Protest gegen Blohm+Voss-Rüstungslieferung

Deutsche Fregatten für die Türkei

Am 6. April luden verschiedene Initiativen gegen Rüstungsexporte zu einer Barkassenfahrt im Hamburger Hafen ein. Im Angesicht der durch türkische Fahnen deutlich sichtbar bereits der türkischen Marine übergebenen Fregatte F244 konnten sich die fast 50 Teilnehmer/innen der Barkassenfahrt mit eigenen Augen von der Wirksamkeit des Waffenembargos gegenüber dem Waffenbruder Türkei überzeugen. Bezeichnenderweise trägt die Fregatte den Namen "Barbaros" nach dem deutschen Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, der den 1189 begonnenen 3. Straf- Kreuzzug gegen den kurdischen Sultan Saladin anführte, nachdem dieser zuvor Jerusalem aus der Hand der Kreuzritter befreit hatte. Das Unternehmen ging jedoch schief. Kurz vor Erreichen kurdischen Gebietes ertrank der deutsche Kaiser in dem Fluß Saleph (heute Göksu), knapp hundert Kilometer vor dem türkischen Kriegshafen Mersin. Sein Geist soll seither im Harz herumspuken und möglicherweise in den derzeitigen deutschen Außenminister gefahren sein. Aus diesem Grund tauften die Teilnehmer/innen der Barkassenfahrt die Fregatte mittels dreier mit Ochsenblut gefüllter Flaschen auf den Namen "Klaus Kinkel" um; dabei wurde ein Transparent entrollt: "BRD: Komplizin der Türkei durch Abschiebung und Rüstungsexport". Bevor die ganze Ausflüglerschar von zwei Booten der Wasserschutzpolizei aufgebracht wurde, konnte sie sich beim Schuppen 69 von weiteren für die Türkei bestimmten Kisten mit Fregattenteilen überzeugen. Während die Türkei vier Fregatten bereits bekommen hat, die fünfte, eben jene Barbaros, vier Tage vor der Besetzung Südkurdistans durch die türkische Armee dieser übergeben wurde, wird die sechste in der Marinewerft Gölük von der Türkei selbst zusammengeschraubt. Eine Praxis, die zur Verschleierung von Rüstungsexporten immer öfter angewandt wird. Das Magazin Monitor hat verschiedentlich solche Rüstungs-Jointventures enthüllt. Nun fragt man sich, was die Türkei in ihrem Krieg gegen das kurdische Volk in den kurdischen Bergen mit Fregatten ausrichten will. Vordergründig eben nichts. Deshalb konnte auch der Bau der siebten und achten Fregatte bei Blohm + Voss erstmal vollständig seitens der Bundesregierung gestoppt werden, während alle anderen Waffenlieferungen nicht davon betroffen sind, denn bereits 1990 wurden im Vertrag über die Begrenzung konventioneller Waffen im Rahmen der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) die kurdischen Provinzen der Türkei bis hin zu jenem erwähnten Kriegshafen Mersin aus dem Vertragsgebiet ausgenommen, so daß die BRD im Rahmen dieses Vertrages ihr "abgerüstetes" Kriegsgerät unbedenklich und unbeschränkt dorthin liefern kann, wo es hemmungslos im Krieg gegen das kurdische Volk eingesetzt wird. Teilnehmer/innen unzähliger Delegationsreisen haben sich mit eigener Anschauung davon überzeugen können. Daß die Fregatten in dem allgemeinen Expansionsstreben der Türkei, insbesondere gegenüber Griechenland und Zypern, dennoch ihre Rolle spielen, liegt auf der Hand, ist momentan jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. Wichtiger vielmehr ist die generelle Unterstützung der BRD für die Türkei und damit ihre Völkermordpolitik gegenüber dem kurdischen Volk. Dies schlägt sich in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hilfe nieder, aber auch in der Illegalisierung von Kurden hier - allein wegen symbolischer Protestaktionen hat die BRD-Justiz über 2000 Strafverfahren gegen Kurden/innen eingeleitet -, in Abschiebungen, Verboten, dem Nichtanerkennen des kurdischen Parlamentes im Exil sowie in vielen weiteren Punkten. All dies gilt es zu stoppen - die Bedeutung der Fregatten hat hier mehr einen symbolischen Wert. -(BR)

Presseerklärung des Flüchtlingsrats

Weg mit den

Abschiebeknästen!

Am Samstag, den 8.4.95, hat sich der togoische Flüchtling Gibriel C. im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis das Leben genommen. Er saß dort zwei Tage in Abschiebehaft. Daß er nur noch diesen Weg sah und den Tod der Abschiebung nach Togo vorzog, macht uns traurig und läßt erahnen, wie verzweifelt er war und wieviel Angst er hatte. Der Selbstmord von Gibriel C. (sein Nachname wurde nicht bekanntgegeben) zeigt wieder einmal auf tragische Weise, wohin die menschenverachtende Politik der Abschiebung Menschen treibt. Angst vor Abschiebung und die Zustände in der Abschiebehaft sind in diesem Land Alltagsrealität für Flüchtlinge. Maßnahmen wie Telefonierverbot, Streichung des Hofgangs, Verhinderung von Kontaktaufnahme mit Menschen außerhalb des Knastes, Strafverlegungen und vieles mehr sind in Abschiebeknästen alltäglich. Doch Repressionen gegen Flüchtlinge fangen nicht erst im Abschiebeknast an. Wem es überhaupt gelingt, die abgeschotteten Grenzen Europas zu passieren, den/die erwartet vom ersten Tag an ein System rassistischer Ausgrenzung. Zwangsunterbringung in Sammellagern, Verteilung in andere Bundesländer und Einschränkung der Bewegungsfreiheit sind nur einige Stichworte, die die Politik gegenüber Flüchtlingen markieren. Selbstmorde sind die Eskalation dieser Abschiebepolitik. Sie werden bewußt in Kauf genommen. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Selbstmorde in deutschen Abschiebeknästen u.a. - Im Oktober 1993 erhängte sich der Angolaner Daniel Lopes in Trier. - Im November 1993 sprang ein Abschiebehäftling in Schwandorf vor seiner Abschiebung vor einen Zug. - Im Dezember 1993 erhängte sich der Nigerianer Emmanuel Ehi in der JVA Regensburg. - Im Juni 1994 nahm sich ein Abschiebehäftling in Volksstedt bei Eisleben das Leben. - Im März 1995 erhängte sich ein äthiopischer Gefangener in der JVA Würzburg. Selbstmord ist die Folge der psychischen und physischen Zerstörung.

Knast ist ein System der Demütigung und Demoralisierung in kleinen Schritten. Es ist unmöglich, sich ständig und gegen jede Schikane zu wehren. Bei Besuchen von Abschiebegefangenen bekommt man einen Eindruck davon, wie das Ausgeliefertsein und die Isolation Menschen verzweifeln lassen und zer stören. Protestaktionen - von Sich-Weigern, zurück in die Zelle zu gehen, bis zum Inbrandsetzen der eigenen Zelle - sind alltäglich, aber werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Im größten Abschiebeknast der BRD, im nordrhein-westfälischen Büren, gab es allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres drei solcher Brandlegungen, wobei die Flüchtlinge die Gefährdung der eigenen Gesundheit in Kauf nehmen. Das Ziel der herrschenden Politik, Abschiebehaft und Abschiebungen still und leise, unbemerkt von der Öffentlichkeit, zu betreiben, darf nicht aufgehen. Wo immer es möglich ist, muß diese Isolierung durchbrochen und Öffentlichkeit hergestellt werden. Der Selbstmord des togoischen Flüchtlings muß Anlaß sein, sofort die Praxis der Abschiebehaft aufzuheben und alle Abschiebegefangenen freizulassen. Schon kleine Aktionen der Solidarität stärken den Gefangenen den Rücken. Sofortiger Abschiebestop nach Togo!

So tun, als ob

oder: Von der Bildung des Volkes und der

Arroganz der Regierenden

Als Hamburgs Schul- und Jugendsenatorin Rosemarie Raab ihr Amt vor Jahren antrat, stellte sie ihre Regierungstätigkeit unter die Maxime, den Sachverstand dort abzuholen, wo er anzutreffen sei - nämlich bei den Betroffenen, den Eltern, den Schülern, den LehrerInnen, den SozialpädagogInnen. (Und - was sie nicht ausdrücklich sagte - auf den Rat der Behördenvertreter nicht allzuviel zu geben.) Offensichtlich hat sie dies vergessen - denn sie hört nunmehr gar nicht mehr, was die Betroffenen sagen. Eine andere Version ist, daß sie sehr wohl hört, was das Volk will, aber versucht, diesen Willen zu unterlaufen, umzubiegen, abzufälschen. Kurz und gut: Hamburgs Bildungs- und Jugendpolitik kommt trotz schöner Interviews nicht zur Ruhe. Und das ist gut so - denn Unruhe ist nach wie vor die erste Bürgerpflicht, und die Hamburgische Schul- und Jugendpolitik ist nicht in Ordnung.

Kapitel 1 Die reichste Region in der EG kürzt drastisch Investionen in die Jugend. Der angebliche Sachzwang von den leeren Kassen hat zum "intelligenten Sparen" (R. Raab) geführt. GEW, SchülerInnenkammer und die Arbeitsgemeinschaft der Elternräte an Gesamtschulen in Hamburg (ARGE) protestieren in einem Aufruf zu einer Protestkundgebung am 26. April um 14.30 Uhr auf dem Rathausmarkt gegen die Kürzungspolitik in der Bildungspolitik. Angesichts des gesellschaftlich erweiterten Auftrags der Schule, angesichts von über 30000 zusätzlichen SchülerInnen in den nächsten zehn Jahren fordern sie mehr und jüngere PädagogInnen und die Ausweitung ihrer Qualifikation. Sie erklären: MDer Integrationsund Demokratiegedanke des Schulgesetzentwurfs ist zu begrüßen. Wir protestieren aber gegen die unsozialen und bildungsfeindlichen Einschränkungen durch zu knappe finanzielle Mittel. MGeplante Strukturveränderungen im Berufsschulbereich können sich in einigen Bereichen als Verbesserungen erweisen. Wir protestieren aber gegen die darin angelegte Vernichtung ganzer Bildungsgänge und die Benachteiligung ausländischer Jugendlicher. MDie Möglichkeit für ReferendarInnen, selbständig zu unterrichten und mehr Eigenverantwortung in der Lehrerausbildung zu übernehmen, ist für die Berufspraxis sinnvoll. Es darf jedoch kein bedarfsdeckender Unterricht sein. Wir protestieren dagegen, daß dadurch mögliche Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. MDer Grundgedanke der vollen Halbtagsgrundschule ist aus pädagogischer und familienpolitischer Sicht sinnvoll. Die Voraussetzungen für die Realisierung sind allerdings denkbar schlecht: fehlende Räume, die Finanzierung durch Mehrarbeit für LehrerInnen und Intransparenz bei der Planung. Wir protestieren gegen die mit heißer Nadel gestrickte Reform ohne die erforderliche Ausstattung und auf Kosten anderer Bereiche (z.B. Hort). MSchulunterricht ist mehr als die Vermittlung von Wissen, er bedarf einer sorgfältigen Vor- und Nachbereitung sowie begleitender außerunterrichtlicher Aufgaben. Wir protestieren gegen die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für LehrerInnen um wöchentlich eine Stunde (zwei bis drei Stunden Mehrarbeit) zu Lasten dringender pädagogischer Maßnahmen (SchülerInnen- und Elterngespräche, Weiterbildung etc.). Wir protestieren gegen Zwangsumsetzungen aus gewachsenen Schul(klassen)beziehungen." Deshalb führen sie auf dem Rathausmarkt einen "pädagogischen Mittagstisch" unter dem Motto "Wir löffeln nicht die dünne Suppe der PolitikerInnen aus" durch und bringen die "Kuckuckseier" ins Rathaus zurück.

Kapitel 2 Die Schulen südlich der Elbe haben zum 6.4. auf dem Harburger Rathausmarkt erstmals eine Protestkundgebung mit anschließender Demonstration gemacht, weil sie die Erhöhung der Pflichtstunden der LehrerInnen nicht hinnehmen. Am 14.4. haben Personalräte in und vor der Schulbehörde protestiert, weil die den Personalräten zur Verfügung gestellte Zeit für Mitbestimmung und Beratung ab 1.8. um 22% gekürzt werden soll. "Kontrolle ist lästig", schrieben sie. Vorher bereits hatten die Leiterinnen von Vorschulklassen protestiert, weil Rosemarie Raab im Schulgesetzentwurf die Vorschulklassen wahrscheinlich von den Schulen abkoppeln will. Sie befürchten ein Sparmodell der vorschulischen Erziehung der 5jährigen, die jetzt in 292 Vorschulklassen altersangemessen gefördert werden. 5000 PädagogInnen und Eltern haben ihre Forderungen durch ihre Unterschrift unterstützt.

Kapitel 3 In Hamburg fehlen jetzt 12000 Kindertagesplätze. Bis 1996 muß Hamburg den gesetzlich verankerten Anspruch erfüllen, jedem Kind einen Platz anzubieten. Durch überfüllte Gruppen, Umwandlung von 800 Ganztagsplätzen in Halbtagsplätze bei der Vereinigung städtischer Kindertagesstätten, Kürzung der Früh- und Spätdienste in den Kitas will man beides schaffen: Kürzung der Mittel und Gewährleistung der Plätze bis 1996. Daß das nicht gut geht, sieht eigentlich jeder. Nicht jedoch der Senat. Der Elternanteil zur Finanzierung der Kindertagesheime wurde im Herbst 94 von 11 auf 13% erhöht. 12,4 Millionen DM sollen dennoch eingespart werden. Zur Finanzierung der vollen Halbtagsgrundschule sollen 200 Stellen aus dem Hortbereich abgezogen werden. Kein Wunder, daß Eltern und ErzieherInnen sich wehren. Für Mai steht auch hier eine Protestdemonstration ins Haus.

Kapitel 4 Aus sozialen Gründen, zur besseren musischen und sozialen Erziehung und wegen der veränderten Aufgaben der heutigen Schule wird immer wieder die Ganztagsschule - wie in den meisten Ländern Europas - gefordert. Der neue Plan von Rosemarie Raab, ab 1.8. 95 wenigstens die verläßliche, volle Halbtagsgrundschule einzuführen, scheint dem zu entsprechen. Wenn man sich allerdings die Bedingungen ansieht, wird hier Reformpolitik wieder einmal auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen: So soll sie "ausschließlich durch einen veränderten Mitteleinsatz finanziert werden". Da aber zusätzliche vier Lehrermehrstunden und fünf Wochenstunden für Teilungen erforderlich sind, wären 369 Planstellen zusätzlich nötig, plus Erhöhung der Mittel für Material etc. Das ergäbe pro Jahr 26,8 Millionen DM Mehrkosten. Die aber werden nun nicht bewilligt, stattdessen 1,5 Pfennige je Kind und Stunde. Von Umgestaltung der Schulhöfe (aktive Pause), mehr Spielgeräten und zusätzlichen Gruppenräumen ist kaum die Rede bei der Schulbehörde. "So tun, als ob" nennt man das wohl. Auf diesem Hintergrund ist die Skepsis verständlich, die Eltern, SchülerInnen und PädagogInnen haben und artikulieren, wenn sie im Hamburger Abendblatt lesen, daß Rosemarie Raab die "Schule der Zukunft plant", wenn sie einen Diskussionsentwurf für ein neues Schulgesetz vorlegt. Kein Zweifel: Das alte ist nun wahrlich renovierungsbedürftig. Wenn aber - wie im Entwurf allein an dreizehn verschiedenen Stellen zu lesen ist - pädagogisch oder bildungspolitisch notwendige Innovationen an den Finanzierungsvorbehalt gekoppelt werden ("soweit finanzielle, personelle und räumliche Bedingungen dies zulassen"), weiß jeder aufgeklärte Bürger, was das für die Zukunft bedeutet: Angesichts der Haushaltsenge findet fortschrittliche Bildungspolitik nicht statt - und das auf Jahre hinaus. Wenn man dann noch in dem Diskussionsentwurf zum Schulgesetz liest, daß die "Landeshaushaltsordnung" Bestandteil des Schulgesetzes ist - einmalig in der Bundesrepublik -, dann merkt man, daß der Finanzsenator heimlicher Bildungssenator ist. Dann soll die Haushaltsexpertin Rosemarie Raab - denn das ist sie von Haus aus und immer noch - nicht so tun, als betreibe sie Bildungspolitik. Das merken die Hamburger immer deutlicher - und sind mit Recht verstimmt und protestieren öffentlich. Horst Bethge, Lehrer und Personalratsmitglied, Bildungspolitischer Sprecher der PDS und Landessprecher Hamburg

Rechtsanspruch führt zu Standardsenkungen Schul- und Jugendsenatorin Raab (SPD) hat erklärt, daß die Hansestadt die durch Bundesgesetz mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz festgelegte Betreuungsgarantie bis zum 1.1.96 nicht realisieren könne. Da es vermutlich keine Mehrheit unter den Länder- Ministerpräsidenten für eine Verschiebung des Termins gebe, müsse "eine Art Notprogramm" her, das den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trage. Pädagogische Standards müßten gesenkt werden. Gruppen müßten mindestens vorübergehend vergrößert werden, um den Ansturm zu bewältigen. Denkbar sei auch die verstärkte Umwandlung der in Hamburg forcierten Ganztags- in Halbtagsgruppen. Der Rechtsanspruch beziehe sich auf die billigere vierstündige Betreuung. Bei einer Übergangsfrist bis 1998 für die Verwirklichung des Rechtsanspruchs will die Senatorin die noch fehlenden 13000 Plätze noch schaffen können. Seit dem vergangenen Jahr sind jedoch mehrere Länder von der "Hamburger Linie" abgewichen, die eine Verlängerung der Übergangsfrist gefordert hatte. Durch setzen auf die billigere Halbtagsbetreuung hätten sie eine ausreichende Anzahl von Plätzen bereits zum 1.1.96 geschaffen. (Hamb. Abendblatt, 28.3. - ulj)

Man hat uns geschafft, wir sind geschafft Der Verein Kulturhaus Dehnhaide e.V. steht vor dem Aus. Der Vorstand des Vereins, der lokale Kulturarbeit in BarmbekSüd leistete, schlägt der nächsten Mitgliederversammlung die Auflösung des Vereins vor. Von den 30000 DM Zuschuß von der Kulturbehörde werden alleine 20000 DM des Bezirksamtes für Miete und Nebenkosten umgeschichtet. Dafür steht ein kleiner Seminarraum zur Verfügung sowie die abendliche Nutzung der Altentagesstätte, die für jede Veranstaltung völlig umgeräumt werden muß (und hinterher natürlich wieder aufgeräumt). Aus Sicht des Vorstandes wären eine Viertelstelle für Verwaltungsarbeit, bessere Räumlichkeiten und eine Erhöhung der Mittel für die eigentliche Arbeit notwendig. Da dies aber angesichts der Haushaltslage nicht in Sicht ist, werfen sie das Handtuch. Der Ortsamtsleiter kann insoweit beruhigt sein - die Ankündigung der Auflösung war nicht als Drohung zu sehen. Barmbek-Süd liegt etwas zu weit westlich. Im angrenzenden Dulsberg greift die Soziale-Großstadt-Strategie des Senats und führt zu Sondermitteln für den Aufbau sozialer Infrastruktur, während in Barmbek-Süd trotz ähnlicher struktureller Probleme das allgemeine Sparen um sich greift und bereits vorhandene Infrastruktur dadurch zerstört wird. Bei der Politik der sozialen Brennpunkte geht es mehr um Imagepflege und Wählerstimmensicherung für die SPD als um soziale Stadtentwicklung. Die würde eine grundsätzlich andere Orientierung in der Finanzpolitik voraussetzen. Im Hamburg der Reichen wären über eine entsprechende Steuer- und Abgabenpolitik die Mittel dafür aufzutreiben. -(Markus Gunkel)

Heraus zum 1. Mai!

Internationaler Klassenkampf

statt Sozialpartnerschaft!

Wacht auf, Verdammte dieser Erde denn dieses Jahr beginnt die DGB-Mai-Demo um 10.00 Uhr!

Es ist bezeichnend, daß der DGB seit einigen Jahren versucht, die MaiDemo im Sande verlaufen zu lassen. Die Mobilisierung wird immer spärlicher, die Strecke immer kürzer, das Ganze wird mehr und mehr auf ein apolitisches Kulturfest reduziert. Störend wirkt allein noch der Internationale Block, welcher seit einiger Zeit schon die Hälfte des Demozuges stellt. In Zeiten, in denen Positionen links von der SPD in der Öffentlichkeit kaum noch auszumachen sind, stellt der 1. Mai eine Möglichkeit dar, kritische Solidarität und revolutionäre Positionen sichtbar zu machen. D.h. einerseits sichtbar zu machen, daß es trotz aller Medienhetze auch außerhalb der Gewerkschaftsbasis noch Leute gibt, die das Interesse der Menschen über das Vernutzungsinteresse des Kapitals stellen und die Forderungen der Gewerkschaften, so minimal sie auch seien, unterstützen. D.h. aber andererseits, auch sichtbar zu machen, daß es mehr denn je eine gesellschaftliche und ökonomische Alternative gibt, möge sie sich nun Sozialismus, Kommunismus oder Anarchie nennen. Wann, wenn nicht am 1. Mai, sollten wir darstellen, daß wir dem 5% der Bonzen nicht bloß ein 2% entgegenzustellen haben, sondern die Vorstellung einer Gesellschaft, welche die Produktionsmittel unter die Kontrolle der Menschen stellt, die an ihnen arbeiten. Es wird Zeit, daran zu erinnern, daß die tagespolitischen Teilbereichskämpfe, die unser Bild in der Öffentlichkeit bestimmen, keinen ausschließlichen Selbstzweck darstellen, daß unsere Politik, auf welchem Gebiet wir sie auch immer zu entwickeln versuchen, revolutionäre Politik sein sollte, auf dem Wege zu einer antipatriarchalen Gesellschaft, in der Arbeit nicht mehr entfremdete Warenproduktion für den Profit eines geifernden Blutsaugers ist. Daher erscheint zahlreich zum sozialrevolutionären Block innerhalb des Internationalen Blockes auf der 1. Mai Demo! Heraus aus dem Getto, heraus aus der Lethargie, heraus zum 1. Mai! Beginn: 10.00 Uhr, ab UBahn Mundsburg (pünktlich) Antifa Jugendfront und Anarchistische Gruppe/ RätekommunistInnen

Die Zeitung "antinationales info zum

8. Mai" stellt sich vor

Am 8. Mai 1995 jährt sich zum 50sten Mal der Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Aus diesem Anlaß finden sowohl national als auch international zahlreiche Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen statt. In der deutschen Öffentlichkeit wird eine Kampagne durchgeführt, in der vordergründig die deutsche Bevölkerung zu den eigentlichen Opfern des Nationalsozialismus erklärt werden soll: Im Land der Täter und Täterinnen soll es zukünftig nur noch - vor allem deutsche - Opfer geben. In der 1993 eingeweihten zentralen deutschen Gedenkstätte, der "Neuen Wache" in Berlin, werden die in der ehemaligen SBZ internierten NS-Verbrecher, die nach 1945 Umgesiedelten wie auch die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Wehrmachtsangehörigen und umgekommenen deutschen Zivilisten alle unterschiedslos als "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" mit den Opfern des Nationalsozialismus gleichgesetzt. Damit werden deutsche Täter und Täterinnen zu Opfern erklärt. Mit der Debatte um den 50sten Jahrestag des 20. Juli 1944 wurde das Ziel verfolgt, den Widerstand im NS auszudifferenzieren, um ihn für die gegenwärtige Politik zu operationalisieren. Jene, die aufgrund ihrer damaligen antifaschistischen Haltung in den heutigen nationalen Konsens nicht integrierbar sind, werden als "Täterinnen und Täter" angegriffen und ausgegrenzt. Das Deutschland im Jahre 5 nach der Wiedervereinigung soll aus dem "Schatten des NS" treten und sich wieder "positiv" auf Elemente der nationalsozialistischen Herrschaft und Politik beziehen dürfen. In der aktuellen Ausgabe des antinationalen infos beschäftigen wir uns schwerpunktmäßig mit dem Thema "Widerstand im Nationalsozialismus". Uns ist dabei bewußt, daß wir das äußerst komplexe Thema nur ausschnitthaft umreißen und keinesfalls abschließend behandeln können. Und deutlich geworden ist uns dabei, daß "die" Linke sich in der Vergangenheit viel zu wenig mit dem Thema "Widerstand im Nationalsozialismus" beschäftigt hat. Allzu oft herrschte und herrscht ein für die eigenen Zwecke benutzendes Verhältnis des Widerstandes vor, wobei je nach gesellschaftlicher Situation unterschiedliche Teile des Widerstandes Konjunktur hatten und haben. Wir hoffen, mit den vorliegenden Fakten und Einschätzungen eine Diskussion zum Widerstand im Nationalsozialismus und seine Bedeutung für heute auch und gerade in einer sich antinational verortenden Linken anzuregen und zu beginnen. Die nächste Ausgabe des antinationalen infos wird das Thema "Bruch und Kontinuität" als Schwerpunkt haben. Redaktionsschluß für diese Ausgabe ist der 15. April. Die Nummer wird rechtzeitig vor dem 8. Mai erscheinen, so daß es sich noch lohnt, antinationale Gegenaktivitäten zu den offiziellen Feierlichkeiten sowie Veranstaltungen im Info anzukündigen. Diese Infos müßten uns bis spätestens zum 22.4. bekanntgemacht sein. Die erste Nummer des Infos, die sich schwerpunktmäßig mit der Bombardierung Dresdens, den Feierlichkeiten anläßlich des 50. Jahrestages dieses Ereignisses, Gegenaktivitäten dazu, die offizielle Rezeption "Dresdens" sowie die Reaktion verschiedener LinkeR darauf beschäftigte sowie ausführlich die Ausstellung "Juden im Widerstand" in Kiel vorstellte, kann noch bestellt werden. Zu guter(?) Letzt noch: Das antinationale info finanziert sich ausschließlich selbst. Das verweist darauf, daß wir mit der Kohle echt knapp dran sind. Darum noch mal eine Bitte: Wer es erübrigen kann und es für wert hält, sollte uns möglichst eine Spende zukommen lassen. So weit, mit (hoffentlich) bleibendem Schaden am nationalen Konsens. Das Info ist zu beziehen über und Artikel/Termine sind zu schicken an: Buchladen im Schanzenviertel, c/o antinationales info, Schulterblatt 55, 20357 Hamburg, oder Fax: 040/4307264 Es kostet 1,- DM pro Stück, ab 25 Stück 0,75 DM, ab 50 Stück 0,50 DM. Bankverbindung: Hamburger Sparkasse, Konto-Nr. 1238/572885, BLZ 20050550, Stichwort "info", Kto.-Inhaber: G.Geringer

TIPS & TERMINE

MITTWOCH, 19. APRIL

"Sparpolitik" des Hamburger Senats Diskussionsrunde der AG Betriebe und Gewerkschaften der PDS mit Margit Zepf, Gudrun Zimdahl und Bernd Kloss. Stichwort: Kindertagesheime - Arbeitsplätze - Halbtagsschulen. (Siehe auch letzte Ausgabe) 18.00 Uhr, Münze, Münzplatz 1

Vorbereitung der Demonstration zum Kirchentag Treffen des Bündnisses 19.30 Uhr, CurioHaus. Rothenbaumchausse 15

DONNERSTAG, 20. APRIL

Der schwierige Weg zum Frieden Zum Verhältnis zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Mit Lerke Scholing, Dipl.-Pädagogin. Eine Veranstaltung der Neuen Gesellschaft. Kostenbeitrag 3,- DM. 19.00 Uhr, Rothenbaumchaussee 19, I. Stock

Karl Marx: Das Kapital Die MASCH-Hochschulgruppe führt ab 20.4. zunächst wöchentlich einen Lektürekurs durch, in dem die drei Bände des Kapitals durchgearbeitet werden sollen. Dabei geht es uns um ein genaues Durcharbeiten des Textes. Bis zum ersten Treffen sollte jede/r Teilnehmer/in den ersten Band (MEW 23, Dietz-Verlag, nicht die Ullstein-Ausgabe) besorgt und mindestens den Anfang des 1. Kapitels (S. 49-61) gelesen haben. Kontakt: Andi Schmitt, Tel. 4391103 18.30 Uhr, Pferdestall, Raum 103

SAMSTAG, 22. APRIL

Symposium "Europa ohne Atomenergie" (im Ost-West-Dialog) Das Symposium wird veranstaltet von der Initiativgruppe Solidaritätsfonds Alla Jaroshinskaja, der Evangelischen Akademie Nordelbien in Hamburg, dem Verein Soziale und Kulturelle Kommunikation in Kooperation mit BUNTSTIFT e.V. (Göttingen). Im 9. Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl soll im Rahmen dieses Symposiums u.a. darüber debattiert werden, wie sich heute die energiepolitische Situation in den mittel- und osteuropäischen Ländern darstellt und wie durch gemeinsame Projekte von unten (und einen Öko-Know-how-Transfer) die jeweilige Energiedebatte im Sinne alternativer Energien und der Anti- AKW-Bewegung im europäischen Maßstab künftig gestaltet werden kann. Ablauf: 10.00 UhrEröffnung, Begrüßung, Vorstellung des Symposiums, Grußworte 10.15 UhrReferat von Luba Kupke-Siposova (Slowakische Republik) 10.45 UhrReferat Andrej Glasowoj (Ukraine) (angefragt) 11.15 UhrReferat Dr. Elena Sokolova (Wohltätigkeitsstiftung Alla Jaroshinskaja, Moskau) und/oder Natalia Mironova (Tscheljabinsk) 11.45 UhrReferat Prof. Genadij Gruschewoj (Belorussische gemeinnützige Stiftung "Den Kindern von Tschernobyl") und Prof. Sawitzla (Belorußland) 12.15 UhrReferat Jacek Jakubiec (Stiftung für Ökologische Kultur, Republik Polen) 13.45 bis 17.15 UhrArbeitsgruppen 17.15 bis 18.15 UhrAbschlußplenum Es wird um sofortige Anmeldung gebeten unter der FAx-Nummer 2101382. Es wird ein Kostenbeitrag erhoben. 10.00 Uhr, Evangelische Akademie Nordelbien, Esplanade 15.

DIENSTAG, 25. APRIL

Öffentliche Sitzung der PDS-Stadtteilgruppe Eimsbüttel Thema: 8.Mai 1995, 50 Jahre nach der Zerschlagung der faschistischen Kriegsmaschinerie - für welche Ziele soll die Bundeswehr heute marschieren? 19.30 Uhr, Gymnasium Kaifu, Kaiser-Friedrich-Ufer 6, Ecke Bundesstraße (Buslinie 182)

DONNERSTAG, 27. APRIL

Treffen des Hamburger Forums Hauptthema ist die Vorbereitung der Aktion zum Tag der Befreiung in Hamburg. 19.00 Uhr, Curiohaus, Rothenbaumchausse

SONNTAG, 30. APRIL

Alternative Hafenrundfahrt In Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bietet der Landesjugendring Hafenrundfahrten zu den Stätten der Verfolgung und des Widerstandes im Hamburger Hafen an. Stationen der Fahrt sind Speicher, in denen KZ-Häftlinge, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene untergebracht waren und arbeiten mußten. Gezeigt werden auch die Werften, auf denen ArbeiterInnen Sabotage und Widerstand leisteten, und die Kaianlagen, an denen Schiffe mit Kriegsmaterial beladen wurden. Abschließend werden die Bereiche des Elbufers gezeigt, wo das "neue Hamburg", die "Führerstadt", entstehen sollte. 15.00 Uhr, Abfahrt Anleger Vorsetzen/U-Baumwall. Eine weitere Rundfahrt findet am 14.5. ebenfalls um 15.00 Uhr statt.

DONNERSTAG, 27. APRIL

Fuhlsbüttel unterm Hakenkreuz; Vier Zeitzeugen erinnern sich! Ist von Fuhlsbüttel während des Faschismus die Rede, so geht es meist um das Konzentrationslager Fuhlsbüttel (KOLAFU). "Der Vorhof zur Hölle" hat den Namen des Stadtteils weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekanntgemacht. Was spielte sich aber während der Nazizeit im Stadtteil Fuhlsbüttel ab? War der Faschismus im idyllischen, noch halb dörflichen Fuhlsbüttel Anfang der 30er Jahre "nur halb so schlimm"? Gab es im "bürgerlichen" Wohnstadtteil überhaupt Widerstand und Verfolgung? Wir meinen, 50 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus wird es Zeit, sich mit diesen zu wenig gestellten bzw. verdrängen Fragen zu beschäftigen. Aus diesem Grund haben wir zwei Frauen und zwei Männer eingeladen, die die Nazizeit hier im Stadtteil miterlebt haben. Sie stammen alle aus Familien, die den Nazis ablehnend gegenüberstanden. Ihre Eltern, ehemalige Mitglieder der Arbeiterorganisationen, leisteten auf unterschiedliche Weise Widerstand gegen die braune Diktatur. +Gundel Gründert, geb. Arndt, Tochter sozialdemokratischer Eltern; +Erna Mayer, Tochter des KPD-Bürgerschaftsabgeordneten Hugo Gill; +Hartwig Baumbach, Sohn eines Fuhlsbüttler Antifaschisten; +Richard Schönfeld, Häftling im KOLAFU bis Mai 1945 berichten über ihre persönlichen Erlebnisse während der Nazizeit und sind bereit, über ihre Erfahrungen mit den Besuchern zu diskutieren. Eine Veranstaltung der Willi-Bredel-Gesellschaft, Geschichtswerkstatt e.V. und der VVN Ortsvereinigung Fuhlsbüttel-Langenhorn. 20.00 Uhr, Im Grünen Grunde 1 (Altes Eingangsgebäude Sommerbad Ohlsdorf), U/S-Bahnhof Ohlsdorf

SAMSTAG, 29. APRIL

Religionsseminar Teil 2 Vor gut einem Jahr veranstaltete die AG BWK in und bei der PDS/Linke Liste einen Kurs zur Auseinandersetzung mit religiösen Texten. Damals ging es vor allem um die soziale und politische Dimension von Religionsentstehung, Religionsstiftung und Offenbarung, d.h. es ging vor allem um den Glauben. Für die Religion, besonders die christliche, ist aber nicht nur der Glaube an eine Offenbarung bzw. an eine geschaffene Weltordnung bedeutsam. Besonders das christliche Denken befaßt sich mit der Frage der Schuld, d.h. dem Auseinanderfallen von rechter Einsicht und rechtem Handeln. In diesem zweiten Seminar wollen wir uns deswegen auseinandersetzen mit Texten, die Aufschluß geben über die Entwicklung des Schuldbegriffes. Es werden Texte aus der Bibel, der klassischen antiken Philosophie, der Kirchenväter, des Protestantismus und schließlich der moderne Schuldbegriff bei Kant verhandelt. Welche Texte genau zugrundegelegt werden, steht noch nicht fest. Für Vorschläge für kompaktere Abhandlungen wären wir dankbar. Das Seminar dauert bis Sonntag Mittag. Wir bitten Interessierte, sich anzumelden, da das Seminar nur bei mindestens acht Anmeldungen stattfindet. Anmeldungen bei: Christiane Schneider, GNN, Tel. 381393. 10 Uhr, Büro der PDS, Palmaille 24

DIENSTAG, 2. MAI Nie wieder Krieg Vortrag von Daniil Granin. Veranstalter: DeutschRussische Gesellschaft. 15.00 Uhr, MEvangelische Akademie

DONNERSTAG, 4. MAI

Die Blockade Daniil Granin liest aus seinem Buch. 19.00 Uhr, CVJM-Haus

Film: "Mein Kampf" Erwin Leisers Dokumentation, mit filmischem und historischem Sachverstand gestaltet, gehört heute zu den besten Materialsammlungen über das Dritte Reich. Der Film macht ein Kapitel deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts anschaulich. 20.00 Uhr, Kulturpalast Billstedt im Wasserwerk, Öjendorfer Weg 30a

SONNTAG, 7. MAI

Frühstück des Kulturhauses Eppendorf mit Häftlingen aus dem KZ Fuhlsbüttel und Widerstandskämpfern, in Zusammenarbeit mit VVN-Bund der Antifaschisten HH-Nord. 11.00 bis 14.30 Uhr, Martinstr. 40

Kundgebung Ohlsdorfer Friedhof vor dem Urnemal beim Krematorium durch VVN-Bund der Antifaschisten Hamburg 11.00 Uhr

DONNERSTAG, 11. MAI

Peter Weiss: Die Ésthetik des Widerstandes Seit über zehn Jahren liegt jetzt Peter Weiss' wohl bedeutendstes Werk vor. Nach den heftigen literarischen und politischen Auseinandersetzungen der ersten Jahre nach seinem Erscheinen ist es jedoch recht still darum geworden. Wir wollen nicht überprüfen, ob es sich tatsächlich um ein "Jahrhundertwerk" handelt. Aber wir vermuten, daß gerade heute, nach den epochalen Veränderungen von 1989/91, die Fragen und Meinungen, die bei Lektüre und Diskussion der Ésthetik des Widerstandes entstehen, für Spannung sorgen werden. Alle Erst- und ZweitleserInnen sind herzlich eingeladen. Die Vorgehensweise wird beim ersten Treffen gemeinsam abgesprochen. Eine Veranstaltung der MASCH-Hochschulgrupe. Moderation. Claus-Joachim Radwan, Meinhard Mäker. Anmeldung und Information unter Tel. 4106387. 19.00 Uhr, Pferdestall, Raum 102

12. BIS 14. MAI

Utopie einer freien Gesellschaft - Reise in das Jahr 2010 Wir wollen ohne diesen Staat mit seinen übergroßen Macht- und Gewaltmitteln frei und selbstbestimmt leben. Stellen wir uns vor, wir bilden eine Bewegung, die sich das Ziel setzt, zum Jahre 2010 aus diesen Staatsstrukturen auszutreten. Eine freie Gesellschaft, wie könnten wir die gestalten? Was gehört alles zur Freiheit des einzelnen, was ist gemeinschaftlich zu regeln? Wie wird über die Nutzung von Grund und Boden, Produktionsmitteln und Häuser entschieden? Können Umweltfragen herrschaftsfrei geregelt werden? Wie werden Konflikte ausgetragen? Und wie müssen wir uns selber verändern, damit eine freie Gesellschaft möglich wird? An diesen und anderen Fragen wollen wir gemeinsam arbeiten. Als Anregung liegt eine Utopie-Broschüre (60 S.) eines Arbeitskreises des Gewaltfreien Aktionsbündnisses Hamburg vor, die allen TeilnehmerInnen vorab zugeschickt wird. An diesem Wochenende soll nicht nur theoretisiert werden. In Rollenspielen möchte ich unsere Ideen und Konzepte ausprobieren. Utopie-Seminar 12. bis 14. Mai in Wustrow im Wendland (150,-/ 90,- DM plus Selbstverpflegung); Anmeldung Kurve Wustrow, Kirchenstr. 14, 29462 Wustrow, Tel. 05843-507. (Jan Stehn)

Motorradclub Kuhle Wampe

Verkehrschaos in Hamburg

Ein Verkehrschaos ist vorprogrammiert! Neben den Hafengeburtstagsveranstaltungen finden am Samstag, den 6. Mai 95, zahlreiche Veranstaltungen und Demonstrationen zum 50. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus statt. Der Motorradclub Kuhle Wampe veranstaltet an diesem Samstag einen Motorradcorso durch die Hansestadt, zu dem mindestens 200 KradfahrerInnen erwartet werden.

"Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt" ein Film von Bertold Brecht und Ernst Ottwald zeigt das Leben der Laubenkolonie "Kuhle Wampe" in Berlin gegen Ende der 20er Jahre. Wegen steigender Mieten und zunehmender Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise und dem stärker werdenden Faschismus finden sich in Berlin ArbeiterInnen zusammen, um sich durch solidarisches Handeln und gemeinsame Freizeitgestaltung gegen Ausbeutung durch die Herrschenden zu wehren. Mit selbstorganisierten Sportveranstaltungen (z.B. Wassersport, Turnen und Motorradfahren) und kollektivem Wohnen versuchen sie, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Motorradclub Kuhle Wampe steht in dieser im Film dargestellten Tradition. Im Motorradclub haben sich junge Leute zusammengeschlossen, die mit Motorradfahren mehr verbinden als PS-Zahlen und Rasen. Der Club ist für Menschen, die über ihre Tachometerscheibe hinausblicken und sich für ihre Interessen gesellschaftlich und politisch engagieren. Z.Zt. hat der MC Kuhle Wampe ca. 750 Mitglieder. Neue Clubs sind nach der Wende in Dresden und Leipzig entstanden. Seit seiner Gründung hat sich der Verband gegen rechte Kräfte engagiert. Ein besonderer Schwerpunkt des Verbandes ist die antifaschistische Arbeit. Dabei kommt das Motorradfahren und die gemeinsame Freizeitgestaltung jedoch nicht zu kurz. Fahrten und Treffen im gesamten Bundesgebiet sowie Aktionen zum 8. Mai widerspiegeln das Verbandsleben. Der 7. Hamburger Motorradcorso führt zu Stätten in Hamburg, welche an Menschen erinnern, die in der Zeit des deutschen Faschismus einen mutigen Widerstand geleistet haben. Auf der Auftaktveranstaltung am Weiße-Rose-Denkmal in Hamburg-Volksdorf berichten und erinnern Redner an die Taten dieser studentischen Widerstandsgruppe. Am 1. Zwischenstopp des Corsos, an der Gedenkstätte Ernst Thälmann in Hamburg Eppendorf, veranstalten Anwohner und Hamburger Künstler einen Antifa-Markt. Ein alter Röhrenbunker aus der Kriegszeit, welcher sich auf dem heutigen Ernst-Thälmann-Platz befindet, soll ab diesem Tag Schulklassen und anderen interessessierten Gruppen für Besichtigungen offenstehen. Die Hamburger KÜnstler Gerd Stange und Michael Batz wollen diesem Bunker als "Gebrauch" Kunstwerk einen neuen Sinn geben. In der Gedenkstätte wird u.a. der Film Kuhle Wampe gezeigt werden. Am ehemaligen Wohnhaus Ernst Thälmanns wird Jan Wienecke vom Kuratorium der Gedenkstätte einen Redebeitrag halten. Von Eppendorf aus führt der Corso die Teilnehmer durch die Hamburger City, in den Freihafen, zur Werft Blohm und Voss, wo der 2. Zwischenstopp stattfindet. An dieser Stelle erinnern Redner des Betriebsrates Gesamthafen Betrieb an die Taten, Aktionen und Opfer von Hafen- und Werftarbeitern, welche unter lebensbedrohlichen Umständen gegen die Kriegsproduktion sabotiert haben. Die Blohm und Voss AG ist heute leider immer noch einer der größten Rüstungsgüterhersteller und hat erst kürzlich z.B. die türkische Marine mit diversen hochmodernen Kriegsschiffen beliefert. Der 3. Zwischenstopp des Corso findet am Oberlandesgericht, vor einem alten, mit Hakenkreuzen verzierten Eingangstor statt. An dieser Stätte sprechen der Hamburger Richter Joachim Katz und Vertreter der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten) zur Rolle und Funktion der Justiz im sog. III. Reich. Die VVN Hamburg tritt seit langer Zeit dafür ein, daß bei der baulichen Neugestaltung des Karl- Muck-Platzes die Opfer der faschistischen Justiz gebührend geehrt werden. 4. und letzter Zwischenstopp des Corsos ist der Hamburger Rathausmarkt. Mit einer Kranzniederlegung und Redebeiträgen, u.a. des sozialdemokratischen Jugendverbandes, wird der ermordeten Bürgerschaftsabgeordneten gedacht. Vor dem Rathaus werden zahlreiche Organisationen und Verbände Informationsstände aufstellen. Abschließend haben alle Motorradcorsoteilnehmer die Möglichkeit, an einer Feier im Kultur- und Freizeitzentrum BRAKULA in Hamburg Bramfeld teilzunehmen. Allen auswärtigen Motorradfahrern stellen die MC Kuhle Wampe Clubs für das Wochenende Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung. Der MC Kuhle Wampe stellt mit dieser Antifaschistischen Aktion den Widerstand und das aktive Aufbegehren der Widerstandsbewegung in den Mittelpunkt des 50. Jahrestages der Befreiung vom deutschen Faschismus. Widerstand von unten! Wehret auch heute den Anfängen! K. Lewandowski Start: Samstag, 6. Mai, 11.00 Uhr Weiße-Rose-Denkmal, Hamburg Volksdorf

Im Rahmen der Ausstellung "Vernichtungskrieg"

Ernst Jüngers "Kaukasische

Aufzeichnungen"

"Jünger und kein Ende - und jetzt auch noch in den Lokalberichten?" Die Jünger- Veranstaltung, die am 6. April im "Literaturhaus" stattfand, hängte sich nicht an den unsäglichen Geburtstagsrummel an, sondern war ein Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung "Vernichtungskrieg", die zur Zeit in der Kampnagelfabrik stattfindet (vgl. Lokalberichte 6/95 vom 16.3., S. 7/8). So war sicher wichtiger als das Ergebnis, daß Jünger im Kaukasus 1942/3 "seinen Krieg nicht wiedererkennt" (Veranstaltungsankündigung), daß seine "Wahrnehmungsregeln" (der Literaturwissenschaftler Helmut Letzen) dort versagen, daß er zwar als Soldat den Schock des Ersten Weltkrieges, nicht aber die Apathie der mordenden Einsatzgruppen und Soldaten im Zweiten Weltkrieg verarbeiten konnte - wichtiger als alle diese Beobachtungen war die dem Publikum vermittelte Erkenntnis, daß dieser Krieg ein Vernichtungskrieg war, so daß selbst Jünger von einem "Ekel vor Uniformen" erfaßt wird. Jünger also nur als Beispiel? Seine individuelle Verantwortlichkeit wird nicht übergangen: Seine Spache werde angesichts des ihm bekannt werdenden grauenvollen Geschehens undeutlich; er frage nicht nach, wo er es gekonnt hätte (z.B. bei dem für "Partisanenbekämpfung" zuständigen Major, obwohl er selbst zu erkennen gibt, daß im Kaukasus die Ausrottung der Zivilbevölkerung als Partisanenbekämpfung getarnt wird). Doch die Abrechnung mit Ernst Jünger, die vor allem Hannes Heer vornimmt, erliegt nicht der Gefahr, seine Rolle überzubewerten, genausowenig wie die Darstellung von Zügen des Mitempfindens bei diesem so gepanzerten Soldaten-Autor zu dessen Reinwaschung beitragen kann. Ein Beobachter des Vernichtungskrieges, der vieles gar nicht allzu genau wissen möchte - das ist seine Rolle. -(lz)

Robert Morris in den Deichtorhallen

Eine Schachtel, die spricht,

ist auch keine Kunst

Eine Arbeit, die allein Unterhaltungszwecken dient, aber dennoch mit dem Anspruch höchsten Ernstes auftritt, ist Kitsch. Eine künstlerische Arbeit hingegen, die versucht, den Bannkreis des Ernstes mit Selbstironie zu durchbrechen, verläuft sich oft spurlos im Lächerlichen. In diesem Spannungsverhältnis von Kitsch, Ernst und Lächerlichkeit hatte die bürgerliche Kunst nun immer ihren Ort; oft war es auch gerade der Austausch zwischen diesen Polen, der zu einer Weiterentwicklung der Kunst führte, wo sie nötig war. Nun ist mit der modernen Kunst, vor allem wo sie als Avantgarde auftrat, dieses Spannungsverhältnis noch verdichtet worden, indem hier eine vielräumige Dialektik sich einschlich: die Malerei hatte zu Beginn des Jahrhunderts auf den Verlust der Gegenständlichkeit ja nicht nur mit Abstraktion reagiert, sondern auch mit Konkretion in neuen Formen. Der Kubismus etwa bediente sich der afrikanischen Kunst, andere verbanden Sachlichkeit und Karikatur zum genauesten Realitätsbild. Es wurden mithin Formen - und auch Inhalte - in die Sphären der Kunst gebracht, die zuvor allein zur konkreten Lebenswirklichkeit gehörten. So kam auch der Kitsch in die Kunst, in den dadaistischen Collagen zum Beispiel, so wurde aber auch die eigene Lächerlichkeit zum regelrechten Kunstmittel. Das Problem, was sich stellte, hieß ja nicht, durch Transformation einer Kunstform eine neue zu erreichen, sondern weitaus drastischer: es meldete sich das Ende der Kunst an, die Sinnlosigkeit des Weiterbestandes eines vom gesellschaftlichen Leben getrennten Bezirkes der Kunst. Es waren paradoxerweise gerade jene Künstler, die am schärfsten diesen Prozeß der Aufhebung der Kunst durch Selbstironie vorantreiben wollten, die auch den Fortbestand der Kunst durch eben diese Aktionen sicherten. Die Dadaisten bewirkten durch ihre schockierenden Auftritte nicht eine Abschaffung der Kunst, sondern erweiterten die Spielwiese des Künstlers; Marcel Duchamps Ausstellung eines Pinkelbeckens bedeutete nicht das Ende der Ausstellbarkeit von Kunst, sondern war vielmehr Initial für ganze Künstlergenerationen, Gegenstände des täglichen Gebrauchs in die Museen zu schleppen und zur Kunst zu erheben; die Aktionsmalerei und die Überschreitungen von Bildraum und Leinwand waren nicht das Ende der Malerei, sondern markierten nur den Raum genauer, in dem sich heute die Malerei putzmunter bewegt; Andy Warhols Suppendosen waren nicht die Kritik der Warentauschgesellschaft, sondern nur ihre neueste Werbekampagne. Selbst Joseph Beuys' Büro "für direkte Demokratie durch Volksabstimmung" auf der documenta 5 1972 brachte nicht die Kunst ins politische Geschehen ein, sondern eröffnete dem Bildungsbürgertum vielmehr die Möglichkeit, sein politisches Engagement fortan in die Museen zu verlegen. Kann Kunst also überhaupt sich selbst mit Ironie hinterfragen? Eine positive Antwort auf diese Frage hängt wahrscheinlich davon ab, wie hoch die Kunst ihre Ansprüche überhaupt setzt, ob vielleicht nicht auch schon Resignation dazugehört, das Wissen darum, daß die Kunst von innen heraus sowieso nicht revolutioniert werden kann. Robert Morris, der derzeit mit einigen Arbeiten in den Deichtorhallen zu sehen ist, scheint fähig zu sein, dieser Ironie gerade unter Bedingungen des institutionalisierten Kunstbetriebes Ausdruck zu verleihen. Das hat wohl zunächst damit zu tun, daß die Arbeiten Morris sehr raumeinnehmend sind, also das Museum ganz in Beschlag nehmen, gleichzeitig aber überhaupt nicht aufdringlich sind, was die Person Morris angeht. Vielmehr erfassen sie den Betrachter - nicht als Kunst, sondern mehr als kleines Kabinett der Effekte und optischen Täuschungen, der sinnlichen Spielereien also. Da gibt es einen fünfzehn Meter langen Flur, bei dem man erst spät merkt, daß er zunehmend enger wird; da gibt es riesige Spiegeleffekte, in denen man sich immer von hinten spiegelt (eine Anspielung auf Rene Magrittes Bild "Reproduktion verboten"?), und schließlich gibt es auch den jahrmarkthaften klassischen Zerrspiegel. Dies sind also nichts weiter als Effekte - und die Kunst an diesen Effekten besteht allerhöchstens dann im Umgang des Publikums mit diesen Werken; solange aber mit diesen Arbeiten nichts praktisch geschieht, sondern vermeintliche Kunstkenner theoretisierend an ihnen entlang flannieren, wird hier auch keine Kunst sein. Das macht Morris eben sympathisch: kein Künstler, der sagt "seht her, ich habe den Kunstbetrieb durchschaut und mache jetzt AntiKunst", um dann doch nur als Künstler neuer Art gefeiert zu werden, sondern Morris sagt eher "seht her, ich mache ganz große Kunstwerke, wie ihr es verlangt, nach euren Definitionen" - und dann narrt er das Publikum mit deren eigenen Ansprüchen. Da gibt es eine Holzschachtel, die die ganze Zeit - über Tonband - jene Klänge von sich gibt, die während der Herstellung dieser Schachtel gemacht worden sind; man hört Sägen, Raspeln, Hobel oder ab und zu mal einen Fluch des Handwerkers. Die Schachtel spricht also - und man kann sich schon die Kunstsymposien vorstellen, auf denen über die Rückgewinnung der Sprache der Dinge bei Morris diskutiert wird, seine Lebendigkeit, seine Kreativität, die linguistischen Implikationen; doch dagegen setzt Morris auch eine höhnische Frage: "Wie blöde seit ihr eigentlich zu glauben, Schachteln könnten, weil sie Kunst sind, sprechen?" Die Ausstellung ist noch bis 9. Mai in der Deichtorhalle zu sehen. -(rob)

Thesen zu einer Veranstaltung der AG BWK in und bei der PDS/LL

Der moderne Geschichtsrevisionismus -

Ideologische Grundlegung

des neuen deutschen Imperialismus

Die mediale Verarbeitung des 50ten Jahrestages des Untergangs des Dritten Reiches wirft für die neue deutsche Expansionspolitik Probleme auf. Ziel der nationalsozialistischen Expansionspolitik war die Neuordnung Europas unter deutscher Hegemonie. Unter der militärischen Alleinherrschaft der Nationalsozialisten waren den Ländern und Völkern Funktionen zugewiesen, die Palette reichte vom Angebot, an der Macht teilzuhaben, über die Verurteilung zu Zwangs- und Sklavenarbeit hin zur Deportation und Massentö tung. Die Differenz zum gegenwärtigen Zustand ist offensichtlich, aber es gibt Éhnlichkeiten der Situation, die politisch wirksam werden. So war für die Nationalsozialisten der Osten Entfaltungsraum deutscher Expansion. Die gesamte Kriegführung der Nazis war auf das Ziel hin ausgerichtet, die Widerstandskraft der Völker im Osten Europas zu brechen. Die Faschisten dachten sich den Osten als einen offenen Verfügungsraum für deutsche Siedlungs- und Verwertungsinteressen. Sie wollten ein soziales und kulturelles Gefälle organisieren, in dem die arbeitenden Massen auf verordnet niedrigem Niveau, gewaltsam festgehalten, zum Verbrauch durch die großen Wirtschaftsinteressen der deutschen Herren bereitgestellt sein sollten. Diese Vorstellung wurde von der deutschen Gesellschaft der zwanziger und dreißiger Jahre gierig aufgenommen. Die Expansion und das Florieren einer Herrenrasse bei gleichzeitigem Verzicht auf die Entwicklung der allgemeinen Lebensverhältnisse, ja der ausdrücklichen Bereitschaft, dem überwältigend großen Teil der Menschheit das Recht auf Teilnahme am Fortschritt, ja sogar auf Leben abzusprechen, das war eine brutale Verarbeitung der Erfahrung der Weltwirtschaftskrise. Dabei konnte sich der deutsche Nationalsozialismus auf Vorurteile und Realitäten stützen. Die Vorstellung eines "Kulturgefälles" von West nach Ost war in der deutschen Bevölkerung virulent. Dazu kam die staatstragende Rolle des preußischen Junkertums, in der sich das Verhältnis von angeborener Bestimmung zu "Herr" oder "Knecht" in die industrialisierte Gesellschaft hinübergerettet hatte. Die bürgerliche Ideologie bezog ihre umwälzende Kraft aus der kapitalistischen Wirtschaftspraxis, die ihre Schubkraft aus ihrer Tendenz zog, die Lebensverhältnisse in den von ihr erfaßten Gesellschaften zu modernisieren. Der deutsche Nationalsozialismus stellte zum ersten Mal eine Konzeption der Kapitalisierung der Welt vor, die sich diesem Angleichungsdruck entzog durch das Dogma der Vorherrschaft einer Rasse. Dadurch war ein ideologisches und dann auch ein politisches System geschaffen, in dem die Ungleichheit der persönlichen Rechte wie der politischen Verfassung zusammenhängend begründet werden konnte und sich zu einer Partei-, Militär- und Staatsorsation von beunruhigender Festigkeit zusammenballte. Das von den Fasten aufgerichtete System scheiterte nicht an sich selbst, sondern erst unter den Schlägen der von ihm Angegrifnen.

Worin läßt sich da auch nur irgendeine Éhnlichkeit zum heutigen Zustand erkennen? Auch heute gibt es ein breites Gefühl, daß die Angleichung der Lebensverhältnisse auf das Niveau der "entwickelten" Länder nicht möglich und nicht einmal wünschenswert wäre, auch heute geht die Expansionsstrategie des großen Kapitals nicht mehr von einer allgemeinen Fortentwicklung der Weltgesellschaft aus, sondern verfolgt eine Kapitalexportstrategie, die in einem Meer von Armut, politischer Abhängigkeit und Unterdrückung Inseln hoher Produktivität schaffen will. Es besteht neuerlich eine Situation, in der geplante Ungleichheit der Entwicklung nach einem ideologischen und politischen Begründungszusammenhang sucht. Vor diesem Hintergrund wird z.B. begreiflich, wieso die konservative Rechte so verbissen das Netzwerk der faschistischen Theoriebildner verteidigt. Verschärft wird diese Situation durch ein spezifisches deutsches Moment: Nachdem das Scheitern des Faschismus praktisch bewiesen hatte, daß Deutschland seinen Nachbarn nicht als Hegemonialmacht gegenübertreten kann, verstärkten sich Tendenzen, irgendeine Art von Auskommen zu suchen, die auf Gleichberechtigung beruhen sollte. Aber der Zerfall des realen Sozialismus, der mit einem Rückgang der politischen Widerstandskraft der östlichen Nachbarn des neuen Deutschland verbunden war, hat einen Raum für eine spezifisch deutsche Hegemonie geschaffen (Stichwort: Deutschland als Zentralmacht Europas). Vor den bestimmenden Mächten des neuen großen Deutschlands steht das wesentliche Kriegsziel der Faschisten als neue Verlockung. Die Verteidigung der geschichtlichen Tatsachen kann dieser Verlockung viel von ihrem gefährlichen Reiz nehmen.

Referat (Martin Fochler) u. Diskussion Freitag, 28. April, 19.00 Uhr Büro der PDS/LL, Palmaille 24

Völkerrechtler Prof. Paech kontra Außenminister Kinkel

"Türkei in die Schranken weisen"

Auf der gut besuchten Veranstaltung im Curio- Haus am 4. April hielt u.a. Prof. Norman Paech einen Vortrag über "Völkerrechtliche Aspekte der kurdische Frage und die Haltung der Bundesrepublik Deutschland". Da dieser Vortrag leider nicht schriftlich vorliegt, dokumentieren wir stattdessen ein Interview mit Prof. Paech aus dem Informationsdienst Depeschen aus der Türkei und aus Kurdistan, in dem er ebenso eine völkerrechtliche Bewertung der Aggression der Türkischen Republik vornimmt.

Am 19. März ist die türkische Armee mit offiziell 35000 Soldaten in die autonome UN Schutzzone des Nordirak einmarschiert, um dort angeblich Stellungen der PKK zu bekämpfen. Wie ist diese Invasion völkerrechtlich zu bewerten?

Den Grundsatz von der territorialen Souveränität eines Staates hat die UNO-Generalversammlung immer hochgehalten, wie zum Beispiel 1974, als sich die Türken den Nordteil Zyperns aneigneten. Die Verurteilung, die damals ausgesprochen wurde, hat die UNO bis heute aufrechterhalten. Die jetzige Invasion ist ganz eindeutig eine widerrechtliche Okkupation. Die Türkei beruft sich auf die Verteidigung ihrer Grenzen, und das ist nach Artikel 51 der UNO-Charta auch rechtmäßig. Nur ist dieser Fall hier nicht gegeben. Denn die Kurden flüchten vor dem türkischen Militär in ein Nachbarland. Das ist etwas anderes, als der Artikel 51 vorsieht, nämlich einen Angriff auf die Türkei. Vielmehr handelt es sich um einen Bürgerkrieg in der Türkei. Ankara kann sich deshalb nicht darauf berufen, ein Nachbarland anzugreifen. Diese Invasion ist ein Verstoß gegen das absolute Verbot von Gewalt, Artikel 2 Ziffer 4 der UNO- Charta und der territorialen Integrität, und beides ist zwingendes Völkerrecht, das heißt, daß die Staaten nicht einmal darauf verzichten können. Außerdem führt die Türkei an, daß es im Nord-Irak ein Machtvakuum gebe. Dies ist nicht der Fall. Die berühmte UNO-Resolution 688 vom April 1991 hat die Souveränität des Iraks nur insoweit eingeschränkt, als daß für humanitäre Zwecke internationale Organisationen dort arbeiten können. In der Präambel hat der Sicherheitsrat gerade die territoriale und politische Souveränität des Iraks noch einmal bekräftigt und alle Nachbar- und Mitgliedsstaaten der UNO aufgefordert, dies zu achten. Im Nord-Irak gibt es kein Machtvakuum, denn was dem Irak in der Schutzzone an Souveränität fehlt, das hat vor über drei Jahren die UNO übernommen, nämlich die irakischen Kurden dort zu schützen. Wenn jetzt die Türkei dort eingreift, dann ist das nichts anderes als eine Verletzung nicht nur der territorialen Souveränität, sondern auch dieses Schutzbereiches, den der Sicherheitsrat dort eingerichtet hat. Man muß sich fragen: Warum protestiert der Sicherheitsrat nicht gegen diese zweifache Verletzung?

Wie kann die Türkei gezwungen werden, die Normen des Völkerrechts einzuhalten?

Das könnte gefordert werden durch den UNO-Generalsekretär und durch andere Mitgliedsstaaten. Das müßte der Sicherheitsrat aufgrund seiner Vorgaben verurteilen. Es ist eine politische Frage, weswegen er das nicht macht. Sie wird beantwortet, wenn man sich genau anschaut, wer dort im Augenblick das Sagen hat. Das ist die Bundesrepublik Deutschland.

Wird die NATO von dieser militärischen Aktion vertraglich berührt?

Die Invasion der Türkei verletzt auch den NATO-Vertrag, der so etwas nicht gestattet, sondern nur eine Selbstverteidigung, aber dieser Fall ist nicht gegeben.

Die römischen Zusatzverträge der NATO geben einem Mitgliedsstaat auch die Möglichkeit zum Einsatz von Waffen bei der inneren Bedrohung durch Terrorismus. Kann sich die Türkei auf einen solchen Standpunkt berufen, um damit die Invasion zu legitimieren?

Ganz klare Antwort: nein! Und zwar ist das ein Ergebnis der Analyse dessen, was in Südostanatolien vor sich geht. Dort gibt es nicht irgendeine Terrorbewegung, sondern dort findet ein Kampf um das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes statt. Das ist auch völkerrechtlich anerkannt. Das Selbstbestimmungsrecht gibt allen Völkern das Recht auf Autonomie sowohl der eigenen kulturellen Tradition, der Sprache, Religion, aber auch die Möglichkeit, gewisse Selbstverwaltungseinheiten zu bilden. Bei dauernder Vorenthaltung dieser Rechte und bei dauernder Verletzung der Menschenrechte erweitert sich dieses Selbstbestimmungsrecht zu einem Sezessionsrecht. Es gibt zur Zeit keine Anzeichen, daß die türkische Regierung und das Militär einen anderen Kurs einschlagen. Deshalb ist der Bürgerkrieg ein Krieg um das Selbstbestimmungsrecht, in dem die Seite, die darum kämpft, auch das Recht zur Gewalt hat. Dieses ist seit 1974 auch den Befreiungsbewegungen der PLO, dem ANC, PAC und allen afrikanischen Befreiungsbewegungen zuerkannt worden und ist geltendes Völkerrecht, selbst wenn Staaten, die davon betroffen sind, insbesondere die alten Kolonialmächte, dies ungern hören.

Gibt es Instrumentarien, die Türkei zum Rückzug aus dem Nordirak zu bewegen?

Ja, und zwar über Artikel 39, in dem der UNO-Sicherheitsrat feststellen muß, daß es sich hier um eine Gefährdung des internationalen Friedens und der UNO- Charta handelt. Es gibt politische Druckmaßnahmen, aber auch wirtschaftliche Sanktionen des Artikels 41, Embargomaßnahmen bis hin zu militärischen Zwangsmaßnahmen nach Artikel 42. Interessant ist nur, daß sich der Sicherheitsrat im Augenblick zu nichts bequemt. Auch über die NATO gibt es Druckmöglichkeiten.

Wozu führt eine solche Verletzung des Völkerrechts, wenn sie ohne Konsequenzen bleibt?

Wenn die Türkei von der NATO und von der UNO geschont wird, dann hat das einen weiteren Verlust des Ansehens der UNO zur Folge, wie etwa bei der völkerrechtswidrigen Besetzung des Libanons, des Gaza-Streifens, der Westbank und der Golan-Höhen durch Israel.

Auswertung der Tarifrunden

Chemie-Tarifabschluß 1995

Achtungserfolg mit vielen Problemen

Der folgende Artikel wurde uns von der AG "Betrieb und Gewerkschaft" der PDS übersandt.

1. Die Ausgangslage Die Chemieindustrie hat die Rezession überwunden, die Branche verzeichnet kräftige Produktions-, Umsatz- und Ertragssteigerungen. (gp magazin, Januar 1995, S.10/11) Der Konjunkturschub hat die Chemie früher und stärker erreicht als andere Branchen. Das gilt besonders für die Lieferung von Grundstoffen für die Betriebe anderer Zweige der Produktion. Gegenüber 1993 stieg die Produktion in der Chemie insgesamt um 5-6%, getragen war die Produktionssteigerung 1994 v.a. vom Export. In den ersten 9 Monaten 1994 stieg der Umsatz im Export-Geschäft um 7,1%, im Inland dagegen nur um 2,2% (Hauptgrund dafür sind die Reallohnverluste und die sinkende Massenkaufkraft). Der Umsatz pro Beschäftigten wurde in den Chemiebetrieben um 9,3%, je Arbeitsstunde sogar um 12,8% gesteigert. Die Produktivität erhöhte sich um 11%, was deutlich über dem Zuwachs der übrigen Industrie liegt. Der Anteil der Personalkosten am Umsatz verminderte sich 1994 um 1,6% auf nur noch 18,4%, in der übrigen Industrie sank der Personalkostenanteil um 1% auf jetzt 20%. Zwar ist in der Chemie noch nicht wieder das exorbitant hohe Ertragsniveau vor Beginn der Rezession erreicht, doch die Profite explodieren wieder, Gewinnsprünge und Dividenden-Erhöhungen v.a. in der Großchemie sind angekündigt. 1995 wird es weitere erhebliche Gewinnsteigerungen für die Chemie-Unternehmen geben (Hans Terbrack, für Tarifpolitik zuständiges Hauptvorstandsmitglied, in: Standort Chemie, Nr.1/1995, S.5). Gleichzeitig prognostizieren die Unternehmen 1995 einen weiteren Personalabbau bei gleichzeitiger Ankündigung von Mehrarbeit aufgrund z.T. extremer Personalengpässe (ebenda). Angesichts dieser Ausgangslage war die Forderung der IG Chemie für den Pilotbezirk Hessen (6% mehr Entgelt, 80 DM mehr Ausbildungsvergütungen, mehr Ausbildungsplätze und Übernahme nach der Ausbildung) eher moderat. Auch die grundsätzliche Orientierung auf einen Tarifabschluß oberhalb der 1995 zu erwartenden Preissteigerungsrate (Terbrack) ist eher defensiv und dürfte nach mehrjährigen Reallohnverlusten im teilweisen Widerspruch zu der höheren Erwartungshaltung vieler Mitglieder stehen.

2. Das Ergebnis Am 8. März, d.h. nach dem Tarifabschluß in der Metall-Industrie, haben die IG Chemie und die Chemie-Arbeitgeber sich auf einen Tarifabschluß im Pilotbezirk Hessen geeinigt, der inzwischen auch von den anderen Bezirken übernommen wurde. Dieser Tarifvertrag beinhaltet im einzelnen folgendes: Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 13 Monaten. Die Entgelte werden um 3,8% erhöht (vom 1.3.95 bis 28.2.96). Für Februar 1995 gibt es eine gestaffelte Sonderzahlung nach Einkommensgruppen (E1-E5: 200 DM, E6- E13: 240 DM). Die Ausbildungsvergütungen erhöhen sich um 40 DM (1. und 2. Ausbildungsjahr) bzw. 50 DM (3. und 4. Ausbildungsjahr). Die 1994 vereinbarten "beschäftigungsfördernden Maßnahmen" mit ermäßigten Einstiegstarifen werden bis Februar 1996 befristet verlängert. Die Einstiegstarife bleiben unter 100% des Normallohns, wurden im einzelnen aber wie folgt erhöht: Langzeitarbeitslose erhalten 90% (müssen laut Definition jetzt aber 9 statt bisher 6 Monate arbeitslos sein), externe Berufsanfänger in den höheren Entgeltgruppen (ab E10) erhalten im 1. Beschäftigungsjahr jetzt 95% statt bisher 92,5%), überne Mitarbeiter in einen ausfremden Beruf in den unteren Entgeltgruppen erhalten im 1. Berufsjahr wieder 100% (vorher 90%). Die Arbeitgeber verpflichten sich, die Ausbildungsplätze um 10% im Vergleich zu 1994 zu erhöhen, ein paritätisch besetzter "Runder Tisch" soll die Abwicklung "überprüfen und fördern". Die Rahmenbestimmungen für die tariflichen Jahresleistungen wurden präzisiert und in einem Bundestarifvertrag zusammengefaßt, der zum 1.1.1996 in Kraft tritt. (siehe Tarifinformation der IG Chemie und FAZ, 10.3.95)

3. Rolle der IG Chemie im Tarifkampf '95 Die IG Chemie hat in der 95er Tarifrunde bewußt nicht die Vorreiter-Funktion übernommen, wie z.B. noch im Vorjahr, in dem sie mit dem rasch abgeschlossenen Nulltarif ein äußerst negatives Signal für die anderen Branchen gesetzt hat. Diesmal wurde erst abgewartet, wie sich die Auseinandersetzungen im Metallbereich entwickeln. Erst als in der bayerischen Metallindustrie die drohende Konfrontation (angekündigte kalte Aussperrung der Unternehmer und bundesweite Antwort- Streiks der IGM mit Ausstrahlung auch auf andere Tarifkämpfe) überraschend abgewendet wurde und es zu einem schnellen Abschluß kam, zog die Chemie-Branche sofort nach. Offenbar gab es in der diejährig hochexplosiven Tarifrunde ein abgestimmtes Vorgehen der DGB Gewerkschaften in den unterschiedlichen Branchen auf höchster Ebene. Das Hauptmotiv der IG Chemie-Führung dürfte es gewesen sein, massivere Kämpfe (bis hin zu Streiks in den Großbetrieben) möglichst zu vermeiden und zugleich von dem erhofften guten Ergebnis in der Metallindustrie profitieren zu können. Das war taktisch der beste Weg, um aus der Klemme der hohen Mitglieder-Erwartungen einerseits und der konfrontativ-provokativen Haltung der Chemie-Arbeitgeber andererseits herauszukommen. Nach der 3. Verhandlungsrunde am 22./ 23.2.1995 mußte die IG Chemie die Verhandlungen auf den 8. März vertagen, weil die Chemie-Arbeitgeber bei dem Niedrig-Angebot von 2,3% blieben und sich unwillig zu weiteren Verhandlungen zeigten. Eine kalkuliert härtere Gangart (Großdemonstration der IG Chemie in Frankfurt/Main am 4. März), kombiniert mit weiter demonstrierter Verhandlungsbereitschaft, führte aus Sicht der IG Chemie-Führung 1995 zu einem erfolgreichen Abschluß. Der im Rahmen des DGB extrem sozialpartnerschaftliche Kurs konnte unter erschwerten Bedingungen auch in dieser Tarifrunde noch einmal aufrechterhalten werden.

4. Knappe Reallohn-Sicherung bei explodierenden Profiten Im Vergleich z.B. mit dem Metallabschluß '95 schneidet der Chemie-Abschluß besser ab. Die Laufzeit konnte auf 13 Monate begrenzt werden (Metall: 2 Jahre). Die durchschnittliche Entgelterhöhung liegt etwa bei 4%, bei einer sozialen Komponente in den unteren Entgeltgruppen (unterste Entgeltgruppe ca. 7%). Zudem sind die Löhne in der Chemiebranche traditionell relativ hoch im Vergleich zu anderen Branchen, auch zum Metallbereich. Dennoch ist das finanzielle Volumen des Tarifabschlusses insgesamt bescheiden, die Reallöhne können bestenfalls 1995 knapp gesichert werden angesichts der Preissteigerung und erhöhter Abgaben- und Sozialleistungen kommunal und bundesweit. Die Verluste aus mehreren Jahren sinkender Reallöhne konnten auch nicht annähernd ausgeglichen werden, berücksichtigen muß man außerdem, daß in den Chemie-Großbetrieben 1994 überall versucht wurde, übertarifliche Lohnbestandteile mit Tariferhöhungen zu verrechnen, was aufgrund von Kampfmaßnahmen der Beschäftigten nur zum Teil verhindert werden konnte. Gemessen an der Profitexplosion besonders der Großchemie im vergangenen Jahr und der erwarteten weiteren Gewinnsteigerungen 1995 ist die defensive Orientierung der gesamten Tarifpolitik der IG Chemie, aber auch der anderen DGB-Gewerkschaften dringend revisionsbedürftig.

5. Sicherung und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen - offene Fragen Die Verpflichtung der Chemie-Arbeitgeber, 10% mehr Ausbildungsplätze einzurichten, ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Aufgrund des niedrigen Ausgangsniveaus ist das allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn in den letzten Jahren haben immer mehr Betriebe ihre Ausbildungsangebote drastisch verringert, Ausbildungspersonal und -einrichtungen reduziert, einzelne Betriebe haben sich völlig aus der Berufsausbildung zurückgezogen (z.B. Tarif-Informationen der IG Chemie, Bezirk Nordmark). Außerdem bleibt die Frage, wie die Arbeitgeber wirklich gezwungen werden können, qualifizierte Ausbildungsplätze in ausreichender Form bereitzustellen und v.a. auch die Azubis nach der Ausbildung zu übernehmen. Die IG Chemie hat die Absenkung der Einstiegstarife, wenn auch in modifizierter Form (bei z.T. höheren Bezügen) erneut befristet verlängert. Und dies trotz der eindeutig negativen Erfahrungen in den meisten Chemiebetrieben und gegen den erklärten Willen vieler Vertrauensleute-Körper besonders in den Großbetrieben. Das Angebot ist von den Arbeitgebern kaum genutzt worden, im Gegenteil wurde weiter Personal abgebaut und wie geplant rationalisiert. Es bleibt die negative Signalwirkung auf andere Branchen und auf die Arbeitsmarktpolitik und den 2. Arbeitsmarkt. Zum Schluß bleibt noch zu erwähnen, daß auch die 1994 vereinbarten größeren Möglichkeiten für flexiblere und differenziertere Arbeitszeiten im Manteltarifvertrag wenig genutzt wurden. Auch in diesem Punkt bleibt die Frage, ob die ermöglichte Verlängerung der Arbeitszeit für ganze Betriebe auch über einen längeren Zeitraum nicht ein Signal in die falsche Richtung ist (im Metallbereich gilt ab Herbst 1995 die 35-Stunden-Woche). Eine langfristig angelegte Strategie der IG Chemioe zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, die auch weitere Arbeitszeitverkürzungen sowie eine härtere Gangart auch in teilweiser Konfrontation mit den Unternehmern einschließt, muß in der IG Chemie, aber nicht nur dort, erst einmal diskutiert und dann umgesetzt werden. Benutzte Literatur: laufende Tarifinformationen der IG Chemie; gp magazin 1/95; Standort Chemie Januar '95; FAZ 10.3.95 Holger Zerrahn, PDS-AG Betrieb und Gewerkschaft Hamburg)

Prozeßbeobachter Hogefeld-Prozeß

Zusammenlegung der

Gefangenen aus der

RAF gefordert Die Hamburger Vizepräsidentin von Pax Christi, Gisela Wiese, nimmt zur Zeit zusammen mit Pfarrer Hubertus Janssen, Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie, und Hanno Heil, Persönlicher Referent des Limburger Bischofs Franz Kamphaus, als Beobachterin am Prozeß gegen Birgit Hogefeld vor dem Frankfurter Oberlandesgericht teil. Wir veröffentlichen eine aktuelle Stellungnahme.

Laut Zeitungsberichten wollen Justizministerinnen und minister verschiedener Länder die Zusammenlegung von Mitgliedern der RAF erörtern, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen. Schon vor zwei Jahren hat Bischof Franz Kamphaus in einem Interview erklärt, daß es ihm dringlich erscheint, den Inhaftierten aus der RAF zu ermöglichen, über Fragen, die sie beschäftigen, miteinander und mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zu sprechen. Die Feststellung des Bischofs, daß dies ein wichtiger Beitrag zum Inneren Frieden in unserem Lande sei, gilt auch heute noch. Der Terrorismus ist nur zu überwinden, wenn am Ende nicht Sieger und Besiegte stehen, sondern Menschen, die sich gegenseitig in ihrer Würde respektieren und achten. Wir appellieren deshalb an die Justizministerinnen und Justizminister der Länder, die Zusammenlegung von RAF-Gefangenen, die dies wünschen, als einen wichtigen Schritt zu einer humanen Lösung des Terrorismusproblems zu ermöglichen. Es geht uns nicht darum, für eine bestimmte Gruppe von Inhaftierten Sonderbedingungen zu fordern. Vielmehr möchten wir, daß das, was über Jahre und bis heute durch besondere Haftbedingungen versäumt wurde, endlich ermöglicht wird. Die Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte und die Entwicklung von Zukunftsperspektiven setzt die Möglichkeit zum Gespräch voraus. Die Zusammenlegung darf deshalb nicht an die Erwartung eines bestimmten Ergebnisses gebunden werden. Wir verbinden mit einer Zusammenlegung jedoch die Hoffnung auf eine emanzipatorische Entwicklung, während die lebenslange Freiheitsstrafe in unseren Augen nur eine institutionalisierte Perspektivlosigkeit ist. Sie wird deshalb von uns abgelehnt. Freiheit zu gewähren, ist immer auch ein Risiko. Im Falle von einzelnen ehemaligen RAF-Aktivisten, die inzwischen langjährige Haftstrafen verbüßt haben, meinen wir, sei es an der Zeit, das "Wagnis der Freiheit" einzugehen. Weder in der Zusammenlegung noch in der Entlassung von Gefangenen aus der RAF sehen wir derzeit ein nennenswertes Risiko. Für wesentlich riskanter im Blick auf unseren Rechtsstaat halten wir die unerträgliche Tatsache, daß es bis heute nicht gelungen ist, die Geschehnisse im Verlauf der Festnahme von Birgit Hogefeld in Bad Kleinen, bei denen der Polizeibeamte Newrezella und der wegen Terrorismus gesuchte Wolfgang Grams ums Leben kamen, befriedigend und glaubwürdig aufzuklären. Wo die Wahrheit nicht ans Licht kommt, entstehend Mythen und Vermutungen. Sie können eine gefährliche Dynamik entwickeln. Wenn wir deshalb erneut eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge in Bad Kleinen anmahnen, geht es uns dabei um die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates, um eine Deeskalation zwischen Staat und RAF und nicht zuletzt um die Opfer. Die Geschichte des Terrorismus in unserem Land ist eine Geschichte von Leid, das nicht vergessen noch verharmlost werden darf. Damit sich diese Geschichte nicht endlos fortsetzt, muß sich der Rechtsstaat dialogbereit und an der Menschenwürde orientiert zeigen. Dialogverweigerung oder Machtdemonstration sind Irrwege. 7. April 1995, gez. Gisela Wiese, Pfr. Hubertus Janssen, Hanno Heil

50. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung der KZs

Das Programm der

Amicale Internationale

Auf der Grundlage der Verordnung des Reichpräsidenten von Hindenburg zum Schutz von Volk und Staat am 28.2. 1944 begann im März 1933 an zahlreichen Orten die Errichtung von Konzentrationslagern, in denen politische Gegner der nationalsozialistischen Machthaber ohne Gerichtsurteil inhaftiert und von SA und SS bewacht, mißhandelt und ermordet wurden. In den folgenden Jahren entstanden größere Konzentrationslager, die nach einheitlichen Richtlinien ausgerichtet wurden. Darüber hinaus wurden Zeugen Jehovas, Vorbeugehäftlinge, sogenannte Asoziale und ab 9. November 1938 tausende jüdische Bürger in die Konzentrationslager verschleppt. 1938 wurde in Hamburg-Neuengamme ein Außenlager des KZ-Sachsenhausen eingerichtet. Nach weiteren Überstellungen von Häftlingen aus den KZs Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau wurde 1940 Neuengamme ein selbständiges Konzentrationslager. Mit dem Überfall auf Polen begann der 2. Weltkrieg. In den Jahren 1940 bis 1945 deportierten Gestapo und Sicherheitsdienst der SS über 106000 Frauen und Männer aus über 20 Ländern in das Konzentrationslager Neuengamme und seine 80 Außenlager. Mehr als 55000 von ihnen überlebten das Lager nicht. Sie starben an den unmenschlichen Lebensbedingungen, an Hunger, sie wurden erhängt, erschossen, abgespritzt, vergast und auf den Todesmärschen wegen Schwäche erschossen. Am 20. April 1945 erlebten skandinavische Häftlinge aufgrund der Bernadotte-Aktion des Schwedischen Roten Kreuzes die Rückführung in ihre Länder. In der darauffolgenden Nacht wurden 20 jüdische Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren, deren Betreuer und 24 sowjetische Kriegsgefangene in der Hamburger Schule am Bullenhuser Damm von entmenschten SS-Schergen erhängt. Eine weitere Mordaktion fand einige Tage später im Bunker statt. Hier wurden 13 Frauen und 58 Männer des antifaschistischen Widerstandes aus Hamburg ermordet. Vom 20. bis 26. April 1945 schaffte die SS-Lagerführung mehr als 9000 Häftlinge zu Fuß und in Güterwaggons nach Lübeck. Hier wurden sie auf die vom Gauleiter Kaufmann zur Verfügung gestellten Schiffe verbracht. Im Verlauf der Kampfhandlungen am 3. Mai 1945 griffen englische Jagdbomber die vielen in der Lübecker Bucht liegenden Schiffe an, wobei von den Häftlingsschiffen die "Thielbek" versenkt wurde und die "Cap Arcona" in Brand geriet und kenterte. Über 7000 KZ-Häftlinge fanden angesichts der Befreiung den Tod. Zur Erinnerung an die über 55000 Toten des KZ Neuengamme und seiner Außenlager führt die Amicale Internationale KZ Neuengamme internationale Gedenkveranstaltungen durch. Es werden fast 800 Überlebende des KZ Neuengamme sowie Hinterbliebene und Angehörige aus zwölf Ländern Ost- und Westeuropas erwartet. 20. April, 10.30 Uhr Gedenkveranstaltung der dänischen Amicale am Platz des Krematoriums in Neuengamme. 16.00 Uhr Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an den Kindermord in der Hamburger Schule Bullenhuserdamm (heute: Janusz- Korczak-Schule). 23. April, 15.00 Uhr Veranstaltung in der KZ- Gedenkstätte Neuengamme zur Erinnerung an die Ermordung von 13 Frauen und 58 Männern des antifaschistischen Widerstandes im Arrestbunker des KZ Neuengamme. 30. April Zeremonie und Kranzniederlegung der belgischen Amicale im KZ-Außenlager Helmstedt-Beendorf. 1. Mai Gedenkveranstaltungen in den KZ-Außenlagern Scheppau, Schandelah und Gardelegen. 2. Mai, 10.00 Uhr Gedenkveranstaltung mit Überlebenden des KZ-Außenlagers Wöbbelin und ehemaligen US-Soldaten im Schloß Ludwigslust, anschließend Eröffnung der neuen Ausstellung, Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. 3. Mai, 10.00 Uhr Gedenkveranstaltung im Vorwerker Hafen in Lübeck, anschließend Einschiffung und Gedenkfahrt/Kranzniederlegung am damaligen Liegeplatz der Cap Arcona und Thielbek in der Lübecker Bucht. (Die weiteren Veranstaltungen zeigen wir in der nächsten Ausgabe an.)