"Wir sind die Guten, auch wenn Sie' s nicht vermuten..." Militanz und Genauigkeit

Autonome treiben Heizungerinstallateur in den wirtschaftlichen Ruin

Heizungsinstallateur Ronald W. (48) stehen Tränen in den Augen. Vor ihm sein völlig ausgebrannter Nissan Kleintransporter. Mit dem Montagewagen wurde auch seine gesamte Werkzeugausrüstung zerstört. Der Familienbetrieb mit fünf Angestellten kämpft nun ums blanke Überleben. "Seit der Wende geht's nur noch bergab. Die Auftragslage ist schlecht. Wir müssen sogar nach Brandenburg rausfahren," sagt Ronald W. Das ist nun nicht mehr möglich, nachdem in der Nacht des 3. 10. Unbekannte neben 7 anderen Kleinwagen seinen Transporter in Brand gesetzt und 14 weitere beschädigt hatten. Während die ebenfalls völlig zerstörte Kaufhalle der Kaiser's-Kette in den Genuß mehrerer Millionen Mark Versicherungsgelder kommt, sieht Ronald W. keinen Pfennig (...)

So in etwa könnte ein fiktiver Artikel in einer beliebigen Berliner Tageszeitung vom 6.10.97 lauten. Anlaß genug, einige kritische und leider nicht neue Reflexionen zum Umgang mit Militanz zu machen. Daß im Verlauf militanter Auseinandersetzungen mit der Polizei z. B. Kleinwagen durch umherirrende Steine oder Flaschen beschädigt werden können, ist nicht schön, aber manchmal unvermeidlich und für die meist aus dem unteren Drittel der Gesellschaft stammenden BesitzerInnen finanziell wohl gerade noch verschmerzbar. Dazu gehören jedoch explizit keine Aktionen für bspw. am 1.5.96 rund um den Koppenplatz als vorsätzlich zu 90% Kleinwagen zerdroschen wurden. Etwas anders gelegen ist der sehr begrüßenswerte Fall, wenn Nobelkarossen als Statussymbole der herrschenden Klasse angegriffen werden. Gerade in letzter Zeit ist dabei eine zunehmende Ungenauigkeit zu verzeichnen, daß entweder der Gebrauchtwagenwert vermeintlicher Nobelkarossen unter dem Neupreis eines Kleinstwagens liegt, oder der Sicherheitsabstand zu anderen parkenden (Klein-)Wagen nicht eingehalten wird und diese als Dominoeffekt gleich mit abfackeln. Das ist politisch fatal! Ganz offensichtlich sind die gesellschaftlichen Widersprüche aktuell nicht so entwickelt und zugespitzt, daß derartige Panneaktionen irgendjemandem außer den law-and-order-Spezialisten mit ihrer "Dieser-Terror-tifft-uns-alle-Logik" politischen Profit bescheren und zudem den eigentlichen Kern solcher Aktion verwässern. Oder wie wäre bspw. eine Antifa-Aktion gegen eine Republikanergeschäftstelle, bei der der Döner-Imbiß nebenan gleich mit entglast wird? Auch das schadenfrohe Grinsen über den flambierten Porsche eines Spekulanten gefriert genau dann, wenn der eigene Wartburg daneben gleich mit draufgegangen ist. Es dürfte doch wohl nicht in Vergessenheit geraten sein, daß die normale Kfz-Haftpflichtversicherung keinen Penny für juristisch "Vandalismus" abdrückt, während der oder die gestrafte Bonze die adäquate kostspielige Extraversicherung quasi aus der Portokasse abdrückt.

Auch der spektakulären Kaiser's-Aktion vom 3.10. haftet beim näheren Hinsehen ein sehr schaler Beigeschmack an. Daß der aufgemachte Supermarkt am Teutoburger Platz nicht wie das berühmte 87er Vorbild bei Bolle am Görlitzer Bahnhof im Verlaufe massenmilitanter Auseinandersetzungen von der Bevölkerung zuvor geplündert, sondern mit all den schönen Konsumartikeln von einigen wenigen GenossInnen gleich abgefackelt wurde, ist wohl den bereits zitierten gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet - aber nachdem die Aktion nicht von vornherein für sich selbst sprach, wissen wir ja jetzt alle, in welchem Kontext die Sache stehen soll. Jedoch ist Kaiser's nicht nur überteuerter Hort des Konsumterrors, der sich nun auch noch mit der rassistischen Praktik der Lebensmittelgutscheine bereichern will, sondern führt in seiner Funktion als "Mega-Supermarkt" im kapitalistischen Konkurrenzkampf "ganz nebenbei" zum Absterben der Kleingewerbetreibenden in seinem Einzugsbereich. Da ist es mehr als kontraproduktiv, die Kleintransporter und Wagen eben dieser Leute gleich mit als Barris zu verwenden und sie quasi doppelt zu strafen, bloß damit die Scheiß-Kaufhalle drei Minuten länger brennt. Wo ist da der Blick auf die vielzitierten sozialen Widersprüche als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Kämpfe, an deren Entwicklung wir doch wohl arbeiten wollen?

Der Gipfel an Ungenauigkeit und Fahrlässigkeit ist jedoch erreicht, wenn ein Molli auf einen fahrenden Kleinlaster geworfen wird. Leute, sowas ist durch nix und gar nichts zu rechtfertigen, macht geradezu sprachlos, daß derart durchgeknallte Leute an solchen militanten Aktionen teilnehmen und Unbeteilgte massivst gefährden nicht genug, daß die eigenen Leute reihenweise Steine aus der 22. Reihe gegen den Schädel kriegen oder wie im Wendland in einer Sitzblockade mit nem Molli beworfen werden. Seid ihr alle Opfer der gewaltverherrlichenden Medien, "Polit-Rambos" - um mit einem Berliner Boulevardblatt zu sprechen? Es ist wirklich schwierig, bei sowas noch "solidarische Kritik" üben zu können. Hier wird nicht gezeigt, daß Widerstand berechtigt und möglich ist, sondern jedweder militanter Widerstand komplett diskreditiert. Noch zwei, drei solche Aktionen und auch die/der letzte uns ehedem wohlgesonne Normalo wird einstimmen in den Chor: Vom Staat betrogen, vom Kapital ausgebeutet, von den Autonomen daß Auto abgefackelt - her mit Recht und Ordnung!

Auf Reaktionen sind wir mehr als gespannt - nach dem nun bekannt ist, daß ihr euch die Klein- und Firmenwagen bewußt ausgesucht habt, würde uns wirklich interessieren warum?

einige Militante

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