Das Baskenland: 
  Anfang einer neuen Zeit 
Zeit 
  für eine demokratische Lösung des Konflikts
 Jon Andoni 
  Lekue, baskischer RA und Vertreter der Abertzalen Linken*
Der politische Konflikt zwischen 
  dem Baskenland und dem spanischen Königreich sowie der französischen Republik 
  hat sich bis Ende 2011 sehr positiv entwickelt. Die politischen und sozialen 
  Kräfte für einen demokratischen Wandel sind stärker als je zuvor.
  An den 20. Oktober 2011 wird man sich in der Zukunft als an einen historischen 
  Tag erinnern. Nach 52 Jahren des bewaffneten Kampfes hat die ETA das endgültige 
  Ende all ihrer bewaffneten Aktivitäten verkündet. Es war kein Tag der Euphorie, 
  sondern ein Tag mit dem Ausblick auf eine dauerhafte demokratische Lösung des 
  Konflikts. 
  Diese Entscheidung ist der Anfangspunkt einer neuen politischen Zeit. Sie ist 
  eine Folge der internen Diskussion und entsprechender Beschlüsse innerhalb der 
  Abertzalen Linken und hat auch eine wichtige internationale Dimension. Die in 
  der internen Diskussion der Abertzalen Linken beschlossenen einseitigen Schritte 
  öffneten die Tür für einen Paradigmenwechsel im politischen Szenario im Baskenland: 
  den Übergang von der bewaffneten Konfrontation zu einer demokratischen Konfrontation.
  Der politische Konflikt und seine Ursachen, die territoriale Teilung des Baskenlandes 
  und die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts, sind immer noch nicht gelöst. 
  Die Haltung des spanischen Staates und seiner neuen gewählten Regierung haben 
  sich bisher nicht grundsätzlich geändert. Es werden immer noch große Schwierigkeiten 
  zu bewältigen sein, aber die demokratischen Ziele sollen durch den sozialen 
  und politischen Kampf erreicht werden. Die Kommunalwahlen im Mai und die spanischen 
  Wahlen am 20. November haben gezeigt, dass im Baskenland eine wachsende Kraft 
  existiert, um eine politische und demokratische Neuordnung zu erreichen.
1- Die interne Diskussion der Jahre 
  2009–2010
  Die aktuelle Lage kann man nicht verstehen, ohne den gescheiterten Verhandlungsprozess 
  zu erwähnen. Die Gespräche der Jahre 2005–2007, die einerseits zwischen Batasuna 
  und der PSE (Sozialistische Partei des Baskenlandes, Regionalpartei der PSOE 
  des Präsidenten Zapatero) und andererseits zwischen ETA und der spanischen Regierung 
  geführt wurden, scheiterten. Dafür gab es mehrere Gründe. Als Hauptgrund sehen 
  wir die Nichteinhaltung vereinbarter Abkommen durch die spanische Regierung. 
  
  Am Ende der Verhandlungen kehrte die offene Konfrontation zurück. Der bewaffnete 
  Kampf und die schlimmste Serie von repressiven Maßnahmen wurden zum Alltag. 
  Es kam zur politischen Blockade: Einerseits reichte der Kampf nicht aus, um 
  die existierende politische Struktur zu überwinden, obwohl es dafür eine Mehrheit 
  im Baskenland gibt, andererseits war auch die harte Repression nicht in der 
  Lage, Batasuna oder ETA zu zerstören.
  Arnaldo Otegi, der im August 2008 vorübergehend aus dem Gefängnis entlassen 
  wurde, trieb eine umfassende strategische Diskussion voran. Otegis politische 
  Analyse suchte eine grundsätzliche Änderung der Situation durch eine wirksame 
  Strategie. 
  Eine wirksame Strategie müsste ein Ende der bewaffneten Konfrontation bringen, 
  weil die spanische Regierung darin ihre Stärke hatte und sie von der internationalen 
  Gemeinschaft unterstützt wurde. Die öffentliche Debatte um die politischen Fragen, 
  das Selbstbestimmungsrecht, die territoriale Teilung des Baskenlandes und die 
  Forderung nach internationalen Beobachtern wollte sie immer vermeiden. Deshalb 
  müsste die Unabhängigkeitsbewegung sich auf folgende politische Instrumente 
  konzentrieren: den ideologischen Kampf, die Massenmobilisierung, die institutionelle 
  Arbeit und die Bündnispolitik. Für diese Aufgabe braucht es unbedingt eine legale 
  politische Partei.
  Die genannten Instrumente sollten auch einen neuen Verhandlungsprozess ermöglichen. 
  Die internationale Gemeinschaft sollte den politischen Prozess unterstützen. 
  
  Ende 2009 und Anfang 2010 stimmten die lokalen Versammlungen von tausenden AktivistInnen 
  der Abertzalen Linken dem Strategiewechsel mit großer Mehrheit zu.
2- Steh auf, Baskenland!
  Die Schlussfolgerungen der strategischen Debatte wurden in einer Erklärung zusammengefasst: 
  „Steh auf Baskenland! (Zutik Euskal Herria)“. [s. a. Kurdistan Report 149 Mai/Juni 
  2010] Seit der Veröffentlichung von „Steh auf, Baskenland!“ hat sich das politische 
  Szenario in einer schnellen Dynamik geändert. 
  Die Abertzale Linke unterschrieb mit anderen Linken und Pro-Unabhängigkeits-Kräften 
  (EA und Alternatiba) eine Vereinbarung für eine strategische Zusammenarbeit. 
  Kurz danach verkündete ETA einen einseitigen Waffenstillstand, der ein Ende 
  aller bewaffneten Angriffe beinhaltete. Auf diesen wichtigen Schritt folgte 
  das Abkommen von Gernika zwischen fünf politischen Parteien, der Mehrheit der 
  Gewerkschaften, sozialen und kulturellen Gruppen. 
  Das Abkommen von Gernika benannte die minimalen Bedingungen für eine friedliche 
  Lösung des Konflikts: einen dauerhaften, verifizierbaren und umfassenden Waffenstillstand 
  von ETA und das Ende aller repressiven Maßnahmen der spanischen Regierung gegen 
  das Baskenland, insbesondere die Aufhebung des Parteienverbots und ein Ende 
  der kriminellen Politik gegen die baskischen politischen Gefangenen.
  Am 10. Januar 2011 erklärte ETA einen permanenten und umfassenden Waffenstillstand, 
  der durch die internationale Gemeinschaft verifizierbar sein sollte. Anfang 
  Februar 2011 wurde eine neue Partei der Abertzalen Linken vorgestellt: Sortu. 
  Obwohl Sortu alle Voraussetzungen für die Zulassung als Partei erfüllte und 
  sich von jeder Art von Gewalt (auch explizit von ETA) distanzierte, wurde sie 
  als legale Partei nicht zugelassen.
  Trotz dieses Verbots und der ungeänderten Politik des spanischen Staates, erhielten 
  die Wahlbündnisse Bildu und Amaiur, in denen die Abertzale Linke gemeinsam mit 
  anderen linken Pro-Unabhängigkeitsparteien kandidierte, eine historische Unterstützung. 
  Mehr als 20 % der Bevölkerung stehen hinter Bildu und Amaiur; 7 Abgeordnete 
  in Madrid, die Regierung der Provinz Gipuzkoa, Bürgermeister der großen Stadt 
  Donostia (spanisch: San Sebastian) und in über weiteren 100 Städten, mehr als 
  tausend Stadt- und Gemeinderäte ... Die Basken und Baskinnen haben damit sehr 
  deutlich den Strategiewechsel der Abertzalen Linken unterstützt.
  Die spanische Regierung hat die an sie gerichteten Forderungen nach Einhaltung 
  von Menschenrechten, nach einem Ende der Folter und der sie ermöglichenden Incommunicado-Isolations-Haft, 
  nach einem Ende der grausamen Sonderpolitik gegen baskische politische Gefangene, 
  nach einem Ende von politisch motivierten Massenverhaftungsaktionen im Baskenland 
  und nach freier politischer Betätigung bisher nicht nur ignoriert. Schlimmer 
  noch, sie verstärkte in den letzten Monaten ihre repressive Politik.
Der spanische Staat hat keine Strategie 
  für den Frieden und für eine politische Lösung. Seine Legitimität und soziale 
  Unterstützung schwinden. Das Baskenland ist allerdings nicht die einzige unzufriedene 
  Ecke innerhalb der spanischen Grenzen. Die Forderung für mehr Autonomie und 
  sogar Unabhängigkeit wächst auch in Katalonien rasant. 
3- Internationale Dimension des Prozesses
  In der internen Diskussion der Abertzalen Linken wurde schon festgelegt, dass 
  die internationale Beteiligung eine große Rolle spielen müsse.
  Die langjährigen Kontakte und die Kommunikation mit internationalen Akteuren 
  zeigten ihre Wirkung. Einen Monat nach der Veröffentlichung der Erklärung „Steh 
  auf, Baskenland!“ wurde die Brüsseler Erklärung vorgestellt. International bekannte 
  und führende Persönlichkeiten, darunter vier Friedensnobelpreisträger Desmond 
  Tutu, Frederick De Klerk, Betty Williams und John Hume, sowie die Nelson-Mandela- 
  Stiftung, der ehemalige irische Ministerpräsident Albert Reynolds und andere, 
  unterstützen in einer Erklärung die neue Initiative der baskischen Unabhängigkeitsbewegung 
  für eine friedliche Lösung des spanisch-baskischen Konflikts. Sie appellieren 
  an die spanische Regierung und an ETA, diese Initiative durch Unterstützung 
  zum Erfolg zu führen.
  Aus dem Kreis der UnterstützerInnen der Brüsseler Erklärung wurde eine internationale 
  Kontaktgruppe gebildet mit dem südafrikanischen Rechtsanwalt Brian Currin als 
  Hauptfigur. Die Aufgabe dieser Kontaktgruppe ist es, Verhandlungen der politischen 
  Parteien zu ermöglichen, mit dem Ziel, eine neue politische Struktur fürs Baskenland 
  zu vereinbaren. 
  Im September 2011 wurde eine internationale Verifizierungskommission gebildet 
  mit dem Ziel, den permanenten und umfassenden Waffenstillstand der ETA zu verifizieren. 
  Die spanische Regierung hat diese Komission zwar nicht anerkannt, aber auch 
  nicht abgelehnt. Das war ein kleines positives Signal.
  Am 17. Oktober 2011 leiteten Bertie Ahern, Kofi Annan, Gerry Adams, Jonathan 
  Powell, Gro Harlem Bruntland, Pierre Joxe eine internationale Konferenz im Baskenland. 
  Alle baskischen politischen Parteien (außer der rechten PP), Gewerkschaften, 
  der Unternehmerverein, Kulturgruppen der spanischen und französischen Teile 
  des Baskenlandes waren dabei. Es ist ein historisches Ereignis für das Land.
  Die sechs Vertreter der internationalen Gemeinschaft verlasen am Ende der Konferenz 
  eine Erklärung, die von allen Anwesenden akzeptiert war. Diese Erklärung endet 
  mit den folgenden fünf Empfehlungen: 
  Wir fordern ETA zu einer öffentlichen Erklärung auf, in der sie definitiv das 
  Ende aller bewaffneten Aktionen bekannt gibt, und in der sie die spanische und 
  die französische Regierung zu Gesprächen auffordert, die ausschließlich die 
  Konsequenzen des Konflikts betreffen.
  Wir bitten die Regierungen von Spanien und Frankreich dringend, eine solche 
  Erklärung zu begrüßen und Gesprächen zuzustimmen, die ausschließlich die Konsequenzen 
  des Konflikts betreffen.
  Wir mahnen größere Schritte an, um Versöhnung zu fördern, alle Opfer anzuerkennen, 
  sie zu entschädigen und ihnen zu helfen, das Leid anzuerkennen, das ihnen angetan 
  wurde und zu versuchen, persönliche und soziale Wunden zu heilen. 
  Aus unserer Erfahrung der Konfliktlösung sind es oft weitere Themen, die helfen 
  können, das Ziel eines dauerhaften Friedens zu erreichen, wenn man sie adressiert. 
  Wir schlagen vor, dass sich gewaltlose Akteure und politische Repräsentanten 
  treffen und in Abstimmung mit der Bevölkerung politische und verwandte Themen 
  diskutieren, die zu einer neuen Ära ohne Konflikt beitragen können. Aus unserer 
  Erfahrung hilft die Anwesenheit Dritter als Beobachter oder Moderatoren einem 
  solchen Dialog. Hier könnte ein solcher Dialog auch von internationalen Moderatoren 
  unterstützt werden, wenn die Teilnehmer dies wünschen.
  Wir sind bereit, ein Komitee zu gründen, das diese Empfehlungen weiterverfolgt. 
  
  Als Antwort auf die internationale Konferenz und als logische Folge des Strategiewechsels 
  der Abertzalen Linken erklärte ETA das endgültige Ende ihres bewaffneten Kampfes.
4- Nach 
  der Internationalen Konferenz und der Entscheidung der ETA
  Der politische Konflikt geht weiter und seine Ursachen sind immer noch existent. 
  Nichts ist gelöst, aber eine neue Zeit hat begonnen. 
  Die Abertzale Linke hat an Glaubwürdigkeit gewonnen. Ihr interner Zusammenhalt 
  ist unbestritten und sie ist weit besser als alle anderen Kräfte auf diese neue 
  politische Zeit vorbereitet. Sie ist besser vorbereitet, weil sie sie initiiert 
  und vorangetrieben hat.
  Die Perspektivlosigkeit und die politische Blockade von 2008 sind Vergangenheit. 
  Alle Türen sind offen, um eine demokratische und politische Neuordnung zu erreichen. 
  Die Basken und Baskinnen verstehen das auch so und haben deshalb die Abertzale 
  Linke bei den Wahlen massiv unterstützt.
  Bis zur internationalen Konferenz waren alle Schritte einseitig. Nun ist die 
  Zeit für multilaterale Schritte gekommen, um eine dauerhafte Lösung des Konflikts 
  zu finden.
  Die Verhandlungen für einen neuen politischen Konsensus zwischen Parteien und 
  sozialen Kräften müssen so bald wie möglich aufgenommen werden. 
  Die Verhandlungen über die Konsequenzen des Konflikts müssen ebenfalls beginnen. 
  ETA und beide Regierungen sollen über die Freilassung aller politischen Gefangenen, 
  die Entmilitarisierung aller Seiten und die multilateralen Opfer verhandeln.
  Obwohl ETAs bewaffneter Kampf definitiv beendet ist, ist die Gewalt des spanischen 
  Staates gegen das Baskenland immer noch präsent. Spanien hält an seiner polizeilichen 
  Strategie fest. Das Baskenland fordert die sofortige Legalisierung von Sortu 
  und eine komplette Änderung der Politik gegenüber den politischen Gefangenen.
  Der Kampf für ein freies und sozialistisches Baskenland geht weiter. Die neue 
  Zeit benötigt neue Mittel und mehr Energie als je zuvor.
*Abertzale 
  Linke: Die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke” ist eng verknüpft 
  mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive 
  und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum 
  von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und 
  kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen-, Umwelt- und Internationalismusbewegungen, 
  die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus 
  eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff „abertzale“ 
  nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive 
  Bedeutung zu betonen. Aus: info-baskenland.de