Phantomschmerz Antirassismus

Zu den Papieren "Das Phantom in der Flora" und "Überall Phantome"

I. Selbstorganisation unterstützen?

Die von MigrantInnen formulierte Parole der Selbstorganisation ist in der Auseinandersetzung mit der Dominanz, der Ignoranz und dem Rassismus der weißen deutschen GenossInnen entstanden. Wenn von deutscher Seite die Forderung nach Selbstorganisation von MigrantInnen erhoben wird, ist das etwas grundlegend anderes. Was zunächst erstmal antirassistisch und sensibel klingt, birgt zumindest die Gefahr von Ausgrenzung und einer Ethnisierung der eigenen Politik.

Die Interessengemeinschaft der Flüchtlinge (IZI) hat sich nicht an das Flora-Umfeld gewandt, um Unterstützung in der Frage zu finden, wie sie die eigene Organisierung verbessern können, sondern um von Menschen mit einer wenigstens theoretisch antirassistischen Haltung eine entsprechende Praxis zu den anlaufenden Massenabschiebungen einzufordern. Sie haben deutlich gemacht, daß sie auf der Suche nach BündnispartnerInnen sind, mit denen sie eine gemeinsame Politik gegen die Abschiebungen entwickeln wollen.

Hier fing das Dilemma an. Der Wunsch der Flüchtlinge, eine gemeinsame Politik zu entwickeln, stand dem Wunsch einigen aus dem AGA, die Selbstorganisation der Flüchtlinge zu unterstützen (d.h. bloß unterstützend tätig zu werden und keine eigenständige Politik zu formulieren), teilweise entgegen.

Es geht uns an dieser Stelle keinesfalls darum, das Ziel eines konstruktiven Umgangs mit strukturellen Unterschieden zu denunzieren. Ein Teil eines solchen Umgangs ist sicherlich auch der Entschluß, Gruppenprozessen und Entscheidungen unter den Flüchtlingen nicht vorzugreifen.

Dennoch wurden wir den Eindruck nicht los, daß eine derartige Argumentation des öfteren auch vorgeschoben wurde, um die eigene Untätigkeit zu begründen. Wo jede konstruktive Diskussion über eigene Vorstellungen abgeblockt wurde, fiel es uns schwer, zu glauben, daß hinter der Forderung nach Selbstorganisation mehr stand als der wohlklingende Versuch, sich rauszuziehen und die eigene Bequemlichkeit und Konzeptlosigkeit zu bemänteln. Deshalb finden wir es wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß

l. Die Unterstützung der Selbstorganisation keine eigene antirassistische Praxis ersetzen kann und

2. die eigenen Vorstellungen einer gelungenen Selbstorganisation nicht anderen Leuten übergestülpt werden sollten.

Vielleicht wäre unser Eindruck ein anderer gewesen, wenn die Forderung nach Selbstorganisation nicht ständig als Abwehrhaltung gegen eigene Aktivitäten formuliert worden wäre. An einer Diskussion über die beste Form der aktiven Unterstützung organisierter MigrantInnen sind wir sehr interessiert.

Für uns bedeutet eine antirassistische Politik in der Tat, daß wir "notfalls auch mal selbst organisieren", insbesondere dann, wenn dies ausdrücklich von MigrantInnen gewünscht wird. Auch denken wir nicht, daß eine eigenständige Positionierung eine Vereinnahmung von MigrantInnen bedeutet. Für uns sind eigenständige Positionen Voraussetzung für - gegenseitige - Nachfragen und Kritik ebenso wie für eine verläßliche Zusammenarbeit.

Zu dem Zeitpunkt, als deutlich wurde, daß IZI das vom AGA gewünschte Konzept nicht ausarbeiten würde, wollten Teile des AGA die Vorbereitung weiterführen, in dem versucht werden sollte, Angebote oder Vorschläge an IZI zu machen, um die Aktion zu konkretisieren und die Zusammenarbeit zwischen IZI und AGA voranzutreiben. Demgegenüber stand die Position, daß allein IZI das Konzept formulieren müßte, da keine StellvertreterInnenpolitik betrieben werden dürfe. Konkret bedeutete dieses Harren auf ein Konzept von IZI, gar nichts zu tun und die Flüchtlinge sich selbst zu überlassen.

Einerseits ging der Wunsch, die Selbstorganisation der Flüchtlinge zu unterstützen, so weit, im Zweifel und entgegen der anderslautenden Aufforderung seitens der Flüchtlinge lieber untätig zu bleiben. Andererseits wurde sich dann, wenn die Beschlüsse von IZI nicht in den eigenen Kram paßten, ganz rausgezogen, z.B. bei der von IZI initiierten Demo am 28.6. Ein solches Herangehen zeugt für uns nicht eben von einer glaubwürdigen Politik, denn gerade, wenn es Leute unter der Parole "Selbstorganisation unterstützen" schon ablehnen, eine eigenständige Politik zu formulieren, müßten sie eigentlich die der Flüchtlinge mittragen.

II. Schutzräume erkämpfen?

Das Maximalziel hinter IZI's Idee, einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen öffentlich sichtbar ihrer Abschiebung widersetzen, war immer, Abschiebungen konkret zu verhindern. Es ging also von Anfang an ganz klar darum. den Kampf um einen Schutzraum zumindest aufzunehmen

Das Wort "Schutzraum" wurde für viele aus dem AGA binnen kürzester Zeit zum Reizwort. Es wurde argumentiert, daß die Verwendung dieses Wortes bei Flüchtlingen falsche Vorstellungen wecken könnte, da niemand von uns in der Lage wäre, Schutz zu garantieren. Dies ist natürlich richtig. Dennoch ist es eine interessante Frage, warum sich das zermürbende und eine gemeinsame Entwicklung enorm hemmende Ritual entwickelte, bei jedem Plenum den Leuten von IZI mindestens einmal aufs Neue zu erklären, daß wir wirklich keinen Schutz bieten können. Dabei hatten die GenossInnen von IZI schon beim zweiten Treffen glaubhaft versichert, daß sie diese Ansage kapiert hätten und so auch weitervermitteln würden. Daß eine öffentlich sichtbare Unterbringung die Gefahr einer Eskalation von staatlicher Seite einschließt und die Aktion von Flüchtlingen getragen werden muß, die dieses Risiko für sich in Kauf nehmen, war immer klar.

Rückblickend würden wir vermuten, daß hinter der Tabuisierung des Wortes Schutzraum ebenso wie hinter der ständigen Wiederholung der Einschätzung, daß wir keinen Schutz garantieren können, eine grundlegende Ablehnung der geplanten Aktion stand, die als solche aber nicht offen formuliert wurde. "Auf der einen Seite stellt ein solcher Raum das angestrebte Maximalziel dar, auf der anderen Seite haben wir derzeit nicht die Strukturen, den entsprechenden Schutz zu gewährleisten und sehen es als unsere Verantwortung, dies ganz eindeutig an die Flüchtlinge zu vermitteln", schreiben einige aus der Öff-AG.

Aber was genau sollte da nun eigentlich vermittelt werden, wenn nicht die Einschätzung, daß das Maximalziel derzeit besser nicht angestrebt werden sollte? Jede andere Position hätte bedeuten müssen, nicht bei der Vermittlung der eigenen Schwäche stehenzubleiben, sondern - gemeinsam - nach Wegen aus dieser Schwäche zu suchen und in ihrem Bewußtsein die bestmöglichen Schutzvorkehrungen zu treffen.

Auch die ewige Forderung an IZI, ein Konzept der geplanten Aktion zu liefern, sehen wir in Zusammenhang mit dem Unbehagen gegenüber der Aktion. Wir denken, daß das Konzept der Aktion von Anfang an klar war. Es ging bei der offensiven Unterbringung von Abschiebung bedrohter Flüchtlinge in der Flora darum, eine gewissen Entscheidungsspielraum für sich der eigenen Abschiebung widersetzende Menschen zu schaffen, durch ihren sichtbaren Widerstand der wachsenden Mutlosigkeit auf Seiten vieler Flüchtlinge etwas entgegenzusetzen und eine politische Zuspitzung der Positionen zu den Abschiebungen zu erreichen. Sinn machte die geplante Aktion vor allem als Anfangspunkt, in der Hoffnung, daß die Aktion aufgegriffen und ein Widerstand gegen die Abschiebungen befördert wird.

Unserer Ansicht nach ist dies mehr Konzept, als die konzeptlose deutsche Linke in den letzten Jahren irgendwann hatte. Von daher zielte die Forderung nach einem Konzept wohl ebenfalls eher auf eine Kritik an dem Maximalziel der Aktion. Falls unsere Vermutung stimmt, daß die eigentliche Basis des Konflikts die Einschätzung der Aktion als schlicht zu heikel war, wäre es ehrlicher und weit weniger zermürbend gewesen, hierüber eine Diskussion einzufordern oder sich aus der Umsetzung der Aktion rauszuhalten.

P.S. Noch eine Anmerkung zum Text von Finn. Sein Vorwurf der StellvertreterInnenpolitik ist uns leider ein Rätsel geblieben. Uns ist weder klar, gegen wen sich dieser Vorwurf richtet, noch, was er bezweckt. Dürfen nur akut von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge dagegen kämpfen? Sollte sich die deutsche Linke besser gar nicht zu Abschiebungen verhalten? Welche Art der antirassistischen Praxis bevorzugt Finn?

Auch hier folgt wieder der Hinweis auf die zu unterstützende Selbstorganisation. Aber Vorsicht, dies gilt nicht für Flüchtlinge, die sich bereits organisiert haben, denn: "Unterstützung von Selbstorganisation kann eben niemals die Unterstützung einer Organisation sein". Also: erst Selbstorganisation fordern, dann organisierten Flüchtlingen die Unterstützung verwehren. Hier erübrigt sich ja wohl jeder Kommentar.

Andere aus der Öff-AG

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