High Noon

Die konflikle im ehemals besetzten complex Brunnenstraße 6/7 haben sich in letzter Zeit so zugespitzt, de wir uns gezwungen sehen zu handeln, sprich die BewohnerInnen einvs Hauses rauszuschmeißen! Uns ist es wichtig, unsere Situation einer interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln, besonders da die Gerüchtekiiche schon heiß kocht.

In der Brunnenstraße zu leben, bedeutet momentan folgendes: Du mußt zu jeder Zeit damit rechnen, daß du aus dem Schlaf, dem Friihstück, -kurz, aus allem was du so zu tun hast, gerissen wirst, um zu einem Spontanplenum oder einer sofort notigen Unterstützungsaktion zu rasen.

Was ist los? Wie ist die aktuelle Situation?

Seit ca. 2 Jahren wohnen in diesem Flügel (im weiteren Text X-Haus genannt) Leute, insbesondere Mäner, die den Großeil der KomplexbewohnerInnen scheiß finden, und das durch ein klares Antiverhalten und standige Provokationen zum Ausdruck bringen. "Die Zecken sind nicht mehr pc! Hier weht jetzt ein anderer Wind!" Dieser Spruch bringt fü uns ihre Haltung ziemlich genau auf den Punkt. Die BewohnerInnen haben in den letzten hei Jahren zum großen Teil gewechselt. Neu eingezogene Männer und Frauen standen uns jedoch nicht unvoreingenommen gegenüber, die Haltung des X-Hauses zum Komplex wurde weitertradiert. Es gab dort zwar immer BewohnerInnen, die sich nicht an Provokationen beteiligten, sich aber auch nicht kritisch dazu verhielten, oder in der Gesamtgruppe nicht durchsetzten konnten.

Erstmals eska1ierterte die Situation im Januar 96, als während einer Party var dern X-Haus das benachbarte Haus mit einer Pyro beschossen und mit Gesang zur Melodie des Deutschlandliedes begröhlt wurde. Als die erwartete Reaktion nicht ausblieb, und BewohnerInnen des Restkomplexes sich beschwerten, wurden sie mit Flaschen und Stöcken angegriffen. Zu Hilfe eilenden Frauen und Männern bot sich ein Bild von dennaen durchgeknalltem Vollsuffgröhlmackerposing seitens der X-Haus-Bewohner, wie sie es selten erlebt haben. Während versucht im die Situation zu beruhigen, kam es zu massiven Beschimpfungen bis hin zu Vergewaltigungsandrohungen.

Es würde den Rahmen dieses Papiers sprengen alle Ereignisse dieser Nacht wiederzugeben. Wir erwähnen den Vorfall an dieser Stelle, weil für viele hier erstmals die Grenzen soweit überschritten wurden, daß ein weiteres Zusammenleben nicht mehr vorstellbar war. In den folgenden Wochen kam es zu mehreren großen Plena, an denen sich auch Leute außerhalb des Komplexes beteiligten. Die BewohnerInnen des X-Hauses beschrieben dort ihr Verhalten als Ausrutscher, gleichzeitig rechtfertigten sie es als Reaktion auf ihre Unterdrückung durch die pc-Autonomen und ihrer Logik zufolge durch ihre Opferrolle in der Gesellschaft. Schon damals gab es die Forderung van vielen KomplexbewohnerInnen, daß die vier Hauptakteure dieses Abends ausziehen sollten. Passiert ist gar nichts, z.T. auch wegen der Unschlüssigkeit, die Forderung durchzusetzen.

In den folgenden anderthalb Jahren gab as verschiedene Bemühungen mit den X-Haus-BewohnerInnen in Kontakt zu kommen, um die Situation auf diesem Weg zu verändern und die existierenden Vorurteile abzubauen. Dies hatte aber allenfalls zur Folge, daß einzelne von uns freundlich gegrüßt wurden, während hinter anderen weiter ausgespuckt wurde.

Im Sommer 97 verschärfte sich die Situation durch die Anwesenheit van ca. 20 Gästen mit ihren Hunden im X-Haus. Der Zugang zu unseren jeweiligen Häusern fuhrte tagtäglich mitten durch cine große Gruppe im Hof alkender Menschen, die je nach Lust und Laune Provokationen und Angriffe starteten, so daß einige Menschen sich sogar gezwungen fühlten, andere Ein- und Ausgänge zu benutzen. Oftmals hatten wir einfach keine Lust mehr nach Hause zu kommen, weil wir dort nicht mehr das tun konnten, was wir wollten, sondern unser Leben von Zwangsreaktionen auf die Situation im Hof bestimmt war. Einzelne Beispiele, die in ihrer Auflistung zwar teilweise lächerlich klingen, in ihrer Gesamtheit aber ein Bild abgeben, das das Leben in der Brunnenstraße Stück für Stück kaputt macht:

Uns ist klar, daS wir solch einen Sommer nicht noch einmal durchstehen würdenl

Es ergab sich, daß viele X-Hausbewohner nach und nach auszogen. Männer und Frauen, die im Sommer zu Gast waren, sind in die leerstehenden Zimmer nachgerückt. Unter ihnen sind einige Manner, die sich innerhalb kürzester Zeit als vollig beschissene Macker herausgestellt haben und ihre standigen Bedrohungen momentan typischenveise gegen einzelne Frauen richten, wenn sie diese außerhalb des Komplexes treffen. Wir haben den jetzigen BewohnerInnen des X-Hauses auf verschiedenen Plena erklart, warum wir wollen, daß sie ausziehen, warum es für uns keinen neuen Versuch des Zusammenlebens geben kann. Nach den Dingen die vorgefallen sind, gibt es keinerlei Vertrauen auf irgendeine gemeinsame Minimalbasis. Unsere Auszugsforderung trifft auch diejenigen, die sich nicht aktiv an Angriffen beteiligen. Grund dafür ist, daß wir glauben, daß die RestbewohnerInnen (des X-Hauses) dann nicht verhindern konnten oder wollten, daß die anderen zurückkommen, und wir uns eine grundsätzliche Änderung der Situation nur durch eine vollig neue Gruppe, zu der wir Vertrauen haben, vorstellen können. Die Leute aus dern X-Haus erklärten, daß sie das Haus auf keinen Fall freiwillig verlassen würden und drohten mit Racheaktionen. Einer ihrer Freunde kündigte lautstark an, die hinteren Hauser eigenhandig anzuzünden, falls jemand aus dem X-Haus geworfen würde. Ein X-Haus-Bewohner tonte (sinngemäß): "Wenn sie Krieg wollen, dann bekommen sie Krieg", "mit mir kann man ja noch reden, aber ich habe Kumpels und die haben Wummen"

Wir sind keine homogene Gruppe. Unser „wir“ ist zusammengewürfelt aus Frauen und Männern, die im Zusammenleben oft nur recht wenig Kontakt oder auch diverse Vorbehalte untereinander haben. Wir sind außerdem auch nicht der gesamte Komplex. Es gibt in einer WG Gegenpositionen zu unserer Entscheidung. In der Vergangenheit haben einige von uns ihre Entscheidung sehr lange hinausgezögert, um eine handlungsfähige Basis unter allen BewohnerInnen zu erreichen. Dies scheint nicht möglich zu sein. Trotz unserer Unterschiede haben wir uns als Großteil des Komplexes nach zähem hin und her zu einer Gruppe zusammengefunden, die bereit ist, den Auszug des X-Hauses nicht nur zu fordern, sondern notfalls auch als Rausschmiß umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist ein von uns am 30.10. gestelltes Ultimatum, das Haus bis zum 13.11. freiwillig zu verlassen, von den BewohnerInnen des X-Hauses ignoriert worden. Die Entscheidung, die Leute rauszuschrneißen, ist uns nicht leichtgefallen. Gerade zu Zeiten von Schönbohm's Meister Propper Politik (Weg mit allen besetzten Hausern, allen unkommerziellen Treffpunkten, den öffentlichen Raum den Geldsäcken!...) fällt es schwer 10 Leute auf die Straße zu setzen, die auf dern Wohnungsmarkt sicherlich kaum Chancen haben und auf Projekte wie unseres angewiesen sind, weil sie hier billig (in ihrem Fall lassen sie ganz selbstbestimmt uns ihre Miete bezahlen) leben konnen. Dazu kommt, daß es Winter ist, kalt,...

Trotzdem...

In den letzten Tagen wurde nachts ans FrauenLesbenHaus 'Fotzen' gesprüht und morgens um 6.00 Uhr das Fenster einer Frau vom X-Haus aus mit Pyros beschossen. Heute morgen wurde eine Person von einem X-HausBewohner angepoebelt und mit einem Messer bedroht. Jeden Tag ist mit weiteren Angriffen dieser Art zu rechnen. Das ist eine Situation, in der wir nicht auf das Ende des Winters warten konnen.

Enough is enough!!!

der Großteil der BewohnerInnen der Brunnenstraße 6/7

Berlin 21.November 97


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