[M]eine kleine Welt
Kommentar von Vincent Arcangelo

Sieg! Deutschland ausgeschaltet!
Geistige Kreisklasse
10. Juni 2000, 20.45 Uhr. Klack, Fernseher an. Anpfiff... So sieht er aus: Der Startschuß für die Fußball-Europameisterschaften. Abend für Abend sitzen sie vor der Kiste - mehr als zwei Wochen lang, mit den Gedanken nur noch bei der Nationalmannschaft. Immer deutlicher erhebt sich die "nationale Identität". Von Castrop-Rauxel bis Mallorca heißt der Schlachtruf: "Wir ballern für Deutschland!" Und gemeint ist: "Wir ziehen gegen England und den Rest der Welt!" In trauter Einigkeit haben sie sich mit Fan-Artikeln eingedeckt. Mit Fahne, Schweißband, Schal und Mütze stehen sie in den Stadien der Benelux-Länder. Von Kopf bis Fuß in schwarz-rot-gold gehüllt. Mir läuft es kalt den Rücken herunter. Nun gut, auch ich habe begriffen, daß es schwer ist, gesellschaftlichen Trends etwas entgegenzusetzen ist. Aber früher haben wir die "Kutten-Asis"- also quasi das komplette Schalker Parkstadion - mitleidig belächelt. Heute schaue ich mich um und stelle fest, daß ich einer der wenigen mit einem hämischen Grinsen im Gesicht bin. Die anderen sah ich seit 1990 schnurstracks ins Parkstadion einlaufen. Ein Volk von "Kutten-Asis", daß jedesmal mit mehr Glück als Verstand am Fuß Weltklasse war, im Kopf dafür aber höchstens Kreisklasse.
Glatze als Spiegel der Gesellschaft?
Und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Denn bei genauem Hinsehen sind die Spieler Abbilder ihrer Fans. Z.B. ist der Rostocker Ostrocker Jancker nun wahrlich ein Kind seiner Stadt (Rostock-Lichtenhagen 1992, wir erinnern uns) und auch Lothar Matthäus schlägt nicht aus der deutschen Art. Lauthals verkündete er: "Ich wähle wie ich schieße: Rechts." Mit "Ich brauchte ja am nächsten Tag nicht zu trainieren", verteidigte Mario Basler seine Kneipentour in Regensburg. Zusammen mit Sven Scheuer soff sich der Bayer bis drei Uhr Morgens so richtig Mut an, um anschließend mit schlagkräftigen Argumenten die anderen Gäste zu belästigen. Die Liste rechter und/oder gewalttätiger Ausfälle von Spielern läßt sich fast beliebig fortsetzen: Von Uli Borowka über Erwin Kostedde, Andreas "Wodka-Sassen" Sassen bis zu Wolfram Wuttke. Wie bei der breiten Masse lebt auch bei den Spielern das duale System von Fußball und Alkohol in trauter Symbiose mit rechtem Gedankengut und Gewalt. Die Fußballer - und im Falle der EM die Nationalelf - erscheinen wie ein komprimierter Spiegel der nationalistischen, "großdeutschen" Gesellschaft. Ergo sind auch die Spieler nichts anderes als "Kutten-Assis".
Aber was bitte unterscheidet diese Parkstadion-Bevölkerung von den Hooligans? Überhaupt nichts! Denn ebenso, wie die Gesellschaft aus der sie kommen und gegen die sie sich keineswegs abgrenzen, sind sie rechts (nicht immer aber immer öfter) und gewalttätig.
Plastikstühle: Lieblingssitzgelegenheit für Kleingärtner und Hooligans
Dennoch gibt es Unterschiede.
Denn seit der EM '98 in Frankreich wurden die Hools aufgrund ihres etwas ruppigeren Hobbys vom Rest der Gesellschaft abgespalten. Damals prügelten deutsche Hooligans den französischen CRS-Bullen Daniel Nivel halb tot. Das von den Medien inszenierte Brimborium um Nivel, der bei weitem kein Unbeteiligter gewesen ist (EinSatz! No. 31), war der Auftakt zur Konstruierung eines neuen Public Enemy No. 1. Mit solch einer medial aufbereiteten Spaltungsstrategie ist es einfach, einen Bösewicht zu kreieren. Hooligans haben nunmal keine Lobby, keine Unterstützer und können keinen politischen Druck aufbauen. Der Mythos von der Bestie Hooligan ging um die Welt und wurde seitdem stetig auf kleiner Flamme gekocht, um im Millenium serviert zu werden.
Zuerst wurde also ein Sündenbock aufgebaut, um über den Umweg der inszenierten Panikmache, Überwachungsmechanismen und Polizeibefugnisse immer weiter auszubauen. Testballon ist zunächst die Verschärfung des Passgesetzes. Seitdem gilt Ausreisen mit Ausreiseverbot nicht mehr als Ordnungswidrigkeit sondern als Straftatbestand. Nicht mehr und nicht weniger. Anders formuliert: "Raider heißt jetzt Twix - sonst ändert sich nix!" Naja, theoretisch ändert sich zwar nicht viel, dafür aber praktisch. Denn die schon vorhandenen Befugnisse, wie Meldeauflagen, Passentzug, Ausreiseverbote etc. werden nun voll und offensiv ausgeschöpft. Zunächst sind die Hools betroffen. Trotzdem sind sie nicht das primäre Objekt der Begierde. Denn gegen wen diese Maßnahmen und Gesetze in Zukunft eingesetzt werden, ist schon jetzt klar: Alles und jeder, der und die nicht ins Konzept EU passen - auch Hooligans. Aber der Hauptfeind steht links.
Diese rechts-rechts-Kombination die eine erneute Verschärfung der Polizeipraxis in der BRD zur Folge hat, ist jedoch nur die Spitze des Eisberges. Wie eine intereuropäische Polizeistaatsübung mutet die EM 2000 an. Die EU-Norm "zero tolerance" gelangt in die Erprobungsphase. Gesetzt wird auf eine arbeitsteilige Vorgehensweise: Jeder kehrt vor seiner eigenen Tür - mit eisernem Besen, das versteht sich von selbst. Die Intention dieser Aktion ist nicht schwer zu erraten: Aufstandsbekämpfung auf Trainingsniveau zur Sabilitätsgarantie des Staates EU.
Mit Doppelpass angetäuscht, rechts -rechts-Kombination, Blutgrätsche und... Klack, Sie müssen Deutschland jetzt ausschalten.

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