Zur politischen Lage in Südwest-(Syrisch-)Kurdistan

Bis jetzt haben die Kurden sich nur geschützt ...

Younes Bahram, Journalist

Südwestkurdistan nennen es viele patriotische KurdInnen, welche in diesem Teil von Kurdistan leben, ein Gebiet, das heute noch geographisch zu Syrien gehört und eine untergeordnete Rolle spielt.

Es handelt sich um einen Streifen Land, der sich teils schmaler, teils breiter werdend entlang der Grenze zwischen Syrien, Türkei und Irak hinzieht.

Im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 legten Franzosen und Engländer die Grenzen für den Rest des Osmanischen Reiches fest und teilten die Territorien außerhalb der Türkei und des Iran nach den Interessen der Siegermächte auf.

Es entstanden zunächst ein britisches und ein französisches Mandatsgebiet.

Diese willkürlichen Grenzziehungen gingen mitten durch kurdische Siedlungsgebiete, wie z. B. die Stadt Serêkaniyê (türkisch: Ceylanpinar) aufgeteilt wurde zwischen Syrien und der Türkei.

Und so gibt es viele Beispiele von Städten, Dörfern und Familien, die aufgeteilt wurden, natürlich ohne auch nur im Entferntesten die Interessen der kurdischen Bevölkerung zu berücksichtigen.

Vier Jahre nach dem Teilungsbeschluss erörterten die Alliierten auf ihrer Konferenz in San Remo den Vorschlag, den Kurden Autonomierecht zuzubilligen, natürlich auch im späteren Syrisch- bzw. Südwest-Kurdistan.

Im Zusammenhang mit dem so genannten Vertrag von Sèvres von 1920, der die Grenzen zwischen den Mandatsgebieten im Nahen Osten festlegte, kam unter den Kurden der Begriff Südwest-Kurdistan auf. Ein Begriff, der eng an den Autonomiegedanken für Kurdistan geknüpft war.

Aber schon im Vertrag von 1921, der die Grenze zwischen der Türkei und dem französischen Mandatsgebiet, dem späteren Syrien, bestimmte, war von einer Autonomie für die Kurden keine Rede mehr – ein Zugeständnis an die türkischen Interessen.

Die KurdInnen machten damals 10 % der Bevölkerung dieses von Frankreich beherrschten Landes aus. Sie wurden einer ihnen fremden Kultur, Gesellschaft und Ökonomie ausgesetzt, sahen aber auch die Möglichkeit, sich an arabischer Seite für den Aufbau eines unabhängigen und demokratischen Syrien zu engagieren und den Kampf gegen die französische Kolonialherrschaft aufzunehmen. Besonders in ihren Siedlungsgebieten spielten sie eine bedeutende Rolle. Sie waren beteiligt an politischen Aktionen in Aljazira, auch im Kurd Dagh, sogar in Damaskus. Es gab viele legendäre kurdische Widerstandskämpfer wie z. B. Ibrahim Henano, Albarazi, Albaravi und Haco Aga. Überall im kurdischen Gebiet gab es Aufstände, bis die letzten Franzosen abgezogen waren. Trotz dieser Tatsachen wird heute alles getan, um die Erinnerung an den kurdischen Anteil an der syrischen Geschichte aus dem öffentlichen Bewusstsein auszulöschen. Die antikurdische Haltung des offiziellen Syrien weckt die Widerstandskräfte und schärft den Sinn für die eigene Geschichte.

Der kurdische Bevölkerungsanteil beträgt heute zwischen 12 und 15 %, oder besser gesagt 2,5 bis 3 Millionen Menschen, unter der so genannten Orientexpress-Linie (binxete – Volksmund).

1962 begann die syrische Regierung mit ihren chauvinistischen Plänen gegen die Kurden.

Und so wurden gemäß Erlass Nr. 93 am 23.8.1962 350 000 KurdInnen bzw. 160 000 Familien ausgebürgert mit der Begründung, sie seien aus der Türkei und dem Irak nach Syrien gekommen. Dies stimmte natürlich nicht, denn damals, 1914 bis 1916, als Kurden an der Seite des Osmanischen Reiches gegen die russische Armee gekämpft hatten und anschließend 16 kämpfende kurdische Clans von den Osmanen verraten worden waren, hatten die kurdischen Kämpfer sich zwischen den osmanischen und russischen Soldaten verschanzt und mussten vom Norden Kurdistans in den Süden fliehen. D. h. in dieser Zeit gab es natürlich weder den Staat Türkei noch Syrien, deshalb ist die Behauptung der syrischen Regierung nicht stichhaltig, die Kurden seien aus der Türkei gekommen.

In den siebziger Jahren wurde ein weiterer Plan entwickelt, die kurdischen Gebiete an der türkisch-syrisch-irakischen Grenze zu arabisieren. So waren viele kurdische Dörfer und Tausende von Bauernfamilien davon betroffen, denen ohne jegliche Entschädigung Grund und Boden genommen und arabischen Nomadenfamilien überlassen wurde.

Damals wurde nur der Grundbesitz geraubt, die KurdInnen durften aber in ihren Häusern und Dörfern bleiben. Doch heute beginnt der syrische Staat, ihnen auch die Häuser zu nehmen, oder sie müssen ihre eigenen Häuser vom Staat kaufen.

Im Schatten der politischen Änderungen in der Welt und vor allem im Nahen Osten hat sich auch im Irak vieles geändert, so dass KurdInnen und AraberInnen gemeinsam eine neue Verfassung geschaffen haben und gemeinsam in einem Föderalstaat leben. Dies ist das erste Mal in der Geschichte, dass die kurdische Bevölkerung zu diesem Recht gekommen ist, trotz der türkischen, syrischen und iranischen Machthaber und Nachbarn. Sicher beeinflussen diese Änderungen auch die kurdischen Bevölkerungsteile in anderen Ländern wie der Türkei, Iran und auch Syrien.

Seitdem das Saddam-Regime zusammengebrochen ist, hat sich arabischer Hass gegen die syrischen KurdInnen verstärkt. Das ist auch spürbar, da dieses gleich von der syrischen Regierung durch die Umsetzung des alten, 1963 von Mohammed Talab Hilal [damaliger Sicherheitschef der Provinz Al-Hasaka] verfassten, rassistischen Plans eines „arabischen Gürtels“ geschürt wurde.

Am 11. März 2004 kam es bei einem Fußballspiel im Stadion von Qamisli, der syrisch-kurdischen Hauptstadt, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, als bewaffnete Araber im Stadion Parolen wie „Hoch lebe Saddam Hussein!“ und „Tod den Kurdenführern Barzani und Talabani!“ skandierten. Bei diesen Auseinandersetzungen kamen unter den Kurden fünf Menschen ums Leben. Am Nachmittag, auf dem Rückweg von der Beerdigung ihrer Toten, wurden sie von der Polizei angegriffen, wobei es zu vielen Verletzten kam. Am Tag darauf demonstrierten sie gegen diese Maßnahmen. Doch Staat und Geheimdienstapparate überlegten es sich anders, gaben arabischen Sippen und Clans Waffen und ließen sie auf die Demonstranten los. Diese, nur mit Steinen, Stöcken und bloßen Händen bewaffnet, hatten über zwanzig Tote zu beklagen. Der Krieg weitete sich auf alle kurdischen Gebiete aus. Die Regierung schickte Militär nach Qamisli, darunter auch viele Geheimdienstler in Zivil und bewaffnet. Geschäfte wurden angezündet und geplündert, Häuser zerstört, Menschen auf der Straße erschossen. Das Gebiet befand sich einfach im Ausnahmezustand.
Die Ereignisse lassen sich so interpretieren, dass die syrische Regierung versucht, den Kurden eine Lektion zu erteilen, bevor sie auf „falsche“ Gedanken kommen.

Erstens, dass die syrischen Kurden Gefallen an der Föderalismus-Idee im Irak finden könnten.

Zweitens, dass sie sich nach der geplanten Entminung der gesamten syrisch-türkischen Grenze von Kontakten zu türkischen Kurden abhalten lassen.

Ein weiterer Beweggrund ist natürlich die Befürchtung, dass Ähnliches wie im irakischen Kurdistan, wo die Kurden alle arabisierten Gebiete, aus denen Saddam Hussein sie vertrieben hat, wieder zurückhaben wollen, wie z. B. die Stadt Kirkuk, sich natürlich auch in der Ölstadt Qamisli wiederholen könnte. Hier in Syrien sind auch hunderte kurdische Dörfer beschlagnahmt und arabischen Nomaden überlassen worden, ohne eine Entschädigung. Sicher würde bei irgendwelchen Verhandlungen über kurdische Rechte dieses Thema als erstes mit auf dem Verhandlungstisch liegen. Deshalb ergreift die syrische Regierung solche brutalen Maßnahmen, um die kurdische Bevölkerung einzuschüchtern.

Es hat sich inzwischen eine syrische Opposition gebildet, die jeden Tag wächst. Die kurdische Fraktion bildet dabei den stärksten Teil, weil sie politisch und regional besser organisiert ist. Doch Gefahr droht, wenn die kurdischen politischen Parteien und Organisationen sich an einen runden Tisch setzen, aber eine ähnliche Allianz wie im irakischen Kurdistan nicht zustande bringen. Denn dann werden sie auch nicht das gleiche politische Gewicht in die Waagschale werfen können. Sie werden sich dann wieder hinter die arabische Opposition in die zweite Reihe stellen müssen und der Freiheitszug wird wieder ohne sie fahren.

Deshalb rufen wir die Weltöffentlichkeit auf, sich einzumischen und zu Hilfe zu kommen, weil die syrische Regierung den Hass zwischen kurdischer und arabischer Bevölkerung schürt und beide aufeinander hetzt. Bis jetzt haben die Kurden sich nur geschützt, aber wenn es so weitergeht, werden sie zu ähnlichen Maßnahmen greifen müssen, was zu zahllosen Toten führen kann. Wir bitten um Unterstützung, bevor es zu spät ist.