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Die „Legende von Paul und Paula - wieder nur eine Anleitung zum Unglücklichsein?

Immer im Recht, immer voranstampfen und nie zweifeln - sind das nicht die großen Tugenden, mit denen sich die Dummheit in der Welt durchsetzt?" (William Makepeace Thackeray)

Das Terrain der Sexualität ist gerade deshalb so interessant und spannend für die politische Auseinandersetzung, weil dort die Aufteilung von weiß und schwarz, gut und böse, Freund und Feind nicht mehr so einfach funktioniert. Auf diesem Terrain wird deutlich, daS die Widersprüche mitten durch uns hindurchgehen. Ich würde sogar verallgemeinernd sagen, daß die Selbstverantwortung auf der sauberen, guten Seite eines politischen Dualismus von Gut und Böse und von Freund und Feind überhaupt in die Sackgasse fuhrt. Bzw. in eine Bornierung, die nicht mehr der Befreiung und einer Verallgemeinerung der Glücksmöglichkeiten dient, sondern darin aufgeht, den einzelnen, als Revolutionärlnnen maskierten Privatindividuen zu einem satten und dumpfen Gefühl des Rechthabens zu verhelfen. Gerade deshalb ist die Debatte um Sexualität und Begehren ein Ansatzpunkt, um aus der traurigen Lähmung herauszukommen, die von den nur-Opfer-Frauen-Lesben und den sich selbst kasteienden antisexistischen Saubermännern zur Mehrung ihres eigenen Sauberkeitsgefühls verbreitet wird. An ihr kann geklärt werden, wie es sich mit dem Eingelassensein der Subjekte in die (symbolische) Ordnung verhält, wie sie an der allgemeinen Bedeutungsproduktion teilhaben, und daG sich die Absage an die Ordnung noch lange nicht als Befreiung von der Ordnung (auch nicht der symbolischen) denken laSt. Veränderung und Befreiung fangen da an, wo die Subjekte begreifen, daß sie selbst Macht haben, eine Macht, die sie leider nur allzu oft nutzen, um sich (als Opfer, Täter/Freunde ader Feinde) der Ordnung einzufügen. Ihre Macht, ihre Kraft und Handlungsfähigkeit konnten die Einzelnen, Männer und Frauen, aber auch nutzen, um etwas sehr viel Schwierigeres zu tun: Sie konnten die Ordnung kreuzen, sie durchbrechen, ihr eine Perspektive entgegensetzen, die sie - zumindest für Augenblicke - außer Kraft setzt, und die andere ermutigt, ebenfalls den sicheren Boden zu verlassen, um etwas Besseres zu versuchen. Nur so können die Verhältnisse, können brutale und stille Gewalt, Zwang und Herr-schaR wirklich bekämpft werden. Dazu gehört es unbedingt, die vermeintliche Sicherheit der sauberen Seite aufzugeben. Dazu gehört, sich klar zu machen, daG wir in der Ordnung und die Ordnung in uns ist, daß wir, wenn wir handeln, in der Ordnung handeln und nicht von irgendeinem metaphysisch-guten Jenseits aus.

Von Schwarz-Weiß zu Grau in Grau?

Vieles, was die Unglückichen in ihrer Legende von Paul und Paula zu (Identitäts}Politik und Macht und gegen krude Schwarz-Weiß-Schemata schreiben, ist deshalb sehr gut und richtig. Aber interessant ist, daG sie mit ihrer zunächst sehr radikal klingenden Kritik an den Denkweisen von Teilen der Szene zu Sexualität (denn im Papier der Frauen des Hamburger Infoladens geht es um Sexismus), genau an der Grenze zu dem Terrain stehenbleiben, auf dem die Sexualitat sich abspielt: nämlich vor unserem ‘Inneren'. Die in der Legende von Paul und Paula von den Unglücklichen zustimmend zitierte Aussage von Zette//mecht, daß es „im Psychischen (...) keine Schwarz-WeiS-Konzepte" gibt, daG „im Inneren von uns allen (...) die Grautöne (überwiegen)" [Absatzzahlung d. Unglücklichen: ',<207>] ist ärgerlich ungenau. “Im Psychischen gibt es die schärfsten und grellsten Kontraste, nicht nur Schwarz und Weiß sondern die ganze Palette rauf und runter. Und anstatt milder Grautöne finden sich „in unserem Inneren" wilde Gegensätze und Kämpfe. Und Unterdrückungsverhältnisse. Und mir scheint es, als dürfe der Kampf um Befreiung nicht an der subjektiven Innen-Außen-Demarkationslinie stehenbleiben. Wer sich selbst unterdrückt, bzw. keine andere Bewegungsform für sei-ne/ihre Begierden und Widersprüche findet als die der kruden Unterdrückung, der/die ist (noch) kein/e gute/r Genossln im Kampf um Befreiung sondern muß als Gefängniswärterln der bestehenden Ordnung gefürchtet werden. Denn ohne diese Ordnung verliert er/sie seinen/ihren Ort und fallt ins Bodenlose. Zwar plädieren die Unglücklichen nicht für Selbst-Unterdrückung. Im Gegenteil, sie rufen sogar formal (und m. E. richtig) zur Kritik der eigenen Gefühle auf (Kap. 5.3) Aber dann sprechen sie davon, daß Sexualität und Gewalt „gemischt" [Abs. 243] auftreten, was immer das auch heißen mag, und deuten formelnd an, daß mit der Aufhebung aller gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse eine andere, gewaltfreie Sexualität denkbar wäre... An solchen Stellen entsteht der Eindruck, daß die Unglücklichen gar nicht an der inhaltlichen Weiterarbeit an der Sexismusproblematik interessiert sind, sondern bloß darauf aus sind, den Machtanspruch, den die von ihnen „HH" genannten Hamburger Infoladen-Frauen mit ihrem Papier geltend gemacht haben, ihrer eigenen Macht- und Interpretationsfolie ein- und unterzuordnen.

Das Geschlechterverhältnis frißt Karotten

Noch eine Kritik: Nämlich am Singular „das Geschlechtemerhältnis“. Zwar spotten die Unglüchlichen heftig über die Singulare „der Mann" und „die Frau" und bewegen sich dabei in Richtung auf eine begrüßenswerte Auflösung der Selbst- und Fremdzuordnungen, die immer wieder drohen, den Kampf um Emanzipation in die säuberliche Befestigung von Vorgarten mit Jägerzaunen zu Überfuhren. Aber dann sprechen sie gedankenlos von nur einem einzigen Ge-schlechterverhältnis. Also aus meiner Sicht gibt es das nicht. Aus meiner Sicht gibt es jede Menge Verhältnisse zwischen den beiden gesellschaftlich akzeptierten Geschlechtern. Z. B. Arbeits- Macht-, Liebes-, Unterdrückungs-, Rechts-, Teilungs-, Hilfs-, u.v.a.m.-Verhältnisse. Und damit nicht genug! Gibt es überhaupt (nur) zwei Geschlechter? Ich will diese Frage nicht beantworten, aber hoffe, daG klar wird, daß „das Geschlechterverhältnis" ein Unding ist, bzw. bestenfalls die gruselige Konstruktion einer einzigen Basisstruktur, die die sexuierten Verhältnisse der Menschen regiert (wie z. B. die Idee, daß es das Vergewaltigertum aller Männer ist, das das Patriarchat 'ausmacht').

Ihr split nicht Gutseinwollen sondern Glücklichwerdenwollen! Nun komme ich zur schwierigsten Kritik: ich habe mich nach Lek- türe der Legende von Paul und Paula gefragt, wie eigentlich das individuelle - ader Gruppensubjekt dieses Textes aussehen mag. Wer sind die Unglücklichen? Bzw. wer wollen sie sein? Daß es die Leute aus dem Friedelhainer Infoladen Daneben sind, ist klar, aber mich interessiert ihre phantastische Existenzweise. Mich interessiert, warum sie sich die Unglücklichen" nennen, und mich interessiert, ob sie etwas für sich wollen ader etwas Politisches, und wenn dann was? Sympathisch und gut finde ich, daS sic sich die Muhe gemacht haben, die Arranca-Zensur-Diskussion nicht einfach auf sich beruhen zu lassen, daß sie dem, was ihnen daran mißfallen hat, etwas entgegensetzen und also, zumindest auf den ersten Blick und nach eigenem Bekunden einen Streit anfangen.

Mißtrauisch machte mich dann auf den zweiten Blick, daß sie augenscheinlich selbst ein schlechtes Gewissen haben, daß sie mit so geballter Sprachmacht, mit Verweis- und Literaturapparat, mit fast akademischer, zumindest akademisch vielbelehrter Akribie scheinbar fast jeden Satz des Textes der HH zerpflücken ('dekonstruieren'). Das schlechte Gewissen ist an der wiederholten Beteuerung der Unglücklichen zu erkennen, daG das Arranca-Boykott-Papier der HH so gut gegliedert sei [z. B. Abs. 39; Abs. 176 und in der allzuflotten Reaktion auf die ersten Kritiken in der Interim 438 Abs. 20], daG deutlich werde, daß diese wußten, was sie taten, daß folglich der Zugriff, den ihr Papier nun durch die Unglücklichen erfahre, kein überlegener, 'herrschafftlicher' Zugriff sei, sondern ein horizontaler, kritischer. Die Unglücklichen scheinen aber sehr genau zu spuren, daS an ihrer Kritik etwas nicht stimmt. Die Frage, ob es der von den Unglücklichen apostrophierten Intellektuellenfeindlichkeit [Abs. 248] geschuldet ist, daß nicht nur ich, sondern eine ganze Menge Frauen sofort nach Durcharbeiten des Papiers die Assoziation Rationalität - Objektivität - Männlichkeit hatten, will ich einfach mal im Raum stehen lassen. Ich selbst wurde vorschlagen, das Schwergewicht nicht auf die traditionelle Zusammengehörigkeit von einer bestimmten, objektiverwerdenden Rationalität mit Männlichkeit zu legen, sondern im Hinblick auf die Genauigkeit und Akribie der Legende von Paul und Paula an einer anderen Beobachtung anzuknüpfen: Die Unglücklichen versuchen, sich immun zu machen. Sie versuchen, sich auf den unangreifbaren Stuhl des Richters zu retten. Ihre Deutung der Dinge soll die einzig mögliche sein, der alle anderen Perspektiven sich unterzuordnen haben. obwohl sie die ganze Zeit gegen den Gedanken anschreiben, auf der sauberen Seite sein zu wollen, versuchen sie genau das: sauber, vorsichtig, gut, klug, scharhichtig, reflektiert, abwägend und witzig zu sein. Sogar den Gedanken, sich immun machen zu wollen, reflektieren sie sorgfältig [Abs. 28]. Und im Zusammenhang mit der Absicht, als außerordentlich Gute das Gutseinwollen zu kritisieren, gewinnen absoRende Formulierungen wie die von den „Grautönen', aber auch die vom Analysieren, Verstehen und Verändern, das statt des Moralisierens in der Szene statt-finden soll [Abs. 215), ihren Sinn.

Oh so vernünftig und ach so beruhigend! Ja verflixt, vielleicht waren die Unglücklichen glücklicher, wenn sie anstatt von „Grautönen" von „Widersprüchen und anstatt von „Verstehen" von „Aufklärung" sprechen wurden. Foucauit hat einmal seiner Sehnsucht nach einer Kritik Ausdruck verliehen, die nicht urteilt, sondern die einem Text ader einer Aussage zur Wirklichkeit verhilft. Wo ist die Neugier der Unglücklichen auf die Wirklichkeit des Papiers der Hamburger Frauen? Weil die Unglücklichen da, wo's spannend wird, den Weich- bzw. Grauzeichner vor-schalten, anstatt scharf auf die Zusammenhänge und Widersprüche zu focussieren, in denen der Text der HH steht (und die bestehen nicht bloß in individueller ‘Verletztheit’ etc. - im Gegenteil: die Unglücklichen selbst sind Teil dieser Widersprüche), rutschen sie unversehens in die Ordnung von Schwarz und WeiS zurück, die sie doch bekämpfen wollten. Die HH werden zu Gefängniswärterinnen der repressiven Ordnung vereindeutigt, die die Unglücklichen kritisieren: = schwarz. Die Unglücklichen versuchen, eine Gegendarstellung des Lichts der Vernunft zu errichten = weiß. Politisch wurde es aber erst, wenn vor der Analyse gerade da nicht zurückgeschreckt wurde, wo es womöglich wehtun konnte, wo die eigene Verstricktheit in den Gegenstand der Kritik erkennbar würde. Und die Verstricktheit, das wird mir immer klarer, besteht im Fall von Positionen, die glauben, die Sexismusproblematik als Problem anderer Leute abhandeln zu können, dialektischerweise genau in dieser Verleugnung der eigenen Verstricktheit. Schonmal was von der Wiederkehr des Verdrängten gehört? Wenn man es macht wie die Unglücklichen und sich vor Widersprüchen auf einen wackligen Richtstuhl der Vernunft zu retten sucht, muß man sich nicht wundern, wenn man schließlich von Gefängniswärterlnnen a la Kermit und Ida F. in der Luft zerrissen wird.

Eure Kathrin Katze.


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