Von den Indoeuropäern zu den Turkvölkern

Die Entwicklung der kurdischen Gesellschaft und Kultur
von Dr. Mehrdad Izady, Teil II


An dieser Stelle setzen wir den Artikel zur Entwicklung der kurdischen Gesellschaft und Kultur von Dr. Mehrdad Izady fort. Wenn auch die Verwendung vieler nicht mehr gebräuchlicher Namen das Lesen oftmals mühsam macht, so finden wir es doch der Mühe wert, da in dem Text auch die Vielfältigkeit der Entwicklung zum Ausdruck kommt.
Die Kulturepoche der Arier
Bereits um 2000 v. Chr. hatten Teile der indoeuropäischen Völkerwanderer wie die Hethiter und Mittaniter (Sinti) Südwestasien erreicht. Während die Hethiter die Bergsiedlungen nur sehr bedingt beeinflussten, siedelten sich die Mittaniter in Kurdistan in der Gegend um das heutige Amed (Diyarbakir) an. Sie beeinflussten die Alteingesessenen in vielen Dingen, v.a. mit der Einführung des Teppichknüpfens. Von den Mittanitern eingeführte Teppichstile, die sich in Repliken assyrischer Bodenschnitzereien wiederfinden, sind auch heute Kennzeichen kurdischer Teppiche und Kelims. Die modernen Mina-Khani- und Chwar-Stile sind im Grunde dieselben wie die von den Assyrern kopierten vor fast 3000 Jahren.
Der Name Mittaniter überlebte in den kurdischen Klanen der Mattiner und Millaner/Milli, die noch im selben Gebiet wie die Mittaniter leben. Der Name Mittanitisch ist jedoch eher ein hurritischer als ein arischer Name. Zu Beginn der arischen Völkerwanderung nach Kurdistan waren nur der Adel und die hochrangigen Kriegergruppen Arier, während die Masse der Menschen Hurriter waren. Der mittanitische Adel entstammte mit aller Sicherheit den eingewanderten Sinti, deren Name im heutigen Klan der Sindi überlebt hat - wieder in dem Gebiet, in dem das mittanitische Königreich einst existiert hat. Die alten Sinti scheinen indisch gewesen zu sein und nicht iranisch, wahrscheinlich stammten sie sogar von den Sinti aus Indisch-Pakistan oder Indien ab, und ihr Name hat Verwandtschaft mit dem Indus. Der Großteil der Sinti zog nach Indien. Einige begaben sich nach Kurdistan und stellten das mittanitische Königshaus sowie die Sintikurden. Andere wanderten nach Europa und, so wurde im ersten Jahrhundert n. Chr. berichtet, bewohnten sie die Halbinsel Taiman am Azovsee zwischen der Ukraine und Russland.
Wie erwartet tauchen im mittanitischen Pantheon Namen wie Indra, Varuna, Suriya und Nasatya auf, die typisch indisch sind. Die Mittaniter könnten während dieser frühen Zeit die indisch-vedische Tradition eingeführt haben, die heute ein fester Bestandteil im Yazdanismus (Yezidentum) ist.
Die Lawine indoeuropäischer Stämme kam jedoch erst 1200 v. Chr. und brachten Chaos in die Wirtschaft und Kultur des Berg- und Tieflands. Der Norden wurde von den Haigs besiedelt, den heutigen Armeniern. Der übrige Teil der Berge wurde das Ziel für die Besiedlung durch verschiedene iranische Gruppen wie die Meder, Perser, Skythen, Sarmatiter und Sagarthiter (deren Name in "Zagrosgebirge" weiterlebt).
Um 850 v. Chr. waren die letzten hurritischen Staaten durch arische Invasoren zerschlagen. Ihre Anzahl war einfach überwältigend. Sie führten mit der Zeit zu einem Wandel der hurritischen Sprachen der Menschen in Kurdistan. Im dritten vorzeitlichen Jahrhundert war die Arisierung der Bergsiedlungen abgeschlossen.
Seitdem der Stern der Mittaniten um 1500 v. Chr. am hellsten erstrahlte, gab es weitere arische Dynastien von unterschiedlichen Größen und Einfluss, die sich in den verschiedenen Ecken Kurdistans entwickelten. Niemand aber konnte die Mittaniten überbieten, bis auf die Meder. Der Aufstieg der Meder von ihrer Hauptstadt Ekbatana (heute Hamadan) 727 v. Chr. fiel mit dem Niedergang des letzten bedeutenden hurritischen Königreichs zusammen, den Mannäern. Abgesehen von dem stolzen Erbe hurritischer Staaten und selbst des arischen Reiches der Mittaniten, das an jedem Ort von den heutigen Kurden in Anspruch genommen werden kann, waren es die Meder, von denen die Kurden abstammten. Die Meder werden immer wieder von Kurden als ihre Vorfahren gesehen und von anderen dazu erklärt. Dies scheint seltsam, wenn man die vielen tausend Jahre der kulturellen und ethnischen Entwicklung bedenkt, die seit der Ankunft und dem darauffolgenden Aufstieg der Meder zu einer bedeutenden Kraft in Kurdistan vergangen sind. In Wirklichkeit sind die Meder nicht mehr die Vorfahren der Kurden als die Völker der Halafa, Hurriter und Mittani, die vor ihnen kamen oder die verschiedenen Völker und Staaten, die ihnen folgen sollten. Trotzdem wurde sogar dem ersten kurdischen Satellitenfernsehen der Name "Med TV" (kurdisch für "Medisches Fernsehen") gegeben. Die Faszination von Kurden für die Medische Föderation (d.h. Reich), das bis 549 v. Chr. existierte, ist immer noch am größten.
Es ist für die meisten überraschend, dass unter den Kurden der arische Einfluss gegenüber den Hurritern zweitrangig war und bleiben wird. Kulturell steuerten die Arier wenig bei, das dem hinzugefügt werden konnte, was bereits im Zagros-Taurus-Gebiet bestand. Wie sich gezeigt hat, sind Nomaden nicht gerade für ihre kulturellen und zivilisatorischen Anstrengungen bekannt. Auf der anderen Seite neigten Nomaden dazu, existierende Siedlungen und Kulturen auf ihrem Weg zu Landbesitz und politischer Vorherrschaft zu annektieren. Es gibt ausreichende Belege dafür - einschließlich eines tatsächlich wirtschaftlich dunklen Zeitalters, dass ungefähr 500 Jahre in den Gebieten, die in Kontakt mit den Ariern kamen, anhielt - dass sie sich ebenfalls so barbarisch verhalten haben.
Der arische Einfluss auf die ansässigen hurritisch-kurdischen Menschen muss sehr ähnlich gewesen sein, wie der in Anatolien 2500 Jahre später, als Turknomaden dort nach der Schlacht von Manzikert 1071 einbrachen. Vieles kann von dieser näherliegenden nomadischen Umsiedlung in Hinblick auf die ältere und finsterere arische Episode gelernt werden. Nach Manzikert gaben die Turknomaden ihre Sprache den Millionen zivilisierten und kultivierten Anatoliern, die sie vom Christentum zu ihrer eigenen Religion, dem Hanafi Sunnitischen Islam bekehrten. Fast jeder in Anatolien nahm beim Beitritt zum Islam allmählich eine neue türkische Identität an. Aber das bedeutete nicht, dass die alte kulturelle, soziale Erbschaft ausgelöscht wurde. Im Gegenteil, die reichen und alten Kulturen und Völker Anatoliens blieben auch unter der neuen türkischen Identität bestehen, wobei sie einige kulturelle Elemente der Nomaden übernahmen.
Architektur, Haus- und Monumentalkunst, Landwirtschafts- und Weidetechniken sowie Religion blieben fast dieselben in Kurdistan nach der nomadischen Besiedlung, während die Menschen bald die indo-europäische, iranische Sprache dieser arischen Einwanderer annahmen, neue Gottheiten in ihren früheren hurritischen Pantheon zuließen und ein helleres Aussehen bekamen. In der Kultur Kurdistans kam es zu keiner plötzlichen Veränderung als sprachliche Verschiebungen unter arischem Druck stattfanden, abgesehen vom Auftauchen der sog. Graustein -Keramik.
Einflüsse bis Heute
Fast alles in der heutigen kurdischen Kultur kann zu dieser massiven hurritischen Substruktur zurückverfolgt werden, meistens auf bloßer Annahme und sehr oberflächlich in vielen bestimmenden Faktoren. Selbst die geachtete kurdische Taktik der Guerilla-Kriegsführung hat ihre Wurzeln innerhalb der hurritischen Gutis, lange bevor sie bei dem Meder Cyaxares bei seinen assyrischen Aktivitäten 612 v. Chr. getestet und weiterentwickelt wurde. In der Inschrift von Bisitun nahm der persische König Darius I. ebenfalls Kenntnis von dieser Taktik der Bergvölker gegen sein Heer und nannte die Guerilleros 'Kara' (die lexikalische Entsprechung des Begriffs "Guerillero"). Achthundert Jahre später stand König Ardasher, Gründer der persischen Sasaniden-Dynastie, derselben Verteidigungstaktik, diesmal der Kurden, gegenüber. Der Begriff, den er für sie verwendete war "janspar", der fast dieselbe Bedeutung mit dem modernen kurdischen Wort für Guerilleros hat, "pershmerga".
Bisher ist die Siegessäule des assyrischen Königs Tiglath-pileser I. (1114-1076 v. Chr.) der älteste Beleg für das Vorkommen des ethnischen Namens der Kurden. Sie listet die "Kurti" oder "Qurtie" bei den vom König in seinen Bergkriegen südlich des Vansees eroberten Völker auf. Die genauere Lage dieser "Kurti" wird von dem selben Dokument als Azu bzw. Hazu-Berg angegeben. Wir hatten bis vor etwa sechzig Jahren das außergewöhnliche Glück, dass diese "Adresse" über 3100 Jahren nach Tighlat-Pileser I. noch existiert. Die Stadt Kurti in der Hizan-Bergregion südlich des Vansees ist dieselbe wie die "Kurti bei dem Azu-Berg" der Assyrer. Die Stadt diente immer noch als Sitz eines kurdischen Fürstenhauses als der kurdische Historiker Sharaf al-Din Bitlisi die Geschichte dieser Dynastie in sein berühmtes Geschichtswerk, der Sharafnama, 1597 einreihte. Der "Geburtsort" der Kurden bestand unter dem archaischen Namen weiter bis die türkische Regierung ihn und den ihn durchlaufenden Fluss in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in Bahcesaray umbenannte. Der älteste kurdische Ortsname - sein Geburtsort - wurde somit selbst Teil der Geschichte.
Der akkadische Begriff "Kurti" bezeichnete in etwa eine unbestimmbare Gruppe der Einwohner der Zagros- (und östlichen Taurus-) berge. Bis zu ihrem endgültigen Untergang im sechsten vorzeitlichen Jahrhundert nannten die Babylonier undifferenziert und offensichtlich abwertend jeden Bewohner des Zagros-Taurus-Systems einen "Guti", einschließlich der Meder! Aber babylonische Quellen weisen auch genauer unterteilte Bezeichnungen wie z.B. die Mardi, Kardaka, Lullubi und Qardu auf. Seit dem 3. Jh. v. Chr. wurde jedenfalls der Begriff "Kurde" (eher noch als "Kurti") verwendet. Polybios (ca. 133 v. Chr.) in seiner Geschichte (im Bericht über die Ereignisse zwischen 221/220) und Strabo (starb ca. 48 n. Chr.) in seiner Geographie sind die frühesten westlichen Quellen, von denen ich weiß, dass sie die Kurden mit ihrem heutigen ethnischen Namen genannt haben, allerdings in der griechischen Version "Kurtioi" oder lateinisch "Cyrtii". Die Historiker Livius, Plinius, Plutarch und später auch Procopius erwähnen diesen ethnischen Namen für die Bevölkerung des medischen Gebietes und Teilen Anatoliens. Ptolemäus versorgt uns unbeabsichtigt mit einer Reihe kurdischer Klannamen als Ortsbezeichnung, z.B. wenn ein Klan sich niedergelassen hatte. Erwähnt werden u.a. Bagraoandene für die Bagrawands oder Bakrans von Diyarbakir, Belcanea für die Belikaner von Antep, Tigranoandene für die Tiriganer von Hakkari, Sophene für die Subhaner von Elazig, Derzene für die Dersimer und Bokhtaner von Bokhtan (Botans). Diese Klane existieren auch heute noch.
Als die arischen Meder, Perser und Sagarther die Ostflanke des Zagros um 1000 v. Chr. erreichten, setzte eine gewaltige Binnenwanderung vom östlichen Taurus und nördlichen Zagros zum südlichen Zagros ein. Im sechsten vorchristlichen Jahrhundert gab es viele große Stämme, die wir heute unter den Kurden finden, auch im südlichen Zagros, in Fars und sogar Kirman. Bereits im 3. Jh. v. Chr. berichten die Griechen von den "Kurtioi" und später römische Autoren (in der lat. Form "Cyrtii), welche den südlichen Zagros (Persis oder Pars/Fars) ebenso wie den mittleren und nördlichen Zagros (das wirkliche Kurdistan) bevölkern. Dies blieb so für weitere 1000 Jahre als der ethnische Name "Kurde" alle bzw. den größten Teil der Einwohner der Berge verwendet wurde, von der Straße von Hormuz bis in das Herz Anatoliens. Der nördliche Zagros und Anatolien sprachen einmal zusammen mit verschiedenen verwandten Gruppen die iranische Sprache. Aber vor 2000 Jahren wurden viele von ihnen - wie z.B. die iranischen Pontier, Kommagener, Kappadokier, die westlichen Meder und indischen Mittaniter - wie schon früher die hurritischen Mannas, Lullubis, Saubarus, Gutis und Kardaker vollständig in den neuen kurdischen Schmelztiegel absorbiert. Sie gehören zu den zahlreichen Bergvölkern, deren Assimilation die heutigen Kurden kulturell, sozial und sprachlich hervorgebracht haben. Die kurdische Vielfalt von ethnischer Zugehörigkeit, Tradition und Sprachdialekten der heutigen Zeit weisen auf diese zusammengesetzte Identität hin. Das Überleben ihrer Namen unter den Klannamen Kurdistans trägt am meisten zu ihrer Erinnerung bei.
Plinius der Ältere (bis 79 n. Chr.) versuchte zu ergründen, was für ihn eher eine Namensänderung für ein bekanntes Volk gewesen ist, indem er die allmähliche organische Assimilation einer dieser Gruppen in den größeren kurdischen Schmelztiegel beobachtete. Die verschiedenen Nationen der bekannten Welt aufzählend, schrieb er: "An Adiabene (Zentralkurdistan um Arbil) anschließend befindet sich das Volk, das früher Carduchi [die Kardukhoi] genannt wurde und jetzt Cordueni heißt, nach dem der Tigris fließt ..."
Diese von Plinius erwähnten Carduchi sind dasselbe Volk, dem Xenophon und mit ihm 10000 griechische Soldaten gegenüber standen als sie sich dreihundert Jahre früher durch Kurdistan zurückzogen (401 v. Chr.). Xenophon nannte sie "Kardukhoi". Der Name ist in etwa derselbe wie "Qardu" (das Volk, das die königliche Garde der Babylonier vor 530 stellte) und "Qarduim" (das Volk, das des öfteren im Talmud erwähnt wird).
Klassisches Altertum
Zu Beginn der Klassik um 300 v. Chr. hatten sich mehrere bedeutende kurdische Staaten entwickelt, dank des großen Bevölkerungszuwachses und Bewegung unter den Kurden (wie oben erwähnt). Der kurdische Klan Zelan von Koppadokia (das Gebiet um Malatya und Kaysari in der Türkei) z.B. breitete sich aus um zusätzlich zur Zelanidischen Dynastie von Kommagene, das zelanidische Königreich Kappadokia und das zelanidische Reich am Pontus (alle in Anatolien) zu gründen. Das zelanidische Reich von Pontus expandierte unter Kaiser Mithridates VI. (d. Gr.) bis ins südöstliche Europa und die Ukraine und kämpfte um ein Bündnis mit den Galliern und Iberern, um einen gemeinsamen Angriff gegen Italien zur Zerstörung des aufsteigenden Sterns Rom zu unternehmen. Die Jahrzehnte von Land- und Seekampagnen, die darauf folgten, wurden von sämtlichen römischen Historikern für die einzige Möglichkeit für das römische Überleben gehalten. Seine allumfassende Erklärung zur Abschaffung der Sklaverei verschaffte Mithridates einen anhaltenden Respekt als der "erste Befreier". Sein Ruf nach Freiheit verursachte den Sklavenaufstand des Spartakus in Rom. Mit dem Tod des Kaisers Mithridates d.Gr. endete der kurdische Widerstand gegen die römische Expansion nach Westasien. Das dramatische Finale kam mit der Schlacht von Zela (47 v. Chr.) zwischen Kaiser Pharnaces II. (Sohn des Mithridates) und Julius Caesar. Caesar verkündete seinen Sieg über den kurdischen Monarchen im römischen Senat mit den unsterblichen Worten "Veni, vidi, vici".
Während des 1. Jh. v. Chr. wurden alle kurdischen Reiche im Westen Vasallen Roms, gefolgt von weiteren Verlusten an Unabhängigkeit im Lauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. Im Osten wurden während des 1. vorzeitlichen Jahrhunderts die kurdischen Staaten Adiabene, Sophene, Gordyene, Cortea, Media, Sambatae, Arraph'a und Kirm Mitglieder der Parthischen Föderation. In dieser Zeit wurde auch der Name "Kurde" (griech. Kurti, lat. Cyrti) in klassischen griechisch-römischen Texten verwendet.
Während die größeren kurdischen Königreiche im Westen allmählich infolge der römischen Eroberung untergingen, konnten sie im Osten bis zum Beginn des Sassanidischen Perserreiches (3. Jhdt. n. Chr.) überleben. Die letzte große kurdische Dynastie, die Kayosiden, starben 380 aus. Kleinere kurdische Fürstentümer (Kofyar, Bergverwaltungen, genannt) konnten jedoch ihre Autonomie bis zum Aufstieg des Islam im 7. Jh. bewahren.
Die Zerstörung der sassanidischen und der byzantinischen Macht durch das arabische Kalifat und dessen eigene Schwächung erlaubten es den kurdischen Fürsten und "Bergverwaltern" neue unabhängige Königreiche zu errichten. Die Shaddadiden/Shadaniden des Kaukasus und Armeniens, die Rawwadiden/Rewandiden von Aserbaidjan, die Marwaniden des westlichen Kurdistans, die Hassanwayhiden, Fadilwayhiden, Kakawaydiden und Ayyariden im zentralen Zagros sowie die Shabankaraner von Fars waren einige dieser neuen Staaten.
Die Ayyubiden ragten wegen der Weite ihres beherrschten Territoriums heraus. Von ihrer Hauptstadt Kairo aus herrschten sie über Libyen, Ägypten, Nubien/nördlicher Sudan, Westarabien, Jemen, Syrien, das heilige Land, Armenien und natürlich den größten Teil Kurdistans. Als die Wächter der heiligen Städte des Islam - Mekka, Medina und Jerusalem waren die Ayyubiden für die Verteidigung des und Vertreibung der Kreuzfahrer aus dem heiligen Land von größter Wichtigkeit. Der Gründer der Dynastie, König Saladin (Salahaddin) genoss eine anhaltende Bewunderung sowohl durch seine Freunde als auch seine Feinde für seinen Großmut, seine Menschlichkeit und Tapferkeit. Er ist bekannt als "Fürst der Ritterlichkeit" in den Annalen der Kreuzfahrer. Aus Anerkennung dafür befahl 711 Jahre später der deutsche Kaiser Wilhelm II. als er Damaskus 1898 besuchte den Wiederaufbau von Saladins Grab. Eine silberne Lampe an seinem Sarkophag enthielt des Kaisers eigene Insignien und die des osmanischen Sultans, da "Saladin das beste zu findende Beispiel des edlen Feindes" sei. Sir Walter Scott schrieb in "Der Talisman" einen wunderbaren Prosatext über die romantisierten Begegnungen zwischen Saladin und den kreuzfahrenden europäischen Herrschern wie Richard Löwenherz von England. Gustav Dores magischer Pinsel erweckt in der Zwischenzeit die längst vergangenen ritterlichen Gefechte zwischen dem kurdischen König und seinen kreuzfahrenden Gegnern wieder zum Leben. Auf dem ethnographischen Gebiet zählen die frühen islamischen Quellen mehr als zehn Stämme und Familienklane außerhalb des eigentlichen Kurdistans auf, im südlichen Zagros, dem Kaukasus, Elburz, Taurus und Amanus-Bergen. Mit der Zeit jedoch verschmolzen sie mit der Bevölkerung vor Ort. Dies ist für viele moderne Schreiber zur Geschichte Kurdistans eine ungerechtfertigte Quelle des Erstaunens gewesen. Da sie mit der Geschichte und der Breite der frühen kurdischen Migrationen und Siedlungsstätten nicht vertraut sind und heutzutage nur wenige Kurden in diesen anderen Bergregionen finden, haben die Historiker oft daraus die falsche Schlussfolgerung gezogen, nämlich dass der Begriff "Kurde" keine ethnische Bezeichnung sein konnte, sondern eher die Beschreibung für alle Nomaden in den Bergen. Diese oberflächliche Hypothese ist kaum der Widerlegung wert, wenn man bedenkt, dass keine andere Wandernation, wie z.B. die Türken und Araber, so untersucht werden, auch wenn sie Tausende Meilen zurückgelegt haben.
Von der Zeit der kurdischen Arisierung bis in das 16. Jh. hinein blieb die kurdische Gesellschaft von Veränderungen unberührt, obwohl neue Reiche, Religionen und Immigranten mit ihnen in Kontakt traten. Die Kurden blieben zumeist Anhänger der hurritischen Relgion des Yazdanismus (Yezidi), und sprachen eine iranische Sprache, die mittelalterliche islamische Quellen Pahlawani nannten. Pahlawani hat in der Gegenwart in den Gurani- und Dimili- (Zaza-) Dialekten in den kurdischen Randgebieten überlebt.
Die semitischen
und türkischen Epochen
Nach der arischen Niederlassung hielt der Zufluss neuer Völker und kultureller Einflüsse in Kurdistan weiter an. Jedoch war keiner stark genug, die kurdische kulturelle und ethnische Identität zu ändern, wie zuvor die Arier. Eine größere Anzahl aramäisch sprechender Menschen scheinen sich nur in den leichter zugänglichen Tälern des westlichen Kurdistan niedergelassen zu haben. Durch die Einführung des Judentums und später des Christentums fingen allerdings einige Kurden an, aramäisch zu sprechen, auch wenn das aramäische demographische Element äußerst klein war. Es ist interessant zu beobachten, dass das Judentum einen tieferen Einfluss und länger anhaltenden Einfluss auf die heutige kurdische Kultur als das Christentum gehabt hat, unabhängig von der Tatsache, dass die Kurden einige der am frühesten bekannten christlichen Gemeinschaften bildeten (schon im 2. Jh.), und dass ihre meisten ethnischen Nachbarn erst zwischen dem 5. und 12. Jh. Christen wurden.
Die Rolle der Araber und die Folgen des Islam auf die kurdische Gesellschaft und Kultur lassen sich leichter untersuchen. Die arabische Halbinsel bestand aus einer großen Gruppe flüchtender Menschen als der Beginn des Islam dafür sorgte, dass diese in eine massive Wanderungsbewegung arabischer Nomaden mündete und ihre Niederlassung im Ausland verursachte. Arabische Stämme ließen sich in fast jeder großen Stadt und fast jedem landwirtschaftlichen Zentrum Kurdistans nieder. Islamische Historiker und Geographen berichteten im 10. Jh. über arabische Bevölkerungsteile innerhalb der Kurden vom nördlichen Ufer des Vansees bis Dinawar und von Hamadan bis Malatya. Sie wurden irgendwann assimiliert und hinterließen zwei exotische semitische Laute in der Sprache vieler Kurden, dem glottalen 'a' und 'h'.
Denselben flüchtigen Einfluss hatte auch die Turk-Einwanderung auf Kurdistan und seine Kultur. Mehrere Jahrhunderte Wanderbewegungen durch Kurdistan von Turknomaden begannen im 12. Jh. und verursachten - wie die arischen Einwanderungen 2500 Jahre früher - Chaos innerhalb der kurdischen Siedlungen und ihrer Wirtschaft. Die meisten kurdischen Staaten wurden Vasallen der verschiedenen Turkstaaten und -reiche. Einige kurdische Fürstentümer konnten überleben und behielten bis in das 19. Jh. ihre Autonomie. Zwischenzeitlich, bei der Schwächung oder dem Niedergang lokaler Reiche, waren sie sogar unabhängig.
Die kulturelle Erbschaft der Turkvölker selbst war gering, aber die dadurch entstandenen Kräfte innerer Veränderung der kurdischen Gesellschaft waren schließlich genau so bestimmend wie die arische Invasion und Besiedlung zwei Jahrtausende früher. Kurdistan wäre sicherlich durch diesen unglaublichen nomadischen Druck und Zerstörungskraft turkisiert worden, hätte es nicht diese eine Gruppe kurdischer Nomaden gegeben: die ausdauernden Kurmanj, die aus dem Hochland von Hakkari kamen und buchstäblich jede Nische füllten, die von Ackerbau betreibenden und weniger energischen nomadischen Kurden und dem neuen Druck verlassen wurde. Die Turknomaden waren hauptsächlich Steppennomaden und stellten keine wirkliche Gefahr für Kurmanj-Bergnomaden im rauhen Terrain Kurdistans dar. Einige Kurden wurden auf jeden Fall turkisiert, z.B. die bevölkerungsreichen Stämme der Dimbuli, Sheqaqi, Barani und Jewanshir. Umgekehrt sind viele kurdische Stämme mit Turknamen (z.B. die Karachul, Chol, Oghaz, Jambul, Devalu, Karaqich und Chichak) eigentlich assimilierte türkische oder turkmenische Stämme, die nur ihre Namen hinterlassen haben und ansonsten in jeder Hinsicht kurdisiert wurden. Die riesige Entwurzelung vieler Stämme hätte mit der Zeit nachgelassen, doch bekam sie eine neue und zerstörerische Ausrichtung mit Beginn eines hundert Jahre anhaltenden Völkermords in den kurdischen und armenischen Gebieten Ostanatoliens im 16. Jahrhundert. Dieser entscheidende Schritt hin zu einer breiten Nomadisierung der Kurden wurde durch zwei Faktoren verursacht: die langen persisch-osmanischen Kriege, insbesondere die Politik der verbrannten Erde (vide infera) der Safawiden und der tödliche wirtschaftliche Schlag durch die Verschiebung des Ost-West-Handels auf den Seeweg zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die Kurdistan und den übrigen Nahen Osten veröden und wirtschaftlich sterben ließ.
(Fortsetzung folgt)