Jede Zeit hat ihre Bombe
Zelle. Für eine Politik
die Geschichte ist, sitzen derzeit mindestens fünf Menschen in verschiedenen
Gefängnissen der BRD. Die Ermittlungswut der Bundesanwaltschaft (BAW) im Zusammenhang
mit der bewaffneten/militanten Politik der Revolutionären Zellen/RoteZora (RZ)
geht auch in andere Länder über. So kam es in diesem Jahr sowohl in Frankreich
als auch kürzlich wieder in Berlin und in Kanada zu Verhaftungen. Während die
Staatsschutzbehörden mit der Geste der Sieger ein weiteres Kapitel linksradikaler
Politik aburteilen wollen, holt die Geschichte die Gefangenen ein, ohne dass
diese darauf setzen könnten, dass der Großteil der aktiven radikalen Linken
diese Geschichte als die ihre begreift.
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Stromversorgung
des BGS in Frankfurt/Oder geflutet. Anschlag der RZ im Rahmen der Kampagne "Für freies Fluten" |
Seit der
Selbstauflösung der RZ Anfang der 90er und der RAF Mitte der 90er Jahre ist
der grundsätzliche Gedanke an eine Politik, die auch bewaffnet auftritt, am
versiegen. Auf der Suche nach Ursachen und Antworten, warum die bewaffnete Politik
scheiterte, begeben sich zahlreiche linksradikale AutorInnen auf das Gebiet
der Selbstgeißelung in der irrigen Annahme, es sei die längst fällige Kritik
an vergangener Politik. Die einen verorten das Scheitern der bewaffneten Gruppen
im verfehlten Avantgardeanspruch - vor allem im Hinblick auf die RAF. Andere
wiederum sprechen von schweren Fehlern im "internen" Umgang miteinander. Beide
Sichtweisen haben eines gemeinsam: gesamtgesellschaftliche Ursachen und die
Situation der Linken bleiben weitestgehend unerwähnt beziehungsweise tauchen
nur am Rande auf. Und das ist es, was wiederum den Subjektivismus verdeutlicht
und gleichzeitig reproduziert, der in der Argumentation der bewaffneten Linken
in der BRD bereits in ihren Anfängen angelegt war. Gängige Argumentation zur
Aufnahme des bewaffneten Kampfes war der Zirkelschluss, bewaffnete Politik sei
notwendig, weil sie möglich sei, sie sei möglich, weil sie notwendig sei. Nur
deshalb können einige Beteiligte vom generellen Scheitern sprechen. Dabei hat
gerade die Auflösung der RZ gezeigt, dass auch der Zerfall einer bestimmten
Form militanter linksradikaler Politik nicht im Nichts enden muss. Mit ihrer
Auflösung war zumindest eine kritische Konfrontation der eigenen Politik einhergegangen.
Und zwar so brauchbar vermittelt, das das Ende der Politik Anfang der 90er rückblickend
als Teil einer beginnenden Neupositionierung der gesamten Linken in der Frage
des Antisemitismus betrachtet werden kann. Dabei ist das Nichteinsetzen einer
weitergehenden Aufarbeitung der Praxis und des generellen Ansatzes militanter/bewaffneter
Politik weder der RZ noch der RAF anzulasten. Schon 1993 gab die antiimperialistische
Gruppe "Kein Friede" aus Frankfurt ihrer Broschüre zur Erschießung von Wolfgang
Grams (RAF-Aktivist) den Titel: "Die Niederlage der RAF ist eine Niederlage
der Linken". Der Titel ist Hinweis auf die Verantwortung der Linken in Bezug
auf die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, die aufgelösten bewaffnet kämpfenden
Gruppen können dieser Aufgabe schon wegen der Nichtexistenz nicht nachkommen.
Um so wichtiger wäre es, dass Ehemalige endlich das Wort soweit ergreifen, wie
es ihrem Status als diejenigen, die nicht schon von der staatlichen Version
vereinnahmt worden sind, entspricht.
Gerade der neuerliche Rachefeldzug bundesdeutscher Staatsschutzbehörden zeigt
allerdings die gesellschaftliche Unmöglichkeit einer offenen Diskussion von
fast 25 Jahren bewaffneter linksradikaler Politik in der BRD. Die unerbitterliche
Siegergeste staatlicher Verfolgungspolitik ruft uns im Gegenteil wieder in Erinnerung,
dass darüberhinaus Genossinnen und Genossen seit teilweise über 20 Jahren aus
der Gesellschaft ausgeschlossen und isoliert sind. Und es kommen nun mit der
Verfhaftung mutmaßlicher ehemaliger Mitglieder der Revolutionären Zellen/ Rote
Zora neue Gefangene hinzu. Und das für eine Politik, die gemeinhin als "gescheitert"
gilt.
Was jedoch unter "dem Scheitern" verstanden wird, ist je nach der eigenen Position
durchaus unterschiedlich. Dennoch scheint der Begriff des Scheiterns sowohl
allgemein als auch für die ehemals Kämpfenden fester Bestandteil des Blickes
in die Vergangenheit geworden zu sein.
Ein Blick in die Zukunft wird nicht riskiert, läuft man doch Gefahr, von der
Vergangenheit eingeholt zu werden und eine Zukunft hinter Gittern ist nun wirklich
niemandem zu wünschen.
So bleibt der aktiven radikalen Linken die Xte - notwendige - Solidaritätskampagne
nicht erspart. Bewegt hat sich hingegen wenig. Der Staat räumt ab, die radikale
Linke ist in Verteidigungsstellung.
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Ohne das Konzept der RZ nicht denkbar: Anschlag eines autonomen Komandos auf Reisebusse, die zur Flüchtlingsdeportation vorgesehen waren. |
Von Bedeutung
Weder an der
Tatsache, dass die kapitalistische Verwertungslogik und das darauf aufbauende
System abgeschafft gehören, hat sich etwas geändert, noch an der Einsicht, dass
der Kapitalismus und seine Sachwalter nicht freiwillig abtreten werden. Eine
revolutionäre Linke, will sie nicht ausschließlich Teil des demokratisch inszenierten
Diskurses sein, bedarf grundsätzlich einer bewaffneten/militanten Option.
Dies weniger aus Gründen der unmittelbaren Veränderung gesellschaftlicher Zustände,
als vielmehr aus Gründen der Glaubwürdigkeit der eigenen Argumente. Nicht das
hat uns zuletzt die Erfahrung der Geschichte des bewaffneten Kampfes in der
BRD gelehrt.
Eine Politik der bewaffneten Propaganda, die verdeutlicht, dass Ausbeutung und
Unterdrückung konsequent bekämpft gehören, kann nur dann Wirkung entfalten,
wenn die Grenze nicht vom Gewaltmonopol - juristisch wie polizeilich - bestimmt
wird. Die Funktion ist so einfach wie offensichtlich: zu einer Perspektive linker
Politik gehört die Möglichkeit des Eingreifens auf allen Ebenen. Auch daran
hat sich bis heute überhaupt nichts geändert.
Eine Konzeption wie die der RZ/Rote Zora hatte ihre Wirkung bis weit in die
autonome Bewegung der 80er und die antifaschistische Bewegung der 90er Jahre.
Hier ging es weniger um die Perspektive der bewaffnet kämpfenden Gruppen der
70er, eine Guerilla aufzubauen, als sich vielmehr der grundsätzlichen Methodik
militanter Politik zu bedienen. Militante Propaganda so einzusetzen, dass legale
Politik in Wechselwirkung mit ihr mehr Durchschlags- und Aussagekraft bekommt.
Die RZ haben schon früh gezeigt, wie grundlegend Vermittlungsarbeit in der politischen
Aktion ist. Nicht zuletzt die Schaffung einer eigenen Zeitung ("Revolutionärer
Zorn") macht dies deutlich. Eine legitime (militante) Aktion ist politisch erst
dann richtig und erfolgreich, wenn in ihr der Drang nach gesellschaftlicher
Vermittlung angelegt ist. Alles andere bleibt isoliert und damit politisch fragwürdig.
Zumal in kaum einem anderen Land außerparlamentarische Politik sowenig als Teil
gesellschaftlicher Realität verankert ist, wie in der BRD.
Daran scheitert täglich linksradikale Politik - und zwar unabhängig von Legalität
oder Klandestinität. Für bewaffnete Propaganda, für militante Politik, für den
Aufbau einer organisierten antifaschistischen Linken gelten grundsätzlich die
gleichen Kriterien: zur Zeit bedeutet das, den Versuch des Aufbrechens der Isolation
nicht zu unterlassen .
Das Verschwinden bzw. Scheitern bewaffneter Politik gleichzusetzen mit der Annahme,
dass militante/bewaffnete Politik grundsätzlich aus dem Repertoire der Linken
zu streichen wäre, ist die Umsetzung staatlicher Integrationspolitik. Nur weil
eine differenzierte Aufarbeitung von fast 25 Jahren bewaffneter linksradikaler
Politik auf absehbare Zeit nicht erkennbar ist, sollten wir uns davor hüten,
"Scheitern" als Abgesang auf linksradikale Politik generell zu betrachten. Denn
schon jetzt führt die mangelnde Präsenz der Idee bzw. der Möglichkeit bewaffneter
Propaganda in der Politik der aktiven Linken (Antifa, Antirassismus, Anti-Atom
etc.) gleichzeitig zu einer mangelnden Präsenz im Bewusstsein und der Politik
derjenigen, die für die bewaffnete Politik in der BRD stehen: die Gefangenen.
Eine Bewertung, eine Aufarbeitung, ein eindeutiger oder selbstversständlicher
Umgang mit linksradikaler bewaffneter Politik als Teil der eigenen Geschichte,
ist dieser Tage stets mit der Frage der Repression sowie der Gefangenen verknüpft.
Diese durch die gesellschaftlichen Bedingungen bestimmte Zwangsverknüpfung wird
auch in Zukunft weder eine generelle Neubestimmung noch eine differenzierte
Bezugnahme größerer Teile der Linken ermöglichen. Alles wird Stückwerk bleiben.
Die Geschichte lässt sich nicht beenden. Jede Zeit hat ihre Bombe.
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