EINS...ZWEI...DREI!...

von Sükrü Gülmüs

 

Es ist außerordentlich schwer, über ihren Tod zu erzählen.

Es findet sich kein Dichter, der ein Gedicht darüber schreiben könnte.

Es ist zu schwer, ein Heldenepos über sie zu schreiben.

"Wir lieben das Leben so sehr, daß wir sogar dafür sterben."

Das war ihre Parole, die kein Meister in ein Gedicht fassen kann.

Wir müssen entweder schweigen oder für sie einen Gesang anstimmen,

der den ganzen Erdkreis erfüllt:

"Ich habe die Umarmung der Mutter nicht gering geschätzt..."-

"Als ich krank war, bist Du nicht gekommen, komme wenigstens, wenn ich jetzt sterbe..."

 

Eins... Zwei... Drei!...

Eins: Mazlum Dogan, der am Newroz zum modernen Kawa geworden ist.

Zwei: Der sich im Blau der Augen entzündende Mai, Ferhat Kurtay, der mit dem Feuer seines Herzens die Nacht entzündete ... und Necmi, Mahmut, Esref, die Vier, die jene Nacht zur Hochzeitsnacht des Widerstands machten.

Drei: Unser Durmus, unser Pir,

Akif Yilmaz, Ali Cicek,

unsere roten Sterne!...

Die Rotationsmaschinen der Geschichte arbeiten ohne Unterbrechung.

Eins: 21. März 1982. Der moderne Kawa, Mazlum Dogan, zerriß am Newroz die gärende Finsternis des Kerkers mit dem Kampfruf: "Die Kapitulation führt in den Verrat, der Widerstand führt zum Sieg!"...

Zwei: 18. Mai 1982. Die Nacht der Vier. Ergriffen von dem durch Mazlum mit Abfällen in seiner Zelle entfachten Newrozfeuer, zündeten Ferhat Kurtay, Necim Önen, Mahmut Zengin und Seref Anyik ihre Zelle und sich selbst aus Protest gegen die brutale Unterdrückung im Gefängnis Diyarbakir an.

Drei: 14. Juli 1982. Das große Todesfasten.

Der Tod auf die schwerste Weise und auf die würdigste Weise.

Ein Viva von der Bastille nach Diyarbakir!...

Es ist zu schwer, über ihren Tod zu erzählen.

Es findet sich kein Dichter, der ein Gedicht darüber schreiben könnte.

Es ist zu schwer, ein Heldenepos über sie zu schreiben.

"Wir lieben das Leben so sehr, daß wir sogar dafür sterben."

Das war ihre Parole, die kein Meister in ein Gedicht fassen kann.

Wir müssen entweder schweigen oder für sie einen Gesang anstimmen, der den ganzen Erdkreis erfüllt:

"Ich habe die Umarmung der Mutter nicht gering geschätzt..."-

"Als ich krank war, bist Du nicht gekommen, komme wenigstens, wenn ich jetzt sterbe..."

 

Eins...Zwei...Drei!...

Ein, zwei, drei Streichhölzer, die den Müll in der Zelle entzünden...

"Wenn ich schmelze, soll mein Tod das Newroz küssen,

mein Fortgehen wird ein Funke in der Steppe der Herzen sein!..."

 

DIE VERSTEINERUNG DER HERZEN UND DER BANKROTT DER LOGIK IN DEN KERKERN VON DIYARBAKIR

Diyarbakir ist nicht nur für seine Melonen und seine Stadtmauer berühmt. Das war die Stadt vor der Geburt der revolutionären Bewegung Kurdistans.

Diyarbakir ist berühmt-berüchtigt für die Kerker, die Galgen,..., das Lumpenproletariat und bekannt für Süßholz. Zur Zeit der Diyarbakir-Prozesse vom 12. März 1972 gab es noch keine richtige Initiative, alles war noch weit davon entfernt, die gewünschte Stimme zu verleihen. Die Enkel von Scheich Said konnten es noch nicht besser ausfechten. Sie konnten die im Geheimen gehütete Wut des kurdischen Volkes noch nicht zum Ausdruck bringen.

Der türkische Staat baute für jeden Bezirk ein Gefängnis, aber für Diyarbakir gleich fünf:

Das Militärgefängnis Nummer 1: Dort lagen nur verurteilte Soldaten, sie kamen nicht in die Gefängnisse mit normalen - also zivilen, sozialen und politischen - Gefangenen.

Das Gefängnis Nummer 2: Dieses neuerrichtete E-Typ-Gefängnis hat eine Grundkapazität von 1.800 Plätzen. Es wurde eigentlich für soziale Gefangene geplant. Doch mit dem kolonialfaschistischen Militärputsch vom 12. September 1980 bemächtigten sich die Militärs dieses Gefängnisses. Es wurde berühmt-berüchtigt, weil dort zunächst alle politischen Gefangenen zusammengeführt wurden. Es wurde zum Kerker Nummer 2.

Gefängnis Nummer 3: Es war ein altes, heruntergekommenes Gebäude auf dem Gelände einer Militäreinheit. Auch dort wurden Gefangene hineingepfercht wie Sardinen.

Das Gefängnis Nummer 4 - es wurde aber Nummer 2 genannt: Auch das befand sich auf militärischem Gelände und war ein altes, leerstehendes Gebäude. Dort waren über lange Zeit bestimmte Persönlichkeiten wie Ferhat Kurtay eingesperrt.

Das Gefängnis Nummer 5: Es lag auf dem gleichen Militärgelände und war Teil einer Kaserne. Dort wurde Ibrahim Kaypakkaya gefoltert und ermordet. Einige wichtige Kader wie Hayri Durmus und Mazlum Dogan waren dort lange Zeit gefangen.

Und Nummer 6: Das hätte ich fast vergessen, es ist das Gefängnis in der Stadt, in dem die"gewöhnlichen" Gefangenen waren, doch auch das müssen wir mit aufzählen.

Der 12. September, das war der Putsch, der den faschistischen Charakter am offensten zeigte. Unersättlich blutrünstig übertraf dieser Militärputsch alle vorangegangenen. Er zerpflückte die türkische Linke wie ein Baumwollknäuel. Doch seine Hauptkraft richtete sich gegen die Revolutionäre Kurdistans, denen er seine Zähne ins Fleisch schlug. Sie duldeten nicht nur keine Opposition, die von Kurdistan sprach, sondern noch nicht einmal ein Lebewesen, das auch nur wagte zu sagen: "Ich bin Mensch." Sie verlangten Huldigung und Kapitulation, oder man mußte sich mit dem schlimmsten Tod abfinden. ...Sie wurden zum schwarzen Schandfleck dieses wunderbaren Planeten. Und die riesige Menschheit blieb angesichts der Wunde Kurdistan in der beschämenden Zuschauerrolle. Eine Kette von Massakern. Die Ermordeten wurden ohne Gebet und Trauerfeier mit Bulldozern in Massengräbern verscharrt. In den Menschenschlachthäusern feierten die Hunde ein Fest, schleppten Menschenarme, Menschenbeine und Menschenköpfe im Maul davon.

Die Revolutionäre Kurdistans griffen angesichts dieser Unerbittlichkeit zur Rückzugstaktik.

Um sich dieser Gewalt des Feindes entgegenzusetzen, war eine stärkere revolutionäre Kraft notwendig. Sie gingen über die Grenze, Syrien war ein Sprungbrett, der Libanon eine vorübergehende Zuflucht. Das gemeinsame Leben mit den Palästinensern, die notwendige militärische und technische Ausbildung.

Das wichtigste war, daß in Kurdistan der Tod zur Normalität geworden war... Die alltägliche Arbeit war auf die vorhandene Stufe abgestimmt. Als für die palästinensische Guerilla die Phase ihres Rückmarsches begann, trat die kurdische Guerilla unter der Führung der PKK als Befreiungseinheiten Kurdistans (HRK) auf die Bühne der Geschichte. "Ein Modell für ein Stück freies Land." In der Bekaa-Ebene konnte man wieder kämpfen.

Im Ausland gab es bestimmte Vorteile. Es gab verschiedene Alternativen. Man hatte eine Waffe in der Hand. Die Festungen der Freiheit eines Landes sind die Berge und das Volk im Land. Doch unter den schlimmsten Bedingungen war der Rückzug ins Ausland notwendig. Und was wird unterdessen aus denen, die drinnen sind? Was wird aus den Gefangenen?... Was konnten sie mit ihren bloßen Händen, mit ihrem Bewußtsein und ihrem Herzen gegen die Folter und Unterdrückung jeder Art ausrichten? (Gefangengenommen zu werden ist schließlich nichts außergewöhnliches, aber noch mal anders ist es, wenn man in seinem eigenen Land zum Gefangenen der fremden Macht wird...)

Diyarbakir ist die Hauptstadt Kurdistans. Nun war es für die Gefangenen die Folterzentrale, das Zentrum, wo der Staat den Verrat verbreiten wollte, das Gebiet seines Pilotprojektes. Aus allen Bezirken Kurdistans und der Türkei wurden die PKK-Gefangenen dorthin gebracht. Die aus Elazig nach Diyarbakir verlegte Gruppe von Gefangenen machte dort gleich mit Sahin Dönmez und seinen Schülern Bekanntschaft. Zur ãBegrüßungã gab es Prügel. Sie wollten die neue Gruppe mit dem Virus des Verrats anstecken. Fünf Leute faßten den Beschluß, Widerstand zu leisten. Es war erst der Anfang der Angriffe der Junta. Ihr eigentliches Programm hatte noch gar nicht begonnen. Sie befanden sich noch in der Vorbereitungsphase. Ihrer Meinung nach war das wichtigste, die Leute draußen unter Kontrolle zu bringen, da sie glaubten, die Gefangenen schon in die Tasche gesteckt zu haben. Das PKK-Hauptverfahren war in mehrere Gruppen unterteilt: 2.500 Menschen befanden sich im Gefängnis. Sie teilten das Gefängnis in sogenannte Blocks ein, die aber eigentlich nur große Zellen waren, vierstöckig, in jedem Stockwerk mit zehn Zellen. Eine Betonpritsche maß mit der Toilette zusammen 2,5 Meter x 1,5 Meter. Da wurde ein Mensch eingesperrt, manchmal aber bis zu fünfzig.

Auf die ersten Angriffe der Junta wurde mit einem acht bis 15-tägigen Hungerstreik reagiert. Im Block 35 und 36 wurden die Führungskader und entschlossensten Sympathisanten der PKK eingesperrt. Der erste faktische Widerstand dauerte fast sieben Monate. Während dieser Zeit waren Besuche von Angehörigen und Anwälten und Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen verboten. Die Verbindung zur Welt war abgeschnitten. Die Gefangenen der Zellen 35 und 36 hatten Kontaktverbot zu den anderen Gefangenen. Es gab ein von Kemal Pir angeführtes 43tägiges Todesfasten. Je länger das Todesfasten ging, desto brenzliger wurde die Lage der für die Gefängnisse Verantwortlichen. Schließlich wurde ein "Abkommenã getroffen. Drei Punkte wurden akzeptiert: 1. Wenn Offiziere kommen, müssen die Gefangenen aufstehen und sie mit "Mein Kommandantã ansprechen; 2. Zwei Mal in der Woche muß die türkische Nationalhymne gesungen werden; 3. Es werden reguläre Appelle durchgeführt. Dafür sollten die materiellen und ideellen Bedürfnisse der Gefangenen erfüllt werden, die Folter und Versuche, sie zu ãAbschwörernã zu machen, beendet und alle zur Verteidigung notwendigen Materialien beschafft werden können. Das wurde versprochen, aber noch bevor die Tinte auf dem Vertrag getrocknet war, waren alle "soldatischen Ehrenworte" wieder vergessen. Kemal Pir sagte: "Unser Pech ist, daß wir nicht einem mutigen Feind gegenüberstehen."

In Diyarbakir herrschte von Anfang bis Ende nur Folter. Die Folter und die Unterdrückung hatten zum Ziel, die Avantgarde zur Kapitulation zu bringen, sie dann zu "Abschwörernã zu machen und schließlich zu erreichen, daß sie Reue bekunden und von der Menschheit isoliert werden... Esat Oktay (1°) sagte: "Es wird die Zeit kommen, daß keiner von Euch mehr wünscht, herauszukommen." Sie wollten, daß die Gefangenen dann den Menschen nicht mehr ins Gesicht schauen können.

Der erste, der ein solches Leben nicht akzeptierte, der "Stop" sagte, der sich nicht einschüchtern ließ, war Mazlum Dogan. In einer Zeit, als jeder schon die Geschichte vergessen hatte, meißelte er das Newroz am 21. März 1982 in die Gehirne. Er sagte: "So zu leben bedeutet, jeden Tag zu sterben", entflammte mit den drei Streichhölzern, die er wie ein Geheimnis hütete, den Abfall in der Zelle und zerriß damit die gärende Finsternis in den Gefängnissen. Das Spinnennetz der Angst, das sich um die Herzen der Gefangenen gelegt hatte, wurde zerrissen, ihre Gehirne wurden wiederbelebt. Das Leben bekam einen Sinn, der Widerstand bekam frisches Blut.

Dann am 18. Mai die Vier, die sich in ihrer Zelle selbst verbrannten und die Finsternis zerrissen. Sie nahmen einen würdigen Platz neben Mazlum ein.

Als erster verspürte Ferhat Kurtay diesen Schlag in seinem Herzen, wurde zum zweiten Meilenstein des Feuers des Widerstands. Er plante ganz genau, wie er, zusammen mit drei Genossen, Mazlum und das Newrozfest grüßen wollte. Ferhat Kurtay sagte: "Wir bringen dem türkischen Volk Liebe, aber den türkischen Kolonialisten und Faschisten Haß entgegen." Sie haben ihre Herzen in den Flammen den Genossen dargeboten. Denen, die das Feuer löschen wollten, sagten sie: "Man gießt kein Wasser ins Feuer, das ist nicht die richtige Haltung gegenüber einer revolutionären Aktion. Das Feuer zu löschen ist Verrat..." Der Staatsanwalt, der die Untersuchung über den Vorfall leitete, negierte die Erklärung der Vier, die sich aus Protest selbst verbannt hatten. Er sagte: "Was müssen die für ein Herz gehabt haben?!"

Das war eine andere Form des Eingeständnisses ihrer Niederlage, die sie leugneten. Ja, was ist das für ein Herz, das bewußt und lachend in den Tod geht, welches Herz müssen solche Menschen besitzen?... Das werden die Kolonialisten wohl nie verstehen.

Es war ein Freiheitsmarathon. Mazlum gab das Startsignal. Er machte sich zum modernen Kawa und gab dem Newroz einen neuen Sinn und Inhalt.

 

14. Juli 1982

Hayri Durmus

"Es wurde gestoppt,

Gestoppt, gestoppt.

Mitten im Zentrum der Geschichte.

Spartakus mit seiner ganzen Kraft in Diyarbakir,

Der Gerichtssaal wie eine Römische Arena.

Das mit lauter Stimme gerufene Wort ist schärfer als das Schwert.

Die Unverschämtheit des Gerichts wird hinweggefegt.

Jetzt könnt ihr nichts mehr sagen,

Ihr werdet nicht mehr mit schlendernden Armen in Ruhe in unserem Land, wie es euch paßt,

herumlaufen können.

Ich gehe ohne Zögern in den Tod,

Ich schließe mich meinem Genossen Mazlum Dogan an, der

mit einer revolutionären Aktion sein Leben beendet und damit das einzig richtige getan hat."

 

Als er mit seiner Rede fertig war und an seinen Platz zurückkehrte, seine Augen glänzten und in seinem Gesicht lag ein Lächeln, war es, als öffnete sich eine Blume nach der anderen:

"Wir haben es geschafft!... Wir haben es geschafft, Kemal, geschafft!..."

Eine tiefe Stille legte sich über den Gerichtssaal. Der Richter wollte reden, da sprang Ali Cicek auf und rief: "Ich schließe mich dem Genossen Hayri an. Ich will sprechen..." Als er sich wieder setzte, stand Kemal Pir auf: "Ich schließe mich den Worten Ali Ciceks an. Ich trete ab sofort ins Todesfasten." Dann Akif Yilmaz, der seit Monaten auf eine solche Gelegenheit gewartet hatte: "Ich schließe mich auch den Worten des Genossen Kemal an und beginne mit dem Todesfasten." Dann standen immer mehr auf und sagten: "Ich auch...", "Ich auch..." Die Richter sprangen auf und verließen fluchtartig den Gerichtssaal. Sie hatten nicht die Kraft, sich noch mehr "Ich auch!" anzuhören.

Der türkische Staat hatte den Tod dieser Menschen ins Auge gefaßt. In Kurdistan wurden weder PKK-Gefangene noch Gefangene anderer Organisationen hingerichtet, während in der Türkei viele an den Galgen kamen. Die TR wollte die Gefangenen in Kurdistan, die sie nicht aufhängt, lebendig begraben. Kemal Pir erklärte: "Die Verantwortlichen dieses Staates haben kein Körnchen Verstand. Sie wollen, daß wir sterben, dabei wird ihnen unser Tod noch viel mehr Schwierigkeiten bereiten, als wenn wir leben."

Die Vampire der Junta nährten sich von dem Blut ihrer Opfer. Die Repression und die Versuche, den Gefangenen den Verrat aufzuzwingen, gingen weiter. Beim nächsten Todesfasten schlossen sich Cemal Arat und Orhan Keskin der Karawane der Märtyrer an. 1988 im großen Hungerstreik dann Mehmet Emin Yavuz, der bisher letzte Marathonläufer des Gefängniskampfes. Er sagte: "Ich gehe. Gebt meine Saz einem Genossen, er soll sie spielen, denn ich verstumme jetzt. Er soll an meiner Stelle spielen! "Eins...Zwei...Drei...

Eine Aktion, zwei Aktionen, drei Aktionen!..."

Eine jede ein wichtiger Meilenstein für die Revolution. Wie Ministerpräsident Özal sagte, im Kerker von Diyarbakir manifestierte sich eine kleine Revolution.

 

Hauptmann Esat Oktay Yildirim war für die Durchführung der Folter verantwortlich. Bereits 1974 war er bei der Invasion Zyperns durch seine Greueltaten aufgefallen. 1987 wurde er in Istanbul von PKK-Militanten erschossen.