionärInnen, diese erfolgreiche Nutzung jener kulturellen Ressourcen, die der historische Faschismus und der Antisemitismus in diesem Land darstellen, außer acht, so spricht eine weitere Ähnlichkeit für die Charakterisierung der FPÖ als faschistische Bewegung. Diese verbirgt ihre soziale Funktion der Massenintegration in den kapitalistischen Staat nicht nur hinter sozialdemagogischen Ausfällen, sondern auch hinter ideologischen Praxen, die allesamt den realen Ausschluß durch inszeniertes Dabei-Sein verdecken. Der Sinn der faschistischen Masseninszenierung liegt in der Suggestion der Anteilnahme am politischen Prozeß. Die reale Ohnmacht der Individuen wird hier aufgehoben in hysterischem Aktivismus, permanenter Bewegung, im kollektiven Verfolgungswahn genauso wie in Allmachtsphantasien. Wer einmal auf einer Haider-Kundgebung war, weiß, was wir meinen: Dieser aufgeregte Mob aus narzißtisch gekränkten 'kleinen Leuten', der als pathologische Gruppe20 im unmittelbaren Kontakt mit dem autoritären Führer Befriedigung findet. Denn an ihn können all die unterdrückten Rachegelüste und Aggressionen delegiert werden.

 

DIE MASSENBASIS DER FPÖ

Wollen wir abschließend noch die Frage aufwerfen, warum die 'kleinen Leute' in derartiger Anzahl dem porschefahrenden Haider in den plebiszitären Führerstaat folgen, so müssen wir zunächst wegkommen vom Verständnis des Faschismus als bloße 'Täuschung' der - an sich von der Linken abzuholenden - Massen.

Es gibt in der Faschismustheorie aber auch Ansätze, welche die psychische Disposition der faschistischen ParteigängerInnen ins Zentrum der Analyse stellen. Auf diese könnten wir bei der Behandlung des Haider-Phänomens zurückgreifen.21 Insbesondere Erich Fromms Behandlung der oberflächlichen "Rebellion" als "Abfall von einer Autorität unter Beibehaltung der autoritären Charakterstruktur" könnte uns da weiterhelfen. Diese hat ihre "Ursache darin, daß die bestehende Autorität ihre entscheidende Qualität einbüßt, nämlich die der absoluten Macht und Überlegenheit, womit notwendigerweise auch ihre psychologische Funktion aufhört. Die bisher unterdrückte Feindseligkeit wendet sich mit besonderer Stärke der bisherigen Autorität zu, die Liebe und Bewunderung der neuen."22 Den hier angesprochenen Ambivalenzkonflikt (gleichzeitiges Lieben und Hassen der (elterlichen) Autoriät) vermochte der antisemitische Massenmensch insofern zu lösen, als "er die veräußerlichte elterliche Gewalt in zwei Teile spalten (kann): in den Führer, den er liebt, und den Juden, den er haßt."23 Der "Jude", auf den der verhaßte Teil der Autoriät übertragen werden konnte, war nicht beliebig austauschbar: Der Antisemitismus unterscheidet sich vom Rassismus ja gerade darin, daß er die Juden und Jüdinnen nicht nur als 'minderwertig' konstruiert, sondern gleichzeitig eine (intellektuelle, wirtschaftliche oder sonst wie geartetete) Überlegenheit und Allmacht des jüdischen 'Gegenvolkes' behauptet.Die Überwindung des Ambivalenzkonfliktes bedarf einer scharfen Trennung in gut und böse, Freund und Feind, 'wir' und 'die'. Der Antisemitismus verschafft dann dem autoritären Charakter die Chance, das Bedürfnis nach Aufruhr und Unterwerfung gleichzeitig zu befriedigen.

Die pathologische Gruppe unterwirft sich einem Führer, der sich klein und groß zugleich macht. Die Darstellung des Multimillionärs Haider als einfacher Mann von der Straße, seine Inszenierung als verfolgtes Opfer der Mächtigen erlaubt den Mitgliedern der Gruppe, die Unterwerfung als Verbrüderung erfahrbar zu machen. Der mobnahe Führer als neue Autorität ist daneben notwendig groß, streng und aggressiv. Haider, der sich stellvertretend für die Ohnmächtigen "was traut", richtet die Aggressionen gegen gestrige oder scheinbare Autoritäten wie "Bonzen" und gegen Gruppenfremde. Doch ein gewisses Unbehagen bleibt: Die Angst der pathologischen Gruppe vor sich selbst und dem Führer als kollektivem Über-Ich schweißt diese weiter zusammen. Haider, der sich und seinem Anhang dauernd versichert, fleißig, anständig und pflichtbewußt zu sein, schmeichelt damit nicht nur dem Selbstbild des Mobs, sondern wirkt auch disziplinierend. Die 'kleinen Leute', von Haider als Gemeinschaft der Tüchtigen angerufen, fürchten nämlich, daß sich die zum Ausleben an den Führer übertragenen Aggressionen gegen die Gruppenfremden (z.B. "Sozialschmarotzer") auch mal gegen sie selbst richten könnten. Zum einigenden Band der Angst, der Liebe zum Führer und des Verfolgungswahns kommt ein drittes Moment, das den prolet-arischen Haider-Fanclub zusammenhält: die Solidarität in ihrer gruppenbeschränkten Form. "Grundsätzlich wird eine Tendenz zu 'narzißtischer Perspektivenverengung' sozialen Protests in dem Maße an Bedeutung gewinnen, als sich Erfolgsaussichten solidarischen Handelns in einer bestimmten wirtschaftlichen und politischen Konjunktur verringern."24 Die rechte Antwort auf die soziale Frage verlagert diese auf die Ebene der Zirkulation und Verteilung. Sie entnennt nicht nur deren Ursache in der gesellschaftlichen Spaltung entlang des Eigentums an den Produktionsmitteln, sondern spaltet auch die Betroffenen auf.

Der Universalismus der 'klassischen' Linken, die sich auf den Kampf in/vor den Fabriken konzentrierten, ist aber nicht nur angesichts des rechten Partikularismus gescheitert. Er vergaß in seiner Fixierung auf die Stellung der Individuen in der Produktion ganz auf das Leben außerhalb der Lohnarbeit. Im Gegensatz zu ökologischen Intitiativen, die die alte Beschränktheit zum Großteil durch eine neue ersetzt haben, erkannte die neue Frauenbewegung, daß Politisierung außerhalb der Produktion notwendig und möglich ist. Noch einmal: Die Mitglieder des Mobs werden von den faschistischen Agitatoren weniger geblendet und von ihren 'objektiven Interessen' abgelenkt, als entsprechend ihrer psychischen Verfassung bedient. Allein die Rede von 'objektiven' oder 'eigentlichen Interessen' ist Nonsens: Interessen sind bewußt oder sie sind keine, und Bewußtsein stellt sich allemal auf ideologischem Terrain her. Die vielstrapazierten Ängste, Nöte und Bedürfnissse existieren nicht im vordiskursiven Raum, sondern entstehen in alltäglichen Auseinandersetzungen und werden von ideologischen/kulturindustriellen Apparaten vermittelt. Bereits hier müßten wir in unseren Kämpfen ansetzen. Weniger denn je ist der soziale Kampf vom kulturellen und politischen abzutrennen, erst in der Verknüpfung der Kämpfe erlangen diese potentiell emanzipatorischen Charakter.

 

1 Schui, Herbert et al.: Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte. München 1997

2 AIB Nr. 38/97, S. 11

3 Junge Freiheit 49/97

4 Aula 10/83, S. 8

5 zit. in: Mölzer, Andreas: Volkstribun Haider. Trommler oder Erneuerer? Berg a. See o.J., (Deutsche Geschichte-Extra, hg. von Gert Sudholt), S. 41

6 Aula 11/93, S. 25

7 Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, in: Abendroth, W. (Hg.): Faschismus und Kapitalismus. Theorien über die sozialen Ursprünge und die Funktion des Faschismus. Frankfurt/M. 1979, S. 60

8 Die Presse, 3.5.97

9 Jedoch geht Ralf Ptak dann in seinem Beitrag zur FPÖ schon etwas differenzierender an die Sache: "Der Rassismus", schreibt er, "ist ein bedeutendes Element für ihre sozialdemagogische Propaganda, mit der sich die FPÖ als Anwalt der 'kleinen Leute' ausgeben kann, obwohl sie für ein gesellschaftliches Modernisierungskonzept steht, das gerade die unteren und mittleren Einkommen durch den Abbau öffentlicher
Transferleistungen in besondererm Maße belasten würde." (S. 219)

 

10 Der Standard, 12.4.96

11 Kurier, 7.11.86

12 Freiheitlicher Pressedienst, 19.11.89

13 NFZ, 7.5.97

14 konkret. Freiheitlicher Gemeindekurier Nr. 29, März 97

15 Rehak, G.; Mölzer, A. (Hg.): Sozialismus - Ende oder Aufbruch? Graz-Stuttgart 1995, S. 6

16 Junge Freiheit 51-52/95

17 Aula 1/97, S. 37

18 Neue Kronen Zeitung, 18.4.97

19 Um der Sozialfaschismus-These vorzubeugen, müssen wir bei der historischen Sozialdemokratie in Rechnung stellen, daß subjektives Wollen eines Großteils der Kader und objektive Wirkung von deren Politik auseinanderfielen. Sie glaubten ja tatsächlich, daß der staatsreformistische Weg in den Sozialismus oder zumindestens in gerechtere Verhältnisse führt.

20 vgl. Simmel, Ernst: Antisemitismus und Massen-Psychopathologie, in: ders. (Hg.): Antisemitismus. Frankfurt/M. 1993, S. 58-100. Simmel nennt dort eine Gruppenbildung pathologisch, "wenn sie dem ohnmächtigen Individuum vor allem dazu verhilft, unsublimierte und uneingeschränkt destruktive Triebenergien abzuführen". (S. 72)

21 vgl. Berghold, Joe; Ottomeyer, Klaus: Populismus und neuer Rechtsruck in Österreich im Vergleich mit Italien, in: Sieder, R.; Steinert, H.; Tálos, E. (Hg.): Österreich 1945-1995. Wien 1995, S. 314-330

22 Fromm zit. ebd., S. 321

23 Simmel a.a.O., S. 73

24 Berghold, Ottomeyer a.a.O., S. 320

 

 

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