Interview mit einem Angeklagten aus dem Mackenrode-Verfahren

Ein Angriff auf die Antifa-Selbsthilfe

Göttingen.Am 15. April ’98 beginnt vor dem Landgericht Göttingen ein Prozeß gegen vier Männer und eine Frau, die wegen „schweren Landfriedensbruchs" sowie jeweils einmal wegen „versuchter schwerer Brandstiftung" und „versuchten Totschlags" angeklagt sind. Die Anklagen beziehen sich auf eine antifaschistische Demonstration am 26.10. 1991 gegen das faschistische Schulungszentrum der FAP (Freiheitliche Arbeiter Partei Deutschlands) in Mackenrode, wo ein Kadertreffen der inzwischen verbotenen Partei stattfand. Nachdem die Faschisten ca. 50 Antifas angegriffen hatten, entwickelte sich eine knapp halbstündige Straßenschlacht, in deren Verlauf einige Nazis verletzt – zwei davon schwer – und mehrere ihrer Autos demoliert wurden.

Einsatz!: Die militante Aktion in Mackenrode fand vor dem Hintergrund massiven Nazi- Terrors in Göttingen und Umland statt. Wie war die damalige Situation?

Angeklagter: Die damalige Situation war von permanenten faschistischen Überfällen gezeichnet. Alle Menschen, die nicht in das Weltbild der Nazis passen, ob Schwule, Lesben, AusländerInnen, Linke, Behinderte oder Obdachlose, konnten sich in Göttingen und Umgebung nicht frei von Angst bewegen. Zusätzlich gab es Überfälle auf Wohnhäuser, Autos und das JuZI. In ein Wohnhaus im Kreuzbergring wurde eine Nebelgranate aus Bundeswehrbeständen geworfen, vor dem AStA wurden Autos beschädigt und mit Hakenkreuzen beschmiert; oder vor dem JuZI wurde eine Bombe gezündet, um nur einige Beispiele anzuführen. Desweiteren gab es fast jedes Wochenende Auseinandersetzungen in der Umgebung des JuZIs, an denen sich häufig über 30 Nazis beteiligten. Damals wurden noch Kameradschaftsabende in einer Kneipe in der Burgstraße abgehalten, was zeigt, wie offensiv die Nazis auftraten.

Koller vor Gericht:

Einsatz!: AntifaschistInnen haben auf unterschiedlichen Ebenen dagegen Widerstand geleistet. Wie sah dieser Widerstand aus?

Angeklagter: Der Widerstand gegen diesen Terror war damals breit gefächert. Unterschiedlichste Menschen mit verschiedensten politischen Ansätzen haben es damals geschafft, zusammen Formen zu entwickeln, mit denen sie ihren Widerstand gemeinsam zum Ausdruck brachten. Nachdem die Bullen unsere Freundin Conny bei einer Antifa-Aktion in den Tod getrieben hatten, bestand bei vielen Menschen ein wirkliches Interesse, gegen solche Zustände vorzugehen. In dieser Zeit gründeten sich neue Gruppen, wie z.B. die BürgerInnen gegen Rechtsextremismus, viele jüngere Leute engagierten sich in der Antifa. Gegen den rechten Straßenterror wurden Telefonketten erstellt, um schnell handeln zu können und den Nazis etwas entgegenzusetzen. Es gab mehrere Kleingruppenaktionen, hier sei nur an „Die bösen Friedhofsgeister" erinnert, die Thorsten Heise zu ein paar Zahnprothesen und anderen Blessuren verhalfen; oder die „Begehung" einer Wohnung von Nazis über der Diskothek „Pink" (heute Oper, Anm. d. Red.) in der Nikolaistraße; die Wohnung mußte danach aufgegeben werden. Später versuchten die Nazis, unter ihnen Thorsten Heise, die „aufgeräumte" Bude mit Benzin anzustecken, was glücklicherweise verhindert werden konnte. Wie üblich hatte dies keine juristischen Konsequenzen für Heise.

Einsatz!: Konsequenzen mußten die Nazis sowieso nie fürchten, zumindest nicht von staatlicher Seite…

Polacek und

Angeklagter: Nein, so konnte Karl Polacek, dem damals das FAP-Schulungszentrum in Mackenrode gehörte, eine junge Frau mit einer Axt angreifen und am Kopf verletzen, ohne dafür nennenswert verurteilt zu werden. Oliver Simon, der bei Polacek wohnte, schoß mit Leuchtspurmunition um sich, was trotz Anzeige gar nicht erst verhandelt wurde. Simon erstach Sylvester `91 in Rosdorf den 19jährigen Alexander Selchow. Nach dem Axthieb von Polacek sollte eine Demo in Mackenrode gegen diese Nazi-Umtriebe stattfinden, was nicht gelang: die Polizei beschoß die Demo mit dem damals in Niedersachsen verbotenem CS-Kampfgas. Dieser Einsatz ist bezeichnend für das Verhalten der Polizei: Immer mit dem Rücken zu den Nazis und Knüppel frei gegen Antifas. So kam es z.B. am 17.11. 1989 zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen mehreren Nazis und einigen Antifas in der Burgstraße. Einige Leute versuchten den Antifas zu helfen, aber die Auseinandersetzung war schon beendet. Die Bullen begleiteten danach die Nazis aus der Stadt, was häufiger vorkam. Die Leute, die zur Hilfe geeilt waren, wurden von den Bullen durch die Stadt getrieben. Kurz vor der Weender Landstraße stimmten die Bullen ab, ob sie die Gruppe „plattmachen" wollen, was mit einem „ja" beantwortet wurde. Daraufhin trieben sie die Gruppe mit gezogenen Schlagstöcken in den fließenden Straßenverkehr, wo Conny von einem Auto erfaßt wurde. Als Conny tot auf der Straße lag, meinte ein Bulle zu einer Frau, sie soll sich doch gleich daneben legen. Antifaschistische Selbsthilfe heißt auch immer sich gegen die Bullen wehren zu müssen.

Aber zurück zum Widerstand: Es gab auch Demos, Flugblätter, Veranstaltungen etc.; hier alles aufzuzählen, würde wohl den Rahmen sprengen. Interessant ist noch die recht zügige Ausweisung Polaceks nach der Demo vom 26.10.’91. Militante Aktionen können an bestimmten Punkten doch recht positive Auswirkungen haben, gerade wenn es darum geht, wer sich frei auf der Straße bewegen kann. Die Ausweisung Polaceks nach Österreich ist eigentlich nicht das, was wir gut finden, aber für Göttingen und Umgebung hat es doch eine Atempause gebracht. In Österreich macht Polacek weiter und scharrt wieder Jugendliche um sich. Faschismus läßt sich eben nicht ausweisen oder verbieten.

Einsatz!: Nach den Ereignissen vom 26.10.’91 wurden bei Waake Polizeisperren errichtet, bei der 15 Personen z.T. mit Pistolen im Anschlag kontrolliert wurden. Bis auf eine Ausnahme war keiner der jetzt Angeklagten in dieser Kontrolle. Wie kommt die Staatsanwaltschaft auf die Angeklagten?

Angeklagter: Von uns fünf Angeklagten war eine Person in der Straßensperre, wozu Staatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner sagte: „Das bloße in der Straßensperre gewesen zu sein reicht nicht für eine Anklageerhebung aus". Dennoch wurde am Anfang gegen die Leute aus der Straßensperre wegen §129a ermittelt. Ihnen wurden unter anderem Anschläge der letzten 10 Jahre, 52 an der Zahl, zur Last gelegt, was für eine Person, die zu diesem Zeitpunkt erst 13 Jahre alt war, hieß, daß sie schon mit drei Jahren einer „terroristischen Vereinigung" angehört haben soll. Die Nazis wurden relativ ergebnislos von der Göttinger Polizei befragt, worauf das LKA eingeschaltet wurde. Das LKA ermittelte nach dem §129a, wodurch es kein Problem war, Wohnungen zu observieren, Telefone abzuhören, Postsendungen durchzulesen und Leuten hinterher zu schnüffeln. Im Zuge der Ermittlungen ist das LKA dann auf die Antifa (M) und den Buchladen Rote Straße gestoßen, worauf sie eigene Ermittlungskomplexe gegen Buchladen und (M) aufbauten. Das §129a- Verfahren gegen uns ist dann zum Erliegen gekommen und auf irgendwelchen Schreibtischen eingestaubt. Wir mußten erstmal aufs Abstellgleis. Noch einmal zu den Ermittlungen. Das LKA befragte alle Nazis nochmal und hielt ihnen Fotos von Personen ausschließlich aus dem linken Spektrum unter die Nase . Die Nazis sollten Leute identifizieren, die sie in Mackenrode angeblich erkannt hatten. Dabei kam es zu so skurilen Aussagen wie: „Den hab ich an seinen blonden Zotteln unter der Motorradmaske erkannt" oder „die Stimme konnte ich genau erkennen". Auf Nachfrage, woher er die Stimme kenne, konnte der Nazi-Zeuge keine Angaben machen. Während sich ein Zeuge bei der ersten LKA-Vernehmung nicht erinnern konnte, klappte es beim nächsten Mal um so besser; das zieht sich die ganze Zeit so durch. Es sieht ganz so aus, als ob sich LKA und Nazis zum Kaffeekränzchen getroffen haben, wobei sich die Frage stellt, wer da wem was erzählt hat. Wir fünf wurden scheinbar ausgewählt, weil mehrere Nazis uns als Rädelsführer der Autonomen bezeichneten. Es gibt Menschen, die wesentlich schwerer belastet wurden, aber nicht auf der Anklagebank sitzen. Für die meisten von uns ist es auch nicht das erste Verfahren dieser Art mit solchen Zeugen. Für einen ist dies jetzt das fünfte auf Nazizeugen beruhende Verfahren; alle endeten mit Einstellung oder Freispruch.

Einsatz!: Wie ordnet ihr das Verfahren politisch ein und warum findet der Prozeß erst so spät statt?

Widerstand ist nicht kriminell sonder notwendig

Angeklagter: Damals betrieb das LKA mit Nachdruck Ermittlungen gegen die ganze Szene. Es wurde ein riesiger Aufwand personeller sowie materieller Natur betrieben, was alleine 13000 abgehörte Telefonate im Antifa (M)-Verfahren verdeutlichen, und dies ist nur ein Teil. Für diesen ganzen Aufwand brauchen die Repressionsbehörden eine Legitimation, welche sie mit der Einstellung der Verfahren gegen die Antifa (M) und den Buchladen Rote Straße verloren haben. So müssen wir jetzt zur Rechtfertigung ihrer Ermittlungsmaschinerie herhalten. Daß wir jetzt erst auf der Anklagebank sitzen, hängt mit Sicherheit damit zusammen, daß drei Verfahren dieses Ausmaßes gleichzeitig in der Öffentlichkeit ein etwas komisches Bild abgegeben hätten: Auf der einen Seite morden Nazis, die gehätschelt und gepäppelt werden, und auf der anderen Seite die Linke, auf die mit fadenscheinigen Begründungen und Konstrukten mit Kanonen geschossen wird. Sie hatten schon ohne uns genug Probleme, das Ausmaß der Repression gegen die Antifa (M) und den Buchladen zu rechtfertigen.

Einsatz!: Wie stellt ihr euch die Soli-Arbeit vor?

Angeklagter: Kommt alle zum Prozeß! Am 20. April um 20h gibt es noch einmal ein Treffen im JuZI für Leute, die sich die Nazi-Zeugen anhören wollen.

Ansonsten, denke ich, ist die beste Soli-Arbeit, den Nazis, die sich in Göttingen wieder vermehrt zeigen, eine entschlossene Antifapolitik zu betreiben.

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