Xidir Nebî – Fest der yezidischen Kurden

Rahmi Yağmur, Journalist

Nach yezidischem Glauben wird jedes Jahr an einem Donnerstag oder Freitag in der Zeit zwischen dem 10. und dem 20. Februar als Tag des Xidir Nebî, des Schutzpatrons der Liebe und der Wünsche, das gleichnamige Fest gefeiert.
Das als heiliger Tag geltende Xidir Nebî ist zugleich eine Zeit der Gemeinschaft, in der die yezidischen Gläubigen die Gelegenheit haben, sich kennen zu lernen und zu begegnen. Ihrem Glauben zufolge dürfen sie keine Angehörigen anderer Bekenntnisse heiraten. Angesichts der Tatsache dauernder muslimischer Verfolgung waren die Yezidi-Kurden stets auf der Flucht vor Angriffen. Infolgedessen leben sie weit verstreut und haben Schwierigkeiten zusammenzukommen. Vor allem für heiratsfähige junge Menschen ist es daher oft schwer, einen geeigneten Partner zu finden. Vor diesem Hintergrund gewinnt Xidir Nebî als Zeit der Begegnung der yezidischen Gläubigen eine besondere Bedeutung als ein heiliger Tag, denn an den Festtagen besuchen sich die Familien.
Die Anfänge dieses Festes gehen auf die zarathustrischen Zeiten zurück. Trotz der Islamisierung der Kurden besteht es bis heute. In historischer Hinsicht heißt es, nicht nur die Kurden, sondern auch andere Völker feierten, beeinflusst vom zarathustrischen Glauben, ein ähnliches Fest mit anderen Traditionen. So wird auch das Fest der Liebenden, genannt Va­lentinstag, bei den Christen als Beispiel genannt.
Die historische Überlieferung stellt bei diesem Fest zwei Engel in den Vordergrund. Xidir Nebî als Schutzheiligen der Liebenden, der Liebe und der Wünsche, Xidir Elyas als Schutzheiligen der Kranken, Reisenden, Gefangenen und Armen. Die drei Tage vor dem Fest fasten die Yezidis.
Die Fastenzeit: Vor Sonnenaufgang am frühen Dienstagmorgen stehen die Menschen für die Sahur genannte Mahlzeit auf. Nach diesem Mahl wird dann für drei Tage gefastet. Obwohl das Fasten für alle Yezidis gilt, hat es eine besondere Bedeutung für diejenigen, die den Namen Xidir oder Elyas tragen. Es gilt auch als besondere Regel für unverheiratete junge Menschen, denn deren Wünsche müssen von Xidir Nebî noch erfüllt werden.
Während die yezidischen Kurden in Georgien, Russland und Armenien das Xidir-Nebî-Fest freitags feierlich begehen, feiern die anderen am Donnerstag Xidir Elyas und Xidir Nebî am Freitag.
Der Überlieferung nach kommt der Engel Xidir Nebî am Donnerstag auf einem weißen Pferd auf die Erde. Der Reiter kommt in die Häuser und segnet sie. Sobald die Hufe des Pferdes die Erde berühren, wird Xidir Nebî mit seinem Pferd so klein, dass er die Häuser der Yezidis durch Fenster und Türen betreten kann.
Daher dürfen an dem Donnerstag bzw. Freitag Fenster und Türen nicht verschlossen werden. Die Häuser müssen vor diesem bedeutenden Tag sauber und rein sein. An dem Tag darf nicht gebadet werden, nichts im Haus darf nass sein, Haarekämmen, die Benutzung von Seife oder Näharbeiten mit Nähnadeln gelten als Sünde. Denn wenn die Böden mit Wasser gereinigt sind, könnten große Pfützen den Schritt des Pferdes behindern, eingeseifte Flächen könnten sich in große rutschige Flächen verwandeln, die Haare könnten durch das Kämmen zu Wäldern und Nähnadeln zu Dornen werden und somit das Pferd des Engels behindern. So würde Xidir Nebî, ohne die Erde zu betreten, umkehren. Dies würde bedeuten, dass das Haus nicht gesegnet wäre und damit Unheil heraufbeschworen würde. Es heißt, während der drei Tage der Fastenzeit werden Kamm und Seife nicht benutzt und es wird nicht gebadet. Vielmehr soll der Verzicht dazu dienen, dass die Menschen sich vor dem Fest auf die Reinigung der Seele, der Gedanken und des Herzens konzentrieren.
Am ersten Tag des Festes werden Familien besucht, deren Verwandte im vorangegangenen Jahr verstorben sind. Es wird für die Toten gebetet, damit sie in Frieden ruhen. Durch diese Besuche wird aber auch die Trauerzeit der jeweiligen Familie beendet.
Um die Aufmerksamkeit des Engels zu gewinnen, wird ein mit einem Seidentuch bedeckter Teller in den Raum gestellt, in dem sich die Betten befinden. Xidir Nebî soll dann ein Haar seines Pferdes auf der Seide hinterlassen.
In der Nacht vor dem Fest, welche auch das Ende des Fastens bedeutet, nehmen die Yezidis an den heiligen Orten, Stêr [kurd.: „Stern“] genannt, ihr Mahl des Fastenbrechens zu sich. Anschließend wird über die yezidischen Traditionen diskutiert, über die Vorbereitung und Durchführung des Fes­tes gesprochen, oft auch dessen Planung gemeinsam beschlossen. Eine andere Bedeutung des Abendmahls ist die, dass alle Zerstrittenen Frieden und Freundschaft schließen. An diesem Tag darf es keinen Streit geben, keine bösen Worte und Gedanken.
Am Donnerstag, dem ersten Tag des Festes, besuchen die Kinder Nachbarhäuser, singen und bekommen dafür Geschenke.
Eine weitere Besonderheit ist die, dass in der Nacht vor dem Fest salzige Brote gebacken werden, „totka şor“ genannt, von denen junge Frauen und Männer im heiratsfähigen Alter essen und ohne Wasser zu trinken schlafen gehen. Der Mann oder die Frau, welcher/welche dann im Traum das Wasser reicht, soll Bräutigam oder Braut werden. Eine unverheiratete junge Frau legt zudem ein Stück dieses Brotes ans Fenster und wartet darauf, dass ein Vogel es nimmt. In die Richtung, in die der Vogel fliegt, soll sie als Braut gehen.
Am Freitagmorgen holen dann die yezidischen Frauen vom Brunnen Wasser, das an diesem Tag einen heiligen Stellenwert hat. Es ist gesegnet, weshalb es alle Familienmitglieder trinken und ihr Gesicht damit benetzen. Das erste Wasser an diesem Tag ist besonders heilig, weshalb es von allen vorgezogen wird.
Die yezidischen Kurden in der ehemaligen Sowjetunion schmücken in der Vornacht des Festes die Brotbackstelle mit Mehl und malen an deren Wände Bilder von Kindern, Hühnern, Lämmern usw. Es hat die Bedeutung, dass dieses Haus mit all dem Gewünschten gesegnet werden und dann kinderreich sein soll.