Verweigerung von Genehmigungen wegen Buchstabe „W“

Newroz 2005

Susanne Gierstein

In mehreren Orten, in Dersim und in Hatay Erzîn, wurde von den Behörden die Genehmigung für die Newroz-Feiern wegen der Verwendung des Buchstabens „W“ verweigert. Dieser Buchstabe existiert im offiziellen türkischen Alphabet nicht, wohl aber im kurdischen. Die Schreibweise von Newroz mit „W“ ist für engstirnige nationalistische türkische Beamte ein rotes Tuch, drückt sie doch die selbstverständliche Verwendung kurdischer Sprache aus. Noch immer fühlt sich der türkische Staat durch solche kulturellen Aspekte in seiner Existenz bedroht. Die inhaltlichen Forderungen nach einer friedlichen demokratischen Gesellschaft wurden bei den Verboten komplett ignoriert.

Traurige Nachricht: Dorfschützer ermorden Kind
Am 21. März selbst erreichte eine traurige Nachricht die Öffentlichkeit. Bei Nusaybin wurde Selahattin Günbay erschossen, als er gemeinsam mit zwei anderen Kindern Schafe hütete. Angeblich hatte er die Grenze zu einem anderen Dorf überschritten und wurde dafür außergerichtlich hingerichtet. Die Familie hat sich an den Menschenrechtsverein in Diyarbakir gewandt. Leider sind solche „Vorfälle“ in den kurdischen Gebieten immer noch Alltag, nicht zuletzt, weil das Problem der Dorfschützer noch lange nicht gelöst ist. Gesetzlich nicht legitimiert, aber bewaffnet, können Dorfschützerclans die Umgebung terrorisieren.

Newroz-Delegationen
Zahlreiche europäische Delegationen besuchten die Menschen in Kurdistan, um mit ihnen Newroz zu feiern und sich vor Ort ein Bild über die Menschenrechtssituation, über die wirtschaftliche und politische Situation zu machen. Delegationen kamen aus der BRD, aus Italien, Frankreich, Schweden, Großbritannien, Griechenland und Belgien. Mitglieder der deutschen Delegation nahmen an Aktionen der „Lebenden Schutzschilde“ teil und wurden dafür teilweise verhaftet. [vgl. S. 14 ff..]

Gegen eine italienische Delegation, die an der Feier in Bingöl teilnahm, wurde in den türkischen Medien gehetzt. Nach Zeitungsberichten soll eine Teilnehmerin das Lied „Bella ciao“ auf der Feier gesungen und danach gemeinsam mit den Feiernden die Parole „Biji serok Apo“ gerufen haben. Sie selbst sagt dazu: „Als ich auf Italienisch ‚Bella ciao’ gesungen habe, haben die Menschen auf dem Platz in ihrer eigenen Sprache mitgesungen. Das war für mich sehr wichtig. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich eine Parole gerufen habe. Es mag sein, dass ich das in dieser Atmosphäre getan habe. Es wurden ohnehin viele Forderungen zum Ausdruck gebracht.“

Zentrale Feier, unbehelligt
Die größte Newroz-Feier mit über einer Million TeilnehmerInnen fand in Amed statt. Nachdem die Polizei zunächst versucht hatte, die TeilnehmerInnen zu kontrollieren, gab sie es schließlich angesichts der Vielzahl der Ankommenden auf. Viele bekannte Persönlichkeiten feierten gemeinsam mit ihnen, wie der Vorsitzende der DEHAP, Tuncer Bakirhan, die Mitglieder der Koordination der DTH (Bewegung für eine demokratische Gesellschaft) Leyla Zana, Hatip Dicle, Orhan Dogan, Murat Bozlak und Feridun Yazar, die Mitglieder der Initiative der Demokratischen Gesellschaft Seydi Firat und Yuksel Genç, die Mitglieder des Europaparlaments Feleknas Uca und Evrim Helin Baba, der Vorsitzende der EMEP, Levent Tuzel, der norwegische Botschafter Hans Wilhelm Langua, der Vorsitzende des Stadtparlaments von Marseille, Joel Dutto, der Vorsitzende der KESK, Sami Evren, der Vorsitzende der DISK, Musa Çam, die Schwestern Abdullah Öcalans, Fatma Öcalan und Havva Keser, die Vorsitzende des Internationalen PEN, Coanne Loocom, der Bürgermeister von Amed, Osman Baydemir, verschiedene DEHAP-Bürgermeister der Region, der kurdische Schriftsteller Mehmet Uzun, Prof. Nicol Wats, die Schriftsteller Tarik Ziya Ekinci, Celal Baslangiç, Naci Kutlay, die KünstlerInnen Ciwan Haco, Gulîstan, Ibrahim Tatlises, Çetin Oraner und Koma Çiya. Die zentralen Forderungen auf dieser Feier waren ein gerechter Friede, Gerechtigkeit und Demokratie. Leyla Zana nahm in ihrer Ansprache Bezug auf das Projekt der demokratischen Republik, das von Abdullah Öcalan vorgeschlagen worden war. In seiner Grußbotschaft an die Feiernden führte dieser aus: „Weil das imperialistische und kapitalistische System die Probleme der Menschheit nicht beantworten kann, erlebt es eine tiefe Krise. Ein Volk, das so sehr mit der Demokratie und Freiheit verbunden ist, kann in dem imperialistischen und kapitalistischen System nicht die Freiheit erlangen. Das Volk kann die Methoden und Wege der Demokratie aufbauen. Dieser Weg wird über die Diskussion des demokratischen Konföderalismus erreicht. Weil dieses Newroz uns der Lösung näher bringt, muss es auf eine historische Weise gefeiert werden. Ich hoffe, dass dieses Newroz uns der Freiheit näher bringt.“ Auch an die EU wurde der Aufruf gerichtet, sich endlich mit der kurdischen Frage im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt der Türkei zu befassen. Natürlich forderten die Teilnehmenden immer wieder in Sprechchören die Freilassung Abdullah Öcalans als einen überfälligen Schritt hin in Richtung eines dauerhaften Friedens. Ein negativer Aspekt für die politisch aktiven Frauen war die Darbietung des Sängers Ibrahim Tatlises, der auf der Feier Texte mit frauenfeindlichen Inhalten vortrug. Das wurde auf einer Konferenz des Rates der Demokratischen Frauenbewegung kritisiert, verbunden mit der Forderung, die inhaltliche Bedeutung des Newroz-Festes dürfe nicht in den Schatten gestellt werden.

Feiern in anderen Teilen Kurdistans
Trotz eines Verbotes nahmen Menschen in Ûrmiye, Ostkurdistan (Iran), an einer Newroz-Feier teil. In der Stadt Milgever griffen Sicherheitskräfte die Feiernden an. Bei den Auseinandersetzungen wurden sechs Soldaten und zahlreiche KurdInnen verletzt. Die iranische Armee umstellte das Gebiet und verhaftete zahlreiche TeilnehmerInnen der Feiern. Die Imame der Moscheen von Islamabad und Riza wurden verhaftet, weil sie die Newroz-Feiern erlaubt hatten. Nach ZeugInnenaussagen war der Imam von Riza in Haft und wurde gefoltert.

In Südwestkurdistan (Syrien) feierten Hunderttausende Newroz und unterstützten in ihren Forderungen das Projekt des demokratischen Konföderalismus [s. S. 6 f.]. Die Forderung, zur Lösung der kurdischen Frage beizutragen, ging auch an die syrische Regierung.

Fahnen-Provokation in Mersin und Anschläge
Reaktionäre Kräfte versuchten auf verschiedene Weise, die Newroz-Feierlichkeiten zu stören. Zunächst gab es auf mehrere Gebäude der DEHAP Anschläge.

In Mersin wurden sechs Kinder verhaftet wegen „Parolen rufen im Namen einer separatistischen Organisation, Steine werfen auf Sicherheitskräfte, Angriff auf die türkische Fahne sowie Durchführung illegaler Straßendemonstrationen mit terroristischen Zielen“. Was war passiert? Nach dem Ende der offiziellen Feiern hatte sich ein türkischer Nationalist mit einer Türkeifahne an den Rand der Straße gestellt, durch die die Feiernden nach Hause gingen. Er machte das Zeichen der „Grauen Wölfe“ und ging mit der Fahne in eine Gruppe der Feiernden. In dem nachfolgenden Gerangel verlor er die Fahne, die von einem Kind aufgehoben und bei der Verfolgung durch die Polizei wieder fallen gelassen wurde. Zwei Kinder wurden daraufhin einen Tag später auf dem Schulhof bzw. aus der Wohnung heraus festgenommen und auf der Antiterrorabteilung verhört. Nach türkischem Recht ist das illegal, da Kinder nur vom Staatsanwalt in Anwesenheit eines Anwalts verhört werden dürfen. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben zu Besonnenheit aufgerufen und erklärten, dass sie den Vorfall für ein inszeniertes Szenario halten. Eine diesbezügliche Erklärung des türkischen Generalstabes habe die Situation verschärft und nationalistische und chauvinistische Kräfte im Land unterstützt [vgl. S. 4. f.].