Deshalb bin ich
aufgeregt und voller Hoffnung
Aus dem Tagebuch von Zinarin, V. und letzter Teil
3. März 1997
Überall gibt es Probleme mit der Führung, aber jene von diesem
Bataillon ist unvergleichbar. Die Ausgelassenheit kennt keine Grenzen.
Unsere Freunde sagten gestern ganz aufgeregt, dass zwei Tage für
die Vorbereitungen zum Aufbruch nach Haftanin nicht ausreichen würden.
Deshalb sollte der heutige Tag ohne Unterricht vergehen. Proviant soll
deponiert und die militärischen Utensilien vergraben werden. Obwohl
sie diese Gründe aufgezählt haben habe ich die Ansicht verkündet,
dass dies falsch ist. Dass ein ganzes Bataillon nicht nur mit solchen
Arbeiten beschäftigt werden darf. Aber wer hört schon drauf,
weder unsere feudalen Herren noch unsere vergnügungsliebende Freundin
Ruken. Die große Abteilung haben sie mit drei Säcken Mehl und
einem halben Sack BKC-Munition (Maschinengewehrmunition; Anm. Red.) aufgehalten.
Selber haben sie dann ihre Waffen gezückt und sind auf Jagd gegangen.
Weil sie sich so danach gesehnt haben, sind die Frauen in ihre Gruppen
zurückgekehrt und haben sich unbekümmert unterhalten. Ich bin
verrückt geworden,
bin durchgedreht, die Gruppe hat beim gestrigen Zusammenkommen Kritik
geübt.
4. März 1997
Es ist 6 Uhr morgens. Ich sitze auf dem großen Stein inmitten unseres
Lagers. Genau mir gegenüber: die tiefe lange und enge Schlucht, in
der wir uns befinden, beide Seiten sind von milchweißen Felsenblöcke
umgeben, die am Ende miteinander verbunden sind. Am oberen Ende der Schlucht
zeigen sich die schneebedeckten Hügel von Haftanin und Cudi. Über
uns ziehen die Wolken wie wildströmendes Wasser in Richtung Cudi,
deren ganzes Grau sich auf dem Berg widerspiegelt. Der Berg ist wie ein
Brennpunkt, an dem sich die Wolken verdichten. Unruhig sind wieder die
Vögel. In diesem Augenblick sind es vielleicht Tausende, die alle
zugleich eilig zwitschern. Sie singen ein Lied, dessen Fröhlichkeit,
Kummer, Zorn unverständlich ist. Das Braun der Erde, das Geld der
Blätter darüber, die frierenden weißen Zweige, auf deren
Spitze die Knospen bereit sind zu sprießen und das Dunkelgrau der
Tannen. Hat mich das auch früher so traurig gemacht? War ich früher
auch so?
13. März 1997
Haftanin
Kurz vorher haben zwei Flugzeuge, die tief geflogen sind, unseren Unterricht
sabotiert. Wir haben über die Frau, über ihre Versklavung, also
über uns selbst diskutiert. Seit einiger Zeit diskutieren wir schon
darüber. Aber ich sehe keinen ausreichenden Fortschritt im Leben
der Freunde. Sie scheinen zu lernen, es sieht zumindest vorerst so aus,
als würden sie einiges begreifen. Aber bei den einfachsten Dingen
ist die Oberflächlichkeit und Erbarmungslosigkeit nicht zu übersehen,
die sie an den Tag legen. Auch ich bin, was Lösungen finden betrifft,
unzureichend. Ich konzentriere mich auf die Ausbildung, genauso auf das
Leben. Aber ich habe Probleme damit zu einer Autorität zu werden.
Auch bei den Beziehungen zu den Führungskräften und auch was
Kollektivismus angeht. Seit dem Tag an dem ich mich von Newroz getrennt
habe, habe ich keine aufrichtigen Annäherungen gesehen. Immer heuchlerisch,
immer vereitelnd. Wann auch immer ich eine Kritik anbringe, nur dann kommen
sie auf die Idee mich zu kritisieren.
19. März 1997
Ich fühle mich gerade so bedrückt und beengt, dass ich weinen
könnte. Aber ich weine nicht. Ich kann diese Kuppeleien, diesen Individualismus
und den Ehrgeiz nach persönlicher Karriere und dem diesem nach geführten
täglichen Beziehungen nicht mehr ertragen. Ich kann mich niemandem
öffnen. Das Schlimme ist, dass die Kraft in der Hand des Unehrenhaften
ist. Und alle sind an der Seite der Kraft. Deshalb fühle ich mich
so hilflos. Ich gehe mit mir selbst ins Gericht. Ich (ver)urteile meine
Gefühle. Ist es wohl möglich, dass mein Zorn mich dirigiert.
Ist es Neid? Derartiges kann ich aber nicht erkennen. Ich bin nämlich
so weit, dass ich wirkliches diskutieren, kommunizieren und den Wunsch
nach Weggenossen am stärksten verspüre, und im Namen der Frau
am meisten arbeiten und entwickeln möchte. Und das wichtigste von
allem ist, dass ich die Kuppelungen Minute für Minute sehe.
22. März 1997
All die Menschen, die ich liebe, für die ich mich auf den Weg gemacht
habe und sie erreichen will, mein gestern und mein morgen, mein armes
aber sich wehrendes Volk, aus dem Blut und Leben gewordenen und dem Volk
gewidmeten, mutigen und kriegerischen Volkskinder, die, die wir zusammen
gelacht und geweint haben, die wir ein Stück Brot in zehn Teile geteilt
und zu hunderten eine Träne getragen haben, liebe Freunde, die beim
letzten Händeschütteln ihr Herzzerreißen und mit ihrem
tiefen Leiden ihre Tränen nach innen umgeleitet haben, Seelenfreunde,
die die Türen meines Geistes und meiner Seele zur Menschheit öffneten
und den Menschen zum Menschen machenden Samen der Liebe in mein Innerstes
einpflanzten, sie bewusst wässerten, mich meinem Volk, meiner Erde
und meiner Zukunft bindenden, mein Führer. Herzlichen Glückwunsch
zum Newroz.
Ich gratuliere dir zum Newroz, meine liebe Freundin Melsa.
Und auch du seist zum Newroz gegrüßt, die in mir keimende neue
Liebe.
NEWROZ PIROZ BE!
In diesem Moment macht unser Freund Cemal über die Stärkung
der Frauen, die Geschehnisse und Probleme eine Konferenz. Ich muss gestehen,
es ist wirklich zum einschlafen. Der Grund dafür ist, dass alles,
was er wirklich macht ein Ballastabwerfen von sich selbst ist. Ja, in
der Geschichte der Partei bleibt wieder ein ungeklärter Fall gelebt.
Das Wrack wird weiter bestehen.
27. März 1997
Kesanin
Es ist lange her, dass ich dir einiges anständig mal geschrieben
habe. Ich habe immer zwischendurch etwas hingekritzelt. Ich weiß,
höchstwahrscheinlich wird auch dieser Teil meines Briefes offen bleiben.
Der Grund dafür ist, dass wir die ersten Tage des Übergangs
in die Herbstordnung leben und die ganze Zeit unterwegs sind. Gestern
haben wir unseren Stützpunkt erreicht. Ich habe die Führung
eines neuen Blockes übernommen.
(Wie ich doch schon vorhergesagt habe. Ich muss mich jetzt um die Probleme
einer kleinen Freundin namens Dilan kümmern. Ich werde später
fortfahren.)
28.März 1997
Ja! Wie ich schon gesagt habe, wir sind nun eine Kriegseinheit. Und unsere
Einheit wird sobald der Schnee verschwindet im richtigen Sinne in den
Kriegszustand übergehen. Es besteht ohnehin an diesem Tag die Möglichkeit,
dass eine Operation beginnt. Die türkische Front zentriert ihre Abwehrkräfte
in Mardin und Sirnak. Nebenbei trifft die KDP im Süden auch einige
Vorbereitungen. Wenn eine Operation jetzt zur Rede steht, ist der einzige
Hindernis die sich nicht normalisierenden klimatischen Bedingungen, obwohl
es Ende März ist. Es schneit heftiger als im Januar. Natürlich
ist das für uns die Gelegenheit, die ohnehin verspäteten Kriegsvorbereitungen
zu Ende zu führen. Vor 34 Tagen wurde die neue Einteilung gemacht.
Als sich für mich die so nahe und doch ferne Möglichkeit nach
Beytüssebap zu gehen erübrigt hatte, wurde mir als zweite wichtige
Chance die Führung einer Kriegseinheit gegeben wurde. Vor drei Tagen
habe ich mich mit meiner Einheit, den unseren Kesani genannten Ort erreicht
und wir haben uns dort niedergelassen. Wir sind ein Teil von dem Bataillon
unseres Freundes Fazil. Gestern und heute hatten wir neue Diskussionen
und Einteilungen. Ich wurde als allgemeine Verantwortliche gewählt.
U.s.w...
Doch die Praxis macht es mir schwer. Die Praxis und vor allem die Kriegspraxis
ist wie ein großes Meer. Und ich fühle mich wie ein verwirrter
Fisch in diesem Meer. Wirklich in Bezug auf die Kriegspraxis gibt es keinen
Unterschied zwischen einem Kind und mir. Oder meine lieben
Freunde geben mir dieses Gefühl. Gestern haben wir besprochen, welche
Orte wir halten werden, wenn wir uns aufteilen. Als ich den Freund Fazil,
welcher in groben Zügen erzählte, bat die Gegend als Geländeskizze
zu präsentieren, hatten alle ein vielsagendes Schmunzeln im Gesicht.
Als hätte ich etwas sehr komisches und zusammenhangloses gesagt.
Das hat mich wirklich verletzt. Was soll´s. Es ist keine Schande
nicht zu wissen, schuldig ist, wer nicht lernen möchte. Dies sind
vergängliche Ereignisse. [...] Nach vielen Jahren werde ich den Krieg,
den Streit mit Begeisterung, mit Krach und Aufregung, vielleicht mit Schmerz,
also mit ihrer Einzigartigkeit erleben. Ich bin wirklich bereit dazu und
brauche es.
Ich denke, ja glaube daran, dass ich je mehr ich kriege und nach dem Krieg
lebe reifer, tiefgründiger und ein noch gefühlvollerer Mensch
werde. Ich werde meinem Selbst näher kommen und mich mit meinem Land
verwurzeln. Außerdem werde meiner Persönlichkeit nicht wirklich
angehörige Seiten mit dem Krieg abstreifen, und ich weiß, dass
die Tapferkeit der Frau sich auch in meiner Person spiegeln wird. Deshalb
bin ich, während ich auf den Krieg warte, aufgeregt und voller Hoffnung.
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