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Diskussionsgrundlage Volxpraxis

Theorie: Die radikale Linke hat momentan ein absolutes "Nichtverhältniß" zu Begriffen wie Gesundheit, Krankheit, Medizin. Sie lehnt, und das zu Recht, die Herrschenden Gesundheitsdefinitionen als Verwertbarkeitsverhältnis ab, aber sie besetzt sie nicht neu. Trotzdem ist es ja so, daß wir durchaus ein mehr oder weniger gutes Verhältnis zu unserem Körper haben, von Zeit zu Zeit "krank" sind. Nicht (nur), weil wir uns der Verwertung der Ware Arbeitskraft entziehen wollen, sondern meistens, weil wir uns wirklich wie Scheiße fühlen. In genau diesem Moment sind wir dann aber auf die bestehenden Strukturen des Gesundheitsystems angewiesen. Solange wir noch eine Chipkarte haben und an eine halbwegs fitten Arzt/Ärztin geraten --> Glück gehabt ! Doch was machen die weniger privilegierten, die sich entweder erst mal dumme Sprüche anhören müssen ( "Wasch Dich doch mal !") oder aber keine Chipkarte, weil keine gültige Aufenthaltserlaubnis, haben ? Denen also der Eintritt in unser ach so fortschrittliches Gesundheitssystem verwehrt bleibt.

Womit wir gleich beim nächsten Punkt sind: Die Herrschende medizinische Versorgung ist nicht einfach unkritisch zu übernehmen bzw. zu erdulden. Das ist soweit den Meisten klar. Aber wie bekomme ich Informationen Über Therapien/ Medikamente/ Alternativen zum Standartkram von jemanden, der nicht davon lebt, mir diese zu verkaufen ("Fragen Sie Ihren A....")?

Sicherlich ist die "Schulmedizin" nicht als solches zu verteufeln, aber kritisch zu hinterfragen wohl mindestens. Bei Knochenbrüchen oder einer Blinddarmentzündung sind die ,Risiken und Nebenwirkungen" vielleicht noch zu verschmerzen, aber spätestens bei Depressionen. Magengeschwüren etc. hart der Spaß auf. Natürlich trägt unsere kapitalistische Realität einen Großteil Schuld an psychosomatischen und sonstigen Erkrankungen. Klar, aber das mit dem Abschaffen dieser, zumindest innerhalb der nächsten Zeit, fällt uns zugegebenermaßen schwer.... Also, was dann?

Es ist an der Zeit "aus der Krankheit wieder eine Waffe zu machen" (SPK) oder/und zumindest durch einen solidarischen Umgang in Form von einer alternativen Struktur sich und anderen Leuten zu helfen, mit "Krankheit" umzugehen, ohne sich von ÄrztInnen o.ä. entmündigen zu lassen.

Idee: Es soll ein Treffpunkt geschaffen werden, an dem sich mit den Themen Gesundheit <--> Krankheit praktisch und theoretisch auseinandergesetzt werden kann. Real könnte das so aussehen, daß Menschen, die Wissen über irgendein Themengebiet (Erste Hilfe, Infektionskrankheiten, Wundversorgung u. v. m.) haben, dieses weiter vermitteln. Nicht dozieren, diskutieren!!

HERRschende Medizin und Gesundheitspolitik muß hinterfragt werden, gleichzeitig sind wir darauf in vielerlei Weise angewiesen. (Oder kennt ihr 'nen autonomen OP - Saal ?) Aber um möglichst wenig Scheiße dabei ab zu bekommen, ist es wichtig zu wissen, was da passiert. Sehr viel basiert darauf, die PatienInnen unwissend zu halten, damit sie nur so ungefähr wissen, was gerade mit ihnen geschieht. Dann ist nämlich der Umgang mit ihnen viel einfacher.

Es ist wichtig, der permanenten Umstrukturierung des Gesundheitswesens zur 2-3 Klassenmedizin der Verwertbarkeit ideologische und praktische Alternativen entgegen zu setzen. Es gibt viele Themenbereiche über die in der Linken nicht (mehr) diskutiert wird. Drogen und HIV sind nur zwei 'Beispiele. Die Sexualitätsdebatte in der INTERIM macht deutlich, daß wir zu dem, was unseren Alltag ausmacht, und dazu gehören sowohl Sex als auch Drogen, oft ein sehr unreflekliertes Verhältnis haben. Obwohl wir im Abstrakten das Scheißsystem immerzu angreifen. (Was wir natürlich auch weiterhin tun sollten.) Sie zeigt auch das Bedürfnis der Auseinandersetzung mit solchen Themen, allerdings in einer Form, wo nicht einer die Wahrheit gefressen hat und die Anderen nicken. Gerade die, die die Wahrheit gefressen haben ( im speziellen Falle Krankenschwestern/pfleger, Medizinstudies u.ä.), haben am meisten Probleme, diese kritisch zu reflektieren. Schon ein Austausch zwischen systemkritisch Denkenden dieses "Fachbereichs" wäre sinnvoll, notwendig und gut.

Aber warum können diese Diskussionen nicht auch mit Leuten laufen, die daran interessiert oder aber vielleicht sogar krank sind; bestimmte Erfahrungen gemacht haben bzw. vermeiden wollen? Und das dann auch noch mit Systemkritik?? Es gibt kein starres Modell, wie sowas laufen soll, eher ein Bedürfnis danach und ein paar Ideen.

Praxis: Durch das neue EX (Mehringhof) - Konzept gäbe es die Möglichkeit dort einmal im Monat einen Tag zu gestalten. Es wäre denkbar, sowohl Diskussionen, als auch praktische Dinge wie z.B.: Wundversorgung, Erste Hilfe, Beratung über Infektionskrankheiten u.a. dort durchzuführen. Gleichzeitig wäre es ein Anlaufpunkt für Menschen, die entweder keine Chipkarte oder aber verständliche Hemmungen gegenüber ÄrztInnen haben. Tips, Adressen, Infos könnten unkompliziert ausgetauscht werden. Nebenher soll es ja außerdem ein ganz normales Cafe sein, es bestünde also nach wie vor die Möglichkeit gesunde und ungesunde Dinge zu sich zu nehmen, ohne dieses näher zu thematisieren. Es soll kein Dogma sein, sich mit diesen Themen zu befassen, sondern ein Forum unter GenossInnen, das Diskussionen, Erfahrungsaustausch und praktische Hilfe bei kleineren Auaauas leistet. Gelebte Solidarität!

Es handelt sich hierbei nur um einen Konzeptentwurf. Neue Ideen, Ausbaummöglichkeiten, Zweifel, Kritik und vor allem Menschen sind nicht nur willkommen, sondern existentiell lebensnotwendig für das Projekt Volxpraxis !! Für alle, die Lust haben, daran mit zu gestalten, gibt es ein Treffen am Dienstag 16.12.97 um 18 Uhr im Ex.


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