Die kurdische Revolution ist eine Frauenrevolution

Sakine, Fidan, Leyla ...

Şervîn Nûdem, Januar 2013

»Wir haben die kurdische Revolution immer auch als eine Frauenrevolution bezeichnet und gesagt, dass die Befreiung der Frau mit der Befreiung des Landes einhergeht. Dabei sind wir nicht der Auffassung, dass es ein Automatismus ist, sondern dass vielmehr durch die Frauenrevolution auch die Nation befreit wird. Das sind zwei einander ergänzende Dynamiken«, hatte Hevala Sara (Sakine Cansız) in einem Interview 2010 gesagt.1

Diese Analyse stellt zugleich den Ausgangspunkt der Kampagnen dar, die die kurdische Frauenbewegung in den letzten Jahren durchgeführt hat. »NEIN zum Feminizid!« und »Schluss mit dem Genozid – Freiheit für Abdullah Öcalan!« lauten die Forderungen der aktuellen Kampagnen mit denen Millionen von Frauen in Kurdistan, in Ländern des Mittleren Ostens und Europa immer wieder demonstriert haben, dass die Frauenbefreiung, die Befreiung Kurdistans und die Freiheit Abdullah Öcalans untrennbar miteinander verbunden sind. Neben dem Widerstand gegen sexistische und nationale Unterdrückung haben kurdische Frauen im Rahmen dieser Kampagnen nicht nur ihre Organisierung gestärkt, sondern zugleich auch ihre politischen und gesellschaftlichen Alternativen immer konkreter gestaltet. Dies ist insbesondere in den Prozessen zum Aufbau der Demokratischen Autonomie in Nord- und West-Kurdistan deutlich geworden. Über ihre Organisierungs- und Bildungsarbeit ist es der kurdischen Frauenbewegung gelungen, wichtige Voraussetzungen für die Interessenvertretung von Frauen und die Überwindung patriarchaler Gesellschafts- und Gewaltstrukturen zu schaffen. Zugleich hat die kurdische Frauenbewegung klare Positionen gegen den nationalistischen und religiösen Chauvinismus der Regierungen im Mittleren Osten sowie gegen die militaristische Kriegspolitik imperialistischer Staaten bezogen und gemeinsame Plattformen mit Frauen unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten im Mittleren Osten aufgebaut.
Unter der Losung »An Azadî, an Azadî – entweder Freiheit oder Freiheit!« haben kurdische Frauen im Jahr 2012 in allen Bereichen des Freiheitskampfes als organisierte Kraft eine treibende Rolle gespielt: Durch den entschlossenen politischen Kampf und Manifestationen der Bevölkerung, durch Hungerstreiks und Widerstand in den Gefängnissen sowie durch die Ausweitung der von der Guerilla kontrollierten Gebiete sah sich die AKP-Regierung Ende des Jahres 2012 gezwungen, mit Abdullah Öcalan erneut den Dialog zu suchen. Nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden dieser Gespräche auf Imralı wurden die drei kurdischen Politikerinnen und Frauenaktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 im Kurdistan Informationszentrum in Paris heimtückisch durch Kopfschüsse ermordet. Weder Zeitpunkt und Ort dieser politischen Morde noch die Opfer waren »zufällig« oder »willkürlich«.

Morde in Paris = Genozid + Feminizid

Während die Ermittlungen über die in den Mord involvierten Kräfte und weitere Täter andauern, kristallisiert sich immer mehr heraus, dass türkische Regierungsstellen und Geheimdienstkreise – möglicherweise durch führende NATO-Staaten koordinierte Gladio-Kräfte – in den dreifachen Mord involviert sind. AKP-Politiker ließen selbst nach den Morden wiederholt verlauten, dass sie im Rahmen ihres »Lösungskonzepts« beabsichtigten, Gründungsmitglieder und führende Kader der kurdischen Befreiungsbewegung auszuschalten, wenn europäische Staaten diese nicht verhaften und ausliefern würden. Verschiedene Medien und PolitikerInnen kommentieren die Hinrichtung der kurdischen Aktivistinnen in Paris derzeit auf unterschiedliche Art und Weise zumeist als eine »Provokation angesichts laufender Friedensverhandlungen«. Jedoch kann derzeit von einer »Friedensphase« noch nicht die Rede sein. Auch wenn es begrüßenswert ist, dass nach über anderthalb Jahren totaler Isolationshaft wieder eine Delegation des türkischen Staates mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf Imralı den Dialog gesucht hat. Solange jedoch Öcalan weiterhin auf der Gefängnisinsel Imralı gefangen gehalten wird und der tagtägliche Kriegszustand gegen Kurdinnen und Kurden mit Methoden des politischen, kulturellen und physischen Genozids fortgesetzt wird, sind »Entspannung« und »Frieden« noch weit entfernt. Die Morde in Paris stehen vielmehr in der Kontinuität der AKP-Politik von Genozid und Feminizid, gegen die die kurdische Frauenbewegung seit Jahren Widerstand leistet.
Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez waren drei kurdische Frauen, die in den verschiedenen Bereichen der kurdischen Frauenbewegung eine bedeutende Rolle spielten. Der Kampf für die Freiheit des kurdischen Volkes durch eine politische Lösung der kurdischen Frage war für sie eng verbunden mit ihrem Kampf für ihre Selbstbestimmung und Freiheit als Frauen. Die Entführung Abdullah Öcalans im Rahmen eines internationalen Komplottes 1999 und seine fortgesetzte Inhaftierung bewerteten sie nicht nur als einen Angriff gegen das kurdische Volk, sondern auch als einen Angriff gegen die Linie der Frauenbefreiung, die durch Abdullah Öcalan entwickelt wurde. Es ist naheliegend, dass die Kräfte, die für die Morde an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez verantwortlich sind, mit diesem Massaker die gleiche dreifache Intention verfolgten.
»Erschießt zuerst die Frauen« hatte eine Anweisung an »Antiterroreinheiten« im Rahmen der Aufstandsbekämpfungsprogramme in den 1970er und 1980er Jahren in Europa gelautet. Diese These wurde u. a. durch den Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes Christian Lochte vertreten, da er meinte, dass Frauen »gefährlicher und gnadenloser« seien als ihre männlichen Mitstreiter. Obwohl die drei ermordeten kurdischen Politikerinnen unbewaffnet waren und mit friedlichen Mitteln öffentlich politisch agierten, scheinen sich die Mörder durch die gleichen sexistischen Denkmuster auszuzeichnen. Auch in der Regierungspolitik der AKP und bei Feminiziden in anderen Ländern reproduziert sich diese Logik: Frauen, die aus den Rollenstereotypen des patriarchalen Systems ausbrechen, die sich nicht passiv dem Schicksal beugen oder für die Mittäterschaft in patriarchalen militaristischen Institutionen oder kapitalistischen Konzernen gewinnen lassen, sind für das System »unberechenbar und gefährlich«! Deshalb verpflichtet die türkische AKP-Regierung nun Frauen mittels Abtreibungs- und Kaiserschnittverbot zum Gebärzwang, propagiert das 5-Kinder-Familien-Modell und inhaftiert Tausende von Aktivistinnen der Frauenbewegung. In Mexiko geraten zunehmend Frauen, die sich für die Aufklärung der Feminizide und die Bestrafung der Täter einsetzen, in das Fadenkreuz der staatlich gedeckten Mörderbanden. Jedoch haben die Morde in Paris zugleich eine weitere politische Dimension. Wie eingangs bereits beschrieben, durchkreuzen die kurdische Frauenbewegung und die Dynamiken des Freiheitskampfes des kurdischen Volkes, die sich auf die Werte der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und das Lösungskonzept des Demokratischen Konföderalismus von Abdullah Öcalan beziehen, die Profit- und Hegemonialinteressen der türkischen, US-amerikanischen und europäischer Regierungen im Mittleren Osten.
Der Prozess des Übergangs zu einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft nimmt mit dem Aufbau autonomer Selbstverwaltungsstrukturen in Nordkurdistan (Türkei) und Westkurdistan (Syrien) immer konkretere Formen an. Durch die langjährige Arbeit der kurdischen Freiheitsbewegung und die treibende Kraft der Frauenbewegung ist die kurdische Gesellschaft zu einer unabhängigen, organisierten und politischen Kraft und damit zu einem wichtigen politischen Akteur im Mittleren Osten geworden. Auch für andere Völker im Mittleren Osten stellt dieses Modell der demokratischen Selbstverwaltung eine Inspirationsquelle dar. Dieses Gesellschaftsmodell bildet aus Sicht der Kolonial- und Hegemonialmächte hingegen eine reale Gefahr.
Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez repräsentierten drei Generationen kurdischer Frauen, die ihr Leben dem Kampf für die Verwirklichung dieses Gesellschaftsmodells widmeten. Um als Frauen und als Kurdinnen frei, mit ihrer eigenen Identität in einer freien Gesellschaft leben zu können, hatten sie sich bewusst entschieden, sich den Zwängen und der Fremdbestimmung durch das herrschende System zu entziehen.
Als Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und führende Persönlichkeit der kurdischen Frauenbewegung hat Sakine Cansız mit ihrem Wissen, mit ihrer ideologischen Genauigkeit und politischen Fähigkeiten über 40 Jahre hinweg eine wegweisende Rolle in diesem revolutionären Prozess gespielt. Hierbei waren insbesondere die Dialoge mit Abdullah Öcalan und seine Perspektiven eine wichtige Inspirations- und Kraftquelle für sie gewesen, wie sie immer wieder betonte. Durch ihren Gefängniswiderstand gegen die faschistische Militärdiktatur in der Türkei, durch ihr Leben und Wirken als Revolutionärin wurde sie schon zu Lebzeiten zu einer Symbolfigur für die kurdische Frauenbewegung. Ihre Entschlossenheit gab der Bevölkerung Vertrauen in die eigene Kraft. Ihr gelang es unterschiedliche politische Gruppierungen und Bevölkerungsteile zu einer gemeinsamen Kraft zu vereinen.
Fidan Doğan war Vertreterin des Kurdistan-Nationalkongresses (KNK) in Paris. Trotz ihres jungen Alters verfügte sie über große Erfahrung in der politischen und diplomatischen Arbeit. Sie stellte das Lösungsmodell des Demokratischen Konföderalismus auf verschiedenen Plattformen vor und engagierte sich hierbei für die Freilassung Abdullah Öcalans. Auf internationalen Konferenzen und in Gesprächen mit verschiedenen Parteien und Organisationen vertrat sie die Interessen der kurdischen Bevölkerung und kurdischer Frauen. Durch ihre engagierte Öffentlichkeitsarbeit gelang es ihr, ein breites Solidaritätsnetzwerk für die kurdische Bewegung in Frankreich aufzubauen.
Die 25-jährige Leyla Şaylemez hatte sich als junge Aktivistin an den Arbeiten der kurdischen Frauen- und Jugendbewegung in Europa beteiligt. Sie setzte sich insbesondere für die Belange junger kurdischer Frauen ein und ermutigte viele von ihnen dabei, ihren eigenen Lebensweg zu finden, selbstbewusst zu denken und sich politisch zu engagieren. Mit ihrem Interesse und ihren Anstrengungen gelang es ihr, die eigenständige Organisierung der Jugendlichen und der jungen Frauen zu stärken. Sie hatte es sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit den Jugendlichen Perspektiven aufzubauen, mit denen sie die Leere und Sinnlosigkeit der kapitalistischen Konsumgesellschaft überwinden, Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll bekämpfen, die Freiheit Abdullah Öcalans und Kurdistans erreichen können.

Januar 1919 – Januar 2013

Wenn ich mir die gegenwärtigen politischen Bedingungen im Mittleren Osten vor Augen halte, die einerseits von den Bedingungen imperialistischer Verteilungskriege, nationalistischem Chauvinismus und Repressionen eines totalitären AKP-Regimes andererseits von Aufbrüchen und Demokratiebestrebungen der Völker – einhergehend mit dem Aufbau von Räte- und Selbstverwaltungsstrukturen in Kurdistan – gekennzeichnet sind, ruft diese Epoche bei mir eine Assoziationskette hervor, die mich zu der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts führt. Nicht nur, dass diese Morde im Jahr 1919 sich auch im Januar ereigneten und durch konterrevolutionäre militärische Spezialeinheiten mit Rückendeckung der Regierung begangen wurden. Auch diese Morde an zwei wichtigen revolutionären Führungspersönlichkeiten, die gegenüber der nationalistischen Kriegshetze eine internationalistische sozialistische Perspektive und die Interessen der Ausgebeuteten verteidigten, wurden in einer Zeit der Kämpfe und der Hoffnung auf neue Aufbrüche nach der Novemberrevolution in Deutschland verübt. Auch Ziele und Absichten dieser Morde weisen Parallelen zu den Morden an den kurdischen Revolutionärinnen in Paris auf. Rosa Luxemburg wurde ermordet, weil sie laut Generalstabsoffizier Waldemar Pabst »gefährlicher [war] als alle anderen, auch die mit der Waffe«. Erklärtes Ziel der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war es damals gewesen, die Arbeiterbewegung ihrer revolutionären Führungskräfte zu berauben und sie damit geschwächt zu zerschlagen bzw. in das bürgerliche System zu »integrieren«. Bei einem Besuchstermin seines Bruders am 14. Januar 2013 hatte Abdullah Öcalan die Morde an den drei kurdischen Frauen in Paris als ein »zweites Dêrsim-Massaker« bezeichnet. Der physische Genozid, der von der türkischen Regierung 1937/38 in Dêrsim verübt wurde, ging mit einer Auslöschung jeglichen Widerstandes und der vollständigen Assimilation und Selbstverleugnung weiter Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und Nordkurdistan einher.
Auch die Haltung Rosa Luxemburgs nach ihrer Verhaftung am Abend des 15. Januar 1919 und die Haltung von Sakine Cansız nach ihrer Verhaftung 1979 sind von dem gleichen revolutionären Selbstbewusstsein und Selbstrespekt geprägt, von dem sich sogar ihre Folterer beeindruckt zeigten. Der Folterer in Berlin sprach mit Verwunderung von der Unbeugsamkeit Rosa Luxemburgs und gab zu Protokoll: »Fräulein Luxemburg sagte, sie sei nicht Fräulein Luxemburg, sondern Frau Luxemburg.« Auch die Folterer im Gefängnis von Amed (Diyarbakır) waren letztendlich durch den unnachgiebigen Widerstand von Sakine Cansız gegenüber der grausamsten Folter, durch ihre Solidarität mit Mitgefangenen und ihre politische Verteidigung gezwungen geworden, ihr mit Respekt zu begegnen.

Die Freiheit wird gewinnen!

Vor seiner Verhaftung am 15. Januar 1919 hatte Karl Liebknecht noch in der letzten Ausgabe der »Roten Fahne« geschrieben: »Und ob wir dann noch leben werden, wenn das Ziel erreicht wird – leben wird unser Programm.« Heute besteht kein Zweifel daran, dass das Programm und die Gedanken Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts in den Freiheitskämpfen der Völker weiterleben. Auch die 40-jährige Geschichte des revolutionären Kampfes in Kurdistan, die Sakine Cansız aktiv mitgestaltet und mitgeschrieben hat, ist ein Beweis dafür. Auf die Frage hin, wie sie persönlich die Geschichte des kurdischen Befreiungskampfes und seine Weiterentwicklungen erlebt habe, antwortete Sakine Cansız: »Erst einmal bin ich sehr glücklich, das alles erleben zu können und zu sehen, wie viel sich entwickelt hat. Zu Anfang hatten wir nichts, wir hatten nur unseren Glauben, den Glauben daran, dass etwas falsch ist, und dass wir etwas Richtiges wollen. Unsere Einstellung war: ›Egal, auch wenn wir in diesem Kampf fallen, die Freiheit wird irgendwann gewinnen.‹
(…) im Kern dieser Bewegung hat immer das gestanden, auf Erfahrungsschätze zurückzugreifen und sie zu bewerten. Das konnten die Erfahrungen von irgendwelchen Frauenorganisationen oder von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin sein, feministische Bewegungen oder andere Befreiungsansätze. Allerdings haben wir nie alles so übernommen, wie es andere gemacht haben, sondern wir haben immer geguckt, wie können wir das auf unsere eigenen Bedingungen beziehen. Wie können wir daran anknüpfen und zusammen mit unseren eigenen Erfahrungen selber etwas Neues darauf aufbauen? Wir haben uns nie dem Sozialismus sehr utopisch angenähert. Das war für uns nie irgendetwas ganz weit Entferntes. Wir haben eher geguckt, wie lassen sich Sozialismus, Freiheit und Gleichheit verwirklichen. Wie können wir selbst zumindest bei uns anfangen, diese Grundsätze in unserem Leben umsetzen? Wir haben immer Hoffnungen und Utopien gehabt, die wir nicht auf zukünftige Generationen projizieren wollten. Stattdessen haben wir angefangen, unsere Utopien und Hoffnungen im Hier und Jetzt umzusetzen.«2
Dank dessen, dass wir wertvolle Genossinnen wie Sakine, Fidan und Leyla kennenlernen durften und die internationale Solidarität, die gemeinsame Wut und Trauer erlebt haben, die ihre Ermordung in allen Teilen der Welt ausgelöst hat, besteht auch für uns heute kein Zweifel: Die Freiheit wird gewinnen!

Fußnoten:
1) Interview im Herbst 2010 in den Medya-Verteidigungsgebieten (vgl. »Widerstand und gelebte Utopien«, S. 67)
2) vgl. »Widerstand und gelebte Utopien«, S. 75

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Drei unsterbliche Revolutionärinnen

Revolutionärin zu sein, heißt für die Revolution zu leben und zu kämpfen. Egal wo ...
den Funken zu spüren und auszubreiten
den Aufstand gegen die Ausbeutung und den Zwang,
mit dem Frauen und Völker ihrer Identität und ihres Willens beraubt werden
den Aufstand gegen Konformität und Kompromisse,
mit denen die Herrschenden den Widerstand brechen wollen
den Aufstand gegen die Bevormundung,
die uns das Wort raubt
den Aufstand gegen den Schein der Wahrheit,
der die Lügen der Herrschenden umhüllt
den Aufstand gegen den Schein der Freiheit,
mit dem uns unsere Versklavung schmackhaft gemacht werden soll
diesen Aufstand anzuführen und auszuweiten

Den Funken spüren und das Feuer in den erfrorenen Herzen anfachen
die Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit lebendig halten
die Sehnsucht nach Solidarität über alle Grenzen hinweg in Bündnisse des Kampfes verwandeln
das Leuchten in den Augen nie zu verlieren und dem Unterdrücker ins Gesicht zu spucken
das alles haben wir von Euch gelernt.

Ein schwerer Abschied
eine jede verabschiedet sich auf ihre Weise
und ein jeder auf seine Art:

Kurdische Frauen und Männer allen Alters verneigen sich vor Euren Särgen
Eure Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Freundinnen und Freunde weigern sich Euch loszulassen, spüren Eure Anwesenheit und unbezwingbare Stärke
weinende Mädchen küssen und streicheln Eure Särge und Bilder, obwohl sie doch eigentlich Euch selbst lebendig in die Arme schließen wollen
ein alter Mann kniet vor Euch nieder
ein alevitischer Dede trägt Euch klagend ein Gedicht vor
yezidische Frauen und Männer mit tiefer Trauer in den Augen sagen, dass Ihr unsterblich seid
muslimische Männer und Frauen öffnen ihre Hände zum Gebet
eine Gruppe von Tamilen trauert um Euch genauso wie um ihren Genossen Parithi, den sie erst vor zwei Monaten durch ein hinterlistiges Attentat in Paris verloren hatten – genauso wie Euch
heute stellen sie für Euch einen Blumenkranz mit einer Widmung in tamilischer Sprache in eine Reihe mit den Trauerkränzen kurdischer Parteien und Organisationen
Aktivistinnen der antirassistischen Bewegung mit rot-gelb-grünen Tüchern um den Hals weichen nicht von Eurer Seite
französische Abgeordnete und Feministinnen stehen schweigend im Halbkreis vor Euch
antifaschistische Widerstandskämpfer der Résistance senken ihre Fahne zum Salut
junge Frauen küssen in ihre Hand und winken Euch zum Abschied zu
türkische SozialistInnen grüßen Euch mit geballter Faust
andere erheben ihre Finger zum Victory-Zeichen und versprechen: Wir werden Euren Kampf weiterführen – bis zum Sieg!

Ein Abschied, der uns allen so unbeschreiblich schwer fällt
obwohl Ihr auf dem Weg in Eure geliebte Heimat seid
will niemand Euch gehen lassen
denn den Zeitpunkt und die Umstände habt nicht Ihr gewählt.

Doch der Funken Eures Aufstandes und Eurer Sehnsucht ist lebendig
wir tragen ihn in unseren Herzen
wir werden ihn anfachen und weitertragen
indem wir als Revolutionärinnen für die Revolution leben und kämpfen. Egal wo ...