Mit Herz und Hirn zum CSD 97

Der 100. Geburtstag: Grund zum Feiern?

Nach den großartigen Erfolgen der letzten Jahre wollen wir uns auch 1997 nicht von SVD, Mann-O-Meter und Sonntagsclub für eine Parade vereinnahmen lassen, die nichts mit ihrem Anlaß, dem AUFSTAND VON STONEWALL, zu tun hat.

Vielmehr haben wir den HERZ MIT HIRN-Block organsiert, mit welchem wir gegen die BürgerRECHTSpolitik der drei genannten Vereine, gegen deren Anbiederung an eine patriarchale Gesellschaft und gegen die Kultivierung schwulen und lesbischen Spießbürgertums protestieren Für einen politischen, vielfältigen, basisdemokratischen und nicht-kommerziellen CSD!

Selbertreten statt Stellvertreten

Auf eine hundertjährige Geschichte blickt hierzulande die Schwulenbewegung in diesen Wochen zurück. Ihr Ergebnis sind anhaltende Diskriminierung und Ressentiments auf der einen und eine neue schwul-lesbische Konsumvielfalt auf der anderen Seite. Doch der Kampf um Emanzipation, die Loslösung von bestehenden Herrschaftsstrukturen, gerät zunehmend aus dem Blickwinkel lesbisch-schwuler Politik. An seine Stelle rückt eine nur auf Integration in das bestehende System gerichtete Politik.

Dabei ist sicher, daß in einer Gesellschaft, in der die Folgen der kapitalistischen Produktionsweise zu Lasten wirtschaftlich Schwächerer gehen, Minderheiten zu Sündenböcken gesellschaftlicher Verwerfungen gestempelt werden.

Deshalb bleibt auch in Zukunft die Vision einer anderen Gesellschaft eine politische Perspektive.

Gerade anläßlich des Christopher Street Day wird die Notwendigkeit radikaler Politikansätze deutlich. Waren es doch die Ausgestoßenen, die Minderheit in der Minderheit, die Lesben, Tunten und Transen, die sich nicht in die bestehende Ordnung pressen lassen wollten. Der schwule Bürger hingegen wird sich immer in seine geschmackvoll eingerichtete Nische zurückziehen können. Gehörte es einst zum lesbisch-schwulen Lebensstil nicht heiraten zu wollen, fordern entpolitisierte Lesben, die sich längst von feministischen Ideen verabschiedet haben und die schwulen Biedermänner jetzt die sogenannte "Homo-Ehe". Damit wird nicht nur das Heteromodell kopiert, auch werden die ausgegrenzt, die nicht heiraten wollen oder können. Ebenso war es früher eine Selbstverständlichkeit, gegen Diskriminierung und Abschiebung von AusländerInnen und MigrantInnen zu sein - heute fordert der SVD lediglich die Anerkennung sogenannter "binationaler Paare". Galt es früher als "schwulenfeindlich", auf Kosten anderer durch den Betrieb schwuler Konsumeinrichtungen Geld zu verdienen, gilt es heute als "schwulenbewegt" gegen Wettbewerbsnachteile einer "Pride-Telekom" sein. Dieser von einigen forcierte und von vielen geduldete Seitenwechsel macht die Lesben und Schwulen spaltbar und normiert die verschiedensten lesbisch-schwulen Lebensweisen nach einem bürgerlichen Gesellschaftsbild. Kosten der angeblichen Freiheiten sind die Ausgrenzung und Stigmatisierung derjenigen aus der "Bewegung", die nicht in das bürgerlich-patriarchale Lebensmodell passen. Dieser Entwicklung stellen wir die Idee einer emanzipatorischen Gesellschaft entgegen, in der jedeR frei und selbstbestimmt leben kann. Mit der Bildung des "Herz mit Hirn"-Blockes protestieren wir gegen die Kommerzialisierung des Christopher Street Day, gegen die Vereinnahmung der lesbisch-schwulen Szene durch die Bürgerrechtsvereine SVD, Mann-O-Meter, Sonntagsclub und die anderen Beckies!

CSD bedeutet für uns Widerstand gegen die Heteronormalität, Befreiung von patriarchaler Unterdrückung, Massen-Coming-Out, Stärke zeigen, Auflehnung gegen Anpassungszwang, Kampf dem rassistischen Alltag, Kampf dem kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem!

Beherzt und mit Stonewall im Hirn treffen wir uns

Sonnabend, 28.6.97 um 12 Uhr am Savignyplatz.

Für eine freie, emanzipatorische Gesellschaft!

UnterstützerInnen: Autonomes Lesbenreferat im AStA der FU, Autonomes Schwulenreferat in der FU, Böse Tanten, Cafe Anal, Cafe Furiosa EWA-Frauenzentrum, Frieda-Frauenzentrum, h-bar, Liedstrich e.V., Lilith Frauenbuchladen, Mutvilla, Pluspunkt e.V., Queerulanten, Schoko-Cafe, SchwuZ e.V., SO36, TWO-IN-ONE (Lesben und Schwule bei der PDS) sowie Einzelpersonen


Endlich Klarheit:

Mann-O-Meter bekennt sich zu rechtem Innensenator

Stillgestanden: Der General nimmt die Schwulen-Parade ab! Vor wenigen Tagen stattete Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) dem schwulen "Switchboard" Mann-O-Meter auf dessen Einladung einen Besuch ab. Die Führungs-Crew vom M-O-M ließ anschließend selbstverliebt verlautbaren, der General habe sich interessiert und aufgeschlossen gezeigt. Der nunmehr aufgeschlossene Innensenator revanchierte sich für die freundliche Einladung, indem er den BezirksbügermeisterInnen verbot, Regenbogenflaggen vor ihren Bezirksämtern zu hissen. Wir fragen uns: Was erwartet M-O-M anderes von einem Innensenator, der für eine neue Dimension in der Bekämpfung mißliebiger Personen in dieser Stadt steht: Noch nie zuvor wurden in dieser Härte alternative Lebensformen aus der Stadt gedrängt, besetzte Häuser und Wagenburgen geräumt, Obdachlose weggekarrt, so viele Flüchtlinge abgeschoben und AntifaschistInnen verprügelt. Unter Schönbohms Regie werden alle Menschen kriminalisiert, die nicht ins Konzept der deutschen Hauptstadt passen. Einen Aufmarsch der rechtsextremen Republikaner hingegen läßt der General i.D. von mehreren Polizeihundertschaften mit Wasserwerfern und Räumpanzern beschützen.

"Wes Brot ich eß, des Red ich sprech!" Doch all das kümmert die Mann-O-Meter-Chefs nicht: Statt den Protest gegen Kürzungen bei lesbischen und schwulen Projekten und die wachsende Kritik am Sozialabbau zu unterstützen, hofieren sie den Protagonisten der sauberen Hauptstadt. Einmal mehr wird deutlich: Das vom Senat subvenionierte M-O-M vertritt allein die Interessen der Regierenden und schwuler Biedermänner, nicht zuletzt um seine zukünftige Finanzierung abzusichern, aber es disqualifiziert sich als unabhängige Interessenvertretung aller Schwuler. Ist es wirklich unser Interesse, von einem rechtsradikalen Innensenator akzeptiert zu werden? Wie müßten, "Lesbierinnen" (Schönbohm) und Schwule sein, um von Meister Propper akzeptiert zu werden? Gehorsam? Brave Steuerzahler? Konsumfreudig? Angepaßt? Wir stehen für die Vernetzung emanzipatorischer und basisdemokratischer Gruppen und sozialer Bewegungen, um gemeinsam dem weiteren Soziallabbau und gesellschaftlicher Diskriminierung zu begegnen.

Ihr Herz mit Hirn-Blöckchen

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