Der Verfassungsschutzbericht 1995 über die Interim:

Die autonome Szene hat ihren eigenen Jargon und ihre eigenen Medien, was in mehreren zum Teil konspirativ verbreiteten Szeneblättern Ausdruck kommt. Besondere Bedeutung für Berlin hat die seit April 1988 als sogenanntes Wöchentliches Berlin-Info herausgegebene Zeitschrift INTERIM

Die grundsätzlich Donnerstag, in einer geschätzten Auflage von 2000 Exemplaren zum Preis von 2,50 DM (auswärts 3,oo DM), erscheinende Publikation veröffentlicht aktuell kursierende Flugblätter und Erklärungen, darunter auch Taterklärungen zu Anschlägen aus der autonomen Szene sowie zu Aktivitäten der "Revolutionäre(n) Zellen" und der "Rote(n) Armee Fraktion".

Im Vorwort der Ausgabe Nr. 1 vom 1. Mai 1988 wird von den Verfassern über die Gründe reflektiert, die sie bewogen haben, die Druckschrift ins Leben zu rufen: "...Mit dieser Zeitung versuchen wir, an die neuen Strömungen der radikalen undogmatischen Berliner Linken anzuknüpfen und gleichzeitig zwei Lücken zu schließen: Ein fehlendes Berliner Info der undogmatischen Linken und der politische Abgang der taz .. "

Im Vorwort der Ausgabe Nr. 10 vom 1. Juli 1988 gehen die Verfasser noch etwas in Detail:

"Wir haben unsere Aufgabe so begriffen, daß wir die autonomen Diskussionsprozesse verbreitern und vorantreiben helfen... Bei Papieren, die wir als problematisch einschätzen, müssen wir deshalb von uns aus auf eine Veröffentlichung verzichten oder in kauf (sic!) nehmen, daß wieder jemand mehr die Verbindung zur Redaktion kennt. Papiere, wo wir meinen, daß durch eine Veröffentlichung niemand gefährdet wird und auch keine gefährdenden Inhalte weitergetragen werden, haben wir aus Sicherheitsgründen nochmals abgetippt..."

"...schließlich sind die Autonomen doch kein elitärer Geheimzirkel, sondern haben ein politisches Anliegen, das einfach verbreitet werden muß, nicht nur in Hinblick auf den September... "

Die Publikation entstand ursprünglich als "INTERIMslösung" bei der Suche nach neuen Kommunikationsformen und aus einer innerhalb der Autonomen geführten Diskussion um revolutionäre Organisierung. In der o.a. Nummer 10 wird hierzu angeführt:

"... Wir raffen uns also auf, kämpfen die allgemeine Ferienstimmung nieder und machen weiter bis zum September. Dann wollen wir endgültig entscheiden, ob diese Zeitung gebraucht wird oder nicht... "

In einem in der Ausgabe Nr. 36 vom 19. Januar 1989 veröffentlichten Interview der "Edition ID-Archiv" mit den E "-Herausgebern heißt es in diesem Zusammenhang:

"... weist die "Zwischenlösung" aber auch darauf hin, daß wir die INTERIM als einen Schritt auf der Suche nach neuen Kommunikationsformen innerhalb der radikalen Linken begreifen. Vielleicht ergeben sich da in den nächsten Jahren noch ganz andere Strukturen als das traditionelle Mittel einer Zeitung. Wir wünschen es uns eigentlich. Deshalb wären wir nicht enttäuscht, wenn die INTERIM aus diesen Gründen mal überflüssig werden sollte... "

Und weiter:

"...Es soll keine Illusionen geben. Die INTERIM war das Produkt einer damaligen politischen Schwäche- der Zusammenbruch der politischen Diskussionen auf einer breiteren Basis- die in jener Zeit in Westberlin (und im Bundesgebiet) herrschte. 8'aurm die verschiedenen Gruppen und Fraktionen nicht in der Lage waren, Auseinandersetzungen miteinander zu führen, wissen wir nicht. Vielleicht standen alle unter dem Druck von zu hohen Erwartungen, Lösungen für die damaligen lähmenden Fragen zu finden.

(..)Die INTERIM war deswegen eher das Ergebnis eines strategischen Rückzuges: der Versuch, eine Diskussion auf einer alltäglichen, breiten, überschaubaren, regionalen Ebene wiederherzustellen (sic!)... "

Innerhalb der fünf Jahre ihres Bestehens entwickelt sich die "INTERIM" in der Szene zu einer Publikation mit einem nahezu institutionellen Charakter. Beispielhaft hierfür sei nur die durchaus als hoch zu wertende Teilnehmerzahl von etwa 150 Personen anläßlich des am 18. Juni 1993 unter dem Motto "5 Jahre Interim" veranstalteten "Presseballs" erwähnt. Dieser hohen Erwartungshaltung stehen die Herausgeber seit langem skeptisch gegenüber. Sie sahen sich bereits in der Ausgabe Nr. 172 vom 5. Dezember 1992 zu der Klarstellung veranlaßt:

"... werden manchmal Erwartungen an uns gestellt, die wir weder erfüllen können noch wollen. Wir verstehen uns nicht als die Interims, und unsere politischen Schwerpunkte liegen auch nicht ausschlieplich in der Erstellung dieser Infos... "

Konzeptionell gäbe es künftig jedoch zwei Schwerpunkte: ., Forum der Bewegung" (Diskussionsforum und Mobilisierungsfaktor) wie bisher zu sein, aber auch verstärkt "den Blick auf soziale Bewegungen und gesellschaftliche Konflikte zu werfen ".

Obwohl "INTERIM" nach eigenen Angaben "den festen Kreis der MacherInnen" erweitert und die Erstellung der Zeitung "in einer Art Rotation mit anderen" aufgeteilt haben will, wird die Publikation nach wie vor "klandestin' hergestellt.

"Jeder/m wird einleuchten, dap wir diese Zeitung klandestin machen müssen. Jemanden zu fragen, bedeutet also auch immer gleichzeitig, uns selbst oder wenigstens die Verbindung zu uns zu erkennen zu geben. Wir müssen das also abwägen." ("INTERIM", Nr. 10 vom 1. Juli 1988).

Diese Verfahrensweise, die charakteristisch für das Handeln "geschlossener" autonomer Gruppen - zu denen auch der Herausgeberkreis der "INTERIM" gerechnet werden muß - ist, wird offenbar mit aller Konsequenz eingehalten.

Für die Praxis bedeutet dies, daß weder Treffpunkte noch Termine, geschweige denn Informationen über die eigene "Struktur", insbesondere die personellen Hintergründe, öffentlich bekanntgemacht werden. In dieser auf gegenseitigem Vertrauen und hoher Disziplin aufgebauten "geschlossenen Struktur" liegt aber auch der Grund dafür, daß es bisher keiner Sicherheitsbehörde gelungen ist, mehr als "Randerkenntnisse" über das Projekt "INTERIM", das inzwischen bundesweit Bedeutung für die autonome Bewegung erlangt hat, zu gewinnen.

Diverse von der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht eingeleitete Ermittlungsverfahren, vor allem wegen des Werbens für eine terroristische Vereinigung, mußten gemäß $ 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden (zuletzt am 4. November 1994), weil es nicht möglich war, die Verfasser, Hersteller und Verbreiter namhaft zu machen, bzw. zu identifizieren oder die Vertriebswege nachzuvollziehen.

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