Aber in Deutschland wird die kurdische Identität nicht anerkannt …

Europa, die Kurden und die kurdische Identität

Ismail Beşikçi, Zazakî.net 05.09.2012


Ich denke, dass heute schon allein in Deutschland etwa eine Million Kurden leben. Weltweit leben wohl mehr als zwei Millionen Kurden außerhalb der Türkei, des Iran, des Irak, Syriens und Kurdistans. Dass im Mittleren Osten, also in Kurdistan, der Türkei, dem Iran, Irak und Syrien mehr als 40 Millionen Kurden leben, ist bekannt. Es gibt sogar Journalisten und Wissenschaftler, die diese Zahl zu niedrig finden. Einer der Hauptgründe, warum in diesen Ländern keine vernünftige Zählung der Einwohner durchgeführt wird, ist die Angst, dass sich ein großer Anteil an kurdischer Bevölkerung ergeben könnte.

Es ist also eine Tatsache, dass in Europa eine große Gruppe von Kurden lebt. Aber die Kurden werden in den Ländern, in denen sie leben, wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Dänemark, Spanien oder den Niederlanden, nicht als Kurden registriert. Wenn sie aus der Türkei gekommen sind, werden sie als Türken erfasst, kommen sie aus dem Iran, als Perser, kommen sie aus dem Irak oder Syrien, als Araber.

Das ist eine Verleugnung der kurdischen Identität. In der Türkei beispielsweise wird diese Verleugnung immer noch mit großer Sorgfalt betrieben. Kurdische Kinder können keine Namen bekommen, die die Buchstaben W, X oder Q enthalten. Die Familien haben deshalb immer wieder große Probleme mit den Meldebehörden, bei denen sie die Namen ihrer Neugeborenen registrieren müssen.

In Deutschland besteht die gleiche Situation. Die kurdischen Familien können ihren in Deutschland geborenen Kindern [in einigen Bundesländern] nicht die kurdischen Namen geben, die sie ihnen geben wollen. Genauer gesagt können sie diese Namen nicht bei den Behörden anmelden. Den deutschen Standesämtern liegen von der türkischen Botschaft oder den türkischen Konsulaten zusammengestellte Listen vor, in denen alle anerkannten türkischen Namen verzeichnet sind. Die deutschen Beamten fordern die kurdischen Familien auf, sich aus diesen Listen einen Namen auszusuchen. Die von den Familien vorgeschlagenen kurdischen Namen werden nicht zugelassen.

Was ist die Kurdistanfrage, das Problem der Kurden?

Die Kurdistanfrage gründet auf eine seit den 1920er Jahren – der Zeit des Völkerbundes – andauernde Spaltung und Aufteilung der Kurden und Kurdistans und der Missachtung ihres Rechtes auf die Gründung eines unabhängigen Staates. Die kurdische Frage ist die Tatsache, dass den Kurden die Rechte, die ihnen allein deshalb zustehen sollten, weil sie eine Gesellschaft, ein Volk darstellen, verweigert werden. Stattdessen sind sie einer Assimilierungspolitik ausgesetzt.
Einen großen Teil der Verantwortung für die Katastrophe, der die Kurden ausgesetzt wurden, tragen der Westen und Europa, vor allem die Großmächte jener Zeit, Großbritannien und Frankreich. Genau dieser Westen, der die Kurden und Kurdistan in die Katastrophe hineingezogen hat, unterstützt in diesen Tagen noch immer die nationalistische Besatzungspolitik durch die Nichtanerkennung der kurdischen Identität und durch die Praxis, Kurden, die sich aus den verschiedensten Gründen in den Ländern aufhalten, als Türken, Araber oder Perser zu registrieren.

Verleugnung ist die wichtigste Praxis des türkischen Staates beim Regieren der Kurden und Kurdistans. Diese mit Sorgfalt umgesetzte Politik heizt auch den Staatsterrorismus an. Die Tatsache, dass diese Politik ohne Vorbehalt von Universitäten, der Justiz, der Presse und Behörden unterstützt wird, kann den Staatsterror nicht verdecken. Westliche Staaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande oder Spanien unterstützen mit ihrer Praxis, Kurden nicht als Kurden zu registrieren, sondern je nach Herkunftsstaat als Türken, Araber oder Perser, tatkräftig den Terror des türkischen Staates.

Institutionen wie der Europarat, die Europäische Union und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) raten den Abgeordneten und Bürgermeistern der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) immer wieder: „Distanziert Euch vom Terrorismus.“ Meiner Überzeugung nach ist diese Mahnung unangebracht. Eigentlich müssten die oben genannten Institutionen für ihre uneingeschränkte Unterstützung des Staatsterrors kritisiert werden. Die Forderung, sich vom Staatsterror zu distanzieren, muss an diese Institutionen und die in ihr vertretenen Staaten gerichtet werden. Solange diese den Terror des türkischen Staates unterstützen, werden ihre Vorschläge auch nicht ernst genommen. Zu sagen „Wir sind gegen den Terrorismus“ und dann den Staatsterror uneingeschränkt zu unterstützen, ist falsch.

Die Türkei behauptet immer: „Die ganze Welt ist gegen uns, alle unterstützen den Terror …“ Das hört man immer wieder von der Regierung, vor allem in der Innenpolitik. Dies stimmt überhaupt nicht. Es ist eine erwiesene Tatsache, dass die Staaten, die in der internationalen Politik eine Rolle spielen, die Türkei massiv unterstützen und so tun, als würden sie von dem immer brutaler werdenden staatlichen Terror gegen die Kurden nichts mitbekommen. Das Gewissen wird in den großen Nationen durch die vorteilhafte Beteiligung an den Verbrechen des türkischen Staates und den daraus erzielten wirtschaftlichen Gewinnen zum Schweigen gebracht. Selbstverständlich orientiert sich die Außenpolitik immer an den Vorteilen für das jeweilige Land. Das darf aber doch nicht die Missachtung der grundlegendsten moralischen Werte bedeuten. Es ist bekannt, dass der Kampf der Guerilla [in Kurdistan] von Europa in keinster Weise unterstützt wird. Zwar finden in Europa häufig politische Aktionen der Kurden und der PKK wie Demonstrationen, Kundgebungen, Hungerstreiks und Ähnliches statt; es wäre aber falsch, dieses als „europäische Unterstützung“ zu werten. Jeder in Europa kann diese demokratischen Rechte nutzen.

Was sagen die Charta der Vereinten Nationen (1945), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) zu verfolgten, unterdrückten Völkern?

Wie muss man den Abschnitt
„[…] da es notwendig ist, die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechtes zu schützen, damit der Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen […]“
aus der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 aus Sicht der Kurden auslegen?

Was bedeuten Abkommen wie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (1950), der Rahmenvertrag über den Schutz ethnischer Minderheiten (1995) oder der Erlass des Europarates zu regionalen Dialekten und Sprachen ethnischer Minderheiten (1992) für die Kurden?

Alle diese Abkommen sowie die bereits zuvor oder nach ihnen veröffentlichten internationalen Papiere sprechen den unterdrückten Völkern umfangreiche Rechte zu. Auch für die Kurden, als Einzelne wie auch als Kollektiv, enthalten diese Verträge und Dokumente viele wichtige Rechte. Der türkische Staat verhindert aber sowohl durch die Auslegung als auch durch das Ignorieren dieser Rechte, dass sie den Kurden zugutekommen. Die Forderungen der Kurden nach Rechten, nach Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit und die Aktionen, mit denen sie diese Forderungen artikulieren, werden als „Terror“ ausgelegt; die westlichen Länder unterstützen diese Haltung des türkischen Staates.

Jedoch steht die Tatsache, dass die Kurden und Kurdistan noch immer inmitten des Mittleren Ostens zerschlagen und aufgeteilt sind, dass ihnen noch immer die natürlichen Rechte, die ihnen als kurdische Gesellschaft, als kurdische Nation zustehen, verwehrt werden, all diesen internationalen Verträgen und Abkommen entgegen. Die Bedingungen, die den Kurden aufgezwungen werden, widersprechen völlig dem Geist dieser Abkommen und Verträge.

Was ist Terrorismus?

Denken wir mal an die Situation vor 15 bis 20 Jahren. Sie haben etwas zum Thema Kurden, Kurdistan oder der kurdischen Sprache geschrieben oder etwas dazu gesagt. Sie sind damit in den Augen des Staates und der Regierung ein Terrorist. Der Staat unternimmt alles, um Sie zu behindern und Sie zu unterdrücken. Um das zu erreichen, übt der Staat auch immer heftiger werdenden Terror aus und sieht dies alles als zulässig an. Genau zu dieser Zeit unterstützen Institutionen wie der Europarat, die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa uneingeschränkt den türkischen Staat mit der Aussage „Wir unternehmen etwas gegen den Terror“.

Die offizielle Nichtanerkennung der kurdischen Identität und die Registrierung der Kurden nach ihren Herkunftsländern als Türken, Araber oder Perser sind eine große Unterstützung für den Staatsterror und feuern ihn noch an. Die Situation in den skandinavischen Ländern ist da zweifellos besser. Aber das ist ein Thema, das für sich betrachtet werden muss.

Man kann sagen, dass in Deutschland um die eine Million Kurden leben. Was bedeutet die Nichtanerkennung der kurdischen Identität und die Registrierung der Kurden als Türken, Araber oder Perser?

Die Europäische Union hat 27 Mitgliedsstaaten, von denen einige weniger als eine Million Einwohner haben, wie Luxemburg, Zypern und Malta. Zypern zum Beispiel kommt, selbst wenn wir den griechischen und türkischen Teil zusammenfassen, nicht auf eine Million. Allein in Deutschland leben mehr Kurden als Luxemburg, Malta oder Zypern Einwohner hat. Dass die Kurden ohne Identität bleiben, läuft den internationalen Abkommen und Papieren zuwider.

Der Europarat hat 47 Mitgliedsstaaten, darunter auch Staaten wie Andorra, San Marino, Monaco oder Liechtenstein. Die Einwohnerzahl dieser Staaten beläuft sich auf 30- bis 40-tausend. Diese vier Staaten sind auch Mitglieder der Vereinten Nationen. Nimmt man alle Einwohner dieser vier Staaten zusammen, kommt man nicht mal auf ein Fünftel der Kurden in Deutschland. Aber in Deutschland wird die kurdische Identität nicht anerkannt. Dass dies ein großes Unrecht gegenüber den Kurden und der kurdischen Gesellschaft ist, steht fest. Und es ist auch eine tatkräftige Unterstützung und offene Förderung des Staatsterrors.

Man findet zum Beispiel in den Medien, in den Zeitungen Nachrichten wie „In der Stadt XY gab es einen Brand. Eine türkische Familie verbrannte. Eine Frau und zwei Kinder … Die Familie konnte nicht gerettet werden.“ Oder „Eine türkische Familie erlitt auf dem Weg in den Urlaub in Bulgarien einen Unfall. Dabei verloren Vater, Mutter und drei Kinder ihr Leben.“ Wenn man diese Nachrichten etwas genauer untersucht, stellt sich schnell heraus, dass es sich dabei vielleicht um kurdische Familien handelt. Man erkennt es leicht an den Geburtsorten oder Ähnlichem. Wenn man aber von einer türkischen Familie berichtet, entsteht eine Sympathie und Anteilnahme für die Türken, zum Beispiel gibt es dann Spenden an türkische Vereine. Kurden werden in der Presse nur im Zusammenhang mit kriminellen Handlungen wie Rauschgifthandel, Vergewaltigung, Mord und Totschlag, Diebstahl oder Raub erwähnt.

15. Oktober, Deutscher Bundestag

Am 15. Oktober 2012 wird im Deutschen Bundestag ein Treffen stattfinden. Bei einer von der YEK-KOM initiierten Kampagne wurden unter den in Deutschland lebenden Kurden 60.000 Unterschriften gesammelt, diese wurden an den Bundestag geschickt. Am 15. Oktober wird es eine Sitzung mit dem Thema „Für die Anerkennung der kurdischen Identität in Deutschland“ geben. Diese Kampagne wird auch von deutschen Abgeordneten und Intellektuellen unterstützt. Ich hoffe, dass in dieser Sitzung positive Beschlüsse gefasst werden und Deutschland sich damit von diesen Widersprüchen befreien kann. Diese Beschlüsse würden auch für andere Länder ein Beispiel sein.

Ministerpräsidenten, Generalstabsvorsitzende

Eigentlich könnten der Westen und Europa, zum Beispiel die Deutschen, die Franzosen, die Engländer, die Spanier, die Italiener, die Holländer, auch mal so denken:

Von 1984 bis heute, also seit dem Beginn des bewaffneten Kampfes, haben 11 Ministerpräsidenten1, 10 Generalstabschefs2 und 5 Staatspräsidenten3 in der Türkei ihr Amt angetreten. Seit dem 15. August 1984 sind 25 Innenminister4 und 20 Außenminister5 gekommen und wieder gegangen. 7 Chefs des Nationalen Geheimdienstes MIT(6) haben während dieser Zeit ihren Dienst versehen.

Unter diesen Regierenden gab es einige, die sagten „Wir geben keinen Kieselstein ab“, und andere, die sagten „Ich werde solche Waffen benutzen, dass kein Kraut übrig bleibt, geschweige denn ein Mensch überleben wird“. Aber es gab auch jene, die sagten „Der Weg nach Europa führt über Diyarbakır“. Und wie man weiß, gab man sich alle Mühe, diese Äußerungen, ausgenommen die letzte, auch in die Tat umzusetzen.

Alle diese Führungspersonen haben außerdem gesagt „Das sind die letzten Zuckungen des Terrorismus“ und sie verkündeten „Sie sind isoliert, umstellt und schon so gut wie gefangen genommen“. Oder: „Die sind am Verhungern, die essen Baumrinde, die sind kurz davor, sich zu ergeben.“ „Unser Land wird in kurzer Zeit vom Terror befreit sein, wir werden ihn mit der Wurzel ausrotten, ihm den Kopf zerquetschen“, versprachen fasst alle türkischen Führer.

Trotz alledem sehen wir, dass die Guerilla noch immer auf den Beinen ist und der Kampf weitergeht. Noch immer schließen sich kurdische Jugendliche der Guerilla an.

Also müsste es doch wichtig sein, die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu untersuchen. Die westlichen Staaten und Europa müssen langsam auch mal in diese Richtung denken. Wofür kämpfen die Kurden? Was erwarten die Kurden? Wäre es nicht wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie die Kurden geführt werden?
„Ich werde solche Waffen benutzen, dass kein Kraut übrig bleibt, geschweige denn ein Mensch überleben wird.“ Was ist das für eine Aussage? Es wird kein Mensch überleben, kein Kraut übrig bleiben. Dörfer, Häuser werden niedergebrannt, zerstört. Menschen, Familien werden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Was ist das für ein Patriotismus?

Weiter oben wurde ein Auszug aus der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 vorgestellt. Darin wird die Rechtmäßigkeit des Widerstandes gegen Unterdrückung erklärt. Ich denke, auch darauf sollte einmal hingewiesen werden.

Kurdische politische Parteien

Seit Anfang der neunziger Jahre gründeten die Kurden politische Parteien. Die „Partei der Arbeit des Volkes“ (HEP) wurde im Herbst 1991 gegründet. Nachdem diese Partei dann vom Verfassungsgericht verboten worden war, wurde die „Partei der Demokratie“ (DEP) gegründet. Im Winter 1994 gab es einen Bombenanschlag auf die Parteizentrale der DEP in Ankara. Auch die DEP wurde vom Verfassungsgericht verboten.

Diese politischen Parteien wurden nach Art. 69 der Verfassung und nach § 81 a des Parteiengesetzes verboten. Es wurde behauptet, dass in besagtem Paragraph des Parteiengesetzes „den Parteien die Erwähnung der Existenz verschiedener ethnischer Gruppen und unterschiedlicher Sprachen untersagt ist“. Auch die DEP wurde auf Grundlage dieses Paragraphen verboten.

Nach der DEP wurde die „Freiheits- und Demokratiepartei“ (ÖZDEP) gegründet. Nach einiger Zeit löste sich die ÖZDEP selbst auf und die „Partei der Demokratie des Volkes“ (HADEP) nahm ihre Tätigkeit auf. Im März 2003 wurde auch die HADEP verboten.

Nach der HADEP begann die „Demokratische Volkspartei“ (DEHAP) mit ihrer politischen Arbeit. Sie löste sich 2005 selbst auf. Die „Partei der Demokratischen Gesellschaft“ (DTP) wurde im November 2005 gegründet und im Dezember 2009 durch das Verfassungsgericht verboten. Die „Partei für Frieden und Demokratie“ (BDP) wurde im Mai 2008 gegründet und ist bis heute tätig.

HEP, DEP, HADEP, und DTP nahmen jeweils an den Parlamentswahlen teil. Aufgrund der Zehnprozenthürde verfehlten sie den Einzug ins Parlament. Aber bei den Kommunalwahlen waren sie erfolgreich. 2007 nahm die DTP, 2011 die BDP mit unabhängigen Kandidaten an den Parlamentswahlen teil. Heute ist die BDP mit einer starken Fraktion im Parlament vertreten. Noch viel erfolgreicher ist sie jedoch auf kommunaler Ebene.

Eine Partei wird gegründet, engagiert sich, die Mitglieder und der Vorstand werden verwaltungsrechtlich und strafrechtlich belangt, einige Mitglieder fallen Mordanschlägen zum Opfer und trotz alledem gehen die Bemühungen aufgrund des bemerkenswert breiten Rückhalts weiter. Die Partei wird vom Verfassungsgericht verboten, in kürzester Zeit wird eine neue gegründet, die dann aber bald mit den gleichen Repressalien konfrontiert wird. Seit fast 20 Jahren setzt sich diese Entwicklung fort.

Diese Entwicklung kann nur mit einem starken gesellschaftlichen Rückhalt erklärt werden. Wenn kein oder nicht genügend Rückhalt vorhanden wäre, es keine personelle und materielle Unterstützung gäbe, wäre dann diese Entwicklung möglich? Der Westen, der immer von „Terror“ spricht, wenn die Rede von den Kurden ist, muss endlich auch diese Realität erkennen. In dem Buch „Die Geschichte der Parteienverbote in der Türkei“ von Hüseyin Aykol, erschienen 2009 im Imge Verlag, findet man detaillierte Informationen zu diesem Thema.

Kurdische Presse

Seit ungefähr 20 Jahren erscheinen von Kurden herausgegebene Tageszeitungen. Die erste Tageszeitung war die 1992 erschienene „Ozgür Gündem“. Seit 2007 erscheint auch eine kurdischsprachige Tageszeitung. Diese Zeitungen wurden mit schwersten Sanktionen und Strafen belegt. Es wurden auch Korrespondenten durch den JITEM, den „Geheimdienst der Gendarmerie zur Terrorabwehr“, und durch Spezialteamkräfte (Özel Tim) ermordet. Es ist bemerkenswert, wie viele Zeitungen verboten werden und in welch kurzer Zeit eine neue Zeitung an Stelle der verbotenen erscheint. Man sollte diesen Umstand in Bezug auf die personellen und materiellen Ressourcen bewerten.

Trotz aller systematischen Repression lebt die kurdische Presse weiter. In Hüseyin Aykols Werk „20 Jahre kurdische Medien“, erschienen 2009 bei Evrensel Basın Yayım, findet man einige wertvolle Informationen zu diesem Thema.

Es wurde eine Organisation mit dem Namen „Musa-Anter-Preis für gefallene Journalisten und Journalismus“ gegründet und etabliert. Auch Musa Anter war ein Journalist. Er verlor im Jahre 1993 bei einem vom Staat geplanten Massaker sein Leben. Folgende Journalisten wurden vom JITEM oder den Spezialteamkräften ermordet:

Mehmet Sait Erten, „Azadî“ , 1992, Diyarbakır
Halit Güngen, „2002´e Doğru“, 18. Februar 1992, Diyarbakır
Cengiz Altun, „Yeni Ülke“, 25. Februar 1992, Batman
Izzet Kezer, „Sabah“ , 23. März 1992, Cizre
Mecit Akgün, „Yeni Ülke“, 2. Juni 1992, Nusaybin
Hafız Akdemir, „Özgür Gündem“, 8. Juni 1992, Diyarbakır
Çetin Abayay, „Özgür Halk“, 29. Juli 1992, Batman
Yahya Orhan, „Özgür Gündem“, 2. August 1992, Ceylanpınar
Hüseyin Deniz, „Özgür Gündem“, 2. August 1992, Ceylanpınar
Musa Anter, „Özgür Gündem“, 20. September 1992, Diyarbakır
Yaşar Aktay, freier Journalist, 9. November 1992, Hani
Hatip Kapçak, freier Journalist, 18. November 1992, Mazıdağı
Namık Tarancı, „Gerçek“, 20. November 1992, Diyarbakır
Kemal Kılıç, „Yeni Ülke“, 18. Februar 1993, Şanlıurfa
Mehmet Ihsan Karakuş, 13. März 1993, Silvan
Ferhat Tepe, „Özgür Gündem“, 28. Juli 1993, Bitlis
Nazım Babaoğlu, „Gündem“, 12. März 1994, Siverek
Seyfettin Tepe, „Yeni Politika“, 28. August 1995, Bitlis

Begonnen hat diese Entwicklung am 5. Juli 1991 mit der Entführung von Vedat Aydın in Diyarbakır, es folgten Mehmet Sincar in Batman (4. September 1993), Behçet Cantürk (12. Januar 1994), Muhsin Melik (2. Juni 1994), Savaş Buldan (3. Juni 1994) und weitere Politiker und Unternehmer. In dieser Zeit herrschte die Praxis des „Entführen, Töten, Verscharren“. In dem Film „Presse“ von Sedat Yılmaz werden diese Entwicklungen sehr eindrucksvoll dargestellt.

Ein Blick auf die Liste der Zeitungen, die den seit 1993 verliehenen Preis vergaben , zeigt die Entwicklung der kurdischen Presse. Man sieht, wie viele Zeitungen verboten wurden und wie schnell neue veröffentlicht wurden.

1993 Özgür Gündem
1994 Özgür Ülke
1995 Yeni Politika
1996 Demokrasi
1997 Ülkede Gündem
1998 Ülkede Gündem
1999 Özgür Bakış
2000 2000´de Yeni Gündem
2001 Yedinci Gündem
2002 Yedinci Gündem
2003 Yeniden Özgür Gündem
2004 Ülkede Özgür Gündem
2005 Ülkede Özgür Gündem
2006 Ülkede Özgür Gündem
2007 Gündem
2008 Alternatif und Azadiya Welat
2009 Günlük und Azadiya Welat
2010 Günlük und Azadiya Welat
2011 Özgür Gündem und Azadiya Welat
2012 werden die Preise von Özgür Gündem und Azadiya Welat verliehen werden.

Der „Musa-Anter-Preis für gefallene Journalisten und Journalismus“ wird in den Kategorien Kurdische Nachrichten, Türkische Nachrichten, Fotografie und Karikatur vergeben. Man vergesse nicht, dass Musa Anter Anekdoten und Essays geschrieben hat. Es sollte auch einen Preis für Literatur geben.

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(1) Ministerpräsidenten
Turgut Özal 1983–1989
Ali Bozer (Übergang) 1989–1989
Yıldırım Akbulut 1989–1991
Mesut Yılmaz 1991–1991
Süleyman Demirel 1991–1993
Erdal Inönü (Übergang) 1993–1993
Tansu Çiller 1993–1996
Mesut Yılmaz 1996–1996
Necmettin Erbakan 1996–1997
Mesut Yılmaz 1997–1999
Bülent Ecevit 1999–2002
Abdullah Gül 2002–2003
Recep Tayyip Erdoğan 2003–heute

(2) Generalstabschefs
Necdet Üruğ 1983–1987
Necip Torumtay 1987–1990
Doğan Güreş 1990–1994
Ismail Hakkı Karadayı 1994–1998
Hüseyin Kıvrıkoğlu 1998–2002
Hilmi Özkök 2002–2006
Yaşar Büyükanıt 2006–2008
Ilker Başbuğ 2008–2010
Işık Koşaner 2010–2011
Necdet Özel 2011–heute

(3) Staatspräsidenten
Kenan Evren 1982–1989
Turgut Özal 1989–1993
Süleyman Demirel 1993–2000
Ahmet Necdet Sezer 2000–2007
Abdullah Gül 2007–heute

(4) Innenminister
Ali Tanrıyar 1983–1984
Yıldırım Akbulut 1984–1987
Ahmet Selçuk 1987–1987
Mustafa Kalemli 1987–1989
Abdülkadir Aksu 1989–1991
Mustafa Kalemli 1991–1991
Selahattin Çakmakoğlu 1991–1991
İsmet Sezgin 1991–1993
Beytullah Mehmet Gazioğlu 1993–1993
Nahit Menteşe 1993–1995
Teoman Ünüsan 1995–1996
Ülkü Gökalp Güney 1996–1996
Mehmet Ağar 1996–1996
Meral Akşener 1996–1997
Murat Başeskioğlu 1997–1998
Kutlu Aktaş 1998–1999
Cahit Bayar 1999–1999
Sadettin Tantan 1999–2001
Rüştü Kazım Yücelen 2001–2002
Muzaffer Ecemiş 2002–2002
Abdülkadir Aksu 2002–2007
Osman Güner 2007–2007
Beşir Atalay 2007–2011
Osman Güner 2011–2011
İdris Naim Şahin 2011–heute

(5) Außenminister
Vahit Melih Halefoğlu 1983–1987
Mesut Yılmaz 1987–1990
Ali Bozer 1990–1990
Ahmet Kurtcebe Alptemuçin 1990–1991
Safa Giray 1991–1991
Hikmet Çetin 1991–1994
Mümtaz Soysal 1994–1994
Murat Karayalçın 1994–1995
Erdal İnönü 1995–1995
A. Coşkun Kırca 1995–1995
Deniz Baykal 1995–1996
Emre Gönensay 1996–1996
Tansu Çiller 1996–1997
İsmail Cem 1997–2002
Şükrü Sina Gürel 2002–2002
Yaşar Yakış 2002–2003
Abdullah Gül 2003–2007
Ali Babacan 2007–2009
Ahmet Davutoğlu 2009–heute

(6) Geheimdienstchefs
Korgeneral Burhanettin Bigalı 1981–1986
Korg. Hayri Ündül 1986–1988
Korg. Teoman Koman 1988–1992
Sönmez Köksal 1992–1998
Şenkal Atasagun 1998–2005
Emre Taner 2005–2010
Hakan Fidan 2010–heute