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Nochmal zu den Durchsuchungen wegen der Interim

Am 12. Juni 1997 um Punkt 10 Uhr vormittags durchsuchten fast 1000 Bullen in den Berliner Bezirken Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln 9 Häuser bzw. Wohnungen und zwei Druckereien Sie hatten Durchsuchungsbefehlen gegen 13 Frauen und Männer im Alter von 29 bis 44 Jahren, aber keinen Haftbefehl. Begründet waren diese Beschlüsse alle gleichlautend mit der Suche nach Materialien, die zur redaktionellen Arbeit, der Herstellung oder der Verbreitung der Interim dienen aufgrund eines Paragraphen, der die "Billigung und Belohnung von Straftaten" unter Strafe stellt.

Die Durchsuchungsbefehle waren bereits am 14. Mai ausgefertigt worden. Sie bezogen sich speziell auf die Nummern 406, 409 und 411 ohne genaue Beschreibung der jeweiligen Textstelle.

In drei Häusern wurden die Eingangstüren ohne Vorwarnung aufgebrochen, in zwei anderen stürmten die Bullen mit vorgehaltener Knarre in verschiedene Wohnungen. Von den 13 Beschuldigten trafen sie 7 Personen an. Deren Wohn--, Neben- und Geschäftsräume wurden intensiv mehrere Stunden lang durchsucht. Die Bullen drehten jedes Blatt um und waren speziell auf der Suche nach Interims ab der Nummer 400. Zusätzlich suchten sie Druckvorlagen und anderes Layout- und Textmaterial, nahmen aber auch sämtliche Telefonnummern mit, die sie fanden. In einigen Fällen weiteten sie die Durchsuchungen auf zahlreiche NachbarInnen aus, wo sie meinten, daß die Beschuldigten vielleicht Zutritt hätten. So wurden von etwa 80 Menschen die Wohnungen oder Zimmer genau durchsucht. Noch einmal soviele wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder deren Personalien kontrolliert. Insgesamt wurden in den Wohnungen einige hundert Interims aus den jeweiligen Sammlungen beschlagnahmt. Sehr interessiert waren sie an Computern aller Art, die in den Häusern herumstanden. Sechzehn vollständige Computer und über 2000 Disketten wurden an diesem Tag mitgenommen, selbst die Tastaturen, Drucker und Monitore. Zusätzlich zahlreiche Papiere und Zeitschriften und unzählige Notizen über private Kontakte aller Haubewohner Innen. Die Räumlichkeiten wurden überall genauestens auf Video gebannt und unzählige Male von allen Seiten fotografiert. Zum Teil zogen Vermessungstrupps durch die Wohnungen zur Vorbereitung der nächsten Aktionen. Viele schöne Graspflanzen wurden Opfer der zu frühen polizeilichen Ernte. Teilweise besichtigte die Bewag die Stromanlagen der Häuser auf der Suche nach zusätzlichen, versteckten Sicherungskästen.

Die Durchsuchung richtete sich zusätzlich gegen zwei Menschen wegen des Schönbohm-Plakates "Meister Proper". Diese beiden und die sieben angetroffenen Beschuldigten wurden dann festgenommen und zur neuen Kripo-Zentrale und GefangenenSammelstelle am Tempelhofer Damm gebracht. Dort wurden sie nach einigen Stunden ED-behandelt. Zum Ende der Ermittlungen an diesem Tage wurden alle zwischen 17 und 19 Uhr entlassen. Beim Verhör, wo niemand etwas sagte, wurde die Beschuldigung mittels eines kopierten Formblattes ergänzt. Straftaten wären also in-allen Nummern zwischen 400 und 415 und zusätzlich in der Nr. 420. Neben der Belohnung und Billigung noch die Aufforderung zu Straftaten, Verunglimpfung des Staates und diverse Beleidigungen wichtiger deutscher Persönlichkeiten.

Von der Durchsuchung waren auch zwei Druckereien betroffen. In der einen wurde nach Druckvorlagen von der Interim und einigen Plakaten gesucht. Beschlagnahmt wurden dort Platten von einem Plakat, das den Polizeieinsatz gegen die inzwischen schon berühmte Landowsky-Parole zeigt, und diverse andere Papire.

In der andrem Druckerei wurde niemand angetroffene aba umfangreiches Material beschlagnahmt, wie es schon in da Interim Nr. 425, Seite 31, aufgelistet wurde. Hier hatte die Stabsanwaltschaft drei Tage vor-her einen Beschlagnahmebeschluß gegen sämtliche Druckmaschinen erwirkt, da mit ihnen die Interim hagestellt Werde. Diese Beschlagnahme wurde nicht ausgeführt, wäre aba rechtlich an diesem Tag kein Problem gewesen. Stattdessen wurde um-fangreiches Material aus diesen Räumen herausgeschleppt, vor allem ein großer Teil der Auflage der aktuellen Nummer 424. Laut Durchsuchungsbericht 750 Exemplare in mehreren Säcken und noch zahlreiche ungeheftete Einzelblätter. Diese Beschlag-nahme war nur möglich, weil die Bußen mit einem druckfrischen Exemplar schnell zum Amtsgericht gerannt sind. Der zuständige Richter hat dann festgestellt, daß eine Seite einen strafbaren Inhalt hätte. Und zwar han-delt es sich um einen Aufruf zu eina Anti-AKW-Demo in Greifswald gegen die Grundsteinlegung für einen neuen For-schungsreaktor. Zusammen mit dem militan-ten Layout der Seite (vorwärtsstürmende DemonstrantInnen) und der Aussage "Auf zum Grundsteinklaus sei dies ein Aufruf zum schweren Landfriedensbruch, führt der Richter aus. Allerdings, so weiter, könnte der Beschlagnahme abgeholfen werden, wenn diese Seite aus der Internen entfernt würde. Über das Procedere der Entfernung schreibt er aber kein Wort. Die Bullen haben Jederhalls unseres Wissens nach diese Seite bisher noch nicht rausgerissen und das Heßt dann an die Verkaufsstellen ausgeliefert. Mit dieser rechtlichen Konstruktion kann nach Einflohätzung von AnwältInnen übrigens fast jeder Demoaufruf beschlagnahmt werden, auch wenn der Vorwurf sich später vor Ge-richt in Luß Aßösen würde.

Nach einem Bericht in der taz wurde von der Nr. 424 ein kleiner Teil der Originalauf-lage auf dem Postweg verschickt. Sie war auch problemlos in einigen Läden zu erhalten. Am nächsten Tag erschien eine etwa halb so lange Notausgabe mit den wichtigsten Inhalten dieser Nummer. Der Verkauf der aktuellen oder der älteren HeRe wurde nirgendwo behindert. Ebenso hatten die Postadresse und die presserechtlich Verantwortliche keinen unangenehmen Besuch bekommen.

Gegen die 6 Menschen, die bei den Durch suchengen nicht angetroffen wurden, liegt kein HaRbefehl vor. Sie wurden seitdem nicht durch polizeiliche Maßnahmen belästigt.

Von einigen Beschuldigten wurde der Beschlagnahme aller Gegenstände unweltlich widersprochen, auch der aus beiden Druckereien. Am letzten Tag der darauffolgenden 14tägigen Frist erwirkten die Bullen einen richterlichen Beschluß, daß die vollständige Beschlagnahme rechtens wäre. Nach drei Wochen wurden lediglich die ersten zwei der sechzehn Computer zurückgegeben, al-lerdings erst, nachdem vonständige Kopien aller Daten gezogen wurden. Akteneinsicht gibt es bisher noch nicht, obwohl der Rich ter dies den AnwältInnen schon zugesagt hat.

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