Zur Vergewaltigung im Wendland

Zwischenbericht aus Berlin

Seit Mai trifft sich in Berlin regelmäßig ein Kreis von Frauen und Männern aus verschiedenen Anti-Atom-Zusammenhängen, um sich mit der Vergeiwa1tigung bewährend der Castor-Widerstandstage NIX3 Anfang März in Gusborn (Wendland) auseinanderzusetzen. Auch in einigen anderen Städten gibt es Treten und Gespräche zu der Vergewaltigung und dem weitgehend kollektiven Nichtverhalten der im Wendland versammelten Menschen. Anläßlich der bevorstehenden Widerstands-Camps während der Sommermonate und der Alr Herbst anstehenden NIX MEHR-Aktionen in Ahaus und Krümmel wollen wir hier einen Zwischenbericht über den Stand unserer Diskussionen abgeben.

Es geht uns zum einen um die Herstellung von Transparenz über die bisherigen Geqmäche, zum anderen wollen am der Forderung des Diskussionsbeitrages einn FrauenLesben-Gruppe aus Uelzen. Lüneburg und dem Wendland nachkommen, "konkrete Positionen und Handlungsan-sätze zu erarbeiten, die weder bei der einzelnen Tat stehen bleiben noch erst bei dem Extrem von sexualisierter Geivalt gegen Frauen ansetzen." (Papier von Frauen Lesen "Zum Umgang mit der Vergewaltigung während der CASTOR-Aktionstage im Wendland - ein Diskussionsbeitrag" in der INTERIM 424)

Außerdem wollen wir die Auseinandersetzung mit mehr Leuten als bisher erreichen und ausdrücklich noch mal dazu auffordern, sich zu beteiligen.

Bei der folgenden Zusammenfassung haben wir versucht, die manchmal etwas unzusammenhängende Gespräche etwas zu systematisieren und die Kerngedanken herauszufiltern. Manchmal haben ivir auch etwas interpretiert, hoffentlich nicht völlig gegen die ursprüngliche Absicht, und auch nicht alle Fäden aufgenommen die im bisherigen Verlauf gesponnen worden sind. Zu uns - den Protokollanten - sagen wir am Schluß des Textes noch kurz etwas.

Ausgangspunkt der (gemischtgeschlecht-lichen und öffentlichen) Berliner Treffen war es, das Schweigen und Nichtverhalten seitens des Anti-Atom-Widerstands und der sich darin bewegenden autonomen Zusam-meahänge zu thematisieren und dadurch vielleicht zu durchbrechen. In der Einladung zum ersten Treffen wurde dazu ausgesagt: "Es kann nicht darum gehen, etwas Versäumtes nachzuholen oder "wiedergut-zumachen". Aber wir können versuchen. den Umgang mit der Vergewaltigung im Wendland zum Anlaß zu nehmen, um unser mehrheitliches Nichtverhalten zu reflektieren und nach den Ursachen zu stehen. Wir sollten uns die Frage stellen, warum uns die Vergewaltigung offenbar so innig beschäftigt hat und was das mit unserem Verständnis von Widerstand und Kollektivität zu tun hat." (Text von einigen Männern aus Berlin "Zum Umgang mit der Vergewaltigung im Wendland - Einladung zur Auseinandersetzung" in der INTERIM 421)

Zum ehesten Treffen kamen ca. 25 Menschen, die nachfolgenden, im zweiwöchentlichen Turnus anberaumten Treffen waren deutlich geringer besucht. Kontinuierlich sind 10-15 Menschen dabei, davon ca. 1/3 Frauen, 2/3 Männer. Gleich bei dem ersten Treffen zeigte sich unterschiedliche Ansprüche an die Gruppe. Die Breite der Vorstellungen reichte von der Planung von konkreten (Re)Aktionen über Handlungsansätze zur Verankerung antipatriarchaler Praxis im 'Widerstandsalltag' bis hin zu einer selbstkritischem und an unserem eigenen Nichtverhalten orientierten Bewegungskritik.

Mit letzterem haben wir angefangen, weil es den meisten darum ging zu benennen und zu verstehen, woran sich unser konkretes Verhalten im Wendland festmachen und erklären läßt. Einige leben erzählt, wie in ihren Gruppen mit der Nachricht von der Vergewaltigung umgegangen wurde, was geredet und besprach n wurde und wie ihre Wahrnehmung im Gusborn-Camp gewesen ist. Dabei kamen viele übereinstimmende und ähnliche Aussagen nun Vorschein: Die Nachricht hätte zunächst zu Betroffenheit geführt, der so dann aber Ratlosigkeit und Beschweigen gefolgt sind. Kaum eine Gruppe hatte längere Zeit über Möglichkeiten des Umgangs diskutiert oder für sich entschiede, sich um konkretes Verhalten Gedanken zu machen. Stattdessen vertrauten die meisten darauf, daß sich schon Leute darum Lämmern würden und es erstemal FrauenLesben-Zusammenhänge gäbe, die schon deutlich machen würden, Was passieren soll. Nach einer Art 'autonomer Logik' wurde den Leuten, die mit der Frau in Kontakt standen, die Verantwortung für den weiteren Umgang und die mögliche Reaktion des Camps zugeschoben. Einen eigenen Handlungsbedarf sah fast niemand in der Situation. Einige erklärten sich ihr Nichtverhalten auch aus der konfrontativen Situation: die Fixierung auf den CASTOR bzw. dessen möglichst effektive Verhinderung sei u! unseren Köpfen und Herzen' nahezu total gewesen, anderen Widersprüchen sei kein Raum geblieben. Dabei gab es die Übereinstimmung, daß es auch Zusammenhänge, die sich eigentlich mit dem Geschlächterverhältnis beschäftigen (wollen/wollten), nicht geschaft haben. theoretische Absichten in eine Handlungspraxis umzusetzen. Schon an ganz banalen Sachen, wie z.B. das die z.T. widersprüchlichen Informationeu/Gerüchte nicht durch Nachfragen oder Ansprechen der sich kenntlich machenden Menschen geklärt worden sind, wurde das deutlich. Vereinfacht wurden als Mechanismen genannt: Verdrängung der Tat aufgrund der Anspannungund der Allgegenwärtigkeit des Widerstands gegen den bevorstehenden Transport, Abschiebung der Verantwortung an FrauenLesben brav. das Umfeld der Frau, Ratlosigkeit wie einzelne etwas machen können und Sprachlosigkeit. Nicht geäußert wurde ein generelles Desinteresse an der Vergewaltigung.

Auch die selbstkritische Beleuchtung der 'Erlebnisberichte' und Erzählungen, die nach der Rückkehr aus dem Wendland die Runde machten, kamen weitgehend ohne die Vergewaltigung aus - erst nach dem Bekanntwerden des Todes der Frau gab es plötzlich ein Erinnern und Thematisieren der Tat.

An diese ernüchternde und deprimierende Beschreibung schlossen sich für uns Fragen nach Alternativen an. "Was hätten wir tun können?", "Wo wäre welches Handeln wichtig und sinnvoll gewesen?", "Welche Versäumnisse hätten wie vermieden werden können?" usw. Dabei kamen auch Sachen zum Vorschein, die es im Gusborn-Camp gegeben hat wie die Tragen an Männer", die an der Pinwand am Infozelt gestellt worden sind. Hauptsächlich aber ging es um Versäumtes: So gab es keine Camp- oder Städteplenas speziell zu der Tat, wo event. Aktionen oder ein Handeln thematisiert wurde. Auch eine Auseinandersetzung mit dem hinter der Vergewaltigung stehenden Geschlechterverhältnis und den Strukturen im Camp fand nicht mal im Ansatz statt. Auf die Nachricht von der Vergewaltigung in den Plenas folgte betroffenes Schweigen, dem dann der nächste Tagesordnungspunkt ein Ende setzte. Niemand hakte nach, niemand begann mit der Frage: "Was bedeutet das? Was machen wir?" Statt den permanenten Widerstandszustand' auszusetzen und dem Umgang mit der Vergewaltigung Raum zu geben, wurde er erstickt und umgangen. Vielen (Männern) reichte das Autokennzeichen, um klar zu kriegen, was jetzt passieren müsse: wenn der Wagen auffällt - dann los. Über dieses plumpe, unter Männern fast verschwörerisch abgecheckte Wir-Wissen-Was-Zu-Tun-Ist wurde nicht hinausgekommen, tatsächlich ist dann auch nichts passiert. Das Fehlen von einem sichtbaren Ausdruck von Wut und Trauer über die Tat, keine Transpis, Sprühaktionen, Kundgebung usw. (was bei anderen Sachen, wie z.B. Fascho-Übergriffe üblich gewesen wäre) hat der Frau kaum das Gefühl gegeben, ihre Situation würde mehr als ein paar Menschen berühren. Auch daß die Frau ziemlich alleine gelassen wurde und es kaum Menschen gab, die sich um sie gekümmert haben, wurde kritisiert.

Schnell wurde bei diesen Fragestellungen und der Suche nach Antworten klar, daß sich für Frauen und Männer unterschiedliche Handlungsperspektiven ergeben, es aber auch eine Schnittmenge an gemeinsamen Möglichkeiten gibt. Umstritten blieb, in wieweit in einem gemischtgeschlechtlichen Kreis das Verhalten von FrauenLesben-Gruppen kritisiert werden kann oder ob das nur in Diskussionen unter FrauenLesben stattfinden kann. Klar schien zu sein, daß Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht "Frauen-sachen,' sind und sich Männer damit auseinandersetzen müssen. Für viele der anwesenden Männer war es wichtig herauszufinden, wie und bis wohin sie sich einbringen können, denn es gab die Befürchtung, daß Männer sich zu sehr einmischen und Feen die Entscheidungsmacht streitig machen könnten, was passieren soll. Die am der Unsicherheit entstehende Sehnsucht nach klaren Regeln oder Vorstellungen, bis wohin mann gehen darf, was geht und was nicht, usw. drückte sich auch in Vergleichen aus: Wir ('die Autonomen') wären auf alles vorbereitet und wüßten oft was z.B. im Falle von Repression, Hausdurchsuchung, Spitzel, Faschos usw. zu tun wäre, nur eben bei einer Vergewaltigung nicht. Dagegen wurde schließlich dar Begriff der Sensibilität stark gemacht. Nicht ein universelles Konzept könne die Lösung sein, sondern das kollektive Entwickeln von Sensibilität im Umgang miteinander, eine genauere und aufmerksame Wahrnehmung, des und der anderen Menschen und eine Bewußtmachung patriarchaler, sexistischer Strukturen. Von Frauen wurde gewünscht, daß Männer mehr Bereitschaft signalisieren und ihr Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und Männergewalt kenntlich machen. Männer sollten sichtbar machen, daß sie Aufgaben übernehmen würden und für Frauen ansprechbar sind. Sensibilität für patriarchale Strukturen und sexistisches Verhalten statt Mackergehabe, Checker-Allüren und Coolness ebenso wie eine Alibi-Betroffenhet und klassische Gefühlsarbeitsteilung. Kritisiert wurde nochmals, daß viele ihre Gedanken, Wut und Trauer nicht nach außen gezeigt hätten und so gemeinsames Reden und Handeln möglich geworden wäre.

Einige Frauen thematisierten mehrfach den Wandel ihrer Wahrnehmung des Widerstands im Wendland und der Sicherheit, die sie vor der Vergewaltigung dort spürten. Sie hätten sich vorher nicht vorstellen können, daß es dort zu einer Vergewaltigung kommen würde, waren darauf nicht vorbereitet und dadurch auch z.T. überfordert. Spaziergänge alleine im Wald, alleine Trampen, Zelten in gemischten Camps oder etwas Abseits ... alles was vorher eher unproblematisch schien), steht nun mehr denn je in Frage. Auch andere sexistische Vorfälle, Sprüche, Pöbeleien, alkoholisierte Typen usw. rücken jetzt stärker ins Bewußtsein und die eigentlich bekannte Feststellung "Alle Männer sind potentielle Vergewaltiger" kehrte brutal in die Widerstandsgegenwart zurück. Die Sicherheit von Frauen wurde - nicht nur durch die Tat, sondern durch den Nicht-Umgang ebenso - erschüttert.

Auf den letzten Treffen wurde zunehmend versucht, die gemeinsamen Erkenntnisse in ein auf die Zukunft gerichtetes fIandeln zu verwandeln. Es schien Einigkeit dahingehend zu bestehen, daß wir nicht ohne ein bewußtes, organisiertes Thematisieren eine Widerstandsatmosphäre schaffen könnnen, in der die Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen und den sie erzeugenden patriarchalen Strukturen als wesentlicher Bestandteil verankert ist. Da weder eine Beschäftigung mit dem Geschlechterverhältnis noch eine notwendige Sensibilität und kollektive Verantwortung im Umgang mit Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt in der AntiatomBewegung zur Zeit selbstverständlich sind, noch davon ausgegangen werden kann, daß sich daran von heute auf morgen etwas ändern wird, halten wir eine direkte Anlaufstelle in den Camps für von Männergewalt betroffene Frauen für wichtig (in der INTERIM 427 haben Autonome Anarchachafeministinnen/ GDA eine Art "psychosozialen Notdienst" vorgeschlagen). Außerdem ist es unseres Erachtens einen Versuch wert, den oben beschriebenen Widerstandsrhytmus - die Fixierung auf den 'Kampf gegen den CASTOR- mit Workshops in) den Cannes zu den Themen Patriarchat, Geschlechterverhältnis, sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Mackerverhalten usw. zu durchbrechen und so der Verdrängung und Verschiebung dieser Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen entgegenzuwirken. Aus der Erfahrung, daß eine allgegenwärtige kritische Reflexion und ein ebensolcher Umgang nicht selbstverständlich ist, folgt für uns, das wir diese Beschäftigung organisieren und iii unawartet konkreten 'Widerslandsalltag' hineinholen müssen. Auch hier stand wieder schnell fest, daß Frauen und Männer z.T.. unterschiedliche Herangehensweisen und Handlungsmöglichkeiten haben. Von Männerseite wurden Vorschläge wie Flugbläter zum 'Thema Männergewalt /Mackerverhalten und die verstärkte Arbeit in Männerpuppen gemacht. Eine tiefergehende, über Lippenbekenntnisse hinausgehende Beschäftigung mit den eigenen sexistischen Verhaltensweisen könne ohnehin nur in länger arbeitenden Gruppen versucht werden. Außerdem gab es Überlegungcn, wie die allgemeine Anonymität und Unüberblickbarkeit der Camps zugunsten eines eher kollektiven Zusammenkommens verändert werden könnte. Die Kritik an den olm wivcrbindlichcn und schlecht vorbereiteten Plena führte zu dem

Wunsch noch einer besser strukturierten Vernetzung. Eine Anlaufstelle für allein Angereiste ebenso wie ein Einbinden möglichst vieler in die Strukturen statt ein Nebeneinander ohne Bezug zu den Leuten ringsherum standen als Vorschläge im Raum. Viele dieser Gedanken und Ich sind noch nicht konkret genug, um genauer vorgeschlagen zu werden. Wir werden aber versuchen, auf einigen Sommerveranstaltungen der Anti-Atom-Bewegung darüber zu diskutieren.

Zur Kenntnis genommen und ein bißchen diskutiert haben wir den Kommentar einiger FrauenLesben, die in der INTERIM 424 "revolutionäre grüße aus der Separation" an vermutlich auch uns richteten. Wir sind uns der Begrenztheit unserer Diskussion und der Geschichte ähnlicher Diskussionen der letzten zwanzig Jahre bewußt, auch wenn viele von uns noch nicht so alt sind, als daß sie diese Erfahrung selbst machen konnten. Trotzdem die Geschichte der gemischtgeschlechtlichen Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und sexualisierter Gewalt, Vergewaltiung und Mak-kerverhalten eine ständige Wiederholung von Fehlern, folgenlosen Diskussionen / Gelaber und Betroffenheitskult ist, wissen wir uns keinen anderen Rat als es weiter zu versuchen und auch bei Null wieder anzufangen, wenn dies der Stand der Bewegung ist.

Noch ein paar Worte zu uns. Wir halten die drei "Eckpfeiler" für den Umgang mit Vergewaltigungen, wie sie die FrauenLesben in dem oben schon exilierten Diskussionspapier formulieren, ebenfalls für grundlegend. Die Bennungs-/Dehnitionsnuchl einer von sexualisierter Männergewalt betroffenen Frau darf nicht durch Spekulationen oder die Forderung nach Details infrage gestellt werden. Auch als Männer, die eine Auseinandersetzung mit "sexualisierter Gewalt und ihrer gesellsellschaftlichen Dimension" führen wollen, bleiben wir potentielle Vergewaltiger. Die Rolle von Männern in dieser Auseinandersetzung bleibt unseres Erachtens nach wie vor ambivalent. Eine Beschäfftigung mit patriarchalen Gewaltstrukturen - besonders ihrer eigenen Täterschaft - ist für Männer absolut notwendig, ebenso wie eine Orientierung an den Forderungen von Frauen-Lesben und an feministischer Theorie. Gemischtgeschlechtliches Handeln gegen Vergewaltigung und Männergewalt stößt an Grenzen, wo Männervorstellungen zu dominieren beginnen und die Autonomie von FrauenLesben-Aktionen einengen. Als Männer in dieser Diskussion wollen wir uns hier aber nicht unsichtbar machen und die Verantwortung nicht wieder Frauen Lesben überlassen.

Das nächste Treffen findet am Dienstag,

den 5. August 1997 um 20 Uhr im Kato

(U-Bhf. Schlesisches Tor) statt.

Einige Männer aus Berlin

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