Kurden in Aserbaidschan

Von Steffen Riecke

In diesem Artikel gehe ich auf die Kurden in der heutigen Republik Aserbaidschan ein, nicht auf die kurdische Bevölkerung der Provinzen (West- bzw. Ost-)Aserbaidschan der Islamischen Republik Iran. Die Existenz einer kurdischen Bevölkerung auf dem Territorium, das von Kurden Ostkurdistan genannt wird, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Im Rahmen einer Exkursion einer Gruppe von Studierenden des Institutes für Turkologie der Freien Universität Berlin trafen wir uns auch mit Vertretern einiger ethnischer oder religiöser Minderheiten Aserbaidschans. Auf dem Gebiet der heutigen Republik leben kaukasischsprachige Lezginen und Georgier, turksprachige Tataren und Meshketen, Russen und Volksgruppen, die eine iranische Sprache sprechen, wie die Talysh im Süden, die sogenannten Bergjuden von Krasnaya Sobota im Norden, die Tat und die Kurden.

Ein Blick in die Geschichte

Wenn auch eine durchgehende kurdische Besiedlung von Teilen der heutigen Republik genealogisch nicht nachgewiesen werden kann, ist nichtsdestotrotz die kurdische Siedlungsgeschichte in diesem Raum sehr alt. Der russische Kurdologe Wladimir Minorski berichtet von der kurdischen Dynastie der Šaddadiden, die die Gegend um Gändschä/Ganga von 945 bis 1055(1) beherrschten. Die Mutter des großen Dichters Nizami Gändschäwi/Gandgavi, der heute als aserbaidschanischer Nationaldichter verehrt wird, war Kurdin und auch der Verfasser des bedeutenden zeitgenössischen Fürstenspiegels "Šarafnameh", der kurdische Emir Šaraf ad-Din Ëan al-Bitlisi (*1543 - 1599?), erwähnt für das 16. Jh. Kurden im Raum Qarabag(2). Infolge der russisch-türkischen und russisch-persischen Kriege im 19. Jh. kam es immer wieder zu Einwanderungswellen von Kurden aus osmanischem oder persischem Gebiet. Die letzte Fluchtbewegung von Kurden in das aserbaidschanische Staatsgebiet war die von sunnitischen Kurden aus Armenien aufgrund des Karabagkrieges. Die yezidischen Kurden blieben oder flüchteten nach Russland oder Europa.

Das so genannte "Rote Kurdistan" im Sowjetaserbaidschan von 1923 bis 1929 ist nach Müller (s. Fußnote 2) mehr ein rückwärts gewandter Wunschtraum als historische Realität. Der Bezirk Kurdistan (“kurdinstanskii uezd”) ist eher als kurdistanischer Bezirk zu übersetzen und also mehr geographisch als ethnisch zu deuten.

In der Sowjetunion schwankte die offizielle Kurdenpolitik zwischen starker Repression und weitestgehender Förderung, je nach (außen)politischer Großwetterlage und innenpolitischer Führung(3). Unter Stalin wurden Kurden teilweise bis Kasachstan und Kirgisien verbannt, wo noch heute große Gemeinden leben, und in mancher Sowjetära wurde der Eintrag als Kurde in den Pass verweigert und aus Kurden wurden eben Aserbaidschaner. In manchen Phasen wurden aber auch kurdische Kultur und Literatur besonders gefördert mit eigenen Instituten, Radiostationen etc.

Die Lage der Kurden heute

Während alle genannten Minderheiten noch in ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten leben, sind die Kurden mit ihren aserbaidschanischen Nachbarn durch den armenisch-aserbaidschanischen Krieg um die autonome armenische Enklave Nagornii Karabach Flüchtlinge im eigenen Land geworden. Als IDP (Internal Displaced Person) müssen sie nun in Flüchtlingslagern in anderen Gegenden des Landes oder bei Verwandten, die früher schon außerhalb des Lacin-Korridors zwischen Armenien und Nagornii Karabach gelebt haben, ihr Auskommen suchen. Landerwerb kommt für diese Flüchtlinge nicht in Frage, da der Konflikt um Nagornii Karabach von offizieller Seite als noch nicht beendet betrachtet wird. Daher ist der Status eines IDP ein vorläufiger und an vorübergehend Ansässige wird kein Land vergeben(4). Für manche Familien bedeutet das, seit nunmehr zehn Jahren in Notunterkünften hausen zu müssen, oft ohne Strom, Gas oder fließendes Wasser.

Die Kurden von Baku

Durch Besuche des kurdischen Kulturhauses "Ronahî", durch Gespräche in Baku und ein Interview mit Šamîl Salim Eskerov konnten wir einen groben Eindruck von der Situation der Kurden in Baku bekommen. Šamîl Eskerov ist Vorsitzender des Kulturhauses, Autor (u.a. des ersten aserbaidschanisch-kurdischen Wörterbuchs), Lyriker und Chefredakteur der kurdischaserbaidschanischen Zeitung "Dengê Kurd".

Die zwei Sendungen auf kurdisch pro Woche werden noch gesendet, berichtete man uns, es gäbe jedoch keine Schulbücher mehr (neue würden nicht gedruckt) und die "Dengê Kurd" erscheint seit Anfang 2000 nicht mehr. Und das, obwohl es seit 1992 ein Gesetz zur Förderung der Medien nationaler Minderheiten gibt, welches die Bezuschussung gesetzlich verankert. Gesetze seien eben das eine, Finanzen das andere.

Hilferuf

Auch wenn die Zahl der Kurden die von Kendal(5) geschätzte Stärke von 150.000 Personen, oder die von Celîl gegebene von sogar 2-300.000(6) weit unterschreitet und nach neuesten Erkenntnissen eher bei 13-, 20- oder 50-Tausend liegt(7), so ist doch die Anzahl der Menschen, die das Kurdische noch beherrschen, recht gering. Selbst Herr Eskerov, der die Zahl der Kurden in Baku auf 10.000 schätzt, drückte seine Sorge aus, dass nur ein verschwindend geringer Prozentsatz noch die kurdische Sprache beherrsche. Etwa aufkommenden Fragen bezüglich kurdischer Identität bei dieser fast vollständigen Aserbaidschanisierung setzt man entgegen, dass auch in der Türkei das Bekenntnis zu kurdischer Identität trotz ähnlicher muttersprachlicher (Un-)Bildung durch den Erfolg der Befreiungsbewegung seit Anfang der 90er Jahre einen ungeahnten Aufschwung nahm.

Um ein Verschwinden der kurdischen Farbe aus dem aserbaidschanischen Mosaik zu verhindern, werden große Anstrengungen nötig sein. Mit den ihnen dafür zur Verfügung stehenden bescheidenen Mitteln haben die Kurden Aserbaidschans damit begonnen, Kurdischkurse anzubieten, und es wurde immer wieder betont, dass für das Nichterscheinen kurdischer Bücher nicht staatliche Repression wie in der Türkei der Grund sei, sondern lediglich leere Kassen.

Es fehlt also an Sachmitteln für das Kulturhaus "Ronahi" (Faxgerät, Computer, Papier, Büromöbel...) ebenso wie an Geld für einen Internet-Anschluss oder für die Anschubfinanzierung der einzigen kurdischen Zeitung oder den Druck von kurdischen Schulbüchern. Es herrscht wirklich großer Mangel und daher wird um zahlreiche Spenden gebeten. Unter dem Stichwort "Kurden Aserbaidschan" können auf folgendes Konto Spenden überwiesen werden:

Kurdistan Informations-Zentrum e.V.
Stichwort Aserbaidschan
Kontonummer: 780005198
BLZ 100 500 00
Berliner Sparkasse

Die Mittel werden dann direkt nach Baku weitergeleitet.

Vielen Dank.
Steffen Riecke

(1.) Yalçin-Heckmann, Lale/Strohmeier, Martin: Die Kurden - Geschichte Politik Kultur, München: Beck, 2000, S.54
(2.) Müller, Daniel: Fata Morgana mit Folgen: das "Rote Kurdistan" in Sowjetaserbaidschan (Unveröffentlichtes Manuskript), Vortrag auf dem Wochenendseminar der Uni Hamburg 17.-19.11.2000 "Der ungelöste Konflikt: Zur aktuellen Situation der kurdischen Bewegungen"
(3.) Rasoul, Fadil: Großmachtpolitik und Freiheitskampf - Kurdistan und die sowjetische Nahost-Politik, Wien: Junius, 1988, 244 S.
(4.) s.a.: Yalçin-Heckmann, Lale: Property, displacement and ethnicity: The case of Kurds in Azerbaijan, unter: http://www.eth.mpg.de/ people/heckmann/heckmann.html
(5.) s. Kendal: Die Kurden in der Sowjetunion, in: Chaliand, Gérard (Hrsg.): Kurdistan und die Kurden, Bd. 1, Göttingen: Gesellschaft für bedrohte Völker, 1988, S. 417
(6.) Celil, Celile: Das Leben der Kurden in der ehemaligen Sowjetunion und der Konflikt um das Latschin-Gebiet - Interview mit dem kurdischen Historiker Dr. Celile Celil aus Eriwan, in: Kurdistan Heute, Bonn: NAVEND, August/September 1992
(7.) s.a. Müller, Daniel: The Kurds of Soviet Azerbaijan, 1920-91, in: Broxup, Marie Bennigsen (Hrsg.): Central Asian Survey, London: Carfax Publishing, 2000, 19(1), S. 48