Die
neue Form des aufblühenden türkischen Nationalismus in Europa
Kurden und Kurdinnen sind der Gülen-Bewegung ein Dorn im Auge
Memo Yaşar, Politologe
In den vergangenen
Monaten hat der türkische Ministerpräsident Erdoğan durch seine Hasspredigten
wiederholt kurdische PolitikerInnen sowie ZivilistInnen – innerhalb
und außerhalb der Türkei – zur Zielscheibe faschistischer Übergriffe
gemacht. Die wiederholten Drohungen des türkischen Ministerpräsidenten
gegen die BDP und gegen KurdInnen, die seiner Ansicht nach mit der kurdischen
Freiheitsbewegung sympathisieren, wurden durch die von der Polizei geduldeten
Übergriffe türkischer Faschisten auf KurdInnen in die Tat umgesetzt.
Auch
in Europa versucht die AKP-Regierung gemeinsam mit der Fethullah-Gülen-Bewegung
und über die türkischen Botschafter – die sie ja schon längst selbst
rekrutieren – zu Anschlägen und Übergriffen auf KurdInnen zu mobilisieren.
Nicht zuletzt gab es – anlässlich des türkischen Staatsfeiertages am
29. Oktober – in fast allen Großstädten Europas wie Amsterdam, Brüssel,
Antwerpen, Paris, Straßburg, Basel, Berlin, Mannheim, Köln, Stuttgart,
München, Hannover, Hamburg zentral organisierte Demonstrationen türkischer
Ultranationalisten. Nach diesen Demonstrationen wurden in Deutschland1
,
Österreich2
, Belgien, Frankreich, England
und Holland kurdische Geschäftslokale überfallen, kurdische Vereinslokale
sowie Caféhäuser angegriffen und dutzende Menschen körperlich verletzt.
In Mannheim wurden türkische Fahnen an Cafés, Supermärkte und Geschäftslokale
verteilt. Wer sich weigerte, diese Fahnen aufzuhängen, wurde von den
Faschisten bedroht und terrorisiert.
Grund für diese vermehrten sowie zentral gesteuerten Übergriffe türkischer
Ultranationalisten auf KurdInnen ist die Ideologie der Fethullah-Gülen-Bewegung,
welche hinter der AKP-Regierung steht und diese für ihre politischen
Pläne steuert. Wer aber ist Fethullah Gülen, und welche politisch-ideologische
Einstellung hat dieser islamische Prediger?
Um die Strukturen und Organisationsformen der Gülen-Bewegung in der
Türkei und in Europa verstehen zu können, ist es notwendig, sich die
Entwicklung des Islam in der Türkei kurz vor Augen zu führen. Der Islam
war zwar Staatsreligion im Osmanischen Reich, es gab aber immer wieder
Spannungen zwischen den Kalifen3
, dem
offiziellen Islam und dem im Volk verbreiteten Islam des Sufismus4
.
Mit der Republikgründung durch Mustafa Kemal – nach westlichem Vorbild
– begann in der Türkei eine Modernisierungswelle. Um einen Anschluss
an den Westen zu bekommen, wollte Mustafa Kemal den Staat und die Gesellschaft
nicht mehr nach traditionellen Verhaltensformen führen, sondern eine
säkulare Ideologie begründen. Diese Reformbemühungen führten zu einer
starken Ablehnung seitens breiter Gesellschaftsschichten und in weiterer
Folge zu starken, teilweise bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen
den Truppen von Mustafa Kemal und den unterschiedlichen Orden und ihren
Anhängerschaften5
.
Die
Überlegenheit des Staates und die damit verbundenen Repressalien zwangen
die Orden in den Untergrund, wo sie sich in Form von Tariqas6
organisierten. Somit war eine große Konfrontation zwischen säkularen
und geistlichen Kräften vorprogrammiert. Die Folgen dieser Entwicklungen
begleiten die Geschichte der türkischen Republik bis heute. Immer wieder
gewannen die Tariqas an Macht, widersetzten sich mit Hilfe politischer
Parteien, Medien, Wirtschaftsunternehmen, Bildungseinrichtungen usw.
dem Staat und wurden dann von staatlicher Seite mit Methoden wie Parteiverboten,
Militärputschen usw. bekämpft und mit wechselndem Erfolg zurückgedrängt7
.
Durch
die Fethullah-Gülen-Bewegung, welche nach dem Militärputsch am 12. September
1980 als islamisch-nationalistisches Bollwerk gegen linke und antiimperialistische
Bewegungen fungieren sollte, hat sich auch die Struktur des politischen
Islam in der Türkei maßgeblich geändert. Die Putschisten und Investoren
merkten immer mehr, dass altbekannte Methoden wie Militärputsche allein
keine Resultate gegen links-oppositionelle Gruppen liefern. In seinem
Buch „Imamın Ordusu“ (Die Armee des Imam) schreibt Ahmet Şık8
:
„Die Putschisten merkten, dass sich linke Kader sogar innerhalb des
Militärs formierten und platzierten als Gegenpol dazu Menschen mit nationalistischem
und religiösem Ideengut, die nach dem Putsch die wichtigsten Posten
in staatlichen Einrichtungen bekleideten.“9
Damit die Religion – hier der Islam – gegen linke und sozialistische
Strömungen eingesetzt werden konnte, war es notwendig, Islamisten zu
finden, die sich auch für diese Zwecke einsetzen lassen. Die Aufmerksamkeit
richtete sich hierbei vor allem auf Fethullah Gülen, auf den diese Eigenschaften
zutrafen, der als Imam im Volk bereits sehr beliebt war und der durch
seine nationalistischen Ideen bekannt war. Zuvor war Gülen Vorsteher
des Vereins „Kampf gegen den Kommunismus“ und hatte intensive Kontakte
zu Alparslan Türkeş10
. Die Gülen-Bewegung
hat es innerhalb kürzester Zeit – mit Unterstützung der USA – geschafft,
die politische Macht in der Türkei an sich zu reißen. „Fethullahci,
wie sich Gülens Anhänger nennen, besetzen inzwischen Positionen bis
in höchste türkische Regierungskreise“11
.
Die Gülen-Bewegung ist eine global agierende Sekte, hat die Struktur
eines Konzerns und ist absolut türkisch-nationalistisch orientiert.
Die Schulen dieser Bewegung erstrecken sich über Zentralasien nach Afrika
und bis nach Europa. Sie haben das Ziel, eine türkisch-islamische Synthese
zu realisieren. In diesen Schulen ist Türkisch die Unterrichtssprache
und die türkische Nationalhymne ein Muss. Auf Grund der streng religiösen
und türkisch-nationalistischen Ausrichtung dieser Schulen haben sie
viele arabische Länder sowie der Iran verboten. In den vergangenen Jahren
wurden Gülen-Schulen auf Grund ihres fundamentalen Islamismus und Pantürkismus
in Russland12
geschlossen, und in Usbekistan
wurden Funktionäre der Bewegung festgenommen.13
In Europa wird die Gülen-Bewegung,
trotz Protesten von KurdInnen sowie links und demokratisch gesinnten
TürkInnen, hofiert. In vielen EU-Ländern hat diese Bewegung eine große
Anzahl AnhängerInnen und FunktionärInnen. Sie betreiben Schulen, Wirtschaftsunternehmen
und Medien, StudentInnenheime, Nachhilfeinstitute und Moscheenvereine.
In ihren Einrichtungen werden vor allem Jugendliche und junge Erwachsene
rekrutiert und mit türkisch-islamischem Gedankengut indoktriniert.
Nicht dass es vor der Regierungszeit der AKP, des verlängerten Arms
der Gülen-Bewegung, keine fundamental-islamistischen sowie türkisch-faschistischen
Strömungen in Europa gegeben hätte. In Europa gab es auch vor der AKP
die faschistischen Vereine der „Grauen Wölfe“ sowie fundamental-islamistische
Moscheenvereine geben, die für ihre kurdenfeindlichen und antiwestlichen
Predigten bekannt waren. Aber mit der Machtergreifung der AKP, die innerhalb
kürzester Zeit viele Posten im Staat bekleidete und auch Botschafter
in Europa ernannte, hat die Sache eine andere Dynamik bekommen.
Türkisch-faschistische und fundamental-islamistische Gruppen in Europa,
die schon seit ihren Anfängen eine enge Beziehung zum türkischen Staat
hatten, werden nun erstmals von der AKP-Regierung bewusst als Werkzeuge
zur Umsetzung türkischer Staatsinteressen eingesetzt. Die türkische
Religionsbehörde, die nach dem Militär den größten Posten im türkischen
Staatshaushalt erhält, ernennt die Imame in den jeweiligen Ländern,
welche die Moscheenvereine als Unterbehörden des Staates führen.
Die
Kurdinnen und Kurden sind der Gülen-Bewegung – sowohl in der Türkei
als auch in Europa – ein Dorn im Auge, weil sie ihnen einen Strich durch
die Rechnung machen. Nicht ohne Grund wurden innerhalb der letzten zwei
Jahre mehr als 8 000 Kurdinnen und Kurden in der Türkei festgenommen
und davon mehr als 4 000 inhaftiert. Eines der Hauptziele der Gülen-Bewegung
ist es, auch die Aktivitäten der kurdischen Flüchtlinge in Europa mit
unterschiedlichsten Mitteln zu verhindern und eine Öffentlichkeitsarbeit
der kurdischen Diaspora zu unterbinden. Nur dadurch können die vermehrten
Übergriffe türkischer Faschisten auf kurdische Vereins- und Geschäftslokale
sowie Persönlichkeiten erklärt werden. Man will die KurdInnen in Europa
einschüchtern und davon abbringen, ihre politischen und kulturellen
Aktivitäten in den unterschiedlichen europäischen Staaten weiterzuführen.
So erklären sich auch die ständigen Drohungen des türkischen Ministerpräsidenten
Erdoğan gegen die europäischen Staaten, vor allem Deutschland, die angeblich
die PKK unterstützen14
. Nicht zuletzt
die Untersuchung deutscher Stiftungen in der Türkei15
– mit dem Vorwurf, Gelder an die PKK zu schleusen – zeigt die Paranoia
des türkischen Ministerpräsidenten.
Dieses große wirtschaftliche und religiöse Netzwerk ist nicht nur eine
Gefahr für die in Europa lebenden KurdInnen und andere oppositionelle
Gruppen aus der Türkei, sondern auch für die autochthone Gesellschaft
hierzulande. Denn die Gülen-Bewegung versucht – unter dem Vorwand der
Assimilationsgefahr – jeglichen Bestrebungen für die Integration türkisch-/kurdischstämmiger
Menschen vorzubeugen und sie zu unterbinden. Schließlich leben allein
in Deutschland rund drei Millionen Menschen türkischer Abstammung (davon
eine Million KurdInnen). Dies stellt eine große wirtschaftliche und
politische Ressource dar, von der die AKP-Regierung und die Fethullah-Gülen-Bewegung
profitieren wollen.
1
http://www.taz.de/!80565/
2 http://dastandard.at/1319181609238/Wien-Krawalle-bei-anti-tuerkischen-Protesten-in-Fuenfhaus?seite=5
3 Der Kalif war sowohl der geistliche als auch der politische Führer
des theokratischen Staatswesens.
4 Strömungen im Islam, die sich um einen Gelehrten (Sufi) herum formen
und unzählige Orden und Bruderschaften bilden.
5 T. Schmidinger, D. Larise (2008): Zwischen Gottesstaat und Demokratie:
Handbuch des politischen Islam.
6 Als Tariqa bezeichnet man eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam auf
demselben Weg zu Gott reisen, mit anderen Worten eine Sufi-Bruderschaft
bzw. einen Derwisch-Orden.
7 Wunn, Ina (2007): Muslimische Gruppierungen in Deutschland. Ein Handbuch.
Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart.
8 In der Türkei wurden in den letzten Monaten Dutzende regierungskritischer
JournalistInnen festgenommen. Einer von ihnen ist der angesehene Reporter
Ahmet Şık, dem das noch nicht einmal fertige Buch beschlagnahmt und
die digitalen Kopien zerstört wurden. „Şık hatte über den Geheimbund
Ergenekon recherchiert und war dabei auf die seltsame Verbindung eines
radikalen Islamistenbundes, der Fethullah-Gülen-Bewegung, und der türkischen
Justiz sowie der Polizei gestoßen.“ (siehe: Die Presse, Türkei: Der
Vormarsch der islamistischen Chauvinisten. http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/654304/Tuerkei_Der-Vormarsch-der-islamistischen-Chauvinisten).
9 Wunn, Ina (2007): Muslimische Gruppierungen in Deutschland. Ein Handbuch.
Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart.
10 Gründer der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen
Bewegung (MHP)
11 Wunn, Ina (2007): Muslimische Gruppierungen in Deutschland. Ein Handbuch.
Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart.
12 Siehe http://www.haber5.com/rusyadan-cemaat-okullarina-yasak-haberi-125015.aw
13 Siehe http://www.milliyet.com.tr/ozel/dosya/gulen/gulen3.html
14 http://www.sabah.com.tr/Gundem/2011/11/03/pkk-terorunu-belgeledik-fakat-bir-sonuc-alamadik
15 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,790073,00.html