Zweite Falle der irakischen Baath-Partei und die Autonome Region Kurdistan Der Irak nach den Parlamentswahlen Şahan Dicle Iyad Allawis Wahlsieg im Irak wird zwangsläufig eine neue Bewertung der Situation der Autonomen Region Kurdistan erfordern. Diese
als zweite Phase der irakischen Baath-Partei bewertete Entwicklung Seit der amerikanischen Intervention steckt der Irak bis dato dauerhaft in der Krise. Den USA, die das Hindernis Saddam Hussein überwinden konnten, gelang es jedoch bisher nicht, das kulturell-soziale Geflecht der Region irgendwie zu bewältigen. Ein Irak, der sich aus verschiedenen Ethnien, Kulturen, Konfessionen und Stämmen zusammensetzt, brachte die bisher verfolgte klassische Linie des Imperialismus aus dem Ruder, wodurch die Probleme von Tag zu Tag ernster wurden. Gerade hier ist die Vernachlässigung der Kurden durch die USA und die Beeinflussung der Schiiten durch den Iran ein sehr wichtiger Punkt. Selbstverständlich ist es das Interesse der USA als Supermacht, die keine besondere Rücksicht auf demokratische Werte und Normen nimmt, sondern sich an ihren imperialistischen Interessen orientiert, die im Irak aus dem Ruder laufende Balance zugunsten eines stärkeren Zentralstaats neu auszurichten. Der Iran stellt für die USA die gravierende Zielscheibe dar. Die US-Politik ist so ausgerichtet, dass man den Iran zunächst isolieren und das Land im Nachhinein unter Kontrolle bringen möchte. Der Einfluss des Irans auf die irakischen Schiiten steht jedoch dieser Politik im Wege. Darum ist es für die Umsetzung der angestrebten Ziele notwendig, den Einfluss der sich am Iran orientierenden Schiiten im Irak zu begrenzen. Die aus dem Trio Iyad Allawi, Tarik el-Hashimi sowie Salih el Mutlaq bestehende neue Liste, welche die Baath-Partei auf den neuesten Stand bringen möchte, bildet streng genommen das perfekt geschneiderte Gewand zur Realisierung dieser Politik. Damit das neue, den gesamten Nahen Osten anbelangende Konzept sich behaupten kann, ist es notwendig, dass die übrigen Mächte der Region sich diesem Entwurf auch anschließen. Die USA haben in der Sache die Einbindung der regionalen Faktoren auch nicht vernachlässigt. Sie haben die Türkei und Saudi-Arabien bereits in ihre neue Politik miteinbezogen. Obgleich
sich Allawi unter diesen Bedingungen dem neu gebildeten Konzept verpflichtet
hat, erwartet ihn dennoch eine schwerwiegende Phase. Der Grund dafür,
dass er so oft von einer „gesellschaftlichen Übereinstimmung“ spricht,
rührt allein daher, dass er allein nicht handlungsfähig ist. Um die
zur Regierungsbildung notwendigen 163 Abgeordnetenstimmen zu erhalten,
muss er Koalitionen mit den drei anderen im Parlament vertretenen Parteien
eingehen. Eben
hier inszeniert sich die neue Falle für die Kurden wie in der Vergangenheit
durch die Baath-Partei unter Hussein. Die Veranlassung für Allawi’s
positive Übermittlungen an die Kurden – etwa, dass er in Bezug auf den
Artikel 140 Sollten die Kräfte der Autonomen Region Kurdistan Allawi zur Bildung der Regierung verhelfen, ohne ein formelles Abkommen zu schließen, müsste dies als der zweite große historische Fehler betrachtet werden, der fast unmöglich wieder wettzumachen wäre. Falls nun Allawi zum Premierminister gewählt werden sollte, hieße dies auch wiederum, dass im Irak erneut die von Saddam Hussein ehemals ausgebildete Baath-Belegschaft an Einfluss gewinnen würde. Und sofern dieses System an Macht dazugewinnen sollte, gäbe es keine Garantie dafür, dass sie sich nicht aufs Neue gegen die Kurden richten würde. Wozu die opportunistische und unsaubere Struktur des Baath-Systems gegenüber den Kurden in der Lage ist, ist uns aus der Geschichte heraus nicht unbekannt. Fassen wir die vergangene Entwicklung zusammen: Während unter Ahmet Hesen Bekirs Führung ein Militärputsch vollstreckt (30. Juli 1968) und die Regierung neu aufgestellt wurde, begann man hinterher Gespräche mit den Kurden zu führen, welche von Saddam Hussein geleitet wurden. Die Gespräche führten dahin, dass am 11. März 1970 mit den Kurden ein Autonomieabkommen deklariert wurde. Die
Umsetzung wurde unter dem Vorwand, dass alles seine Zeit brauche, immer
wieder verzögert. Innerhalb dieser Phase hatte man für die Kurden unakzeptable
Forderungen aufgestellt, um letzten Endes 1974 die Auflösung des Abkommens
zu erzielen. Gleichzeitig hatten die USA mit Ländern wie Ägypten, Algerien,
dem Iran, Jordanien und der Türkei versucht, eine regionale Allianz
gegen die Kurden aufzubauen. Tatsächlich hatten die eben aufgezählten
Staaten – mit dem Wohlwollen der USA – am 6. März 1975 mit dem „Abkommen
von Algier“ Das „Abkommen von Algier“ hat die Kurden Tausende von Tragödien erleben lassen, deren Spuren nach wie vor frisch sind. Die als „Ashbetal“ (Säuberungstaktik) benannte Phase hat letztlich zum Sieg des Baath Systems geführt. Dasselbe Szenario soll nun am selben Ort, jedoch mit anderen Mitteln, wiederholt in Szene gesetzt werden. Die Kräfte der Autonomen Region Kurdistan, welche nun genug Erfahrung in Bezug auf das ehemalige Baath System haben sollten, dürften erwartungsgemäß nicht in die Falle tappen. Falls ihnen allerdings nicht gelingen sollte, eine entschlossene, prinzipielle sowie willensstarke Haltung einzunehmen, ist es sicher, dass die Kurden Risiken ausgesetzt sein werden, welche die Gefahren der „Ashbetal-Phase“ bei Weitem überragen könnten. Fußnoten: 2) Wahlergebnisse im Irak: 3) Der Artikel 140 der irakischen Verfassung sieht eine Volksabstimmung darüber vor, ob die erdölreichen Gebiete um Kirkuk der Autonomen Region Kurdistan zugeschlagen werden sollen. Diese Volksabstimmung wurde bislang auch auf Drängen der USA immer wieder verschoben. 4) Das Abkommen von Algier regelte 1975 den Grenzverlauf zwischen Irak und Iran. Daraufhin entzog der Iran der innerirakischen kurdischen Opposition sämtliche finanzielle und militärische Unterstützung. Als Folge des Abkommens wurden die Kurden beiderseits der Grenze jeweils ins Landesinnere zwangsumgesiedelt.
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