Unter den Opfern des Massakers von Qileban war auch die Sängerin Delîla

Delîla: Singen und kämpfen

Mordem

Delîla (Şenay Güçer) lernte ich im Jahre 2000 kennen. Zusammen mit einigen MitschülerInnen hatte sie nach der Entführung Abdullah Öcalans die Türkei verlassen und wollte sich der Guerilla anschließen. Wegen gesundheitlicher Probleme wurde daraus jedoch nichts, so dass sie für eine Weile in Südkurdistan im Flüchtlingslager Mexmûr unterkam.

„Wenn ich schon nicht kämpfen kann, dann will ich singen“

Delîla hatte eine begnadete Stimme. Sobald es ihr etwas besser ging, widmete sie sich ganz ihrer anderen großen Liebe neben der Guerilla, der Musik. Damals muss es auch gewesen sein, dass sie ihr unvergessliches Lied „Zîlan“ schrieb. Oder hatte sie es schon längst getextet und komponiert, vielleicht schon seit Zîlans Aktion daran gearbeitet? Ich weiß es nicht mehr genau – aber ich erinnere mich, wie sie es uns zum ersten Mal vorgesungen hat. Wir standen auf einer kleinen Betonveranda vor der Manga der kranken und verletzten Freundinnen, direkt bei dem kleinen Garten, den sie sich trotz des äußerst spärlich fließenden Wassers angelegt hatten. Und da hörte ich zum ersten Mal ihre großartige Singstimme, die allen unter die Haut ging: „Zîlan, Zîlan, roniya reşka çavê min ...“ Schnell war klar: Delîla muss ins Kulturzentrum.
Das Kulturzentrum von Mexmûr darf man sich nicht wie irgendein Kulturzentrum in einer beliebigen kurdischen Kleinstadt vorstellen. Mitten im Lager gelegen, auf der einen Seite mit Blick auf die Wüstenlandschaft, von der Mexmûr umgeben ist, stellte es eine Oase inmitten der lähmenden Eintönigkeit des Flüchtlingsdaseins dar. Elektrischen Strom gab es damals im Lager selten, Arbeitserlaubnisse für Saddam Husseins Irak waren rar gesät. Die Bevölkerung lebte von den Hilfslieferungen der UN, einige von der Schaf- und Taubenzucht. Doch das Musizieren, Singen und Tanzen lassen sich die Menschen aus Botan niemals nehmen. Als neue Aktivitäten kamen Theater und Malerei hinzu. So war das Kulturzentrum Mexmûrs damals gleichzeitig Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. An allen Festtagen und oft auch außerhalb der Festtage gab es dort Darbietungen aller Art, und die Kurse waren für die Kinder und Jugendlichen willkommene Abwechslungen vom wirklich grauen und staubigen Alltag.
Delîla war bald aus dem Kulturzentrum des Lagers nicht mehr wegzudenken. Gemeinsam mit den anderen MitarbeiterInnen des Zentrums organisierte sie voller Elan die Konzerte und Darbietungen und trat auch selbst vor dem durchaus verwöhnten Publikum von Mexmûr auf, das schon viele Größen der kurdischen Musik gesehen hat. Und auch dort begeisterte ihre Stimme.
Niemals jedoch verlor sie ihr eigentliches Ziel aus den Augen. Um jeden Preis wollte sie sich der Guerilla anschließen, nicht nur singen, sondern auch kämpfen. Nach vielen Monaten des langen Wartens in der oft unerträglichen Hitze der irakischen Wüste, die so gar nichts von der ruhigen Kühle des nahe gelegenen Tigris hat, nutzte sie die erste Gelegenheit, in die Berge zu gelangen. Später feierten wir ein freudiges Wiedersehen in der dortigen Kulturschule „Şehit Sefkan“. Delîla führte mich über ein paar atemberaubende Steilhänge in die Schule und zeigte mir die Einrichtung.
Groß war meine Überraschung, als ich Anfang dieses Jahres im kurdischen Fernsehen das Video zu „Zîlan“ sah. Das Lied, das ich an einem schwülen Sommerabend vor sieben Jahren in Mexmûr zum ersten Mal gehört hatte, singt Delîla darin vor einer Gruppe von Guerillakämpferinnen, die genauso ergriffen lauschen wie wir damals. „Das ist doch unsere Delîla“, hörte ich mich rufen und konnte es nicht glauben.
Nur wenige Monate später dann die Hiobsbotschaft: Delîla ist zusammen mit zehn weiteren Freundinnen und Freunden am 23. August 2007 bei einem Gefecht in der Nähe von Qileban (türk.: Uludere) gefallen und die Leichname der Gruppe sind so grausam entstellt, dass die Familien sie nicht sehen dürfen. Tagelang warten sie vor der Leichenhalle, doch das Militär verhindert, dass sie ihre Kinder sehen und würdig bestatten können. Trotzdem gelangen Fotos an die Presse, die sprachlos und wütend machen und einmal mehr die Gräueltaten der türkischen Armee belegen.
Für alle, die Delîla gekannt haben, werden ihr Lachen, ihre Beharrlichkeit und ihre freundliche Art genauso unvergesslich bleiben wie ihre großartige Stimme. Ihre stimmungsvollen Musikvideos werden häufig auf Roj TV und MMC gezeigt und sind leicht im Internet zu finden.