Fünfter Teil der EinSatz!-Serie zur Inneren Sicherheit

Bahnhöfe stadtfein(d) gemacht

Auch in diesem Jahr findet die im Herbst initiierte "Innen!Stadt! Aktion! gegen Privatisierung,Sicherheitswahn, Ausgrenzung" statt. Schwerpunkt der Aktionswoche vom 2. bis 7. Juli sind diesmal die Bahnhöfe, die neben den Innenstädten und den Fußgängerzonen am massivsten von Umstrukturierungen betroffen sind. EinSatz! widmet den fünften Teil ihrer Serie zur "Inneren Sicherheit" der Neuordnung des öffentlichen Raums Bahnhof.

BGS im Anflug auf seine neuen Freiheiten

Der Kapitalismus produziert nicht nur eine "ungeheure Warensammlung", sondern auch den öffentlichen und den privaten Raum. Seit einigen Jahren wird dies über die Umstrukturierung der Städte thematisiert, in letzter Zeit wird die Neuordnung des öffentlichen Raumes dominiert durch die "Säuberung der Innenstädte" und ihren Ausbau zu Kontroll- und Ordnungsräumen. Am stärksten betroffen sind neben den Fußgänger- und Konsumzonen die Bahnhöfe. Obwohl in aller Regel zentral inmitten der Stadt gelegen, großflächig angelegt und mit optimalen Verkehrsanbindungen an weitere Verkehrsmittel, führten die Bahnhöfe nach dem 2. Weltkrieg im Zuge des sogenannten Wirtschaftswunder und dem Ausbau des Individualverkehrs ein Schattendasein Abseits der glänzenden Innenstädte. Sie wurden zum Refugium für Marginalisierte, Obdachlose, Punks, SexarbeiterInnen, DrogenkonsumentInnen und Kleindealer. Spätestens mit der Privatisierung der Bahn sollen die Bahnhöfe aus ihrem Schattendasein als reiner Verkehrsknotenpunkt mit "Problembürgern" (Leiter der Bahnschutzgesellschaft (BSG/Nordost) Wuttke) und "sozialen Außenseitern" (Deutsche Bahn AG, Chef Heinz Dürr) heraustreten. Denn nach der Privatisierung ist die Bahn AG, größter Immobilienbesitzer der BRD, nicht länger in die Strukturen der öffentlichen Bürokratie eingebunden, sie tritt nun als selbständiger Unternehmer und Investor auf. Ziel der Bahn AG und ihrer Tochterunternehmen ist es, die Bahnhöfe zu renovieren und zu Shopping-Malls auszubauen, das Bahnhofsumfeld aufzuwerten und "ganze Stadtviertel ringsum wiederzubeleben" (Dürr), das ganze soll sicherheitspolitisch koordiniert und umgesetzt werden in enger Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Bahn AG und den Polizeien der Länder, den Verkehrsverbünden, den Stadt- und Kommunalverwaltungen und vor allem dem Bundesgrenzschutz. Denn letzterer ist seit der umfassenden Umstrukturierung des BGS nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten und der Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei auf den Bundesgrenzschutz 1992 mit seinen 40.000 Mitarbeitern auch für die Sicherheit der Bahnhöfe und des Zugverkehrs zuständig (die ehemalige Bahnpolizei ist im BGS aufgegangen). Und die Bahnhöfe samt
Jetzt willkürlich kontrollieren in schönen, neuen Bahnhöfen
Umfeld gelten im BGS-Jargon als "qualifizierte Öffentlichkeit, an denen sich Straftäter aufhalten, Straftaten verabreden, vorbereiten und verüben. Sie sind auch Anziehungspunkt für Nichtseßhafte, Süchtige und Prostituierte" (aus der Selbstdarstellung des BGS). Unter dem Motto: "Ordnungspartnerschaft – Mehr Sicherheit in Bahn und Bahnhöfen" (aus einer Mitteilung des Innenministeriums) arbeiten daher vor allem Bahn AG und BGS an der Säuberung der Bahn und dem Aufbau verschiedener Sicherheitskonzept. An erster Stelle steht das 1995 aus der Taufe gehobene 3-S-Konzept - "Service, Sicherheit, Sauberkeit"– , in das die Bahn AG 3 Milliarden Mark u.a. in ein videogestütztes Kontrollsystem investieren will. Die Bahn AG gründete zudem einen eigenen Sicherheitsdienst, die Bahnschutzgesellschaft (BSG) Schutz und Sicherheit AG mit bereits 800 Mitarbeitern, zu denen noch weitere 2.000 hinzukommen sollen. (Die Vergabe an einen einzelnen privaten Sicherheitsdienst hatte das Bundeskartellamt abgelehnt, die Bahn AG wollte aber nicht mehrere private Sicherheitsdienste beauftragen.) Ganz im Zeichen der Kontrollgesellschaft setzen Bahn, ihre BSG und der BGS vor allem auf umfassende Präsenz und Kontrolle. Überall soll die Personalstärke erhöht werden, Züge, S-Bahnen und Bahnhöfe werden in Zukunft routinemäßig "bestreift". So sind die obligatorischen Grenzkontrollen im Zuge des Schengener Abkommens zwar weggefallen, dafür geben ihm die neue Schleierfahndung, die an den Grenzen in einem Streifen von 30 km durchgeführt wird, und die "verdachts- und anlaßunabhängigen Kontrollen", die überall und jederzeit durchgeführt werden können, weitaus effektivere und umfangreichere Kontrollmöglichkeiten an die Hand. Letztere wurden im Zuge des Umbaus des BGS zu einer Art Bundespolizei, einem "deutschen FBI", am 25. Juni '98 mit Zustimmung der SPD beschlossen. Ebenfalls mit den Stimmen der SPD wurde in diesen Tagen eine bundesweite Gen-Datei beschlossen (siehe EinSatz! Nr. 30). Außerdem wird massiv auf eine unnachgiebige low-level-Repression im Stile der "zero tolerance"- Politik gesetzt: In Großstädten wie Hamburg gehen die jährlichen Bahnhofsverweise in die Zehntausende, auf den acht Berliner (S-) Bahnhöfen sogar in die Hunderttausende. Für spezielle Delikte wie Graffiti oder Kleinkriminalität werden eigene Ermittlungsgruppen und Inspektionen aufgebaut, die an den Bahnhöfen direkt vor Ort eingerichtet werden.

Der Sicherheitswahn zielt nicht allein auf die Bahnhöfe und den Zugverkehr, er steht vielmehr in Zusammenhang mit dem allgemeinen sicherheitspolitischen Umbau der Städte und der (Re-)Integration der Bahnhöfe samt Umfeld in das allgemeine Konsumgeschehen – die Bahnhöfe, zentraler Zugang der Stadt und zentral gelegen, doch bisher kaum verwertet, sollen zur Visitenkarte der City werden. Nahezu all ihre 6.500 Fernbahnhöfe will die Bahn AG in den nächsten Jahren renovieren und neu gestalten, einige Großprojekte, an denen die neue Linie bereits sichtbar wird, stehen kurz bevor (Stuttgart, Berlin, München, Saarbrücken) oder sind bereits abgeschlossen (Leipzig). Das Prinzip ist einfach: Das Bahnhofsumfeld wird an die private Wirtschaft, verkauft, die für den Umbau der Bahnhöfe in Konsumzonen sorgt, aus dem Gewinn finanziert die Bahn AG Umbau und Renovierung der Bahnhöfe. Nur die Bahnhofsvorplätze, seit jeher Sorgenkind der Sicherheitsfanatiker, sollen in ihrem Besitz bleiben bzw. aufgekauft werden, wo sie sich noch im Eigentum der Stadt befinden.

Auch in Göttingen vollzieht sich der gleiche Umbau der Bahnhöfe, ihrer Vorplätze und des Umfelds: Sitz- oder liegefähige Bänke werden gegen individuelle Sitzgelegenheiten ausgetauscht, im Zentrum des Bahnhofs wird ein Info-Service stationiert, unübersichtliche Grünanlagen und Winkel verschwinden zugunsten offener und übersichtlicher Flächen (vor allem beim Vorplatz), die unmittelbare Bahnhofsnähe wird wiederbelebt und aufgewertet (CinemaxX, Otto-Hahn-Zentrum) usw. – allein das Bezahlen vor (!) dem Betreten der Toiletten ließ sich nicht etablieren. Im Zuge der EXPO 2000 soll der Göttinger Bahnhof erneut umgebaut werden. Das noch relativ preiswerte Bahnhofsumfeld wird dadurch zum Filetstück der Stadt, das unbedingt der sicherheitspolitisch Säuberung und Absicherung bedarf – die Marginalisierten werden so Zug um Zug aus dem Zentrum der Städte – Innenstadt und Bahnhof – an die Peripherie gedrängt, der sozialen Ausgrenzung folgt die geographische.

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