Der 
          10. PKK-Kongress
         
          Die Vollendung des Neuaufbaus
         
          Zusammenfassung von Gesprächen mit Cemil Bayık, Murat Karayılan und 
          Duran Kalkan
        Die 
          Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) reorganisierte sich im April 2005, nachdem 
          sie sich 2002 für aufgelöst erklärt hatte. Vom 21. bis 30. August 2008 
          fand ihr 10. Parteikongress statt. Die PKK ist seit 30 Jahren eine wichtige 
          politische Kraft im Mittleren Osten, die auch in der Zeit ihrer Inaktivität 
          nichts von ihrer Bedeutung verloren hatte. Sie ist eine Bewegung, die 
          über eine große Dynamik verfügt, mit deren Hilfe sie sich erneuern und 
          den Anforderungen anpassen kann. Seit gut sechs Jahren befindet sie 
          sich in einer solchen, für viele EuropäerInnen nicht leicht nachzuvollziehenden, 
          Phase. Der folgende Text wird sicherlich zum Verständnis aktueller politischer 
          als auch PKK-interner Entwicklungsprozesse beitragen können. Es handelt 
          sich dabei um eine Zusammenstellung von Auszügen aus ursprünglich separat 
          bei der Nachrichtenagentur ANF nach dem Kongress veröffentlichten (9.–13.9.08) 
          Interviews mit den drei PKK-Gründungsmitgliedern Cemil Bayık, Murat 
          Karayılan und Duran Kalkan zum 10. PKK-Kongress.
        Welche 
          Besonderheiten kennzeichnen die Phase, in der Ihr 10. Kongress stattfand?
         
          Cemil Bayık: Wir durchleben im Mittleren Osten den 
          dritten Weltkrieg. Das globale Kapital versucht, seine Herrschaft zu 
          errichten auf der Grundlage der Neutralisierung von Staaten, die ihren 
          Nationalstatus aufrechterhalten wollen, und der Erstickung der Freiheitsalternative 
          der Völker. So soll der Mittlere Osten dem globalen Kapital vollständig 
          zugänglich gemacht werden. Wir haben unseren 10. Kongress in einer Phase 
          durchgeführt, die bestimmt ist von militärischen Auseinandersetzungen 
          im Irak, in Afghanistan, im Kaukasus und von der angespannten Lage in 
          Iran und Kirkuk. Während der Mittlere Osten im Ersten Weltkrieg im Rahmen 
          der Interessen des Kapitalismus neu geordnet wurde und im Zuge dieser 
          Neuordnung Nationalstaaten entstanden, spielte sich der Krieg in Kurdistan 
          ab. Als Resultat dessen wurde Kurdistan in vier Teile zerlegt und dem 
          kurdischen Volk seine Existenz abgesprochen. Das kurdische Volk ist 
          seitdem gefangen im System der Verleugnung und Vernichtung. Während 
          das globale Kapital heute danach trachtet, die Region erneut mit Krieg 
          neu zu ordnen und den Einfluss von Nationalstaaten zu brechen, tobt 
          auch diesmal der Krieg in Kurdistan. Die Staaten, allen voran die Türkei, 
          Iran und Syrien, versuchen, den Status quo des Mittleren Ostens aufrechtzuerhalten 
          und dabei auch den Irak auf ihre Seite zu ziehen, um die kurdische Freiheitsbewegung 
          zu bekämpfen. Gegen die Angriffe sowohl des globalen Kapitalismus als 
          auch der Kräfte des Status quo, die die Freiheitsbewegung unter ihre 
          Kontrolle bringen oder sie zumindest neutralisieren wollen, führen wir 
          vielleicht den größten und würdevollsten Kampf unserer Geschichte.
          Man will unseren Vorsitzenden Abdullah Öcalan – der eine freie Gesellschaft 
          zu errichten sucht – und die PKK unter Kontrolle bekommen, zumindest 
          neutralisieren, um die kurdischen Kollaborateure an die Macht zu bringen 
          und alle Kurden dem Kapital unterstellen zu können. Deshalb wird gegen 
          unseren Vorsitzenden und gegen die PKK der Druck erhöht, Isolation und 
          Angriffe werden verstärkt. Seit Jahren stehen wir als Bewegung im Kampf 
          mit dem System der Verleugnung und Vernichtung. Die PKK ist inzwischen 
          nicht nur in Bezug auf die Lösung des kurdischen Konflikts zur dritten 
          Kraft geworden, sondern auch bei der Lösung der die Menschen und Gesellschaften 
          heute betreffenden Probleme. Sie möchte die gesellschaftlichen Probleme 
          mit der demokratischen Kommunalität lösen. Aus diesem Grunde gerät sie 
          zu den Vertretern des globalen Kapitals und zu den Kräften des Status 
          quo in Konfrontation. Unsere Widersprüche mit ihnen sind tiefgründig 
          und wir befinden uns im ständigen Kampf. Diese Kräfte repräsentieren 
          die Gesellschaften von Staaten, wir hingegen streben ein demokratisches 
          und freiheitliches System außerhalb von Staaten an.
          USA und EU arbeiten gemeinsam an der Intervention des globalen Kapitals 
          im Mittleren Osten. Durch die Entwicklung des türkisch-irakischen Bündnisses 
          wollen die USA in der Region verstärkt von der Türkei profitieren. Mit 
          der Förderung des politischen Islam im Mittleren Osten und mit der Stärkung 
          der Kollaboration in Kurdistan versuchen sie, den gegenwärtigen Status 
          quo zu kippen. Auf dieser Grundlage intervenieren sie wiederholt zur 
          Beeinflussung des politischen Aufbaus der Türkei. Ein gewisser Erfolg 
          lässt sich auch beobachten. Die Türkei wurde in die Führung der Organisation 
          der Islamischen Konferenz gebracht und zum nichtständigen Mitglied im 
          UN-Sicherheitsrat gewählt. Außer in den Konflikten in Georgien, dem 
          Kaukasus, Afghanistan, Pakistan, dem Irak wird sie auch gebraucht in 
          den Auseinandersetzungen zwischen Iran und USA, Syrien und Israel, Palästina 
          und Israel, Libanon und Israel. Mit Armenien scheint sich die Situation 
          zu entspannen. Alles das realisiert durch den Druck der USA, die Türkei 
          Schritt für Schritt auf ihre Linie zu bringen. Der politische Islam 
          entfaltete in der Türkei seine Wirkung. Es ist zu beobachten, dass die 
          türkische Republik ihre Hülle wechselt. Während sie die ihr von den 
          USA auferlegte Rolle annimmt und neben den USA und der EU auch die Unterstützung 
          der regionalen Kräfte des Status quo hinter sich hat, sucht sie unsere 
          Bewegung zu vernichten und auf diese Weise zur Regionalmacht zu avancieren. 
          Die USA wollen die Kurden für sich gewinnen, um von ihnen zu profitieren. 
          Die PKK steht ihnen da im Weg, daher soll sie überwunden werden. Die 
          Stärkung des Einflusses des Nationalismus soll Kurdistan dem globalen 
          Kapital zugänglich machen. Ohne das scheint ihr Erfolg in der Region 
          nicht leicht realisierbar.
          Mit diesem Ziel war gegen unsere Bewegung ein internationales Komplott 
          entwickelt worden. Dessen erste Etappe bestand in der Neutralisierung 
          unseres Vorsitzenden, er wurde verschleppt und gefangen genommen. Dann 
          kam die zweite Etappe mit der Verrätergruppe in der Bewegung. Dieser 
          Verrat, diese Provokation versuchte, uns in das System einzugliedern, 
          und fügte uns einen gewissen Schaden zu.
          Gegenwärtig kann man sagen, dass die Komplott-Kräfte die dritte Etappe 
          eingeleitet haben. Diese sieht vor, alle der Linie unseres Vorsitzenden 
          verbundenen Kader zu liquidieren, um die übrig Gebliebenen ins System 
          zu integrieren. Aus diesem Grunde haben die USA die PKK zum gemeinsamen 
          Feind erklärt und ihre Unterstützung für die Türkei verstärkt. Sich 
          darauf verlassend versuchte die Türkei im letzten Herbst und Winter, 
          ihr Vorhaben zu vollenden, und setzte alles ihr Mögliche ein. Unsere 
          Bewegung sagte der Wirkung der Provokationslinie den ideologischen und 
          organisatorischen Kampf an und entwickelte ihn. In diesem Rahmen begannen 
          wir die Offensive „Êdî bes e – Es reicht!“.
          Infolge unseres Kampfes haben wir es geschafft, die Bewegung erneut 
          zu sammeln und wichtige politische Resultate zu erzielen. Der Widerstand 
          in Gabar, Oramar und Zap sowie der Volksaufstand, der vom 15. Februar 
          bis zum 4. April anhielt, durchkreuzten die gegnerischen Pläne und neutralisierten 
          sie zum größten Teil. Es war regelrecht eine Freiheitsrevolution.
          Die Rechnung ging bei der dritten Etappe des Komplotts nicht auf. Die 
          zu diesem Zweck in In- und Ausland geschaffenen Allianzen begannen, 
          sich zu lösen. Daraufhin gab es im Juli 2008 neue Bündnisse zwischen 
          den USA und der Türkei sowie zwischen AKP und Militär und Vereinbarungen 
          zur Liquidierung der kurdischen Freiheitsbewegung. Die Angriffe wurden 
          erneut aufgenommen. Mit dem Irak wurde ein strategischer Pakt geschlossen. 
          Die Einbeziehung der südkurdischen politischen Kräfte in diese Politik 
          der Verleugnung und Vernichtung war ebenfalls geplant.
          Das Beharren auf dieser Politik ist deutlich. Wenn sie ihre Angriffe 
          in diesem Herbst und Winter ausdehnen können, ist die Ausweitung des 
          Krieges in Nordkurdistan auf gesamt Kurdistan beabsichtigt. Es ist abzusehen, 
          dass Pläne zur Beteiligung Irans und der südkurdischen politischen Kräfte 
          geschmiedet werden, um die Guerilla in Südkurdistan zu vernichten. Eine 
          erneute umfangreiche Militäroperation nach Südkurdistan zum Herbst ist 
          höchst wahrscheinlich. In den Wintermonaten soll diese Operation auch 
          in Nordkurdistan stattfinden.
          Das Verhalten Irans bezüglich der PKK ähnelt dem der USA. Beide wollen 
          die PKK unter ihre Kontrolle bekommen, damit sie die Kurden benutzen 
          können. Hierfür unterstützen beide die Türkei in ihrer Politik gegen 
          die PKK. Die zunehmenden Spannungen mit den USA und die Erfolglosigkeit 
          bei der Kontrolle über die PKK haben die iranische Politik ins Leere 
          laufen lassen. Dasselbe Schicksal werden auch die USA erfahren. Wenn 
          der geplanten Großoffensive gegen unsere Bewegung im Herbst und Winter 
          ein Erfolg versagt bleibt, ist zu erwarten, dass sich eine neue politische 
          Atmosphäre anbahnt. Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen.
         
          War Ihr Kongress turnusgemäß oder ein außerordentlicher?
         
          Cemil Bayık: Nach der Satzung war er fällig, sogar 
          etwas überfällig. Zudem machten bestimmte wichtige Entwicklungen in 
          Kurdistan, die sich von Zeit zu Zeit beschleunigen, einen Kongress erforderlich. 
          Darauf hatte sich unsere Bewegung notwendigerweise vorzubereiten und 
          sich zu ordnen. Dies war einer der wesentlichsten Gründe für den 10. 
          Kongress, diesen Angriffen vorbereitet entgegenzutreten und sie ins 
          Leere laufen zu lassen, um die Resultate in eine neue politische Lösungsatmosphäre 
          einfließen lassen zu können. Neben der effektiven Abwehr der Angriffe 
          geht es auch darum, die demokratische nationale Einheit zu entwickeln 
          und mit den benachbarten Völkern Dachparteien zu gründen. Außerdem haben 
          wir uns über die Behebung der Mängel bei der Guerilla und beim Volksaufstand 
          auseinandergesetzt.
         
          Wenn man der Propaganda des türkischen Staates und seiner Armee Glauben 
          schenkt, so zerfällt Ihre Bewegung. Dem steht die Tatsache gegenüber, 
          dass Sie genau in der Zeit, in der diese Propaganda täglich verbreitet 
          wird, erst die Kongra-Gel-Vollversammlung und anschließend den 10. PKK-Kongress 
          durchführen.
         
          Murat Karayılan: Die Erklärungen von türkischer Seite 
          sind als Teil der speziellen Kriegsführung zu betrachten. Sie entsprechen 
          nicht der Wahrheit. Die Tatsache, dass wir zwei wichtige Kongresse binnen 
          kurzer Zeit durchführten, ist Beweis dafür.
          Es gibt keinerlei unterschiedliche Haltungen innerhalb unserer Bewegung. 
          Auch der auf unseren letzten Versammlungen gestärkte Einheitsgeist widerlegt 
          diese Art von Behauptungen.
          Was die Erklärungen des türkischen Generalstabschefs betrifft, kann 
          ich sagen: Entweder belügen sie sich selbst oder eine große Sinnestäuschung 
          soll herbeigeführt werden. Es ist kein Geheimnis, dass die türkische 
          Armee von den USA neue Technik für Geheimdienst, Aufklärung und Schutz 
          der Luftwaffe gegen Beschuss erhalten hat. Nun verfällt der Generalstab 
          der Illusion, damit alle Möglichkeiten der Welt in der Hand zu halten, 
          ihre Macht auszuweiten. Das stimmt aber so nicht, denn würde die Technologie 
          der US-Amerikaner wirklich das erwünschte Resultat erzielen, dann hätten 
          sie heute in Irak und Afghanistan nicht diese Probleme. Hätte Israel 
          mit dieser Technologie eine unüberwindliche Stärke erreicht, so hätte 
          es die Niederlage im Libanon nicht erlebt.
          Wie gesagt, die türkische Armee belügt sich selbst, oder besser gesagt, 
          die Behauptungen, wir würden zerfallen, seien nicht imstande zu mobilisieren, 
          hätten keine Unterschlupfmöglichkeiten, sind Resultat der psychologischen 
          Kriegsführung. Sie stimmen nicht. Wir sind lediglich von einer offeneren 
          Kommunikation und gewissen Transparenz unserer Stellungen zur Guerilla-Aktionsweise 
          übergegangen. Diese Taktik ist äußerst reichhaltig, um jede Art von 
          Technologie ins Leere laufen zu lassen. Sie stützt sich auf menschliche 
          Kraft, Fähigkeiten und Denken. Jeder technologiegestützte Krieg gegen 
          diesen reichen Kampfstil der Guerilla ist zum Scheitern verurteilt.
          Der Generalstabschef hatte erklärt, mit der neuen Technologie die Gebiete 
          der Guerilla in ein Big-Brother-Haus zu verwandeln. Wie konnten wir 
          dann in nur kurzer Zeit diese wichtigen Kongresse abhalten? Diese Art 
          von Versammlungen ist normal für uns. Die meisten unserer Versammlungen 
          finden in dieser Größenordnung statt, d. h. viele GenossInnen kommen 
          zusammen. Wir haben in der letzten Zeit viele ähnliche Versammlungen 
          gehabt. Unsere Arbeit hält ununterbrochen an. Diese Äußerungen dienen 
          lediglich dazu, die eigene Bevölkerung zu belügen.
          Seit dem Beginn des bewaffneten Kampfes vom 15. August 1984 sind 24 
          Jahre vergangen, in denen annähernd zehn Generalstabschefs das amtiert 
          haben. Alle erklärten zum Amtsantritt, sie würden sehr entschlossen 
          gegen den Terror vorgehen, die Stärke der türkischen Armee demonstrieren 
          und die PKK liquidieren. Aber bekanntlich hatte keiner von ihnen je 
          Erfolg dabei. Yaşar Büyükanıt ist sogar einer unter ihnen, der am wenigsten 
          erfolgreich war. Er ist in die USA gereist, hat gebettelt um technologische 
          Hilfe und hat sich mit dem Iran verbündet. Aus seiner Sicht hat er mit 
          technologischer und politischer Unterstützung aus USA, Israel und Iran 
          die größten Angriffe der letzten Jahre durchgeführt. Aber es waren genau 
          die Jahre, in denen unsere Bewegung sich am stärksten entwickelte. Folglich 
          muss erkannt werden, dass mit Kriegsgeschrei, ständigen Attacken dieses 
          Problem nicht zu lösen ist.
         
          Auch der neue Generalstabschef Ilker Başbuğ hat sich ähnlich erklärt. 
          Wie bewerten Sie diese Äußerungen?
         
          Murat Karayılan: Auch Başbuğ hat mit einigen Ergänzungen 
          gesagt: „Wir werden den Nationalstaat bis zum Schluss verteidigen. Weil 
          der Krieg bislang nicht sehr koordiniert geführt wurde, konnte das beabsichtigte 
          Ergebnis nicht erzielt werden.“ Das ist falsch. Man kann sich nicht 
          gegen den Lauf der Geschichte stellen. Wenn der Nationalstaat überall 
          auf der Welt überwunden wird, so wird er auch in der Türkei überwunden 
          werden. Der Nationalstaat hat eine Geschichte. Er ist ein mit der Französischen 
          Revolution 1789 entstandenes gesellschaftlich-politisches Gebilde. Jetzt 
          wird er Schritt für Schritt überwunden. Auch die Behauptung, der Erfolg 
          im Kampf gegen uns sei ausgeblieben, weil der Krieg nicht ausreichend 
          koordiniert werde, ist ebenfalls Unsinn. Denn der staatliche Konsens 
          bestand bereits 1994. Schon damals wurde gegen unsere Bewegung ein totaler 
          Krieg unter Einbeziehung aller staatlichen Institutionen begonnen und 
          durchgeführt. Auch jetzt haben wir eine ähnliche Situation. Vielleicht 
          meint er damit, dass Polizei und Militär von unterschiedlichen Zentren 
          aus geleitet werden. Es ist ein internes Problem von ihnen, aber die 
          Türkei hat all ihre Möglichkeiten und ihre Kraft gegen uns eingesetzt 
          und blieb trotzdem erfolglos. Sie ist auch dazu verdammt. Diese Verleugnungs- 
          und Vernichtungspolitik wird in Kurdistan keinen Erfolg haben. Denn 
          hier ist das Bewusstsein, ein Volk, eine Nation zu sein, vergesellschaftet, 
          es hat sich regelrecht zu einer Kultur entwickelt. Die PKK ist heute 
          in Kurdistan ebenfalls eine Kultur. Die PKK als Bewegung kann zwar liquidiert 
          werden, aber die PKK nicht. Es ist nur empfehlenswert, diese Realität 
          zu sehen.
         
          Die PKK hatte auf ihrem 8. Kongress ihren Namen geändert, 2005 folgte 
          dann ihr Neuaufbau. Warum wurde Ihr Kongress 10. Parteikongress genannt?
         
          Duran Kalkan: Wir haben auf dem 8. PKK-Kongress eine 
          Namensänderung vorgenommen, das stimmt. Später gab es die Diskussion, 
          ob sich die PKK aufgelöst habe oder nicht. Fakt ist, dass in den Jahren 
          2002 und 2003 in ihrem Namen keinerlei Aktivitäten durchgeführt wurden. 
          Die PKK hat eine ideologische Erneuerung und paradigmatische Wandlung 
          erfahren. Sie hatte in den Jahren 2002 und 2003 gewisse Schwierigkeiten 
          bei der Suche nach Lösungswegen für die Freiheits-, Gleichberechtigungs- 
          und Demokratieprobleme der Menschheit. Unser Vorsitzender hat diese 
          Zeit als diejenige bezeichnet, in der wir für die anstehenden Probleme 
          der Menschheit keine Lösungen entwickeln konnten. Folglich hieß es: 
          „Wenn die Phase anhalten soll, so kann es über eine andere Art von Partei 
          laufen. Es wäre nicht richtig zu sagen, die PKK der Vergangenheit wird 
          fortgesetzt.“ In diesem Rahmen schlug er in seinem „Manifest der Demokratischen 
          Zivilisation“ von 2001 Namensänderungen für bestimmte Organisierungen 
          vor. Aber er wollte, dass die PKK für den Süden Kurdistans weiterbesteht, 
          für Bereiche, in denen der ideologische Kampf notwendig ist.
          Der Vorschlag unseres Vorsitzenden für Namensänderungen gewisser Strukturen 
          mündete auch mit dem Einfluss der Verrätergruppe in eine Namensfindung 
          außerhalb von Parteien. Er stellte sich Namen wie Volksbefreiungspartei 
          und Ähnliches vor. Auf unserem 8. Kongress 2002 beschlossen wir statt 
          einer Partei das System eines Kongresses namens KADEK. November 2003 
          wurde anstelle des KADEK der Kongra-Gel gegründet. Der Vorsitzende wollte 
          die PKK innerhalb des Kongra-Gel als eigenständiges Komitee organisiert 
          wissen. Als die Bewegung auch dies nicht hinbekam, kam im Frühjahr 2004, 
          also zwei Jahre nach der Namensänderung, die Neugründung der PKK erneut 
          auf die Tagesordnung. April 2004 wurde mit dem Neugründungskomitee der 
          PKK die Phase der Neugründung begonnen. April 2005 mündete dieses Komitee 
          in ein neues Gebilde.
          Diese Phase bezeichneten einige als Namensänderung, andere als die Auflösung 
          der PKK. Richtiger wäre zu sagen: eine Zeit, in der die PKK nicht aktiv 
          war. Für bestimmte Bereiche wurde der Name geändert und es gab einen 
          gewissen Bruch. Aber es ist wichtig, die PKK richtig zu definieren und 
          zu begreifen. Sie gründet sich weniger auf Kongresse oder die praktische 
          Arbeit, für sie ist vielmehr ausschlaggebend, eine Führungs- und Märtyrerpartei 
          zu sein. Daher ist es wichtig, diese Phase aus Sicht unseres Vorsitzenden 
          zu analysieren. Er hat in keiner Weise eine Auflösung erlebt. Zwar wurde 
          in diesen zwei Jahren nicht mit dem Namen gearbeitet, aber in der Praxis 
          war es immer PKK. Wie gesagt, der Vorsitzende machte deutlich, dass 
          es uns schwerfiel zu entscheiden, ob wir die PKK annullieren oder nicht, 
          weil wir für die ideologischen Probleme der Menschheit keine Lösung 
          entwickeln konnten. Die Schwierigkeit bestand darin, dass es trotz vorhandener 
          Kritik des globalen Systems und trotz einer Bewertung und Kritik der 
          Zerfallsphase des Realsozialismus, trotz einer Kritik ihrer Fehler und 
          Mängel problematisch war, an ihrer Stelle eine neue ideologische Linie 
          zur Lösung der ideologischen Menschheitsprobleme zu entwickeln.
          Er machte die notwendigen Recherchen und Analysen und gelangte nach 
          entsprechenden Überlegungen zu einem Paradigmenwechsel. Er stellte fest, 
          dass der Grund dafür, warum Ideologien, die Freiheit, Gerechtigkeit 
          und Demokratie für sich beanspruchen, die Probleme der Menschheit nicht 
          lösen konnten, in ihrer staats- und machtorientierten Ausrichtung liegt. 
          Davon ausgehend befasste er sich mit den Problemen und entwickelte 
          entsprechende Lösungen. Grundlegende Fragen wie z. B. „Warum bleiben 
          Ideen mit Freiheits-, Gerechtigkeits- und Demokratieanspruch erfolglos?“ 
          oder „Warum ist der Sozialismus, obwohl er in der Sowjetunion an der 
          Macht war, nach 70 Jahren zerfallen?“ beantwortete er verständlich und 
          nahm entsprechende Korrekturen vor. Er überwand dabei eine Kritikform, 
          die sich nur am Rande herantastet. Er hinterfragte vielmehr den Widerspruch 
          zwischen dem Geist der Ideologie und ihrer Umsetzung und löste ihn auf. 
          Der Geist der Freiheit war Demokratie, sie strebte nach der Abschaffung 
          jeder Ordnung der Unterdrückung und Ausbeutung. Aber bei der Erreichung 
          dieses Zieles wurden Mittel wie Staat, Macht und Krieg angewandt.
          Staat und Macht bedeuten Ungleichheit, Unterdrückung, Ausbeutung und 
          Gräuel, und so hielt unser Vorsitzender fest, dass damit Freiheit, Gleichheit 
          und Demokratie nicht zu erreichen, sondern nur mit entsprechenden Mitteln 
          zu verwirklichen seien. Diesen Widerspruch bewertete er als zentralen 
          Irrtum des Realsozialismus, der für seine Niederlage und seinen Zerfall 
          verantwortlich gewesen sei. Folglich benannte er als entsprechendes 
          Mittel die Demokratie. Er vereinte Sozialismus, Freiheit und Gleichheit 
          mit der Demokratie und entwickelte ein Gedankensystem, das zur Lösung 
          der Hauptprobleme der Menschheit imstande ist. Er meinte: „Wenn wir 
          einen ideologischen Ausweg finden, können wir den Weiterbestand der 
          PKK gewährleisten.“ Auf dieser Grundlage erneuert kann die PKK als eine 
          Organisation, die die Menschheitsfragen angeht, weiter existieren. Denn 
          das ist ihr Anspruch. So wurde die Neugründung der PKK aktuell. Folglich 
          stand eine Annullierung der PKK nie wirklich auf der Tagesordnung, sondern 
          sie hat ideologisch und philosophisch eine einschneidende Wandlungs- 
          und Erneuerungsphase durchgemacht.
          Schließlich wurde am 4. April 2005 der neue Aufbaukongress der PKK durchgeführt. 
          Er stellte also den 9. PKK-Kongress dar und der jüngste dann den 10. 
          in der PKK-Chronologie. Man könnte auch sagen, es ist der 2. Aufbaukongress. 
          Beides stimmt.
         
          Was waren die konkreten Tagesordnungspunkte Ihres Kongresses? Womit 
          haben Sie sich auseinandergesetzt?
         
          Murat Karayılan: Die 6. Vollversammlung des Kongra-Gel 
          und der 2. Neugründungskongress der PKK, oder anders ausgedrückt der 
          10. PKK-Kongress stellen eine Antwort auf all die Angriffe gegen unsere 
          Bewegung dar. Seit letztem Jahr werden wir in der Türkei (Nordkurdistan), 
          im Iran (Ostkurdistan), im Irak (Südkurdistan) aus der Luft, auf dem 
          Boden auf jede Art und Weise angegriffen. Unsere Bewegung hat diese 
          Angriffe mit ihrem Widerstand in Form der „Êdî bes e“-Offensive beantwortet. 
          Allen voran die bedeutende Haltung unseres Vorsitzenden auf Imralı, 
          seine richtige Linie, sein Beharren, seine Entschlossenheit sowie die 
          Widerstandsleistung der Guerilla und die Haltung unseres Volkes, das 
          immer stärker seinen Vorsitzenden, seine Guerilla, seine Märtyrer und 
          seinen Kampf annimmt, haben alle Attacken ins Leere laufen lassen.
          Alle Versammlungen wurden auf dieser Basis durchgeführt. Aus diesem 
          Grunde werten wir die Resultate dieser Versammlungen als Antwort auf 
          die Angriffe. Wie Sie wissen, läuft seit 1992 ein internationaler Angriff, 
          der 1998 forciert wurde und unseren Vorsitzenden direkt zum Ziel hatte 
          und zu seiner Gefangennahme führte. Wir nennen ihn internationales Komplott. 
          Nicht nur der türkische Staat oder die türkische Armee, sondern auch 
          andere internationale Kräfte beteiligten sich an dieser Liquidierungsphase. 
          Die Verschleppung unseres Vorsitzenden ist ein offener Beweis dafür. 
          Das Komplott setzte sich dann in Form von Angriffen von innen und außen, 
          politischer und diplomatischer Belagerung, der Aufnahme in die „Liste 
          terroristischer Organisationen“ fort. Auf dem 10. Kongress sind wir 
          zu dem Schluss gelangt, dass all diese Angriffe erfolglos geblieben 
          sind. Denn Angriffsziele waren die von unserem Vorsitzenden in Kurdistan 
          entwickelte Linie, die vernichtet werden sollte, außerdem sein Einfluss. 
          Aber wir sehen, dass die Linie unseres Vorsitzenden und sein Einfluss 
          stärker sind als je zuvor.
         
          Sie waren auch anwesend auf dem Gründungskongress der PKK 1978. 
          Welche grundsätzlichen Veränderungen hat Ihrer Meinung nach die PKK 
          seitdem erfahren und wie definieren Sie die Hauptfaktoren für diese 
          Veränderungen?
         
          Duran Kalkan: Diese Frage ist zweifellos sehr wichtig, 
          über die man lange nachdenken und diskutieren sollte. Sie wird uns sicherlich 
          auch in Zukunft beschäftigen. Man muss wissen, dass die PKK nicht als 
          Nachahmung, als Wiederholung oder als Verlängerung des Realsozialismus 
          entstand. Schon bei ihrer Entstehung wies sie im Vergleich zur Realität 
          des Realsozialismus Unterschiede auf. Sie war folglich nicht der verlängerte 
          Arm des Realsozialismus in Kurdistan und sie entstand auch nicht auf 
          derselben Grundlage. Was war der Unterschied? Ihr Kader-Verständnis 
          war ein anderes. Zwar berief sich die PKK auf ihrem Gründungskongress 
          auf die Statuten realsozialistischer Parteien. Dort wurde als Mitglied 
          definiert, wer Parteiprogramm und Satzung akzeptiert, regelmäßig Beiträge 
          zahlt und sich kontinuierlich an den Parteiaktivitäten beteiligt. Aber 
          für das Kaderprofil auf dem Gründungskongress der PKK galt nur der erste 
          Teil, d. h. sie akzeptierten Programm und Satzung. Kein Mitglied zahlte 
          Beiträge. Doch gaben sie sich mit ihrem ganzen Leben dem Kampf hin. 
          Um auf diesen Widerspruch zu verweisen, sagte der Vorsitzende nach dem 
          Gründungskongress: „Ihr könnt ja von euren Vätern eure Beiträge nehmen.“ 
          Denn niemand von den Gründungsmitgliedern hatte Arbeitsmöglichkeiten. 
          Bei uns galt auch nicht, regelmäßig an Parteiaktivitäten teilzunehmen, 
          sondern 24 Stunden im Dienst der Partei zu stehen. Wie an diesem Beispiel 
          zu sehen, allein bei der Definition der Mitgliedschaft wurden zwei von 
          drei Punkten variiert. Diese Definition ist wichtig. Die Kader und die 
          Art ihrer Verkörperung zeigen eigentlich Lebensverständnis und Ideologie 
          einer Partei. Denn sie entwickeln das Parteileben. Unser Parteileben 
          und die Kadermaßstäbe unterschieden sich sehr von dieser Art, die ihre 
          Beiträge zahlen und für ein paar Stunden am Tag für die Partei arbeiten.
          Des Weiteren beinhaltete unser Verständnis von einem Kader, dass er 
          die Partei nicht als einen bürokratischen Machtapparat sieht, aus der 
          Macht der Partei keinen individuellen Profit zieht, sondern die Prinzipen 
          von Freiheit, Gleichheit und Demokratie hochhält, sich zur Verwirklichung 
          dieser Prinzipien vollkommen einbringt. Auch das stellte einen wichtigen 
          Unterschied dar. Obwohl die PKK eine Partei war, die vom Realsozialismus 
          und seiner Haltung zur nationalen Befreiung beeinflusst war, wies sie 
          Unterschiede in ihrem Kader- und Parteiverständnis auf, denn mit einer 
          realsozialistischen Annäherungsweise wäre in Kurdistan nichts zu gewinnen 
          gewesen. Es gab andere kleinbürgerliche Gruppierungen, die es versuchten, 
          aber keine konnte eine ernsthafte Organisation werden. Sie verloren 
          mit der Zeit ihre Kraft. Mit einer individualistischen, profitorientierten 
          und Beamtenmentalität hätte man in Kurdistan niemandem imponieren können, 
          man hätte keine Menschen zusammenbringen und für nationale Befreiung, 
          nationale Identität, für Freiheit und Demokratie mobilisieren können. 
          Kurzum, die Bedingungen in Kurdistan machten eine andere Partei notwendig 
          und hierfür eine korrekte Analyse der Voraussetzungen dort. Danach bedurfte 
          es der Stärke, eine entsprechende ideologische Prinzipieneinheit zu 
          entwickeln. Dies zu theoretisieren ist vielleicht nicht schwer, aber 
          dabei glaubwürdig zu sein ist eine andere Sache. Dafür hieß es, sich 
          an diese Ziele zu binden, mutig und selbstlos zu sein sowie sich mit 
          Leidenschaft die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Demokratie 
          zu Eigen zu machen. Diese Realität führte zur ersten Differenz zum Realsozialismus.
          Um die Bedingungen für den zweiten wesentlichen Unterschied darstellen 
          zu können, ist es wichtig, den 3. Parteikongress zu behandeln. Wir bezeichnen 
          diese Phase als die Zeit der Parteiwerdung. Der Vorsitzende nannte diese 
          Offensive „Parteiwerdung im Rahmen der nationalen Befreiung“. Als Beispiele 
          wurden hier Mahsum Korkmaz und Agit angeführt, also Parteiwerdung im 
          Rahmen der Guerilla. Er sah eine Guerillapartei vor. Die kurdische Guerilla 
          unterscheidet sich von anderen. Wir erhielten unsere Guerillaschulung 
          in Palästina. Aber mit den Maßstäben der palästinensischen Guerillas 
          hätte man in Kurdistan nicht agieren können. Sie waren nicht ausschließlich 
          Guerillas. Noch wichtiger war, dass sie für das Fortbestehen des Familiensystems 
          als Teil der herrschenden Staatsordnung sorgten. Sie kamen für eine 
          bestimmte Zeit, um sich als Guerillas zu betätigen, und gingen dann 
          wieder und führten ihr Familienleben. Dies ist bei der kurdischen Guerilla 
          völlig überwunden. Der Guerilla in Kurdistan hat sein individuelles 
          Leben verlassen und sich ausschließlich dem Guerillaleben gewidmet. 
          Das heißt, es gibt kein individuelles, sondern ausschließlich ein kommunales 
          Leben. Die individuellen, familiären Eigenschaften des etatistischen 
          Systems sind überwunden.
          Der sich von den realsozialistischen Mitglieds-Eigenschaften unterscheidende 
          Kadercharakter aus der Anfangszeit machte auf dem 3. Parteikongress 
          einen weiteren Entwicklungssprung. Das hatte nicht nur militärischen 
          Wert, sondern war vielmehr von ideologischer und organisatorischer Bedeutung. 
          Ein solcher Guerilla vollzieht in ideologischem Sinne einen totalen 
          Bruch mit der herrschenden Ordnung, er bricht gewissermaßen mit dem 
          hierarchischen System des Staates und der Macht. Daher gab es auf dem 
          3. Kongress eine ernsthafte ideologische Erneuerung des Sozialismusverständnisses, 
          die realsozialistische Linie der individuellen, familiären, kleinbürgerlichen 
          Gleichberechtigung und Freiheit wurde überwunden. Eine solche Maßnahme 
          hat auch innerhalb der Gesellschaft Veränderungen in der Annäherung 
          an Freiheit und Gleichheit hervorgerufen. Sie zerstörte das individuelle 
          Familienleben.
          Des Weiteren wurde durch die klare Haltung gegen das kleinbürgerliche 
          Familienleben auch das Bewusstsein für die Befreiung der Frau entwickelt 
          und die Frauenbefreiung zur Grundlage der Freiheitslinie gemacht. In 
          dieser Frage hat die PKK sicherlich einige ideologische Schablonen des 
          Realsozialismus beseitigt. Die Machtstruktur des Staates und der Familie 
          wurde auf den Ebenen von Guerilla, Kader und Parteileben gebrochen. 
          Mit diesem ideologischen Wandel ging auch eine Änderung in der organisatorischen 
          Entwicklung einher. Eine klare und transparente Parteidefinition wurde 
          geboten, die Parteibürokratisierung ebenfalls überwunden. Ohne eine 
          solche Veränderung hätte die Existenz der Guerilla womöglich nicht 
          gewährleistet werden können, da eine ernsthafte Stagnation eingetreten 
          war. Die PKK vollzog daraufhin diese wichtige ideologische Erneuerung, 
          organisatorische Restrukturierung und Erneuerung ihres taktischen Verständnisses. 
          Es wäre nicht falsch, diese Phase der drei Kongresse als Zwischenstufe 
          zu definieren zwischen dem Gründungskongress mit seiner Variation realsozialistischer 
          Prinzipien und dem Bruch mit dem realsozialistischen Paradigma.
          Wie kam es dazu, warum diese Veränderungen? Wir lehnten es an die Entwicklung 
          der Guerilla an. Wir sahen, dass es außer der Guerilla keinen anderen 
          Weg gab, wenn die nationale demokratische Bewegung entwickelt und nationaler 
          Widerstand geleistet werden sollten, d. h. keine andere Möglichkeit 
          für den Kampf um Freiheit und Demokratie in Kurdistan. Die Guerilla 
          muss beständig sein, denn es ist nicht möglich, auf eine andere Weise 
          Propaganda und Politik zu machen, im taktischen Kampf Entwicklungen 
          hervorzurufen. Keine Bewegung mit anderen Taktiken war je erfolgreich. 
          In der politischen Atmosphäre nach dem Militärputsch vom 12. September 
          1980 wäre es ohne die Guerilla gar nicht möglich gewesen, nationale 
          Identität und Werte wie Gleichheit, Freiheit und Demokratie konsequent 
          zur Sprache zu bringen und sich dafür einzusetzen. Daher war die Guerilla 
          eine unverzichtbare taktische Haltung. Um unter den Bedingungen Kurdistans 
          eine unbesiegbare, widerstandsfähige und beständige Guerilla schaffen 
          zu können, waren die besagten ideologischen, organisatorischen und taktischen 
          Veränderungen notwendig. Ohne sie, ohne das Verständnis von Freiheit, 
          Gleichheit und Demokratie sowie ohne entsprechende Kader und Organisationsverständnis 
          wäre die Guerilla nicht aufrechtzuerhalten.
          Es wäre unmöglich, mit dem Familienmodell der hierarchischen Staatsordnung 
          und mit Guerillaverständnis, Kadermaßstäben, Parteileben des Realsozialismus 
          in Kurdistan einen Guerillakampf zu führen. Einmal abgesehen von einer 
          beständigen Guerilla, es wäre nicht einmal möglich, jemanden in die 
          Berge zu mobilisieren. Keine Organisation mit dem Realsozialismus als 
          Grundlage und in Beziehung zu kommunistischen Parteien ist je in die 
          Berge gegangen, hat einen Schritt zur Organisierung eines Guerillakrieges 
          unternommen. Aber wenn eine Organisation von der Guerillataktik überzeugt 
          ist und daran festhält, muss sie entsprechend Lebensmaßstäbe, Mentalität, 
          ideologische Prinzipien entwickeln, damit die Guerilla sich entfalten 
          und ihre Beständigkeit wahren kann. Dies wurde auf dem 3. Kongress vollzogen. 
          Eine Erneuerung fand damals vor diesem Hintergrund statt.
          Wir standen vor dem Dilemma: entweder nationale Identität, Kultur, Freiheit, 
          Gleichheit und Demokratie aufgeben oder, wenn wir es ernst meinten, 
          entsprechende Vorkehrungen treffen. Die dritte Wandlungsphase wurde 
          von unserem Vorsitzenden 1993 begonnen. Als strategischer Wandel begann 
          sie mit dem ersten einseitigen Waffenstillstand. Bis dahin war es Strategie 
          der PKK, den Staat mit Waffengewalt zu stürzen und an seiner Stelle 
          einen neuen zu errichten. Aber ein Waffenstillstand bedeutete: „Ich 
          nehme Abstand davon, Dich stürzen zu wollen, auf der Grundlage gewisser 
          Veränderungen Deinerseits will ich mit Dir eine Lösung anstreben.“ In 
          diesem Sinne fand eine strategische Veränderung bei der PKK und unserem 
          Vorsitzenden statt, die auch entsprechende Taktik, Organisation, Ideologie 
          benötigte. All dies wurde bis 1998 nicht entwickelt, weil der Wandel 
          keine theoretische Definitionstiefe erreichte. Die Phase wurde vonseiten 
          der Bande sabotiert und verhindert.
          Unser Vorsitzender hatte es im Sommer ‘98 klar erkannt. So konnte es 
          nicht mehr weitergehen: „Wir haben zwar den strategischen Wandel auf 
          die Tagesordnung gebracht, ihn aber nicht umsetzen können. Wir müssen 
          ihn daher vollenden, ihn tiefgründig angehen, und den entsprechenden 
          ideologischen, organisatorischen und taktischen Wandel ebenfalls.“ Eigentlich 
          hatte er schon im August ‘98 diese Entscheidung getroffen und infolgedessen 
          am 1. September den dritten einseitigen Waffenstillstand verkündet. 
          Aber wir wissen, dass das internationale Komplott diesen Schritt mit 
          seinem Angriff gegen unseren Vorsitzenden beantwortete, der die Bewegung 
          vernichten sollte.
          Ungeachtet der Angriffe – wenn auch unter sehr schweren Bedingungen 
          – vertiefte unser Vorsitzender die begonnene Phase. Er wollte als erstes 
          eine neue Analysegrundlage schaffen. Er verlängerte die Waffenstillstandsphase, 
          schlug den Rückzug der bewaffneten Kräfte in den Süden (Nordirak) vor 
          und versuchte so, die Voraussetzung für die Umsetzung der neuen Strategie 
          und den Vollzug der notwendigen Veränderungen zu schaffen. Dann machte 
          er sich an die Erneuerung von Ideologie, Organisation und Taktik im 
          Sinne des Strategiewandels. Zuerst entwickelte er die Lösung der „Demokratischen 
          Republik“, als die demokratische friedliche Lösung der kurdischen Frage. 
          Seine Verteidigungsschrift vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 
          war ein Programm für eine friedliche demokratische Lösung der kurdischen 
          Frage im Rahmen des Mittleren Ostens. Das war nur ein Teil der Arbeit. 
          Denn er befasste sich mit einer möglichen Lösung der kurdischen Frage 
          aus Sicht der herrschenden Staaten. Wie aber die kurdische Haltung in 
          diesem Lösungsmodell aussehen sollte, war nicht vollständig beantwortet. 
          Denn noch immer war die Lösung einer klassischen nationalen Befreiungsbewegung 
          enthalten. Aber diese war weltweit längst überholt und bot keine Erfolgschancen 
          mehr, bildete also eigentlich keine Lösung. So kam es zu der Situation, 
          dass die PKK mit ihren Ideen keine zeitgerechte Lösungskraft mehr darstellte.
          Nach einer enormen ideologischen Recherche- und geistigen Analyseleistung 
          gelangte der Vorsitzende 2003 auch an diesem Punkt zu einer Lösung. 
          Worin bestand sie? In der Kritik der kapitalistischen Modernität, also 
          in der Veränderung der Paradigmen. Er fand die Lösung in der Analyse 
          der Beziehungen zwischen Sozialismus und Staat und zwischen Demokratie 
          und Staat. Bis dahin wurden Sozialismus und Demokratie im Zusammenhang 
          mit dem Staat gesehen. Es gab den staatlichen Sozialismus, staatliche 
          Demokratie. Es war nicht möglich, Sozialismus und Demokratie außerhalb 
          des Staates zu definieren, obwohl beide im Widerspruch zu ihm standen. 
          Diesen bis dahin in Sozialismusverständnis und theoretischer Lehre gegebenen 
          wichtigen theoretischen Fehler hat er behoben. Der Paradigmenwechsel 
          trat an diesem Punkt auf den Plan. Er befreite Sozialismus und Demokratie 
          von Staat und Staatsmacht und verband beide miteinander. Auf diese Weise 
          entwickelte er ein Verständnis vom „Demokratischen Sozialismus“, die 
          Einheit zwischen dem Prinzip der Gleichheit und Demokratie. Das stellte 
          eine historisch bedeutende theoretische Entwicklung dar.
          Bis dahin hatten sich alle Freiheits- und Demokratiebewegungen im Kampf 
          gegen die 6 000-jährige Staatszivilisation immer über den Staat definiert. 
          Sie glaubten, ihr Ziel durch Errichtung eines neuen Staates erreichen 
          zu können, folglich blieben sie alle erfolglos. Denn mit den Mitteln 
          der Unterdrückung und Ausbeutung sind Freiheit, Gleichheit und Demokratie 
          nicht zu erreichen. Freiheit und Gleichheit bedürfen eines eigenen Mittels. 
          Unser Vorsitzender hat auch dieses gefunden: die Demokratie.
          So verband er Freiheit und Gleichheit mit Demokratie und schuf in der 
          sozialistischen Theorie einen Paradigmenwechsel. In diesem Zusammenhang 
          kam eine neue Sozialismusdefinition auf, eine Bestimmung des Demokratischen 
          Sozialismus. Staat und Macht wurden als Mittel zur Verwirklichung des 
          Demokratischen Sozialismus aus dem Weg geräumt und an deren Stelle der 
          „demokratische Konföderalismus“ eingeführt. Ein Organisierungsmodell, 
          in dem sich die Gesellschaften außerhalb des Staates organisieren und 
          keine Unterdrückung, Ausbeutung, Ungleichheit und Ungerechtigkeit vorkommen. 
          Ein gesellschaftliches Organisierungssystem, in dem alle gesellschaftlichen 
          Gruppen – ihre eigene demokratische Organisierung aufbauend – in einem 
          konföderalen Beziehungssystem zueinander stehen. Er hat auf diese Weise 
          die sozialistische Gesellschaft an dieses System gelehnt.
          Anschließend vereinte er dies mit der Definition der Demokratischen 
          Republik, d. h. mit seiner demokratischen Autonomielösung und entwickelte 
          ein neues Lösungsprogramm für die kurdische Frage. Nicht nur der kurdischen 
          Frage, allen gesellschaftlichen Problemen machte er diese Lösung zugänglich. 
          Ein Programm, mit dem Frauenfrage, Klassenfrage, nationale, ethnische 
          Konflikte zu lösen wären.
         
          Die PKK ist eine regionale politische Kraft, die von internationalen 
          politischen Kräften, die in der Region aktiv werden wollen, berücksichtigt 
          wird. Auf welcher Grundlage haben Sie Ihre Stärken und Probleme diskutiert?
         
          Cemil Bayık: Die PKK steht auf der Tagesordnung aller 
          politischen Akteure, die in der Region leben oder an ihr interessiert 
          sind. Alle Kräfte, die im Mittleren Osten politisch aktiv sind oder 
          hier ihre Interessen verfolgen, können ihre Ziele nicht erreichen, ohne 
          sich mit der PKK zu befassen. Gegenwärtig gibt es in der Region eine 
          Auseinandersetzung zwischen dem globalem Kapital und den Regionalstaaten, 
          die ihren Status als Nationalstaaten aufrechterhalten wollen. Während 
          sie gegeneinander kämpfen, sind sie auch sehr darum bemüht zu verhindern, 
          dass sich die freie Alternative der Völker entwickelt. Neben den USA 
          und den Kräften des Status quo gibt es noch diejenigen, denen beide 
          Seiten gegen den Strich gehen. Diese Völker wollen mit der Alternative 
          der Demokratie und Freiheit ihre Probleme lösen. Es mag sein, dass diese 
          Alternative gegenwärtig noch schwach ist, aber mit einer richtigen Führung 
          kann es sich rasch ändern.
          Die PKK kämpft als Freiheitsalternative der Völker und zeigt dabei eine 
          feste Haltung, was zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen PKK und 
          gegnerischen Kräften führt. Diese wollen deshalb die PKK neutralisieren, 
          die hingegen mit aller Kraft Widerstand leistet. Daher gibt es im Mittleren 
          Osten nicht nur die USA und die Status-quo-Protagonisten. Es gibt auch 
          die PKK und im Namen der PKK die Freiheitsalternative der Völker. Die 
          Entwicklungen haben bislang gezeigt, dass keine Politik oder Lösung 
          sich ohne Weiteres entwickeln konnte, in die die PKK nicht involviert 
          ist. Sie hat bewiesen, dass sie nicht einfach aus dem politischen Feld 
          des Mittleren Ostens herauszudrängen und unter Kontrolle zu bekommen 
          ist. Auch kann sie nicht vernichtet und neutralisiert werden. Trotz 
          dieser Realität beharren die Kräfte des globalen Kapitalismus und des 
          Status quo auf ihrer bisherigen Vernichtungspolitik.
          Welches Sozialismus- und Marxismusverständnis hat die PKK und wie definiert 
          sich ihre antikapitalistische und antiimperialistische Identität?
          Duran Kalkan: Wir sind selbstverständlich eine sozialistische Bewegung. 
          Aber keine Fortsetzung des Realsozialismus mit dem Verständnis vom Sozialismus 
          des 19. und 20. Jahrhunderts. Wir haben tiefgreifende Veränderungen 
          und Erneuerungen beim Sozialismus durchlebt. Die wichtigste ist unser 
          Paradigmenwechsel. Wir finden eine sozialistische Linie, Ideologie 
          nicht richtig, die etatistisch und folglich machtorientiert ist. Sie 
          ist ein Fehler, ein Irrtum, ohne Aussicht auf Erfolg. Wir entnehmen 
          dies der historischen Analyse und führen so den Beweis. Wir haben konkrete 
          Kritik und Belege. Folglich haben wir uns vom theoretischen Sozialismusverständnis 
          des 19. und 20. Jahrhunderts entfernt, sind weit entfernt von Sozialdemokratie, 
          nationaler Befreiung, Sowjetsozialismus. Wir haben sie alle kritisiert 
          als Konfessionen des hierarchisch-etatistischen Systems, weil sie die 
          Art des Sozialismus verkörpern, die das etatistische Machtparadigma 
          nicht überwunden haben. Wir haben die Umkehr, den Zerfall des Sowjetsozialismus, 
          das Verschmelzen von nationaler Befreiung und Sozialdemokratie mit dem 
          Liberalismus des Kapitalismus damit verknüpft. Folglich bestimmen wir 
          uns über einen unterschiedlichen Sozialismus.
          Unser Vorsitzender hat ihn als den wissenschaftlichen demokratischen 
          Sozialismus definiert, wir nennen ihn Demokratischer Sozialismus. Wir 
          sind dagegen, dass der Sozialismus mit dem Staat in Verbindung gebracht 
          wird. Wir sind dafür, ihn mit Demokratie in Zusammenhang zu bringen. 
          Wir sind davon überzeugt, dass die Freiheits- und Gleichheitsprinzipien 
          des Sozialismus nur dann im Leben der Gesellschaft realisierbar sind, 
          wenn sie mit der Demokratie verbunden werden. Wir haben auch Ideen, 
          mit welchem System es praktikabel wäre. Wir definieren es als Demokratische 
          Kommunalität oder Demokratischer Konföderalismus.
          Wir sehen die Gleichberechtigung nicht nur als absolute Gleichheit wie 
          die Kleinbürgerlichen. Diese Art von Gleichheit kritisierten Lenin und 
          andere ebenfalls. Die kleinbürgerliche Gleichheit wurde als Gefahr betrachtet. 
          Aber ihnen ist es nicht gelungen, sie in der Praxis zu überwinden. Die 
          Praxis der UdSSR hat das nicht geschafft. Wir sind nicht für eine Gleichheit, 
          die alles nivelliert. Unser Vorsitzender bezeichnete sie als die Pharao-Gleichheit. 
          Sie erinnert an die Sklaverei. Es ist eine Gleichheit tief unten, in 
          der Armut, und nicht im Reichtum, im Wachstum, in der Entwicklung. Unser 
          Verständnis von der Gleichheit im Reichtum, in Wachstum und Entwicklung 
          ist, dass alle ihre Fähigkeiten grenzenlos einsetzen können und so viel 
          nutzen können, wie es ihrem Bedürfnis entspricht. Dasselbe gilt auch 
          für die Freiheit. Wir trennen die Freiheit vollkommen vom Freiheitsverständnis 
          des bürgerlichen Liberalismus. Wir lehnen jede Art von Willkür im Sinne 
          der Freiheit ab. Wir definieren Freiheit als Disziplin, Organisiertheit 
          und Verantwortung.
          Wir lehnen den Marxismus nicht ab. Aber wir bestimmen uns auch nicht 
          wie die klassischen Marxisten als solche. Wir sagen auch nicht, dass 
          wir die Nachfolger des Marxismus sind oder auch nicht. Unserem Vorsitzenden 
          zufolge geht es in der Phase seit dem Neolithikum bis heute auf der 
          Grundlage des Demokratiekampfes um die natürlichen kommunalen Gesellschaftswerte. 
          Wir nennen es die Geschichte des Freiheits- und Demokratiekampfes. Innerhalb 
          dieser Geschichte entstanden viele unterschiedliche Gedankenströmungen, 
          die in Organisierungen und Aktivitäten mündeten. In unterschiedlichen 
          Gebieten der Welt gab es Aufstände und Aktionen bis heute. Religionen, 
          philosophische Strömungen tauchten auf. Der Marxismus stellt die letzte 
          große Idee dieser freiheitlich-demokratischen Bewegungen im 19. Jahrhundert 
          dar mit dem Anspruch, Freiheit und Gleichheit gegen den Kapitalismus 
          zu entwickeln.
          Sie bildet eine wichtige Etappe in der Geschichte des Kampfes der Menschheit 
          für Freiheit und Gleichheit. Sie ist eine große Bewegung. Eine Bewegung, 
          für die Millionen von Menschen gekämpft und Hunderttausende ihr Leben 
          verloren haben. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde sie zur weltweit größten 
          ideologischen Strömung. Auf diese Weise hat sie die Menschheitsgeschichte 
          beeinflusst. Daher ist sie keine Ideologie, die banal zu behandeln wäre. 
          Aber gegenwärtig erlebt sie einen Rückgang und Rückfall. Die Bedingungen, 
          unter denen sie im 19. und 20. Jahrhundert entstand, wurden Ende des 
          20. Jahrhunderts zum größten Teil überwunden. Wir haben die Gründe versucht 
          zu analysieren. Unsere Bewegung entstand von der nationalen Befreiung 
          und dem marxistischen Klassenkampf beeinflusst. Aber wir haben mit der 
          Zeit sowohl aufgrund der praktischen Entwicklungen in Kurdistan als 
          auch infolge des Zerfalls des Realsozialismus neue Ideen entwickelt. 
          Hierbei haben wir auch die Mängel des Marxismus analysiert und korrigiert. 
          Wir haben uns daher nicht vom Marxismus gelöst oder lehnen ihn ab, wir 
          haben ihn lediglich überholt. Wir definieren die neue Freiheits-, Gleichheits- 
          und Demokratielinie für das 21. Jahrhundert, folglich definieren wir 
          den Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Weil es unserem Vorsitzenden gelungen 
          ist, nennen wir es Apoismus. Wir scheuen uns nicht, dies auch so auszudrücken.
          In der Identität des Apoismus sind Antikapitalismus und Antiimperialismus 
          elementar. Aber auch hier unterscheiden wir uns von grobem Materialismus 
          und dogmatischer Dialektik. Diese Strömungen sind heute nur verbal antikapitalistisch 
          und antiimperialistisch. Im Kern aber leben sie Kapitalismus und Imperialismus 
          und lassen sie leben. Wir versuchen, uns mental, emotional, im Bewusstsein 
          und im Handeln von ihnen zu lösen, sie zu überwinden. Auch eröffnen 
          wir ihnen keinen Frontalkrieg. Wir sehen den Kapitalismus als eine Gesellschaftsform, 
          die wir mit unserem Lebensgefühl zu bewältigen und zu bekämpfen trachten 
          sowohl im Leben des Einzelnen als auch im sozialen Leben. Wir wollen 
          den Kapitalismus aus unserem Leben auslöschen. Kurdistan ist geteilt 
          und imperialistische Kriege werden in unserem Land geführt. Hier ist 
          zumeist die Teile-und-herrsche-Politik des Kapitalismus betrieben worden. 
          Folglich sind wir gegen die imperialistische Hegemonie.
          Wir setzen uns nicht nur dafür ein, seine Hegemonie in Kurdistan zu 
          brechen, sondern auch im Mittleren Osten und auf der Welt. Wir verfügen 
          über ein theoretisches Verständnis und über das Modell eines Gesellschaftssystems, 
          den Demokratischen Konföderalismus, mit dem die Menschen in Kurdistan, 
          in der Region und auf der ganzen Welt gegen Kapitalismus und Imperialismus 
          kämpfen und sich davon befreien können, um ihr eigenes Lebenssystem 
          aufzubauen. Wir stehen folglich dem Kapitalismus nicht alternativlos 
          gegenüber.
         
          Wie würden Sie die Ergebnisse Ihres Kongresses darstellen? Welche 
          Bedeutung hat er für den Freiheitskampf in Kurdistan?
         
          Duran Kalkan: Unser 10. Kongress war eine erfolgreiche 
          Versammlung. Allgemein wurden für unsere Bewegung Grundsatzvereinbarungen 
          getroffen. Worum handelt es sich dabei? Wir stärkten unsere Entschlossenheit, 
          bis zuletzt Widerstand gegen die Verleugnungs- und Vernichtungsangriffe 
          zu leisten. Entschieden wird dieser Widerstand übergreifend von der 
          Guerilla bis zu den Volksaufständen geleistet werden.
          Das zweite ist die Vereinbarung, dass für einen solchen Widerstand eine 
          Organisierung notwendig ist. Folglich beschlossen wir die Entwicklung 
          der gesellschaftlichen Organisierung, also den demokratischen Konföderalismus 
          des kurdischen Volkes. Das als eine der Hauptaufgaben. In diesem Sinne 
          bildet die PKK die bestimmende Aufbaukraft des demokratischen Konföderalismus. 
          Eine Führungskraft, die die Richtlinien entwickelt, die entsprechende 
          Organisierung schafft, die Gesellschaft, die Frauen, die Jugend, die 
          Werktätigen, eben alle aufklärt und Bewusstsein vermittelt, entsprechende 
          Dienste leistet und somit die Aufgabe hat, dieses System aufzubauen. 
          Eine Führungskraft, die nicht selbst die Führung verkörpert, sondern 
          mit Kongressen und Räten die Führung der Gesellschaft organisiert und 
          entwickelt.
          Als drittes gab es Beschlüsse zu den Beziehungen und Bündnissen. Es 
          wurde entschieden, gegenüber den Plänen des Feindes, die Kurden gegeneinander 
          aufzuhetzen, wachsam zu sein und sie nach Möglichkeit ins Leere laufen 
          zu lassen, Abstand von internen Auseinandersetzungen zu nehmen, die 
          nationale Einheit auf der Grundlage der Strategie der demokratischen 
          Nation aufzubauen. Des Weiteren daran gebunden die kurdische Demokratie, 
          die demokratische Einheit auf der Grundlage des demokratischen Konföderalismus 
          und folglich Geschwisterlichkeit mit den benachbarten Völkern zu entwickeln.
          Im Hinblick auf die äußeren politischen Kräfte werden wir die Politik 
          verfolgen, sie von ihrer bisherigen Politik der Unterdrückung und Angriffe 
          abzuhalten. Sie sollen wenn möglich ihren Beitrag leisten und die demokratische 
          Lösung des kurdischen Konflikts fördern. Wenn sie das kurdische Volk 
          und die Freiheitsbewegung nicht angreifen, werden auch wir niemanden 
          angreifen. Aber im Falle eines Angriffs werden wir uns natürlich verteidigen.
          Wie sollen all diese Beschlüsse umgesetzt werden? Natürlich mit einer 
          starken Parteiwerdung. In diesem Sinne stellt der 10. Kongress die Vollendung 
          des Neuaufbaus dar, womit die neue Parteiwerdung auf der Grundlage der 
          apoistischen Linie vollzogen wurde. Auf dem Kongress wurde die provokative 
          Strömung, die die innere Einheit schädigt und zerstört, kritisiert und 
          verurteilt. Es war daher ein Kongress, der die ideologische und organisatorische 
          Linie gestärkt hat.
          Eine wesentliche Eigenschaft unserer Bewegung ist die Anwendung von 
          Kritik und Selbstkritik, mit der gegen jede Art von Rückständigkeiten 
          und gegen die Einflüsse des Systems der Klassen- und Geschlechterkampf 
          ausgetragen wird. So auch auf unserem letzten Kongress. Unsere Wut und 
          Scham, die wir gegenüber dem seit zehn Jahren anhaltenden Imralı-System 
          der Untaten und Unterdrückung sowie gegen jeden Einfluss des Systems 
          empfinden, brachte uns zu ernsthafter Infragestellung und Kritik und 
          Selbstkritik. Es war daher ein starker Erneuerungs- und Einheitskongress. 
          Unser wichtigster Beschluss beinhaltet die totale Ablehnung des Imralı-Systems. 
          Daher definierte unser Kongress sich als Kongress für die Freiheit von 
          Abdullah Öcalan. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Gewährung und Realisierung 
          seiner Freiheiten.
          Die PKK hat das Imralı-System zeit seines Bestehens nie akzeptiert, 
          sie hat es immer abgelehnt. Aber bislang betrachtete sie es geduldig 
          als eine Kampfphase. Aber nun beschloss sie entschieden seine Bekämpfung. 
          Das Imralı-System wird vernichtet werden. Diejenigen Kräfte, die das 
          Imralı-System aufrechterhalten, wollen uns vernichten. Wir aber sagen, 
          dass ihr System zerstört werden wird. Das Foltersystem Imralı wird vernichtet 
          und folglich wird unser Vorsitzender Öcalan frei sein. Das ist eine 
          aktuelle Aufgabe, die nicht auf die Zukunft verschoben werden kann. 
          Wir wissen ganz genau, dass die Freiheit unseres Vorsitzenden die Freiheit 
          des kurdischen Volkes und Kurdistans ist. Sie ist die Freiheit der Frauen 
          und der Jugend. Daher ist die zentrale Parole unseres Kongresses: „Lasst 
          uns eine Partei werden, den Vorsitzenden Öcalan und Kurdistan befreien!“ 
          Auf der Grundlage dieses Mottos und in diesem Geiste wurde unser Kongress 
          durchgeführt. Wir werden unsere Beschlüsse mit allen Mitteln und mit 
          großer Entschlossenheit umsetzen, egal wie viel Aufwand, wie viel Selbstlosigkeit, 
          wie viel Aktivitäten notwendig sind.