PROZESS GEGEN BUCHLADEN IN DER OSTERSTRASSE

"-- Die deutschen Censoren - - - - - - -Dummköpfe - - - - - - - - - "
Mit diesen ironischen Auslassungszeichen kommentierte Heinich Heine 1827 die Aktivitäten des "Preußischen Zensurkollegiums".
Dieses Gremium existiert heute nicht mehr, auch ist Zensur offiziell abgeschafft; das bedeutet aber nicht, daß es sie nicht mehr gibt.

Polizei und Staaatsanwaltschaften gehen auch 170 Jahre später mit penetranter Regelmäßigkeit gegen linke Medien und Buch- oder Infoläden vor. Die Arrlässe und Vorwände wechseln, aber immer ist das Ziel, unliebsame Veröffentlichungen und freie Diskussionen zu unterbinden: In den 50er Jahren wurden Zeitungen der illegalisierten KPD verboten, in den 60er Jahren traf es Veröffentlichungen der Studentenbewegung, in den 70er Jahren waren die Infoblättter dran, unter anderem mehrmals die Zeitschrift radikal. 1995 wurden erneut Buchläden wegen der radikal durchsucht. Einige der angeblichen HerausgeberInnen der Zeitschrift wurden eingeknastet. Aber nicht zuletzt die breite Solidarität mit den vom radikal-Verfahren Betroffenen führte dazu, daß dieses mit jahrelangen Observationen und Lauschangriffen groß aufgezogene Verfahren derzeit juristisch von einem "Terroristenprozeß" zu einem Verfahren minderer Bedeutung schrumpft.

Am 13. 2. 97 wurde in Hamburg der Buchladen in der Osterstraße und die Wohnung eines der zwei GeschäftsführerInnen vom Landeskriminalamt durchsucht. Gesucht wurden Exemplare der Interim Nr. 399, sowie Lieferscheine und Rechnungen, die Auskunft über die Lieferanten der Interim geben. Im April bekamen die beiden Beschuldigten jeweils einen Strafbefehl über DM 3200.-. Nachdem dagegen Widerspruch eingelegt wurde, ist eine Hauptverhandlung für den 12.8.97 vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin terminiert worden.
Im Juni 97 holte der Berliner Innensenator - im Zuge der politischen Bestrebung, Berlin zu einer "sauberen" Hauptstadt zu machen, zu einem großen Schlag gegen die seit zehn Jahren in Berlin erscheinende Interim aus. Mit bombastischen Aufwand von 500 Polizisten und Staatsschützern wurden Anfang Juni ein Dutzend Wohnungen und eine Druckerei durchsucht, und mehrere Personen vorläufig festgenommen. Die Vorwürfe sind juristisch gesehen eher geringfügig: es geht um "Billigung oder Aufforderung zu Straftaten", weil in der Interim u.a. Erklärungen zu Anschlägen abgedruckt und diskutiert wurden. So wurden in einer inkrimierten Nummer mit dem Schwerpunkt Stadtentwicklung neben Beiträgen zu Städtebau in Berlin und Europa, feministischer Kritik an Wohnungspolitik, Migration, Castor-Tranporten auch eine Bastelanleitung zur Herstellung von Brandsätzen und ein BekennerInnen-schreiben zu einem Brandanschlag veröffentlicht.

Die Gerichtsverhandlung am 12.8.97 gegen die GeschäftsführerInnen des Buchladens in der Osterstraße ist der erste Prozeß, der sich gegen den Verkauf der Interim richtet. Mit ihm wird versucht, die staatlichen Zensurabsichten durchzusetzen: BuchhändlerInnen sollen gezwungen werden, sämtliche Bücher und Zeitschriften so zu lesen, daß sie strafrechtlich relevante Äußerungen erkennen und die betreffenden Publikationen aus dem Verkehr ziehen: Selbstzensur ist erwünscht - bei Verweigerung flattert der Strafbefehl.

Dies ist der erste Prozeß wegen Vertrieb der Interim. Mit einer Verurteilung soll für weitere Verfahren gegen Buch- und Infoläden der Boden bereitet werden. Außerdem soll im Rahmen dieses Verfahrens eine juristische Handhabe gegen die angeblichen RedakteurInnen und DruckerInnen der Interim hergestellt werden. Daher ist der an sich eher kleine Prozeß von größerer Bedeutung. Bisher ist die Interim als Zeitschrift nicht verboten; ermittelt wurde wegen einzelner Beiträge in einzelnen Ausgaben. Niemand, der/die sie vertreibt, kann bisher allein schon deshalb belangt werden.
Es geht in diesem Prozeß gegen Zeitschrift und Buchhandel um politische Gesinnung. Verfolgt werden Schriften, die praktische Konsequenzen haben können. Gedanken, die nicht nur ausgesprochen, sondern auch ausgeführt werden, weil sie aufklären, weil sie die Möglichkeit zum Widerstand aufzeigen und damit Bereitschaft zum Handeln wecken.

Linke Verlage und Buchläden haben es seit ihren Anfängen Ende der 60er Jahre geschafft, die Meinungs- und Informationsmonopole dieser Gesellschaft zu unterlaufen. Sie sind Gegenöffentlichkeit:
Wir linke Hamburger Buchprojekte stellen klar, daß wir eine Beschränkung von Gegenöffentlichkeit nicht hinnehmen werden. In den Massenmedien, aber auch in den Programmen etablierter Verlage und in den Sortimenten bürgerlichen Buchhandels war und ist diese kaum zu finden. Berichte und Meinungen von Gruppen und Individuen, die das herrschende Gesellschaftssystem von links kritisieren, sind allen Interessierten zugänglich zu machen. Wir erklären uns solidarisch mit dem Buchladen in der Osterstraße und all denen, gegen die nun in Berlin wegen der Interim vorgegangen wird. Wir werden über den aktuellen Stand des Verfahrens weiter informieren.
Praktische Möglichkeiten der Solidarität: Bücher generell bei linken Buch- und Infoläden kaufen oder bestellen: Je ökonomisch sicherer die Projekte sind, desto stärker können sie politisch sein. - Die Interim oder auch andere kriminalisierte Zeitschriften lesen, diskutieren und kritisieren, und vielleicht selbst weiterverbreiten - Für die Prozeßkosten Geld auf das Spendenkonto einzahlen


Spendenkonto:
Sonderkonto R
Postbank Hamburg 200 100 20 Kto.-Nr. 3915 03 - 203
Termin:
12. August 1997 10.00 Uhr
Amtsgericht Tiergarten
Turmstr. 91
2. Stock, Zimmer 571
Berlin

Kontaktadresse:
Buchladen in der Osterstaße Tel. 4919560
Cafe & Buch, Karoviertel * Buchhandlung im Schanzenviertel * Buchhandlung Nautilus * Buchhandlung Seitenweise, Hamm * Verlag Libertäre Assoziationen * Buchladen in Osterstraße * Schwarzmarkt Infoladen
V.i.S.d.P.: Roswitha Büttner, c/o Buchhandlung im Schanzenviertel

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